VerfGBbg, Beschluss vom 18. September 2003 - VfGBbg 11/03 EA -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 - BRAGO, § 113 Abs. 2 Satz 3 |
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Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform - Gegenstandswert - Auslagenerstattung |
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Fundstellen: | ||
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. September 2003 - VfGBbg 11/03 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 11/03 EA

B E S C H L U S S | ||||||||||
In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung 1. Gemeinde Wust,2. Gemeinde Jeserig, 3. Gemeinde Schenkenberg, 4. Gemeinde Trechwitz, zu 1. - 4. vertreten durch das Amt
Emster-Havel,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte L., v. H., M.,
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 18. September 2003 b e s c h l o s s e n : 1. Der Antrag, das Inkrafttreten von § 1 des 1. Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg und von § 13 des 4. Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, wird zurückgewiesen.2. Für die Zeit bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerinnen wird angeordnet: a) Das Land Brandenburg, die Stadt Brandenburg an der Havel und die Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin werden verpflichtet, keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die den Antragstellerinnen im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihnen nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden; insbesondere darf über bisher den Antragstellerinnen gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften nicht verfügt werden. Maßnahmen oder Entscheidungen mit Zustimmung der Ortsbeiräte bzw. der Ortsbürgermeister bleiben zulässig. b) Der Stadt Brandenburg an der Havel und den Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin wird aufgegeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerinnen betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist. c) Die weiteren Hilfsanträge der Antragstellerinnen werden zurückgewiesen. 3. Das Land Brandenburg hat den Antragstellerinnen 10 % der im einstweiligen Anordnungsverfahren entstehenden notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 40.000,00 € zu erstatten. G r ü n d e : I. Die Antragstellerinnen, bisher amtsangehörige Gemeinden desselben Amtes, wehren sich gegen ihre Auflösung. Die Antragstellerin zu 1. soll nach § 1 des Ersten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel und die Gemeinden Gollwitz und Wust des Amtes Emster-Havel (1. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl I S. 66) in die Stadt Brandenburg an der Havel eingegliedert werden. Aus den Antragstellerinnen zu 2. und 3. sowie weiteren amtsangehörigen Gemeinden soll nach § 13 Abs. 1 des Vierten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming (4. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl I S. 73) die neue amtsfreie Gemeinde Groß Kreutz/Emster entstehen. Die Antragstellerin zu 4. soll nach § 13 Abs. 2 des 4. GemGebRefGBbg in die amtsfreie Gemeinde Kloster Lehnin eingegliedert werden. Die genannten Vorschriften treten am Tage der nächsten landesweiten Kommunalwahlen in Kraft. Als Wahltag ist der 26. Oktober 2003 festgesetzt. Die Antragstellerinnen beantragen,
hilfsweise,
Der Hauptantrag zielt u.a. darauf ab, die Kommunalwahlen in diesem Bereich nicht in den durch das Gemeindegebietsreformgesetz bestimmten Strukturen stattfinden zu lassen. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg, die Stadt Brandenburg an der Havel, die Gemeinde Kloster Lehnin und der Landkreis Potsdam-Mittelmark hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung und die Gemeinde Kloster Lehnin haben davon Gebrauch gemacht. II. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, hat jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg. Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hiernach war wie aus dem Beschlußtenor ersichtlich zu entscheiden. a) Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie schon der Wortlaut des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausweist, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt in noch verstärktem Maße, wenn der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wie hier, darauf abzielt, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verschieben (vgl. Urteile vom 30. November 1993 - VfgBbg 3/93 EA -, LVerfGE 1, 205, 206 f. und vom 22. Dezember 1993 - VfgBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216; s. BVerfG, Beschluß vom 26. März 2003 - 1 BvR 112/03 -, zuvor etwa BVerfGE 104, 51, 55; 104, 23, 27; 99, 57, 66; 96, 120, 129; 94, 334, 347; 93, 181, 186), und zwar auch dann, wenn das Gesetz nicht abstrakt-genereller Natur ist, sondern eine konkrete Neugliederungsmaßnahme betrifft (s. bereits Urteil vom 30. November 1993 a.a.O.; vgl. weiter BVerfGE 91, 70, 75; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 378; 6, 381, 385). Ein Gesetz ist grundsätzlich so lange als wirksam anzusehen, bis seine Verfassungswidrigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt ist. Hiervon ausgehend ist die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich unabhängig vom Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache - anhand einer Folgenabwägung zu treffen, bei der die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegenüber denjenigen Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg versagt bleibt. Als schwerer Nachteil ist nur ein Nachteil anzusehen, der endgültig und nicht wiedergutzumachen, also irreparabel ist (s. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 217 f.). b) Hiernach sieht es das Gericht nicht als zur Abwehr schwerer Nachteile zum gemeinen Wohl dringend geboten an, das Inkrafttreten von § 1 des 1. GemGebRefGBbg und von § 13 des 4. GemGebRefGBbg bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerinnen auszusetzen. Bei einem Obsiegen der Antragstellerinnen in der Hauptsache erweist sich ihre Eingliederung in die in die Stadt Brandenburg an der Havel bzw. die Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin als unwirksam und behält bleibt ihre rechtliche Selbständigkeit erhalten. Daß die Antragstellerinnen in der Zwischenzeit (ab dem 26. Oktober 2003) nicht über eine eigene Gemeindevertretung verfügt hätten und an einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der kommunalen Selbstverwaltung gehindert gewesen wären, ist gemessen daran, daß bei einem Unterliegen der Antragstellerinnen in der Hauptsache das Gemeindegebietsreformgesetz eine Zeitlang leergelaufen wäre und in dem betreffenden Gebiet keine Kommunalwahlen in den gesetzlich festgelegten Strukturen stattgefunden hätten, ein zwar gewichtiger, aber kein auf Dauer irreversibler Nachteil. Er würde durch einen Erfolg in der Hauptsache weitgehend wiedergutgemacht. Auch eine Verwaltung wäre wieder verfügbar zu machen. Wenn die Antragstellerinnen in der Hauptsache Erfolg haben und sie als amtsangehörige Gemeinde fortbestehen, haben sie Anspruch zwar nicht auf die bisherige, wohl aber auf irgendeine geeignete (Amts-)Verwaltung (vgl. Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfgBbg 51/01 - , LKV 2002, 515). Daß bei einem Erfolg der Antragstellerinnen in der Hauptsache die Kommunalwahlen in den dann kommunalpolitisch anders gearteten Strukturen zu wiederholen wären, kann eine das Inkrafttreten der in Rede stehenden Vorschriften bis zur Hauptsacheentscheidung aussetzende einstweilige Anordnung nicht rechtfertigen. Zwar ist es in der Tat gerade auch unter Demokratiegesichtspunkten ungut, wenn bei einer Wahl die Gefahr der Wiederholung besteht (vgl. auch Urteil vom 30. November 1993 - VfgBbg 3/93 EA -, a.a.O., S. 209). Andererseits ist ein legitimes gesetzgeberisches Interesse an landesweit gleichzeitigen und unter landesweit gleichen gesamtpolitischen Rahmenbedingungen stattfindenden Kommunalwahlen anzuerkennen (vgl. a.a.O.). Im übrigen besteht die Gefahr einer Wahlwiederholung so oder so, weil bei einer Aussetzung des Inkrafttretens von § 1 des 1. GemGebRefGBbg bzw. von § 13 des 4. GemGebRefGBbg die Kommunalwahlen in den bisherigen Strukturen durchzuführen, bei einem Unterliegen der Antragstellerinnen in der Hauptsache aber hinfällig wären und in der Stadt Brandenburg an der Havel sowie den Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin deshalb unter Beteiligung der Einwohner von Wust, Schenkenberg, Jeserig und Trechwitz neu gewählt werden müßte. Das Landesverfassungsgericht hat auch die anderen von der Antragstellerinnen für die vorläufige Aussetzung der in Rede stehenden Regelungen geltend gemachten Gesichtpunkte geprüft und in seine Abwägung einbezogen, hält sie aber ebenfalls - sowohl je für sich als auch im Zusammenwirken - für eine derart weitreichende einstweilige Anordnung nicht für schwerwiegend genug. Dies gilt namentlich auch für die jetzt mit dem Gesetzesvollzug und die gegebenenfalls mit der späteren Rückabwicklung verbundenen Vollzugsfolgen, deren Stellenwert für die hier zu treffende Entscheidung im übrigen dadurch relativiert wird, daß jedenfalls bloße Vollzugsfolgen nicht dazu führen dürfen, daß die vorläufige Aussetzung eines Gesetzes zum Regelfall wird (vgl. Urteil vom 30. November 1993, a.a.O., S. 207 f.). c) Unbeschadet der Zurückweisung des Antrags auf vorläufige Aussetzung des Inkrafttretens von § 1 des 1. GemGebRefGBbg bzw. von § 13 des 4. GemGebRefGBbg hält es indes das Landesverfassungsgericht, das im Verfahren der einstweiligen Anordnung an die gestellten Anträge nicht gebunden ist (vgl. BVerfGE 86, 46, 48; 81, 53, 57; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethke, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand Juli 2002, § 32 Rn. 115, 158), für veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, daß bis zu der Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerinnen keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die den Antragstellerinnen im Fall ihres Obsiegens die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihnen nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden. Dem dient die einstweilige Anordnung zu Ziffer 2 a der Entscheidungsformel (ebenso BVerfGE 91, 70, 72; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; SächsVerfGH LKV 2000, 23, 25; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279; s. auch Brinktrine/Unnerstall, LKV 2000, 330, 334 ff.). Sie hält das Land, die Stadt Brandenburg an der Havel sowie die Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache, um unumkehrbare Verhältnisse zu vermeiden, zur Zurückhaltung gegenüber den Belangen der für ihre Selbständigkeit eintretenden Antragstellerinnen an. Als nicht abschließendes Beispiel hat das Gericht hervorgehoben, daß nicht über Grundvermögen der Antragstellerinnen und etwaiger Eigengesellschaften verfügt werden darf. Dies soll freilich Entscheidungen und Maßnahmen aller Art nicht im Wege stehen, die im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerinnen liegen. Solche erfordern jedoch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes die Zustimmung der Ortsbeiräte bzw., wo solche nicht gebildet werden, der Ortsbürgermeister. Darüber hinaus gibt das Landesverfassungsgericht aus Gründen der Transparenz der Stadt Brandenburg an der Havel sowie den Gemeinden Groß Kreutz/Emster und Kloster Lehnin auf, bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerinnen betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist (ebenso BVerfGE 91, 70, 73; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279). d) aa) Soweit die Antragstellerinnen - im Rahmen ihres Hilfsantrages zu b) - darüber hinaus Maßnahmen unterbunden sehen wollen, die erhebliche finanzielle Verpflichtungen zur Folge haben oder langfristig finanzwirksam sind oder ihr Vermögen schmälern, wäre eine dahingehende einstweilige Anordnung zu starr. Die Rechte der Antragstellerinnen werden durch die hier getroffene Regelung zu Ziff. 2 ausreichend gewahrt. Eine zusammenhanglose Inanspruchnahme von Finanzmitteln der Antragstellerinnen fällt gegebenenfalls unter Ziff. 2 a) des Beschlußtenors. Unabhängig davon greift jeweils die Kennzeichnungspflicht gemäß Ziff. 2 b) des Beschlußtenors ein. bb) Auch soweit die Antragstellerinnen - im Rahmen ihres Hilfsantrages zu a) - in ein Wohlverhaltensgebot nach Art von Ziff. 2 a) der hier ergangenen einstweiligen Anordnung zusätzlich den Landkreis Potsdam-Mittelmark einbezogen wissen wollen, liegen die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht vor. Es ist nicht zu erkennen, daß sich der Landkreis anschickt, Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die die Wiederherstellung der Selbständigkeit der Antragstellerinnen unzumutbar erschweren oder sie für diesen Fall nicht wiedergutzumachenden Nachteilen aussetzen würden. Hierzu ist nichts Geeignetes dargetan. Der Landkreis hat im übrigen - durch die nämlichen Verfahrensbevollmächtigten, die auch die Antragstellerinnen vertreten - seinerseits eine kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben (VfgBbg 223/03), mit der er sich dagegen wehrt, daß Gemeinden den Landkreis verlassen sollen. Demzufolge geht er auch dagegen vor, daß ihm die Antragstellerin zu 1. (durch Eingliederung in die Stadt Brandenburg an der Havel) verlorengeht; die Interessen des Landkreis Potsdam-Mittelmark stehen in dieser Weise eher im Einklang mit denen der Antragstellerin zu 1.. Soweit der Landrat des Landkreises die Kommunalaufsicht ausübt, handelt er ohnehin als allgemeine untere Landesbehörde (§ 121 Abs. 1 Gemeindeordnung für das Land Brandenburg) und ist in dieser Eigenschaft durch die hier zu Ziff. 2 a) getroffene einstweilige Anordnung gebunden. III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg und § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. | ||||||||||
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