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VerfGBbg, Beschluss vom 18. Mai 2006 - VfGBbg 130/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - Gemeindegebietsreform
- kommunale Selbstverwaltung
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. Mai 2006 - VfGBbg 130/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 130/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Niebendorf-Heinsdorf,
vertreten durch das Amt Dahme/Mark,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Hauptstraße 48/49,
15936 Dahme/Mark,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,

wegen: kommunaler Neugliederung;
hier: Eingliederung der Gemeinde Niebendorf-Heinsdorf (Amt Dahme/Mark) in die Stadt Dahme/Mark

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Knippel, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

am 18. Mai 2006

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bislang dem Amt Dahme/Mark angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Eingliederung in die nach wie vor amtsangehörige Stadt Dahme/Mark.

I.

1. Die Beschwerdeführerin, eine Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg im Landkreis Teltow-Fläming, gehörte zum nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten Amt Dahme/Mark mit Sitz der Amtsverwaltung in der gleichnamigen Stadt. Das Amt mit im Jahr 2001 insgesamt ca. 7.560 Einwohnern bestand damals aus der Stadt Dahme/Mark (knapp 5.000 Einwohner) sowie fünf Gemeinden. Drei dieser Gemeinden - darunter die Beschwerdeführerin mit ca. 420 Einwohnern - hatten weniger als 500 Einwohner. Die beiden Kleingemeinden Schöna-Kolpien und Wahlsdorf gliederten sich durch Vertrag mit der Stadt Dahme/Mark zum 26. Oktober 2003 in diese ein, nachdem eine Mehrheit der abstimmenden Bürger der Beschwerdeführerin sich in einem Bürgerentscheid gegen einen Zusammenschluß mit der Gemeinde Wahlsdorf ausgesprochen hatten. Die Beschwerdeführerin grenzte im Osten und Norden an die Stadt Dahme/Mark, im Süden an die demselben Amt angehörende Gemeinde Ihlow sowie im Westen an das bisherige Amt Niederer Fläming. Die Stadt Dahme/Mark ist als Grundzentrum eingestuft und verfügt über vielfältige Versorgungseinrichtungen. Auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin befand sich eine Kindertagesstätte. Die Steuerkraft der Beschwerdeführerin war unterdurchschnittlich. Die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Dahme/Mark schwanken stark, der Haushalt war nicht ausgeglichen.

2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen (Referentenentwurf) für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Gleichfalls im Frühsommer 2002 wurden die Unterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Teltow-Fläming versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 20 des Entwurfes zum Vierten Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming (4. GemGebRefGBbg) sah u.a. die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Dahme/Mark vor. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 21. November 2002 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen.

Das Gesetz wurde im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. Abweichend vom Gesetzentwurf wurde die Gemeinde Niederer Fläming des bisherigen Nachbaramtes nicht - wie zunächst vorgesehen war - dem Amt Dahme/Mark hinzugefügt, sondern amtsfrei. § 20 des 4. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl I S. 73), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 37 Satz 1 des 4. GemGebRefGBbg), lautet:

§ 20
Verwaltungseinheiten Amt Dahme/Mark und Amt Niederer Fläming

(1) Die Gemeinde Niebendorf-Heinsdorf wird in die Stadt Dahme/Mark eingegliedert.

(2) Die Gemeinde Herbersdorf wird in die Gemeinde Niederer Fläming eingegliedert.

(3) Das Amt Niederer Fläming wird aufgelöst. Die Gemeinde Niederer Fläming ist amtsfrei.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 26. Mai 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die Stadt Dahme/Mark sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zu Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft, was u.a. auf Ermittlungsdefiziten beruhe.

Die Beschwerdeführerin beantragt zu erkennen:

§ 20 des Vierten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Dahme/Mark hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Sie ist in begrenztem Umfang zulässig.

1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist insofern unzulässig, als sie sich auch gegen die Eingliederung der Gemeinde Herbersdorf in die Gemeinde Niederer Fläming und die Neuordnung des dem Amt Dahme/Mark benachbarten Bereichs Niederer Fläming (§ 20 Abs. 2 und Abs. 3 des 4. GemGebRefG) richtet. Die Beschwerdeführerin ist insoweit nicht beschwerdebefugt. Gesichtspunkte für eine Beschwer sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die Anhörungserfordernisse nach der Landesverfassung sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in einer Vielzahl von Verfahren kommunaler Verfassungsbeschwerden im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203) Bezug genommen. Auch die von der Beschwerdeführerin in Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung vorgebrachten Einwände im Schriftsatz vom 24. Februar 2004 geben keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - VfGBbg 162/03 -, zuletzt ausführlich: Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 -).

Zu ergänzen bleibt lediglich, daß nach einer Änderung des Gesetzentwurfes keine weitere Anhörung der Bevölkerung notwendig gewesen ist. Denn eine erneute Anhörung ist nur geboten, wenn es zu einer wesentlichen Änderung kommt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003, a.a.O.; BVerfGE 50, 195, 203). Das war hier nicht der Fall. Dafür, daß die nachträglichen Veränderungen an dem Gesetzentwurf aus der Sicht der Beschwerdeführerin, die ihrerseits von Anfang an in die Stadt Dahme/Mark eingegliedert werden sollte, wesentlich, insbesondere nachteilig sind, hat sie nichts dargetan. Ohnehin kann eine amtsangehörige Gemeinde nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung zur Verfügung steht, nicht aber, daß sie in bestimmter Form ausgestaltet ist (Beschlüsse vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 40/01 - Suppl. Bbg. zu LVerfGE 13, 99 und - VfGBbg 57/01 -, LKV 2002, 515 sowie Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, LVerfGE 13, 159 = LKV 2002, 573, 574). Die Eignung des Amtes Dahme/Mark zur Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben hat jedoch auch die Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Dahme/Mark bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommen, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003, a.a.O.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

Die örtlichen Verhältnisse und wesentlichen Strukturdaten der Beschwerdeführerin, der Nachbargemeinden wie auch des Amtes sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. sog. Neugliederungssachverhalt in LT-Drucksache 3/4883, S. 334 ff.). Insbesondere erfaßte der Gesetzgeber die Einwohnerzahlen, die wirtschaftliche Lage sowie die Entfernungsverhältnisse und Verkehrsverbindungen im Amt Dahme/Mark und darüber hinaus. Die Entfernung der Beschwerdeführerin zum Hauptsitz der Verwaltung in der Stadt Dahme/Mark betrug über die Landesstraße L 70 ca. 11 Kilometer. Durch die Stadt Dahme/Mark verläuft die Bundesstraße 102. Das Gebiet der Beschwerdeführerin grenzte unmittelbar an die Ortsteile Buckow, Gebersdorf, Liepe und Wahlsdorf der Stadt Dahme/Mark. Der Gesetzgeber stellte fest, daß die öffentlichen Leistungen und die Grundversorgung für die Gemeinden des Amtes weitgehend in der Stadt Dahme/Mark in Anspruch genommen wurden. In der Stadt Dahme/Mark befanden sich eine Grundschule, zu deren Schulbezirk die Beschwerdeführerin gehörte, eine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe sowie vier Kindertagesstätten und Kinderbetreuungseinrichtungen. Der Gesetzgeber sah auch, daß die Beschwerdeführerin über eine Kindertagesstätte verfügte. Die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin und der Stadt Dahme/Mark hat der Gesetzgeber ebenfalls berücksichtigt.

Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob vom Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt worden sind. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung ersichtlich von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen sind indes weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Der Gesetzgeber gliedert aus Gründen des öffentlichen Wohls im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV die Beschwerdeführerin neu. Ihre Einbeziehung in die Stadt Dahme/Mark dient dazu, die bisherige Kleingliedrigkeit der Kommunen zu überwinden und erstrebt eine Stärkung ihrer Verwaltungskraft. Nachvollziehbar beruft sich der Gesetzgeber darauf, daß amtsangehörige Gemeinden regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner haben sollen (LT-Drucksache 3/4883, Leitbild I. 2. b) cc)). Eine diesem Leitbild widersprechende Ausgangssituation hat der Gesetzgeber vorgefunden.

(1) Daß die Stärkung der Verwaltungskraft sowie die Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen Gründe des öffentlichen Wohls sind, welche eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermögen, hat das Landesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, insbesondere zum Unterfall der Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland (Urteile vom 18. Dezember 2003, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 -) sowie zum vorausgegangenen Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (vgl. Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, daß Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 18. November 2004 - VfGBbg 167/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

(2) Der Neugliederungsbedarf ergab sich bereits aus der geringen Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin von nur ca. 420 Einwohnern. Soweit der Gesetzgeber seine Abwägungsentscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin die im Leitbild unter I. 2. b) cc) festgelegte Regel-Mindestgröße einer amtsangehörigen Gemeinde von 500 Einwohnern unterschreite, ist hiergegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Die Landesverfassung steht der Einschätzung, daß sich aus einer geringen Einwohnerzahl der Gemeinde typisierend Rückschlüsse auf die (verminderte) Leistungsfähigkeit der Gemeinde ergeben, nicht entgegen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Der Rückgriff auf die Einwohnerzahl als Indiz für die Leistungsfähigkeit der Gemeinde ist auch bei amtsangehörigen Gemeinden unbeschadet dessen statthaft, daß eine amtsangehörige Gemeinde im Land Brandenburg nicht selbst Träger der „eigentlichen“ Verwaltung ist. Die Gemeindevertretung bleibt nämlich ungeachtet der administrativen Umsetzung durch das Amt für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Nicht das Amt, sondern die einzelne Gemeinde ist Träger der gemeindlichen Einrichtungen und für den Unterhalt dieser Einrichtungen zuständig. Solche Einrichtungen können im Regelfall sinnvoll nur von bestimmten gemeindlichen Mindestgrößen an betrieben werden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O., und Beschluß vom 18. November 2004, a.a.O., m.w.N.).

Eine Straffung und Vereinfachung der Amtsstruktur zwecks Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Amtes anzustreben, ist im Hinblick auf den darin liegenden Vorteil für die Bürger und - gegebenenfalls neugegliederten - Gemeinden des Amtes von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. November 2004 - VfGBbg 167/03). Im übrigen wurde in diesem Zusammenhang geprüft, ob geographische, historische oder soziokulturelle Gesichtspunkte ein Abweichen von der Regelmindesteinwohnerzahl rechtfertigen. Die Einschätzung, daß dies nicht der Fall sei (vgl. Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 20 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550, S. 5), ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

cc) Zur Erreichung dieser Reformziele ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Dahme/Mark nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Klein- und Kleinstgemeindestruktur durch die Eingemeindung der Beschwerdeführerin eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung ist auch nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt.

Ihm war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner im Blick gehabt und sich damit, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/4883, S. 329 ff.) und den Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 20 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise im Bereich des Amtes Dahme/Mark namentlich die geringe Größe der Beschwerdeführerin und ihre Beziehungen zur benachbarten Stadt Dahme/Mark berücksichtigt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von der Notwendigkeit der Bildung einer größeren Verwaltungseinheit durch Zusammenschluß der Beschwerdeführerin mit der Stadt Dahme/Mark ausging. Besonderheiten, die ihren Fortbestand als eigenständige (amtsangehörige) Gemeinde gebieten, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Solche sind auch nicht ersichtlich.

Eine vorzugswürdige Alternative gegenüber der vom Gesetzgeber gewollten Neuordnung (vgl. dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.) ist nicht erkennbar. Es ist angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft sowie der ausgeprägten strukturellen Verbundenheit der Beschwerdeführerin mit der Stadt Dahme/Mark verfassungsrechtlich unbedenklich, daß der Gesetzgeber gerade ihren Zusammenschluß bestimmt hat.

Überdies hat der Gesetzgeber auch eine Eingliederung der Beschwerdeführerin in die dem selben Amt angehörende Gemeinde Ihlow erwogen, mit der die Beschwerdeführerin im Süden eine gemeinsame Gemarkungsgrenze hatte. Diese Möglichkeit durfte er aber ablehnen. Nennenswerte Beziehungen der Beschwerdeführerin, wie es sie zur Stadt Dahme/Mark in höherem Maße gab, bestanden zur Gemeinde Ihlow nicht. Schließlich hat die Beschwerdeführerin - außer einem Festhalten am bisherigen Zustand als Kleinstgemeinde - anderweitige Präferenzen, die insoweit neue Erwägungen hätten veranlassen können, nicht geäußert.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

(1) Insbesondere war der Gesetzgeber nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Dahme/Mark gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Der Gesetzgeber hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortteilsverfassung (§§ 54 - 54 e Gemeindeordnung für das Land Brandenburg - GO -) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner und für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO) in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/4883, S. 84). Im übrigen sind die Finanzlage und damit auch der Beitrag, den die Einwohner mit einem neu zugeschnittenen Gebiet und Ressourcen zu leisten vermögen, naturgemäß veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar.

(2) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die Stellungnahmen aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren Gemeinden des Amtsgebiets (vgl. LT-Drucksache 3/4883, S. 329 ff. und Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 20 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550, S. 2) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Dahme/Mark sprechenden Umständen mit dem Ziel, einerseits eine möglichst bürgernahe Selbstverwaltung der Gemeinden in einem Amt des äußeren Entwicklungsraums zu erhalten, zu diesem Zweck andererseits die Struktur des Amtes zu straffen und zu vereinfachen sowie seine Leistungsfähigkeit zu erhöhen, das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg. Der Beschluß ist unanfechtbar.
 

Dr. Knippel Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
Prof. Dr. Schröder Prof. Dr. Will