VerfGBbg, Beschluss vom 19. Januar 2006 - VfGBbg 116/03 -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1 | |
Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform - Verhältnismäßigkeit |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 19. Januar 2006 - VfGBbg 116/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 116/03
IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem kommunalen
Verfassungsbeschwerdeverfahren
Gemeinde Drewitz, Beschwerdeführerin, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,
hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 19. Januar 2006 b e s c h l o s s e n : Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen. G r ü n d e : A. Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Jänschwalde angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Einbeziehung in die neugebildete Gemeinde Jänschwalde und deren Zuordnung zum durch Ämterzusammenschluß vergrößerten Amt Peitz. I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine
Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg im Landkreis
Spree-Neiße, gehörte zunächst zum nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten
Amt Jänschwalde. Die Beschwerdeführerin liegt unmittelbar nördlich der
bisherigen Gemeinde Jänschwalde. Im Westen grenzt die Gemeinde Tauer des
Amtes Peitz, im Norden und Osten die amtsfreie Gemeinde Schenkendöbern an.
Ende 2001 lebten von den etwa 2.700 Einwohnern des Amtsgebiets Jänschwalde
516 im Gebiet der Beschwerdeführerin, ca. 230 in der Gemeinde Grießen und
ca. 1.960 in der Gemeinde Jänschwalde. Im Amtsgebiet Peitz mit dem Amtssitz
Peitz (ca. 5.270 Einwohner) und weiteren sieben Gemeinden lebten ca. 10.930
Einwohner; nur die Gemeinde Grötsch hatte weniger als 500 Einwohner. Die
Ämter Jänschwalde mit 81 km² Fläche und Peitz mit 201 km² Fläche hatten eine
Bevölkerungsdichte von 33 bzw. 54 Einwohnern je Quadratkilometer. Ein
Zehntel der Fläche des Amtes Jänschwalde und 35 % der Fläche des Amtes Peitz
in ihren bisherigen Ausmaßen sind Teil eines großen ehemaligen
Truppenübungsplatzes; besonders betroffen ist das Gebiet der
Beschwerdeführerin. An der Südgrenze der Gemarkung der Beschwerdeführerin
befindet sich der ehemals militärisch genutzte Flugplatz Cottbus/Drewitz,
wenige hundert Meter südlich liegt der Ortsteil Jänschwalde Ost der Gemeinde
Jänschwalde mit mehreren Gewerbegebieten und einer Haltestelle des
Regionalexpresses zwischen Cottbus und Frankfurt (Oder) sowie Berlin. Beide
Ämter wurden durch die Wirtschaftszweige Kohle und Energie sowie
Landwirtschaft geprägt und waren stark durch den Braunkohlentagebau
betroffen. Die Stadt Peitz hat ein deutlich größeres Angebot insbesondere an
Dienstleistungen als der Amtsbereich Jänschwalde; in einem Teilregionalplan
ist Peitz als Grundzentrum, Jänschwalde lediglich als Kleinzentrum
eingeordnet. Das Zentrum der Beschwerdeführerin ist vom Verwaltungssitz in
Jänschwalde ca. fünf Kilometer entfernt, das Zentrum der Stadt Peitz weitere
sechs Kilometer. Zwischen dem Ortszentrum der Beschwerdeführerin und dem
Bahnhof Jänschwalde liegen drei Straßenkilometer; mehrere Buslinien
verkehren regelmäßig nach Jänschwalde und nach Peitz. Weitere
Bahnhaltestellen im Gebiet der beiden Ämter gibt es in Peitz Ost und in der
Gemeinde Teichland. Das Amt Jänschwalde bezeichnete sich als das „einzige
deutsch-sorbische Amt im Land Brandenburg“. Alle Gemeinden beider Ämter
haben sich zum sorbischen/wendischen Siedlungsgebiet bekannt und zur
Förderung der sorbischen/wendischen Sprache und Kultur verpflichtet. In
allen Gemeinden werden sorbische Bräuche gepflegt. In Kindertagesstätten
beider Ämter wird Sorbisch-Unterricht erteilt. Die einzige sorbische
Grundschule des Landes befindet sich in Heinersbrück im bisherigen Amt
Peitz. Die Haushalte der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Jänschwalde
waren ausgeglichen; beide waren mit ca. 110 DM bzw. 120 DM je Einwohner
verschuldet. 2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Spree-Neiße versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. 3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. Art. 1 § 30 des Entwurfs zum sechsten dieser Gesetze, zugleich § 30 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße (6. GemGebRefGBbg) sah u.a. vor, die Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Jänschwalde einzugliedern und diese dem nach Zusammenschluß der bisherigen Nachbarämter künftig aus acht Gemeinden bestehenden Amt Peitz zuzuordnen. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Für den 23. Januar 2003 erging eine Einladung zur Anhörung der Beschwerdeführerin, die gegenüber dem Ausschuß Anhörungsmängel rügen ließ. Die Gesetze wurden sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 30 des 6. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 93), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. Art. 6 des Artikelgesetzes), lautet:
II. Die Beschwerdeführerin hat am 22. Mai 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Einbeziehung in die Gemeinde Jänschwalde und der Ämterzusammenschluß seien schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zu Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft, was u.a. auf Ermittlungsdefiziten beruhe. Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:
III. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg sowie die Gemeinde Jänschwalde hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. B. Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. I. Sie ist nur in begrenztem Umfang zulässig. 1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den sie gar nicht erwähnenden Absatz 4 dieser Vorschrift wendet, ist der Antrag unzulässig. Eine eigene Betroffenheit hat sie nicht dargelegt (zum Erfordernis eigener Betroffenheit bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116 = LKV 2002, 573). 2. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist
ebenfalls unzulässig, soweit sie sich auch gegen die (hier in § 30 Abs. 2
und 3 des 6. GemGebRefGBbg bestimmte) Auflösung des bisherigen Amtes
Jänschwalde und die Vergrößerung des Amtes Peitz durch Zuordnung der
neugebildeten Gemeinde Jänschwalde richtet. Insoweit ist die
Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt. Eine amtsangehörige Gemeinde kann
nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts lediglich
beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht
aber, daß sie ihr in der bisherigen Form und in dem bisherigen Zuschnitt zur
Verfügung steht (Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 57/01 -, LKV 2002, 515
sowie Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.). Auch
hinsichtlich der Regelungen des Absatzes 5 der Norm sind Gesichtspunkte für
eine Beschwer weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. II. Soweit die kommunale Verfassungsbeschwerde zulässig ist, erweist sie sich
in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den
Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht
von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV
gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt. Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]). Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.). b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Neugliederung der Beschwerdeführerin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen: aa) Der Gesetzgeber hat sich
ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt. Dabei hat er auch
die Situation im Bereich der beiden Ämter hinreichend in den Blick genommen. (1) Daß eine Stärkung der Verwaltungskraft - die Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen - ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, insbesondere zu dem Unterfall der Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland (Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 -) sowie zum vorausgegangenen Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (vgl. Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.). Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, daß Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen. (2) Die Vorgabe einer Mindestgröße
nach der Einwohnerzahl für das Amt wie auch für eine amtsfreie Gemeinde im
Leitbild (2. b) bb) sowie Sätze 1 und 3 nach 2. a) dd)) des Gesetzgebers ist
ein dem öffentlichen Wohl dienendes Neugliederungsziel. Eine leistungsfähige
Verwaltung setzt eine gewisse Einwohnerzahl voraus, die ein Mindestmaß an
wirtschaftlicher Leistungskraft sicherstellt. Erst ab einer bestimmten Größe
der Verwaltung ist es möglich, daß das hauptamtliche Personal spezialisierte
Tätigkeitsbereiche erhält und die Behörde zeitgemäß ausgestattet wird.
Dementsprechend sind auch in anderen Bundesländern bei
Gemeindegebietsreformen je nach Bevölkerungsdichte und Siedlungsstruktur
Mindestgrößen für die einzelne Verwaltungseinheit zugrunde gelegt worden. So
wurde z.B. in Nordrhein-Westfalen für ländliche Orte eine Größe von 8.000,
in Niedersachsen von 5.000, in Rheinland-Pfalz von 7.500 und in
Schleswig-Holstein von 5.000 Einwohnern angestrebt (vgl. von Unruh/Thieme/Scheuner,
Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 110). Auch in Bayern
ist seinerzeit bei der Gemeindegebietsreform nicht nur der Richtwert von
5.000 Einwohnern pro Verwaltungseinheit (Einheitsgemeinde oder
Verwaltungsgemeinschaft), sondern auch ein Richtwert von 1.000 Einwohnern
für die einzelne Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft zugrunde
gelegt worden. Derartige Vorgaben sind verfassungsgerichtlich jeweils
unbeanstandet geblieben (siehe etwa VerfGH Sachsen, Urteil vom 18. November
1999 – Vf. 174-VIII-98 -; StGH Bad.-Württ., DVBl 1975, 385, 391; vgl. auch
BayVGH, BayVBl 1979, 146, 148). Auch im Schrifttum werden Vorgaben nicht
grundsätzlich in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, S. 641,
652: Bildung von Verwaltungsgemeinschaften/Ämterverwaltungen mit
„numerischen Vorgaben insbesondere für akzeptable Mindestzahlen von
Einwohnern“), wenngleich zu der exakten zahlenmäßigen Fixierung der
Mindestgröße unterschiedliche Auffassungen bestehen mögen. Wenn der
Gesetzgeber sich in seinem Leitbild auf den hier in Rede stehenden Richtwert
von 5.000 Einwohnern festgelegt hat, dann sind seine diesbezüglichen
Wertungen und Erwägungen nicht offensichtlich fehlerhaft oder widerlegbar
(so bereits Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August
2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O., sowie u.a. Beschluß vom 26. Februar 2004 -
VfGBbg 150/03 -, S. 17 f. des Entscheidungsabdrucks). Insbesondere ist es
nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber die drei Gemeinden des bisherigen
Amtes Jänschwalde nicht im Hinblick auf die dünne Besiedelung in der Region
ausnahmsweise (Leitbild 2. a) Satz 3 nach dd)) in einer die
Mindesteinwohnerzahl unterschreitenden amtsfreien Gemeinde zusammengeführt
hat. Anders als im Fall der von der Beschwerdeführerin benannten amtsfreien
Gemeinde Schenkendöbern mit nach der gesetzlichen Neugliederung immerhin
4.500 Einwohnern hätte eine aus den drei Gemeinden des kleinsten Amtes des
Landes gebildete amtsfreie Gemeinde Jänschwalde nur ca. 2.700 Einwohner
gehabt. Jedenfalls bei einer solch großen Differenz zu seinen
Leitbildvorstellungen brauchte der Gesetzgeber keinen Ausnahmefall
anzunehmen. cc) Zur Erreichung dieser Reformziele - zur Stärkung der
Verwaltungskraft, Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen
durch Überwindung ausgeprägter Kleingliedrigkeit - im Bereich der bisherigen
Ämter Peitz und Jänschwalde einen nicht unerheblichen Beitrag zu leisten,
ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Jänschwalde nicht
offensichtlich ungeeignet. (1) Insbesondere war der Gesetzgeber nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Jänschwalde gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Von dieser Erwägung hat sich der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens leiten lassen. Die Annahme des Gesetzgebers, daß die Beschwerdeführerin - auch wenn die Finanzlage naturgemäß veränderlich ist - allein wenig leistungsfähig ist, durch den Gemeindezusammenschluß aber auf Dauer eine strukturelle Stärkung erfährt, ist beanstandungsfrei. Der Gesetzgeber wäre allerdings gehindert, eine Gemeinde zu bilden, deren Finanzausstattung evident unzureichend sein wird und in der für eine gemeindliche Selbstverwaltung auf Dauer kein Raum mehr ist. Eine derartige Gemeinde führte lediglich ein „Scheindasein“ (BVerfGE 1, 167, 175; vgl. auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 16. September 1998 - VfGBbg 28/98 -, LVerfGE 10, 237, 242). So liegen die Dinge aber bei der Beschwerdeführerin nicht. Sie erwartet nicht, daß die vergrößerte Gemeinde zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft überhaupt nicht mehr in der Lage wäre. Sofern sich die Beschwerdeführerin sorgt, künftig würden die vorhandenen Mittel nicht sinnvoll und gerecht auf das Gesamtgebiet verteilt, bestehen Anhaltspunkte für ein solches Verhalten der Gemeinde Jänschwalde nicht. Kommunalpolitische Aufgaben, wie sie es auch in jeder anderen aus Ortsteilen bestehenden Gemeinde gibt, lassen sich zudem, wie zahlreiche Beispiele zeigen, auch bei einer gewissen mehrpoligen Gemeindestruktur mit Geschick so lösen, daß einzelne Ortsteile sich nicht dauernd ausgeschlossen fühlen. (2) Ebenso ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber gegenüber verschiedentlich geäußerten Befürchtungen des Verlustes auch im Gebiet der Beschwerdeführerin vorhandener sorbisch-wendischer Traditionen im größeren Gemeinwesen auf eine umfangreiche Pflege des sorbisch-wendischen Brauchtums in allen Gemeinden der bisherigen Ämter Peitz und Jänschwalde verweist und eine betreffende Orientierung und Traditionsfortführung daher nicht gefährdet sieht (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 484 f., 492). (3) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren Gemeinden des vergrößerten Amtsgebiets resultierenden Stellungnahmen und Ergebnisse von Bürgerbefragungen und -entscheiden (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 467 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Jänschwalde sprechenden Umständen mit dem Ziel, einerseits eine möglichst bürgernahe Selbstverwaltung der Gemeinden in einem Amt des äußeren Entwicklungsraums zu erhalten, zu diesem Zweck andererseits die Struktur des Amtes zu straffen und zu vereinfachen sowie seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen, das höhere Gewicht beigemessen hat. C. Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht
für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg. |
Weisberg-Schwarz | Prof. Dawin |
Prof. Dr. Dombert | Prof. Dr. Harms-Ziegler |
Dr. Jegutidse | Dr. Knippel |
Prof. Dr. Will |