VerfGBbg, Beschluss vom 18. August 2005 - VfGBbg 6/05 EA -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7 - RVG, § 37 Abs. 2 |
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Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. August 2005 - VfGBbg 6/05 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 6/05 EA
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IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem Verfahren über den Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Gemeinde Niederlehme, Antragstellerin, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.,
hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 18. August 2005 b e s c h l o s s e n : 1. Der Antrag, das Inkrafttreten von § 1
Abs. 1 Nr. 3b des Gesetzes zur Bestätigung der landesweiten
Gemeindegebietsreform nach weiterer Bevölkerungsanhörung bis zur
Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, wird zurückgewiesen. b) Der Stadt Königs Wusterhausen wird
aufgegeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge,
die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom
Aufwand her vertretbar ist. 3. Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin 10 % der im einstweiligen Anordnungsverfahren entstehenden notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 € zu erstatten. G r ü n d e : I. Die Antragstellerin, eine bislang amtsangehörige Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung und Eingliederung in die Stadt Königs Wusterhausen. Diese Maßnahmen beruhen auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 b) des Gesetzes zur Bestätigung der landesweiten Gemeindegebietsreform nach weiterer Bevölkerungsanhörung (Bestätigungsgesetz) vom 29. Juni 2004 (GVBl. I S. 295) i. V. mit Art. 1 § 9 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße sowie zur Auflösung der Gemeinden Diepensee und Haidemühl und zur Änderung des Gesetzes zur Auflösung der Gemeinde Horno und zur Eingliederung ihres Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde sowie zur Änderung der Amtsordnung (6. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 93). Das Bestätigungsgesetz ist zufolge seines § 2 am 03. Juli 2004 in Kraft getreten. Die Antragstellerin beantragt,
hilfsweise,
Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Königs Wusterhausen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung und die Stadt Königs-Wusterhausen haben davon Gebrauch gemacht. II. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, hat jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg. Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hiernach war wie aus dem Beschlußtenor ersichtlich zu entscheiden. 1. Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, wie schon der Wortlaut des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg ausweist, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt in noch verstärktem Maße, wenn der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wie hier, darauf abzielt, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verschieben (vgl. Urteile vom 30. November 1993 - VfGBbg 3/93 EA -, LVerfGE 1, 205, 206 f. und vom 22. Dezember 1993 - VfGBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216; s. BVerfG, Beschluß vom 26. März 2003 - 1 BvR 112/03 -, zuvor etwa BVerfGE 104, 51, 55; 104, 23, 27; 99, 57, 66; 96, 120, 129; 94, 334, 347; 93, 181, 186), und zwar auch dann, wenn das Gesetz nicht abstrakt-genereller Natur ist, sondern eine konkrete Neugliederungsmaßnahme betrifft (s. bereits Urteil vom 30. November 1993 a.a.O.; vgl. weiter BVerfGE 91, 70, 75; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 378; 6, 381, 385). Ein Gesetz ist grundsätzlich so lange als wirksam anzusehen, bis seine Verfassungswidrigkeit im Hauptsacheverfahren festgestellt ist. Hiervon ausgehend ist die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung - grundsätzlich unabhängig vom Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache - anhand einer Folgenabwägung zu treffen, bei der die Folgen abzuwägen sind, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hat, gegenüber denjenigen Nachteilen, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg versagt bleibt. Als “schwerer” Nachteil ist nur ein Nachteil anzusehen, der endgültig und nicht wiedergutzumachen, also irreparabel ist (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 22. Dezember 1993 - VfGBbg 9/93 EA -, LVerfGE 1, 214, 216 f.). 2. Hiernach sieht es das Gericht nicht als “zur Abwehr schwerer Nachteile” “zum gemeinen Wohl” “dringend geboten” an, das Inkrafttreten von § 1 Abs. 1 Nr. 3 b des Bestätigungsgesetzes bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin auszusetzen. Bei einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache erweist sich ihre Einbeziehung in die Stadt Königs Wusterhausen als unwirksam und behält sie ihre rechtliche Selbständigkeit. Daß sie in der Zwischenzeit nicht über eine eigene Gemeindevertretung verfügt und an einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der kommunalen Selbstverwaltung gehindert wird, ist gemessen daran, daß bei einem Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache das Gemeindegebietsreformgesetz i.V. mit dem Bestätigungsgesetz eine Zeitlang “leergelaufen” wäre, ein zwar gewichtiger, aber kein auf Dauer irreversibler Nachteil. Er würde durch einen Erfolg in der Hauptsache weitgehend “wiedergutgemacht”. Auch eine Gemeindeverwaltung könnte wieder eingerichtet werden. Wenn die Antragstellerin in der Hauptsache Erfolg hat und sie als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht, hat sie Anspruch zwar nicht auf die bisherige, wohl aber auf irgendeine geeignete (Amts-)Verwaltung (vgl. Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 51/01 - , LKV 2002, 515; zum ganzen bereits: Beschluß vom 21. August 2003 - VfGBbg 182/03 EA - zu einem vorangegangenen Verfahren der Antragstellerin gegen ihre kommunale Neugliederung). 3. Unbeschadet der Zurückweisung des
Antrags auf vorläufige Aussetzung des Inkrafttretens der gesetzlichen
Regelung hält es indes das Landesverfassungsgericht, das im Verfahren der
einstweiligen Anordnung an die gestellten Anträge nicht gebunden ist (vgl.
BVerfGE 86, 46, 48; 81, 53, 57; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethke,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand Juli 2002, § 32 Rn. 115, 158), für
veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, daß bis zu der Entscheidung über die
kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin keine aufschiebbaren
Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die der Antragstellerin im
Fall ihres Obsiegens die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar
erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden.
Dem dient die einstweilige Anordnung zu Ziffer 2 a) der Entscheidungsformel
(ebenso BVerfGE 91, 70, 72; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; SächsVerfGH LKV
2000, 23, 25; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279; s. auch Brinktrine/Unnerstall,
LKV 2000, 330, 334 ff.). Sie hält die Stadt Königs Wusterhausen für die Zeit
bis zur Entscheidung der Hauptsache, um „unumkehrbare Verhältnisse“ zu
vermeiden, zur Zurückhaltung gegenüber den Belangen der für ihre
Selbständigkeit eintretenden Antragstellerin an. Als – nicht abschließendes
– Beispiel hat das Gericht hervorgehoben, daß nicht über Grundvermögen der
Antragstellerin und etwaiger Eigengesellschaften verfügt werden darf. III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32
Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg und § 37 Abs. 2 Satz 2
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. |
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Prof. Dr. Dombert | Prof. Dr. Harms-Ziegler |
Havemann | Dr. Jegutidse |
Prof. Dr. Schröder | Prof. Dr. Will |