VerfGBbg, Beschluss vom 18. September 2003 - VfGBbg 219/03 EA -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1 |
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Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform |
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Fundstellen: | ||
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. September 2003 - VfGBbg 219/03 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 219/03 EA

B E S C H L U S S | ||||||||||
In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Stadt Werder (Havel), Antragstellerin, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 18. September 2003 b e s c h l o s s e n : Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. G r ü n d e : I. Die Antragstellerin, eine kreisangehörige (amtsfreie) Stadt, schloß im November 2001 mit der Gemeinde Golm, die zum Amt Werder gehört, einen Vertrag zu deren Eingliederung, der jedoch durch das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg nicht genehmigt wurde. Anträge auf Gewährung verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtschutzes blieben ebenso wie eine im Juli 2002 erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung (bislang) ohne Erfolg. Die Gemeinde Golm soll statt in die Antragstellerin nach § 1 Abs. 1 und 3 des Dritten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landeshauptstadt Potsdam und die Ämter Fahrland und Werder (3. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl I S. 70) unter Auflösung des Amtes Werder in die Landeshauptstadt Potsdam eingegliedert werden. Die Vorschrift tritt am Tage der nächsten landesweiten Kommunalwahlen in Kraft. Als Wahltag ist der 26. Oktober 2003 festgesetzt. Die Antragstellerin greift die Bestimmung über die Eingliederung wie auch die allgemeinen Vorschriften zu den Folgen des Gemeindegebietsreformgesetzes (§§ 2 bis 4 des 3. GemGebRefGBbg), Regelungen zu den Kommunalwahlen 2003 (§§ 5 bis 8 des 3. GemGebRefGBbg) sowie weitere Bestimmungen im Zusammenhang mit der Gebietsreform und betreffend das Inkrafttreten des 3. GemGebRefGBbg (§§ 9 bis 11 des 3. GemGebRefGBbg) an. Die Antragstellerin beantragt,
hilfsweise,
Der Hauptantrag zielt u.a. darauf ab, die Kommunalwahlen in diesem Bereich nicht in den neuen Strukturen stattfinden zu lassen. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg, die Landeshauptstadt Potsdam und die Gemeinde Golm hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung und die Gemeinde Golm haben davon Gebrauch gemacht. II. 1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Allerdings wird die Antragstellerin gemessen an ihrem bisherigem Gebietszuschnitt von der Eingliederung der Gemeinde Golm in die Landeshauptstadt Potsdam nur mittelbar betroffen. Gleichwohl behandelt das Landesverfassungsgericht sie hier als antragsbefugt (vgl. zur Antragsberechtigung bei der einstweiligen Anordnung: Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Juli 2002, § 32 Rn. 44). Ob das Recht auf kommunale Selbstverwaltung in bestimmten Konstellationen einen Anspruch auf Ausdehnung des Gemeindegebietes vermitteln kann (vgl. dazu SaarlVerfGH NVwZ-RR 1993, 424; BayVGH BayVBl 1978, 271), kann dabei offenbleiben. Art. 98 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung bezieht das Recht der Gemeinden, ihr Gebiet durch Vereinbarung zu ändern, in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung ein. Eine Verletzung dieses Rechtes erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.2. Der Antrag bleibt jedoch ohne Erfolg. Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. a) Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie schon der Wortlaut des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausweist, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt in noch verstärktem Maße, wenn der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wie hier, darauf abzielt, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verschieben (vgl. Urteile vom 30. November 1993 - VfgBbg 3/93 EA -, LVerfGE 1, 205, 206 f. und vom 22. Dezember 1993 - VfgBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216; s. BVerfG, Beschluß vom 26. März 2003 - 1 BvR 112/03 -, zuvor etwa BVerfGE 104, 51, 55; 104, 23, 27; 99, 57, 66; 96, 120, 129; 94, 334, 347; 93, 181, 186), und zwar auch dann, wenn das Gesetz nicht abstrakt-genereller Natur ist, sondern eine konkrete Neugliederungsmaßnahme betrifft (s. bereits Urteil vom 30. November 1993 a.a.O.; vgl. weiter BVerfGE 91, 70, 75; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 378; 6, 381, 385). Ein Gesetz ist grundsätzlich so lange als wirksam anzusehen, bis seine Verfassungswidrigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt ist. Hiervon ausgehend ist die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich unabhängig vom Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache - anhand einer Folgenabwägung zu treffen, bei der die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegenüber denjenigen Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg versagt bleibt. Als schwerer Nachteil ist nur ein Nachteil anzusehen, der endgültig und nicht wiedergutzumachen, also irreparabel ist (s. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 217 f.). b) Hiernach sieht es das Gericht nicht als zur Abwehr schwerer Nachteile zum gemeinen Wohl dringend geboten an, das Inkrafttreten von § 1 Abs. 1 und 3 und die Vollziehung von §§ 2 bis 11 des 3. GebRefGBbg bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin auszusetzen. Ihr drohen keine nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile. Erweist sich - bei einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache - die Eingliederung der Gemeinde Golm in die Landeshauptstadt Potsdam als unwirksam, behält die Gemeinde Golm jedenfalls zunächst ihre rechtliche Selbständigkeit und fällt sie nicht etwa wie von selbst an die Antragstellerin. Vielmehr käme es weiterhin darauf an, ob das Ministerium des Innern die Eingliederung in die Antragstellerin genehmigt. Insofern wäre für die Antragstellerin mit einer vorläufigen Aussetzung des 6. GemGebRefGBbg nichts Entscheidendes gewonnen. Das gilt umso mehr, als bei Unwirksamkeit der Eingemeindung von Golm in die Landeshauptstadt Potsdam die Eingemeindung in die Antragstellerin nicht notwendig die einzige Lösung ist, sondern auch Alternativlösungen in Betracht kommen könnten. Jedenfalls aber ist eine vorübergehende Verschiebung der Vergrößerung der Antragstellerin um die Gemeinde Golm gemessen daran, daß bei einem Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache das Gemeindegebietsreformgesetz in diesem Bereich eine Zeitlang leergelaufen wäre und in dem betreffenden Gebiet keine Kommunalwahlen in den gesetzlich festgelegten Strukturen stattgefunden hätten, ein zwar gewichtiger, aber kein auf Dauer irreversibler Nachteil. Er könnte durch eine spätere Vergrößerung um die Gemeinde Golm weitgehend wiedergutgemacht werden. Die Kommunalwahlen am 26. Oktober 2003 sind im übrigen, soweit es um die Antragstellerin geht, so oder so in dem jetzigen Gemeindezuschnitt durchzuführen, weil die Gemeinde Golm selbst bei einem Erfolg der Antragstellerin in der Hauptsache lediglich nicht nach Potsdam eingemeindet werden würde, jedoch eine Eingemeindung in die Antragstellerin, wie ausgeführt, offenbliebe. Daß - für diesen Fall - in Potsdam und Golm neu gewählt werden müßte, ändert nichts daran, daß die Kommunalwahlen vom 26. Oktober 2003 für den Bereich der Antragstellerin so oder so nur in ihren jetzigen Grenzen stattfinden könnten. Das Landesverfassungsgericht hat auch die anderen von der Antragstellerin für die vorläufige Aussetzung der in Rede stehenden Regelungen geltend gemachten Gesichtpunkte geprüft und in seine Abwägung einbezogen, hält sie aber ebenfalls - sowohl je für sich als auch im Zusammenwirken - für eine derart weitreichende einstweilige Anordnung nicht für schwerwiegend genug. Dies gilt namentlich auch für die jetzt mit dem Gesetzesvollzug und die gegebenenfalls mit der späteren Rückabwicklung verbundenen Vollzugsfolgen, deren Stellenwert für die hier zu treffende Entscheidung dadurch relativiert wird, daß jedenfalls bloße Vollzugsfolgen nicht dazu führen dürfen, daß die vorläufige Aussetzung eines Gesetzes zum Regelfall wird (vgl. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 207 f.). c) Auch der Hilfsantrag, im Rahmen des hier zugrundeliegenden Einstweiligen-Anordnungs-Verfahrens Wohlverhaltensgebote zu erlassen, die die Wiederherstellung der Selbständigkeit der Gemeinde Golm für den Fall eines Erfolges der kommunalen Verfassungsbeschwerde sichern helfen, bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil das Landesverfassungsgericht derartige Gebote mit Beschluß vom 21. August 2003 bereits auf Antrag der Gemeinde Golm getrofen hat (VfgBbg 117/03 EA). Diese Entscheidung bindet allgemein (§ 29 Abs. 1 VerfGGBbg, s. auch Berkemann, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 32 Rn. 246). | ||||||||||
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