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VerfGBbg, Beschluss vom 19. Mai 2005 - VfGBbg 9/04 EA -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, 32 Abs. 7
- RVG, § 37 Abs. 2
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsrefom
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 19. Mai 2005 - VfGBbg 9/04 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 9/04 EA



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

Gemeinde Wernsdorf,
vertreten durch den früheren ehrenamtlichen Bürgermeister,
Crossinstraße 9,
15537 Wernsdorf,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.,

betrifft: kommunale Neugliederung;
hier: Antrag der Gemeinde Wernsdorf (Amt Unteres Dahmeland) auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 19. Mai 2005

b e s c h l o s s e n :

1. Für die Zeit bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin - VfGBbg 59/04 - wird angeordnet:

a) Die Stadt Königs Wusterhausen wird verpflichtet, keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden; insbesondere darf über bisher der Antragstellerin gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften nicht verfügt werden. Maßnahmen oder Entscheidungen mit Zustimmung des Ortsbeirates bzw. des Ortsbürgermeisters bleiben zulässig.

b) Der Stadt Königs Wusterhausen wird aufgegeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist.

2. Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin die im einstweiligen Anordnungsverfahren entstehenden notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 4.000,00 € zu erstatten.

G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin, eine bislang amtsangehörige Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch die nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 b) des Gesetzes zur Bestätigung der landesweiten Gemeindegebietsreform nach weiterer Bevölkerungsanhörung (Bestätigungsgesetz) vom 29. Juni 2004 (GVBl. I S. 295) i. V. mit Art. 1 § 9 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße sowie zur Auflösung der Gemeinden Diepensee und Haidemühl und zur Änderung des Gesetzes zur Auflösung der Gemeinde Horno und zur Eingliederung ihres Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde sowie zur Änderung der Amtsordnung (6. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 93) vorgesehene Eingliederung in die Stadt Königs Wusterhausen. Das Bestätigungsgesetz ist zufolge seines § 2 am 03. Juli 2004 in Kraft getreten.

Die Antragstellerin beantragt,

die Stadt Königs-Wusterhausen bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde zu verpflichten,

1. keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden,

2. keine Verfügungen ohne Zustimmung des Ortsbeirates bzw. des Ortsbürgermeisters über bisher der Antragstellerin gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften vorzunehmen,

3. bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Königs Wusterhausen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung und die Stadt Königs-Wusterhausen haben davon Gebrauch gemacht.

II.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hiernach war antragsgemäß zu entscheiden.

Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie schon der Wortlaut des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausweist, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein Gesetz ist grundsätzlich so lange als wirksam anzusehen, bis seine Verfassungswidrigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt ist.

Hiervon ausgehend ist die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich unabhängig vom Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache - anhand einer Folgenabwägung zu treffen, bei der die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegenüber denjenigen Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg versagt bleibt. Als “schwerer” Nachteil ist nur ein Nachteil anzusehen, der endgültig und nicht wiedergutzumachen, also irreparabel ist (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 22. Dezember 1993, - VfGBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216 f.).

Nach diesem Maßstab hält es das Landesverfassungsgericht für veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, daß bis zu der Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden. Dem dient die begehrte einstweilige Anordnung eines Wohlverhaltens (vgl. BVerfGE 91, 70, 72; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; SächsVerfGH LKV 2000, 23, 25; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279; s. auch Brinktrine/Unnerstall, LKV 2000, 330, 334 ff). Sie hält die Stadt Königs Wusterhausen für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache, um „unumkehrbare Verhältnisse“ zu vermeiden, zur Zurückhaltung gegenüber den Belangen der für ihre Selbständigkeit eintretenden Antragstellerin an. Als – nicht abschließendes – Beispiel wird hervorgehoben, daß nicht über Grundvermögen der Antragstellerin und etwaiger Eigengesellschaften verfügt werden darf. Ein Bedürfnis für diese Anordnung ist gegeben. Zwar hat die Stadt Königs Wusterhausen in ihrer Stellungnahme vom 21. Januar 2005 zum verfassungsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich die Behauptung der Antragstellerin zurückgewiesen, sie bemühe sich öffentlich um Käufer für deren Grundbesitz. Sie hat aber auch deutlich gemacht, daß sie ohne die Schutzanordnungen eine ganze Reihe von „entscheidungsreifen Angelegenheiten“ für die Antragstellerin bzw. auf deren Gebiet durchführen würde. Die einstweilige Anordnung soll allerdings Entscheidungen und Maßnahmen aller Art nicht im Wege stehen, die im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin liegen; solche erfordern die Zustimmung des Ortsbeirates bzw., wo ein solcher nicht gebildet wird, des Ortsbürgermeisters.

Darüber hinaus gibt das Landesverfassungsgericht aus Gründen der Transparenz der Stadt Königs Wusterhausen auf, bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist (ebenso BVerfGE 91, 70, 73; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279).

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg und § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
 

Weisberg-Schwarz Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
   
  Prof. Dr. Will