VerfGBbg, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - VfGBbg 72/12 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 9 Abs. 1 - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 S. 1 |
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Schlagworte: | - Maßregelvollzug - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - Fortdauer der Unterbringung - Subsidiaritätsgrundsatz |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - VfGBbg 72/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 72/12
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
K.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin B.,
wegen des Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Juni 2012 (26 StVK 68/12) und des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. September 2012 (2 Ws 162/12)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt
am 18. Oktober 2013
b e s c h l o s s e n:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen gerichtliche Entscheidungen über die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
1. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 23. Juli 2001 wurde der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung mit Todesfolge – begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit - zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Daneben wurden als Maßregeln die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Strafgesetzbuch – StGB -) und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. In der Hauptverhandlung stellte das Landgericht eine Alkoholisierung des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt von 3,00 Promille sowie eine schwere Persönlichkeitsstörung mit paranoid-zwanghaften Zügen und einer ausgeprägten Aggressionsproblematik fest.
Seit dem 16. Oktober 2001 befindet sich der Beschwerdeführer zum Zwecke des Maßregelvollzugs im G. Krankenhaus - Klinik für Forensische Psychiatrie. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. Dezember 2003 wurde die Maßregel nach § 64 StGB für erledigt erklärt und der Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2. Im Rahmen dieser Unterbringung wurden dem Beschwerdeführer zwischenzeitlich Lockerungen gewährt. So durfte er im Sommer 2008 – zu Zwecken der Resozialisierung - nach L. ziehen, wo zu dieser Zeit seine Schwester wohnte. Infolge nicht eingestandener Rückfälle seiner Alkoholkrankheit brach die Klinik im Herbst 2009 den Aufenthalt des Beschwerdeführers in L. ab und führte ihn in den stationären Maßregelvollzug zurück. Ebenfalls im Herbst 2009 holte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nach § 454 Abs. 2, § 463 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) ein klinikexternes Sachverständigengutachten ein, um die Wahrscheinlichkeit künftiger Begehung von Straftaten durch den Beschwerdeführer zu beurteilen (§ 67d Abs. 2 StGB). Der Sachverständige bejahte diese Gefahr, u. a. auch wegen einer nicht aufgearbeiteten Sexualdelinquenz des Beschwerdeführers aus dem Zeitraum 1987 bis 1994 (mehrfacher sexueller Missbrauch von Kindern und sexuelle Nötigung einer Frau), so dass das Landgericht am 16. Februar 2010 die Fortdauer der Unterbringung anordnete. Im Zuge einer weiteren Resozialisierungsmaßnahme bezog der Beschwerdeführer im Februar 2010 eine klinikeigene Stadtwohnung in E., in der er bis zum Oktober 2010 lebte. In dieser Zeit wurde gegen den Beschwerdeführer ein – im weiteren Verlauf allerdings mangels hinreichenden Tatverdachts eingestelltes - strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Nachstellens zu Lasten einer ehemaligen Freundin geführt. Anlässlich dieses Verfahrens wurde die Lockerung ausgesetzt und der Beschwerdeführer musste in die Klinik zurückkehren.
3. Mit Beschlüssen vom 16. Dezember 2010, 10. Juni 2011 und dem angegriffenen Beschluss vom 18. Juni 2012 ordnete das Landgericht jeweils die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Im Beschluss vom 18. Juni 2012 führte es nach Anhörung des Beschwerdeführers aus, dieser sei wegen seiner Erkrankung weiterhin gefährlich und bedürfe intensiver therapeutischer Behandlung. Eine Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung und eine bedingte Entlassung (§ 67d Abs. 2 StGB) kämen daher nicht in Betracht. Aus der gutachterlichen Stellungnahme der Klinik für Forensische Psychiatrie vom 30. März 2012 ergebe sich, dass der Beschwerdeführer nach wie vor an einer Alkoholabhängigkeit und einer schweren Persönlichkeitsstörung mit instabilen, paranoid-zwanghaften und selbstunsicheren Zügen bei gleichzeitig bestehender ausgeprägter Aggressionsproblematik leide und diese Diagnose sein Verhalten im Klinikalltag geprägt habe. Seine feindselige Haltung und seine aggressiv gereizte Grundstimmung hätten den Kontakt zu ihm über weite Strecken schwierig gemacht. Dem Beschwerdeführer fehle weiterhin die Einsicht in seinen Hilfebedarf und eine ausreichende Bereitschaft, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Er habe keine therapeutischen Fortschritte erzielt. Die Kammer schließe sich diesen Einschätzungen und der Empfehlung des Gutachters, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen, nach kritischer Überprüfung an.
Der Beschluss wurde der Verteidigerin des Beschwerdeführers am 25. Juni 2012 zugestellt. Der Beschwerdeführer legte hiergegen am 2. Juli 2012 sofortige Beschwerde ein, die er entgegen seiner Ankündigung nicht begründete.
Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 11. September 2012 verwarf das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde als unbegründet. Die Voraussetzungen der Unterbringung seien nicht entfallen; auch sei nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde (§ 67d Abs. 6 StGB). Dieser Beschluss ging der Verteidigerin des Beschwerdeführers am 24. September 2012 zu.
II.
Der Beschwerdeführer rügt mit der am Montag, den 26. November 2012 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 9 Abs. 1 der Landesverfassung (LV).
Die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei unverhältnismäßig. Die Gerichte hätten Bedeutung und Tragweite seines Freiheitsgrundrechts verkannt. Die angegriffenen Entscheidungen ließen eine hinreichende richterliche Sachaufklärung vermissen und hätten in tatsächlicher Hinsicht keine genügende Grundlage. Das Landgericht habe eine kritische Würdigung der gutachterlichen Stellungnahme nicht vorgenommen. Auch das Oberlandesgericht gehe ohne Sachaufklärung von seiner fortbestehenden Gefährlichkeit aus. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Stellungnahme der Klinik sei gerade mit Blick darauf zwingend gewesen, dass er keine Gewalttätigkeiten mehr verübt und sich bereits in Vollzugslockerungen erprobt habe, ihm diese jedoch seit zwei Jahren wegen Kommunikationsschwierigkeiten und mangelndem Vertrauen im Verhältnis zwischen ihm und der Klinik nicht mehr eingeräumt würden. In diesem Zusammenhang hätten es die Gerichte als nachvollziehbar berücksichtigen müssen, dass er der Klinik mittlerweile ablehnend gegenüber trete, nachdem vor zwei Jahren Lockerungen wegen des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens ausgesetzt und auch nach Einstellung dieses Verfahrens nicht wieder gewährt worden seien. Mit der Gefährlichkeitsprognose hätte wegen dieser Besonderheiten des Einzelfalls zudem ein externer Gutachter beauftragt werden müssen. Schließlich hätten die Gerichte die gutachterlichen Einschätzungen besonders intensiv kontrollieren müssen, weil die Klinik, von der sie stammten, ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen sei.
III.
Die Präsidenten des Landgerichts und des Oberlandesgericht hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens und das Vollstreckungsheft wurden beigezogen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen. Der Beschwerdeführer ist zwar beschwerdebefugt, einer Sachentscheidung steht jedoch der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
I.
Der Beschwerdeführer ist beschwerdebefugt. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die angegriffenen Beschlüsse ihn in seinem Grundrecht der Freiheit der Person aus Art. 9 Abs. 1 LV verletzen. Dieses Recht darf wegen seines hohen Rangs nur aus besonders wichtigen Gründen eingeschränkt werden; zu diesen zählt der Schutz der Allgemeinheit, wie er durch das Straf- und das Strafverfahrensrecht bezweckt wird (vgl. zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz: Bundesverfassungsgericht – BVerfG - E 58, 208, 224 f). Entscheidungen über die Anordnung und Fortdauer einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63, § 67d Abs. 2 StGB betreffen die Freiheitsentziehung und berühren damit das Freiheitsgrundrecht unmittelbar (Beschluss vom 18. September 2003 – VfGBbg 178/03 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nach Maßgabe des Subsidiaritätsgrundsatzes unzulässig.
1. Der Subsidiaritätsgrundsatz leitet sich aus dem Gebot der Rechtswegerschöpfung in § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg ab. Ein Beschwerdeführer muss die ihm gegen die angegriffene hoheitliche Maßnahme zur Verfügung stehenden fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten einschließlich etwaiger Rechtsmittel und -behelfe nicht nur (formal) durchschreiten. Vielmehr hat er auch (materiell) alles Zulässige und Zumutbare dafür zu tun, eine etwaige Grundrechtsverletzung bereits in dem sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beheben; Grundrechtsschutz ist zuvörderst Aufgabe der Fachgerichte (st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 15. März 2013 – VfGBbg 32/12 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
Um dieser Obliegenheit gerecht zu werden, wird dem Beschwerdeführer neben der Wahrnehmung der prozessualen Verfahrensrechte (Rüge von Verfahrensmängeln, Stellung von Anträgen) insbesondere abverlangt, die entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig und substantiiert vorzutragen (vgl. BVerfGE 66, 337, 364; BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2003 – 1 BvR 922/03 -, BVerfGK 1, 172, 173) und zwar unabhängig davon, ob das Verfahren dem Beibringungs- oder dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegt (BVerfGE 79, 174, 190). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen möglichst so zu gestalten, dass es zur Abwehr oder Beseitigung der gerügten Grundrechtsverletzung geeignet ist. Er muss diejenigen - für seine Rechtsverfolgung vor den Fachgerichten relevanten – Gesichtspunkte und Argumente, in deren Anbetracht die beanstandete hoheitliche Maßnahme einen Grundrechtsverstoß darstellen soll, jedenfalls in ihrem Kern, bereits in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt haben (BVerfGE 82, 6, 11; BVerfG, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 BvR 2432/12 -, zitiert nach juris Rn. 1; vgl. auch m. w. N. Lübbe-Wolff, Substantiierung und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde EuGRZ 2004, 669, 674). Denn dem Verfassungsgericht soll ein umfassend geprüfter Sachverhalt mit der hierzu entwickelten Fallanschauung und Rechtsauffassung der für die jeweilige Materie zuständigen Gerichte unterbreitet werden, damit es nicht auf unsicherer Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheidet (zu dieser Funktion des Subsidiaritätsgrundsatzes: Beschluss vom 27. Mai 2011 – VfGBbg 20/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
2. Danach ist der Beschwerdeführer im Verfahren zur Überprüfung der Fortdauer seiner Unterbringung den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht gerecht geworden. Zwar ist es ihm nicht anzulasten, dass er gegenüber den Instanzgerichten nicht ausdrücklich und eingehend sein Freiheitsgrundrecht aus Art. 9 Abs. 1 LV geltend gemacht hat; die Relevanz der angegriffenen Entscheidungen für dieses Grundrecht und dessen Bedeutung für die gerichtliche Entscheidungsfindung liegen auf der Hand. Ein Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz ergibt sich jedoch daraus, dass der Beschwerdeführer auf eine Aussetzung des Maßregelvollzugs nicht hingewirkt hat.
Er hat zu der sachverständigen Einschätzung vom 30. März 2012 weder vor noch in dem Anhörungstermin vom 13. Juni 2012 Stellung genommen. Er hat auch nicht die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens beantragt, die wegen – von ihm geltend gemachter – Besonderheiten des Einzelfalles auch vor Ablauf von fünf Jahren seit Vornahme der letzten externen Begutachtung (§ 463 Abs. 4 Strafprozessordnung) geboten sein kann (vgl. Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 10. Juni 2008 – 1 Ws 154/08 -, zitiert nach juris Rn. 2). Im Anhörungstermin, der wenige Tage vor der angegriffenen Entscheidung stattfand, hat er seine Unzufriedenheit mit seiner aktuellen Situation zum Ausdruck gebracht. Sein Wunsch, in eine Klinik nach Nordrhein-Westfalen verlegt zu werden, wurde auch von seiner Verteidigerin hervorgehoben, die in der Anhörung im Wesentlichen die fehlende Perspektive des Beschwerdeführers bemängelt hatte, der Stellungnahme der Klinik vom 30. März 2012 nicht entgegentrat und auch keinen Antrag auf Aussetzung der Maßregel zur Bewährung stellte. Dass die Stellungnahme der Klinik aus grundsätzlichen oder aus Erwägungen dieses Einzelfalls keine tragfähige Grundlage für das weitere Verfahren sei, hat sie nicht ausgeführt; erst mit der Verfassungsbeschwerde zieht sie die Stellungnahme in Zweifel. Damit hat der Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung zu keinem Zeitpunkt die Fortdauer seiner Unterbringung in Abrede gestellt. Eben der jetzt erstmals im Rahmen der Verfassungsbeschwerde herausgehobene Vortrag hätte sich im fachgerichtlichen Verfahren aufgedrängt, zumal der Beschwerdeführer im vorangegangen Anhörungstermin vom 8. Juni 2011 über seine Verteidigerin sogar erklärt hatte, gegen die Fortdauer der Unterbringung bestünden keine Bedenken.
Ebenso hat der Beschwerdeführer es unterlassen, die Feststellungen und Einschätzungen des Landgerichts im Beschluss vom 18. Juni 2012 (und mittelbar der Stellungnahme der Klinik vom 30. März 2012) mit der sofortigen Beschwerde unter den in der Verfassungsbeschwerde aufgezeigten Gesichtspunkten (Dauer der Unterbringung; frühere Erprobung in Lockerungen; Ausbleiben von Gewalttätigkeiten; Aussetzung der Lockerungen trotz Einstellung des Ermittlungsverfahren und Fehlens sonstiger „greifbarer“ Vorkommnisse im Klinikalltag als Ursache der Kooperationsverweigerung) als für die Anordnung der Unterbringungsfortdauer nicht ausreichende Grundlage anzugreifen. Dies war mit Rücksicht darauf in besonderem Maße angezeigt, dass er anlässlich der Einlegung der sofortigen Beschwerde ausdrücklich eine – im Weiteren ausgebliebene – Begründung derselben angekündigt hatte. Schließlich ist nichts dafür ersichtlich, dass das Vorbringen der genannten Gesichtspunkte sowie der Antrag auf Einholung eines externen Sachverständigengutachtens nicht zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung des Beschwerdegerichts hätten führen können.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Partikel | Schmidt |