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VerfGBbg, Beschluss vom 18. Mai 2006 - VfGBbg 131/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - Gemeindegebietsreform
- kommunale Selbstverwaltung
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. Mai 2006 - VfGBbg 131/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 131/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Stadt Vierraden,
vertreten durch das Amt Gartz (Oder),
dieses vertreten durch die Amtsdirektorin,
Kleine Klosterstraße 153,
16307 Gartz (Oder),

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.

wegen: kommunaler Neugliederung;
hier: Auflösung der Stadt Vierraden [Amt Gartz (Oder)] durch Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Knippel, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 18. Mai 2006

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die dem Amt Gartz (Oder) angehörende Beschwerdeführerin wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die kreisangehörige Stadt Schwedt/Oder.

I.

1. Die Beschwerdeführerin, eine Stadt im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg, gehörte mit 19 weiteren Gemeinden dem im Landkreis Uckermark gelegenen und nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten Amt Gartz (Oder) an. Dieses grenzt im Norden an das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, im Osten an die Republik Polen, im Süden an die Stadt Schwedt/Oder sowie das Amt Oder-Welse und im Westen an das Amt Gramzow. Die Beschwerdeführerin - gelegen im Süden des Amtsgebietes - ist an drei Seiten umgeben von dem zur Stadt Schwedt/Oder gehörenden Gebiet.

In Folge der zum 31. Dezember 2002 wirksam gewordenen freiwilligen Gemeindezusammenschlüsse reduzierte sich die Zahl der amtsangehörigen Gemeinden und Städte auf neun. Das Amt bestand fortan aus den Gemeinden Biesendahlshof, Casekow, Groß Pinnow, Hohenfelde, Hohenselchow, Mescherin und Tantow sowie den Städten Gartz (Oder) und der Beschwerdeführerin.

Das mit einer Fläche von ca. 307 km² über dem Landesdurchschnitt (161 km²) und einer Bevölkerungsdichte von 29 Einwohnern pro km² unter dem Landesdurchschnitt (49 Einwohner pro km² im äußeren Entwicklungsraum) liegende Amt hatte 9.008 Einwohner (Stichtag 31. Dezember 2001). Von diesen lebten ca. 2.700 in Gartz (Oder), ca. 2.370 in Casekow, 1.011 in der Beschwerdeführerin, ca. 830 in Mescherin, ca. 800 in Tantow, ca. 600 in Hohenselchow, ca. 350 in Groß Pinnow, ca. 230 in Biesendahlshof und ca. 220 in Hohenfelde. Während die Stadt Schwedt/Oder seit 1990 einen erheblichen Bevölkerungsrückgang hinnehmen mußte (am 03. Oktober 1990 noch ca. 51.200 Einwohner, zum 31. Dezember 2001 nur ca. 39.000 Einwohner), ist die Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin von 1992 an kontinuierlich gestiegen. Die Bevölkerungsentwicklung des Amtes Gartz (Oder) - die Beschwerdeführerin ausgenommen - verlief von 1992 bis 2001 mit abnehmender Tendenz.

2. Die Stadtverordnetenversammlung der Beschwerdeführerin beschloß im April 2001 die Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder. Während ein im Dezember 2001 durchgeführter und später für ungültig erklärter Bürgerentscheid mit 303 zu 299 Stimmen noch eine knappe Mehrheit für die Eingliederung erbrachte, sprach sich eine Mehrheit von 344 Bürgern bei dem im März 2002 durchgeführten zweiten Bürgerentscheid gegen die Eingliederung aus - 329 Bürger stimmten für diese.

Die nördlich der Beschwerdeführerin gelegene amtsangehörige Gemeinde Hohenfelde, die die Beschwerdeführerin vom übrigen Amtsgebiet trennt und ebenfalls weitgehend von der Stadt Schwedt/Oder umgrenzt wird, hatte ihre Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder bereits zum 31. Dezember 2002 beschlossen. Das Ministerium, welches diese Eingliederung in einen Zentralort als leitbildkonform und genehmigungsfähig ansah, genehmigte den Vertrag vorerst nicht, um den Gesetzgeber im Hinblick auf die Neugliederung der Beschwerdeführerin nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen.

3. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Uckermark versandt.

4. Im September und Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 32 des Entwurfes zum Fünften Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder vor. Die Bildung einer neuen Gemeinde Hohenselchow-Groß Pinnow aus den Gemeinden Hohenselchow und Groß Pinnow sowie die Eingliederung der Gemeinde Biesendahlshof in die Gemeinde Casekow sah § 29 des Entwurfes - später auch der inhaltsgleiche § 28 des 5. GemGebRefGBbg - vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 20. Dezember 2002 wurde deren ehrenamtliche Bürgermeisterin geladen, die den Termin nicht wahrnahm. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 31 des 5. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 82), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 48 Satz 1 des 5. GemGebRefGBbg), lautet:

§ 31
Stadt Schwedt/Oder und Stadt Vierraden des Amtes Gartz (Oder)

Die dem Amt Gartz (Oder) angehörende Stadt Vierraden wird in die Stadt Schwedt/Oder eingegliedert.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 26. Mai 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, die Neugliederungsmaßnahme sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zur Wehr setzten, sei bereits ein „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle am Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 31 des Fünften Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Schwedt/Oder hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Sie ist gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Die Beschwerdeführerin ist ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit in einer Vielzahl von Verfahren kommunaler Verfassungsbeschwerden im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg (vgl. u.a. Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203, sowie vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 48/03 -, und Beschlüsse vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 und 118/03 - www.verfassungsgericht. brandenburg.de) Bezug genommen. Ergänzend ist folgendes anzumerken:

Die der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehende Zeit für die Vorbereitung auf den Anhörungstermin am 20. Dezember 2002 war noch ausreichend. Soweit zwischen der Ladung zum Anhörungstermin und dem Anhörungstermin selbst vier Wochen und zwei Tage lagen, war dieser Zeitraum zwar kurz, aber zur Vorbereitung einer sachgerechten Stellungnahme unter Beteiligung der Gemeindevertretung ausreichend. Denn zu berücksichtigen ist, daß das Vorhaben mit unverändertem Inhalt schon lange angekündigt war und insofern nicht überraschend kam. Die Beschwerdeführerin wurde bereits im Vorfeld der Gesetzesinitiative angehört und konnte sich mit der Neugliederungsabsicht befassen. Bereits im Frühsommer 2002 hatte sie die Gelegenheit, zu Gegenstand, Zielsetzung und Inhalt des damaligen Referentenentwurfs Stellung zu nehmen und erhielt hierzu entsprechende Materialien.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommen, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u. a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; Bundesverfassungsgericht - BVerfG - , BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Werteordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u. a. Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N., vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –,[Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116 = LKV 2002, 573, 574, und vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., sowie Beschlüsse vom 22. April 2004 – VfGBbg 182/03 –und vom 15. September 2005 - VfGBbg 113/03 -).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

(1) Die örtlichen Verhältnisse und wesentlichen Strukturdaten der Beschwerdeführerin, der Stadt Schwedt/Oder wie auch des Amtes sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. sog. Neugliederungssachverhalt in LT-Drucksache 3/5020, S. 519 ff.). Insbesondere erfaßte der Gesetzgeber Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte, die wirtschaftliche Lage, die Verkehrsverbindungen sowie bestehende soziokulturelle Verflechtungen der amtsangehörigen Gemeinden untereinander. So stellte der Gesetzgeber fest, daß die nach dem Regionalplan Uckermark-Barnim als Mittelzentrum ausgewiesene Stadt Schwedt/Oder wichtige Einrichtungen der öffentlichen und privaten Daseinsvorsorge und damit alle Voraussetzungen für eine bedarfsgerechte Versorgung des umliegenden Nahbereiches - zu dem neben Hohenfelde auch die Beschwerdeführerin gehört - besitzt. Die Stadt Schwedt/Oder, deren Stadtzentrum nur 4 km von der Beschwerdeführerin entfernt liegt, ist nicht nur über Fernstraßen sowie Schienen- und Wasserstraßen gut erreichbar, sondern besitzt auch einen Grenzübergang zu Polen und ist an der Bahnstrecke Berlin-Eberswalde-Schwedt-Szcecin gelegen. Der Gesetzgeber sah, daß die Einwohner der Beschwerdeführerin Nutznießer der in Schwedt/Oder vorhandenen Einrichtungen - sei es hinsichtlich der Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, der medizinischen Versorgung oder des kulturellen Angebotes - sind, größtenteils dort arbeiten und auch sonst auf vielfältige Weise mit dieser Stadt verbunden sind. So ist die Beschwerdeführerin derart in den Stadtbusverkehr integriert: Die Stadtlinie fährt stündlich durch das Gebiet der Beschwerdeführerin. Wie der Gesetzgeber ermittelte, werden so etwa 380 Einwohner der Beschwerdeführerin an jedem Werktag durch den öffentlichen Personennahverkehr nach Schwedt/Oder befördert. Auch wenn beide Städte - abgesehen von den Gewerbegebieten - im Siedlungsbereich baulich nicht verflochten waren, ging der Gesetzgeber nach den genehmigten bzw. landesplanerisch befürworteten verbindlichen Bauleitplänen davon aus, daß die künftigen Siedlungsgebiete beider Städte, insbesondere im Südosten der Beschwerdeführerin, ineinander wachsen werden. Zahlreiche ehemals in Schwedt/Oder beheimatete Bürger wohnen bereits in Eigenheimen, die sie auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin errichtet haben.

Da die Beschwerdeführerin zwar eine Kindertagesstätte mit Kinderkrippe, einen Kindergarten und einen Hort, aber keine Schulen unterhält, müssen die Schüler aus Vierraden die Grundschule in Schwedt/Oder besuchen. Schüler der Sekundarstufen I und II werden überwiegend in Schwedt/Oder und im 14 km entfernt gelegenen Gartz (Oder) unterrichtet.

Auf dem Gebiet der Stadt Schwedt/Oder befinden sich die bedeutendsten Industrie- und Gewerbeansiedlungen der Uckermark, u. a. die PCK Raffinerie GmbH und deren verschiedene Ausgliederungen. Der Gesetzgeber sah, daß sich eine Betriebsstätte der Haindl Papier GmbH auch auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin befindet; hier soll der Produktionsbereich ausgebaut werden. Nicht nur, daß die Gewerbegebiete der beiden Städte aneinander grenzen: Auch der Hafen der Stadt Schwedt/Oder - bei dessen Planung beide Städte auf vertraglicher Grundlage zusammengearbeitet haben und der nur aufgrund eines Gebietsaustausches unter ihnen entstehen konnte - grenzt unmittelbar an.

Wie auch Schwedt/Oder ist die Beschwerdeführerin Mitglied im Zweckverband Ostuckermärkische Wasserversorgung und Abwasserbehandlung. In beiden Städten wird die Abfallentsorgung durch die Abfallwirtschaftsunion (AWU) Schwedt/Oder gewährleistet.

Der Gesetzgeber konnte bei beiden Städten eine über dem Landesdurchschnitt liegende Steuerkraft feststellen, die bei der Beschwerdeführerin sogar 1.500 % im Vergleich zu Gemeinden gleicher Größenklasse ausmachte. Dabei hob er deutlich hervor, daß die überragende Gewerbesteuerentwicklung bei der Beschwerdeführerin nicht auf ihren eigenen investiven Aktivitäten, sondern auf denen der Stadt Schwedt/Oder basiert, wobei sich die günstige geografische Lage der Beschwerdeführerin in unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser Stadt zusätzlich auswirkt.

Ferner hat der Gesetzgeber auch gesehen, daß die Beschwerdeführerin, die wegen ihrer Finanzkraft in den Jahren 2000 bis 2002 keine Schlüsselzuweisungen erhalten hat, in beachtlichem Umfang freiwillige Aufgaben wahrnimmt und auch drei Beschäftigte hat, während die Haushaltslage der Stadt Schwedt/Oder - wegen des drastischen Bevölkerungsrückgangs und der Vorhaltung eines umfänglichen Aufgaben- und Dienstleistungsangebotes für das Umland – defizitär ist.

(2) Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten wird und es möglich ist, daß die Neugliederung bei Zugrundelegung des behaupteten abweichenden Sachverhalts anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, EA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin weder mitgeteilt noch sind sie sonst ersichtlich.

bb) Dem Gesetzgeber stehen im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV Gründe des öffentlichen Wohls zur Seite. Er beruft sich ausweislich der Gesetzesbegründung und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder wesentlich auf die Notwendigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur im Umland regionaler Zentren zu ändern (vgl. 2. c) und 2. d) bb) des Leitbildes, LT-Drucksache 3/5020, S. 24 f.).

Daß die Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinen Urteilen vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 - und - VfGBbg 97/03 - sowie in seinen Beschlüssen vom 10. März 2005 - VfGBbg 82/03 und VfGBbg 83/03 - (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte, s. etwa SächsVerfGH SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639, 643) entschieden. Auch im Schrifttum wird dies grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, 641, 642 f.; v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f.). Das Stadt-Umland-Verhältnis wirft eine Reihe schwieriger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf. Planung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen - Kindergärten und -krippen, Schulen (einschließlich weiterführender Schulen), Horte, Sportstätten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Feuerwehren, Kultureinrichtungen (etwa: Kulturhäuser, Heimatmuseen) - erfordern Abstimmung und Absprache. Auch im Hinblick auf den öffentlichen Personennahverkehr, Infrastrukturausbau, die Wirtschaftsförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie Trinkwasserversorgung empfiehlt sich ein gemeinsames Handeln.

Anhand der Sachverhaltsermittlungen und der detailliert begründeten Abwägungsentscheidung ist im einzelnen nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber Probleme der Suburbanisierung zwischen der Stadt Schwedt/Oder und der Beschwerdeführerin sieht und zu bewältigen versucht. Stadt-Umland-Probleme liegen nicht nur dann vor, wenn alle Beteiligten unter den aus wechselseitigen Einflüssen erwachsenen oder durch sie verstärkten Problemen leiden. Auch setzt eine kommunale Neugliederung nicht voraus, daß Mängel in der Aufgabenerfüllung der einzugliedernden Gemeinden oder des Amtes bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung u. a. zu Gunsten der Beschwerdeführerin einerseits bei andererseits gleichzeitigem Fortbestehen der Verpflichtung zur Daseinsvorsorge und zur Vorhaltung von Infrastrukturleistungen für das gesamte Umland zu Lasten der Stadt Schwedt/Oder, durfte der Gesetzgeber die Eingliederung der Beschwerdeführerin in den Zentralort regeln: Sie war zur gemeinsamen Erledigung wichtiger Verwaltungsaufgaben erforderlich und erleichtert oder verbessert bei fortgeschrittener baulicher Verflechtung die Erfüllung wesentlicher kommunaler Aufgaben (vgl. Ziff. 2. c) Satz 5 Regelbeispiele cc) und aa) des Leitbildes). Daß Umverteilungsprozesse zu Lasten des städtischen Zentrums und - neben anderen Städten und Gemeinden - auch zu ihren Gunsten stattgefunden haben, verneint auch die Beschwerdeführerin nicht. So haben zahlreiche vormals in Schwedt/Oder wohnhafte Bürger im Gebiet der Beschwerdeführerin Eigenheime gebaut, was einerseits zum Anstieg der Bevölkerung in der Beschwerdeführerin führte und andererseits den Einwohnerrückgang in Schwedt/Oder teilweise erklärt. Zudem lassen der Standortvorteil der Beschwerdeführerin aus ihrer Nähe zu Schwedt/Oder und eigenes wirtschaftliches Geschick den Umstand nicht entfallen, daß die Beschwerdeführerin ihre positive Entwicklung - in Gestalt des Einwohnerzuwachses sowie einer überdurchschnittlichen Steuerkraft bei überragender Gewerbesteuerentwicklung - durch ihre Verflechtung mit dem Wirtschaftsraum der Stadt Schwedt/Oder erlangt hat und entscheidend von diesem ihre Leistungskraft bezieht. Dagegen ist die Haushaltslage der Stadt Schwedt/Oder - aufgrund des drastischen Bevölkerungsrückgangs einerseits und der andauernden Verpflichtung zur Daseinsvorsorge und zur Vorhaltung von Infrastrukturleistungen für das gesamte Umland andererseits - defizitär. Die Beschwerdeführerin ist eine der Umlandgemeinden, die von dieser Entwicklung profitiert haben. Es ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine zunehmende Teilung zwischen überwiegend in Schwedt/Oder lokalisierter Arbeit und Freizeitaktivität einerseits, andererseits Wohnen sowie Einkaufen oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen unmittelbar außerhalb der Stadtgrenze, dadurch überwinden möchte, daß er einen einheitlichen Verwaltungsraum für die am engsten miteinander verflochtenen Stadt- und Umlandbereiche herstellt. Ebenso ist die mit der Eingliederung erstrebte Rückführung der Kosten für die mit Erfolg durchgeführten Wirtschaftsfördermaßnahmen - in Form von Gewerbesteuereinnahmen - zur Absicherung der für das Umland bedeutenden Zentralortfunktion der Stadt Schwedt/Oder verfassungsrechtlich unbedenklich.

Nicht zu beanstanden ist auch, daß der Gesetzgeber für die Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Schwedt/Oder berücksichtigte, daß sie von drei Seiten vom Schwedter Stadtgebiet umschlossen war und eine unmittelbare städtebauliche Verflechtung mit Schwedt/Oder im Bereich der Gewerbegebiete beider Städte aufwies bzw. dies im Bereich der Siedlungsgebiete nach den genehmigten und landesplanerisch befürworteten Bauleitplänen in absehbarer Zeit zu erwarten war. Die Folgerung des Gesetzgebers, daß dies für eine gemeinsame Planung durch eine einheitliche Verwaltung und damit für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder spricht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

cc) Zur Bewältigung dieser Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Schwedter Stadt-Umland-Bereich durch die Eingliederung der Beschwerdeführerin eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder ist auch nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens hier in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt. Danach besitzen die für eine Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder sprechenden Gründe das größere Gewicht.

(a) Er hat zutreffend erkannt, daß sich die hier in Frage stehenden Stadt-Umland-Probleme nicht ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen lassen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur einen Teilbereich der Probleme lösen helfen. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf, deren Lösung Zeit und Personal bindet. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler.

(b) Zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder gibt es keine zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ebenso geeignete und leitbildgerechte Alternative. Die gesetzliche Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder ist auch im Hinblick auf die Änderung kommunaler Grenzen mit den Leitbildbestimmungen vereinbar. Nach Ziffer 2. d) bb) des Leitbildes sollen Gemeindezusammenschlüsse innerhalb der Grenzen der bestehenden Ämter erfolgen. Zugleich ist jedoch vorgesehen, daß Abweichungen von den bisherigen Amtsgrenzen insbesondere im Interesse der Stärkung der Zentralorte nach dem Landesentwicklungsplan I bzw. nach den Regionalplänen geboten sein können (Ziff. 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes). Einen solchen Fall hat der Gesetzgeber hier in nicht zu beanstandender Weise angenommen.

Bei Stadt-Umland-Verflechtungen und -Problemen insbesondere im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg ist der jeweilige Zusammenschluß zu einer Gemeinde bzw. die Eingliederung in den Zentralort vom Leitbild des Gesetzgebers als Regelfall vorgesehen (Ziffern 2. a) bb) und 2. c) des Leitbildes) und die Umsetzung dessen in der ständigen Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts grundsätzlich als beanstandungsfrei angesehen worden. Die Eingemeindung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder beruht auf der gleichen Problemstruktur, nur mit der Begleitfolge, daß zwangsläufig Amtsgrenzen überschritten werden. Die Annahme des Gesetzgebers, daß dies in nicht geringem Maße zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen beiträgt und daher gerechtfertigt sei, ist nicht zu beanstanden. Im einheitlichen Verwaltungsraum können wesentlich geringere Abstimmungsprobleme bei der innerörtlichen Interessenkoordinierung sowie eine stets die Bedürfnisse und die harmonische Entwicklung des gesamten Gemeinde- bzw. Stadtgebietes (vgl. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 Gemeindeordnung - GO -) im Blick behaltende Planung erwartet werden. Aus demselben Grund durfte der Gesetzgeber auch Amtsgrenzen ausnahmsweise (Ziff. 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes) überschreiten. Auch die Annahme des Gesetzgebers, daß er mit der Bewältigung unmittelbarer Konflikte im Stadt-Umland-Verhältnis zur Stärkung eines wichtigen Zentralortes beitragen und dabei insbesondere eine einheitliche Planungshoheit der Stadt Schwedt/Oder für das Gebiet der Beschwerdeführerin zu einer weitsichtigeren, auch überörtliche Belange der Siedlungs- und Gewerbeentwicklung sowie des Natur und Landschaftsschutzes noch besser berücksichtigenden Entscheidungspraxis führen wird, ist nicht zu beanstanden.

(c) Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder den Vorrang gegenüber einem Verbleib der Beschwerdeführerin im Amt Gartz (Oder) zu geben, ist auch mit Blick auf die zukünftige Entwicklung des Amtes von Verfassungs wegen unbedenklich. Abwägungsfehlerhaft wäre die getroffene Neugliederungsmaßnahme erst dann, wenn der Eingriff in den Bestand und die verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Beschwerdeführerin außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen stünde. Nur in diesen Grenzen kann die Abwägung des Gesetzgebers, d. h. die Bevorzugung bestimmter Belange, die Hintanstellung anderer und die Auswahl zwischen verschiedenen Lösungsalternativen, überprüft werden; sie vorzunehmen ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür die politische Verantwortung trägt (vgl. Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 01. März 2001, - VerfGH 20/00 -[Liebschütz], ThürVGRspr 2001, 129 = JbThürVerfGH 2001, 18, 57). Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber der Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen und der Stärkung des Zentralortes den Vorrang vor dem Verbleib der Beschwerdeführerin im Amt Gartz (Oder) einräumt.

(d) Einem Verbleib im Amt Gartz (Oder) stünde die in Hohenfelde von der Gemeindevertretung beschlossene, von der Bevölkerung befürwortete und beim Innenministerium zur Genehmigung eingereichte - im übrigen auch dem Leitbild der Gesetzgebers entsprechende - Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder entgegen. Die Beschwerdeführerin verlöre so die für die Amtszugehörigkeit notwendige gemeinsame Grenze zu den anderen Gemeinden des Amtes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Amtsordnung). In der Absicht, die gesamte Region sachgerecht neu zu gliedern, war der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, diese nach dem geschlossenen, aber noch nicht genehmigten Neugliederungsvertrag erkennbaren Strukturen zu Grunde zu legen.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

(1) Der Gesetzgeber war nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Schwedt/Oder gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Erfahrungsgemäß kann der Wohlstand einer Gemeinde auf Lagevorteilen - etwa einer verkehrsgünstigen Lage an der Schnittstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße - beruhen, wenn auch die sich aus der günstigen Lage ergebenden Chancen genutzt werden müssen. Umgekehrt kann Verschuldung jedenfalls teilweise aus Lagenachteilen herrühren, etwa wenn Infrastruktureinrichtungen unterhalten werden müssen, die zugleich den Menschen aus Nachbargemeinden zugute kommen, und gleichzeitig günstige Entwicklungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind oder durch bestehende (Wohn-)Bebauung nicht lohnend genutzt werden können. Unabhängig davon ist die Finanzlage und damit auch der Beitrag, den die Einwohner mit einem neu zugeschnittenen Gebiet und Ressourcen zu leisten vermögen, naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

(2) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Bevölkerungsanhörung resultierenden Stellungnahmen und das Ergebnis der vorausgegangenen Bürgerentscheide zur beabsichtigten Neugliederung sind bereits im wesentlichen in der Begründung zum Gesetzentwurf wiedergegeben, lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 514 ff.). An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Der Bürgerwille stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind, zumal die Bürgerentscheide ein geteiltes, kein einheitlich gegen die Neugliederung gerichtetes Stimmungsbild erkennen lassen. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es aber auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Willen der Einwohner der Beschwerdeführerin gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung in die Stadt Schwedt/Oder sprechenden Umständen das höhere Gewicht beigemessen hat mit dem Ziel, die Stadt-Umland-Strukturen zu bereinigen und damit die Leistungsfähigkeit der Zentralorte in ihrer Bedeutung für das Umland zu sichern.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg.
 

Dr. Knippel Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Prof. Dr. Schröder
   
Prof. Dr. Will