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VerfGBbg, Beschluss vom 18. April 2002 - VfGBbg 8/02 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3
- VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 47 Abs. 1
- StGB, § 57 Abs. 1
- StPO, § 33a; StPO, § 304 Abs. 4
Schlagworte: - Begründungserfordernis
- Rechtswegerschöpfung
- rechtliches Gehör
- Strafvollstreckungrecht
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 18. April 2002 - VfGBbg 8/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 8/02



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

A.,

Beschwerdeführer,

gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes vom 13. November 2001

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Schröder

am 18. April 2002

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

G r ü n d e :

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes P., mit der unter Bestätigung einer Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes eine Aussetzung der Vollstreckung der vom Beschwerdeführer zu verbüßenden Freiheitsstrafe nach zwei Dritteln der verhängten Strafe abgelehnt wird. Seit dem 13. Mai 1996 befindet sich der Beschwerdeführer in Haft. Er ist derzeit im geschlossenem Vollzug der Justizvollzugsanstalt (JVA) B. untergebracht.

Der 1944 geborene Beschwerdeführer ist seit 1973 in erheblichem Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten, darunter mehrfach wegen Betruges. Er war deshalb wiederholt in Strafhaft. Wie sich etwa aus Feststellungen in Urteilen des Landgerichtes T. vom 23. Juni 1987 und des Landgerichtes A. vom 30. November 1992 ergibt, weisen eine Reihe der Taten auffällige Parallelen auf. Durch eine entsprechende Vertragsgestaltung verschaffte sich der häufig als wohlhabender bayrischer Landwirt auftretende Beschwerdeführer Besitz an Vieh oder an Aktiva von bäuerlichen Unternehmungen, um sie ohne Leistung des Kaufpreises zu verwerten. Wegen seines Vorgehens im November 1990, als der Beschwerdeführer in dieser Weise Vermögensgegenstände einer LPG in Sachsen-Anhalt verwerten wollte, wurde er vom Landgericht A. wegen gemeinschaftlichen Betruges zu einer siebenjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde im August 1995 zur Bewährung bis zum 25. August 1999 ausgesetzt und der Beschwerdeführer am 25. August 1995 aus der JVA W. entlassen.

Im April 1996 wurde der Beschwerdeführer erneut straffällig. Mit Urteil des Landgerichtes C. vom 10. Dezember 1996 wurde er wegen gemeinschaftlichen Betruges in besonders schwerem Fall sowie wegen gemeinschaftlichen versuchten Betruges in Tateinheit mit Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Gerichtes hatte sich der seinerzeit von Sozialhilfe lebende und vermögenslose Beschwerdeführer zusammen mit einem seiner Söhne in den Besitz des landwirtschaftliches Betriebes „L. A. GbR“ gebracht, indem der Sohn des Beschwerdeführers einen notariellen Bewirtschaftungsvertrag abschloß, der zur Übernahme der Geschäftsführung der GbR und zur Bewirtschaftung des Betriebes führte. Der Beschwerdeführer und sein Sohn hatten ausweislich des Urteils geplant, den Betrieb „auszuschlachten“.

Mit Beschluß des Landgerichtes L. vom 26. November 1997 wurde die bewilligte Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus dem Urteil des Landgerichtes A. widerrufen. Aus diesem Urteil waren zu diesem Zeitpunkt noch 854 Tage Freiheitsstrafe zu vollstrecken. Ein Wiederaufnahmeverfahren des Beschwerdeführers im Jahre 1998 blieb ohne Erfolg. Eine Strafaussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichtes C. lehnte die Strafvollstreckungskammer nach Verbüßung der Hälfte der Strafe mit Beschluß vom 2. Juni 1999 ab. Mit Ablauf des Zweidrittel-Termins am 13. Januar 2000 wurde die Vollstreckung des Urteils des Landgerichtes C. unterbrochen. Ab 14. Januar 2000 wurde die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichtes A. beim Beschwerdeführer vollstreckt. Ende dieser Strafe wird am 16. Mai 2002 sein. Danach schließt sich die Restfreiheitsstrafe von 670 Tagen aus dem Urteil des Landgerichtes C. an. Einen Antrag auf Aussetzung der Reststrafen nach Ablauf des Zweidrittel-Zeitpunktes wurde mit Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 28. März 2000 zunächst als unzulässig abgelehnt. Nachdem dieser Beschluß auf die sofortige Beschwerde durch das OLG P. aufgehoben worden war, lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 8. September 2000 die Strafaussetzung zur Bewährung aus Sachgründen ab. Die gegen diesen Beschluß eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das OLG P. mit Beschluß vom 19. Oktober 2000: Ob die Strafvollsteckungskammer das Vollzugsverhalten des Beschwerdeführers zutreffend gewürdigt habe, brauche nicht entschieden zu werden. Auch die weiteren Umstände stünden einer positiven Sozialprognose im Wege. Die Tat, die zur letzten Verurteilung geführt habe, sei vom Beschwerdeführer begangen worden, noch bevor die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichtes A. rechtskräftig ausgesetzt war.

Am 5. Februar 2001 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Aussetzung der Freiheitsstrafe. Sowohl der Leiter der JVA B. als auch die StA nahmen negativ Stellung. Nach Anhörung des Beschwerdeführers lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 29. August 2001 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen zur Bewährung nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Strafen ab. Gleichzeitig wurde beschlossen, daß vor Ablauf von sechs Monaten ein erneuter Antrag des Beschwerdeführers, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig sei. Angesichts der Vielzahl der einschlägigen Vorstrafen und der in der Vergangenheit wiederholt vom Beschwerdeführer verbüßten Freiheitsstrafen könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht verantwortet werden. Die Kammer sehe eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Beschwerdeführer, wenn er freigelassen würde, wegen weiterer Straftaten verurteilt werden müsse. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde wies das OLG P. mit Beschluß vom 13. November 2001 zurück. Zwar sei der Hinweis des Beschwerdeführers, daß er die dem Urteil des Landgerichtes C. vom 10. Dezember 1996 zu Grunde liegenden Taten nicht vor, sondern erst nach der Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts A. begangen habe, zutreffend. Dieser Umstand zeige jedoch besonders deutlich, daß eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne. Selbst die erhebliche Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts A. habe den Verurteilten nicht von der Begehung weiterer einschlägiger Taten abgehalten.

Der Beschwerdeführer hat am 16. Januar 2001 Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des OLG P. erhoben. Der ihm am 20. November 2001 zugestellte Beschluß verletze ihn in seinen Grundrechten. Am 19. Januar 2002 hat der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde weiter begründet. Eine konkrete Rückfallgefahr bestehe nicht und sei auch vom OLG nicht dargelegt worden.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist innerhalb der Beschwerdefrist nicht ausreichend begründet worden (§ 46 i.V.m. § 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg – VerfGGBbg -).

Nach § 46 VerfGGBbg erfordert die Zulässigkeit einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde, daß der Beschwerdeführer einen Sachverhalt umfassend schildert, aus dem sich – seine Richtigkeit unterstellt – plausibel die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm benannten Grundrechte der brandenburgischen Verfassung ergibt. Die Vorschrift verlangt einen aus sich heraus, also ohne Hinzuziehung von Akten und ohne Stellungnahme von anderen Verfahrensbeteiligten, verständlichen Vortrag, der das Gericht in die Lage versetzt, die Angelegenheit wenigstens überschlägig einschätzen zu können. Die Begründung einer Verfassungsbeschwerde erfordert deshalb, daß die angegriffene Entscheidung entweder der Verfassungsbeschwerde beigefügt oder ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt und wenigstens laienhaft dargelegt wird, welche durch die Landesverfassung verbürgten Rechte betroffen sein sollen.

Daran gemessen ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Der Beschwerdeführer hat weder die Entscheidung des OLG P. dem Verfassungsgericht übermittelt oder wenigstens mit eigenen Worten umschrieben noch hat er einen Grundrechtsverstoß auch nur umrißhaft dargelegt. Zwar darf das Begründungserfordernis jedenfalls in Fällen, in denen es wie hier um das elementare Menschenrecht der persönlichen Freiheit geht und der erkennbar rechtsunkundige Beschwerdeführer anwaltlich nicht vertreten ist, nicht überspannt werden. Der allgemein gehaltene Vortrag des Beschwerdeführers läßt aber nicht einmal hinreichend erkennen, ob der Beschwerdeführer einen Grundrechtsverstoß in der Entscheidung selbst (durch Verletzung des anzuwendenden materiellen Rechts – hier § 57 Abs. 1 StGB -) oder in der Art und Weise des Zustandekommens dieser Entscheidung sieht. Eine nähere Darlegung insoweit wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde sich je Art des Grundrechtsverstosses unterscheiden. Z.B. gehört bei Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV) ein Antrag nach § 33 a Strafprozeßordnung (StPO) zum (zuvor auszuschöpfenden) Rechtsweg nach § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg; eine Verfassungsbeschwerde ist erst dann zulässig, wenn ein solcher Antrag erfolglos gestellt worden ist (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 20. November 1997 - VfGBbg 29/97 -; BVerfG NStZ 1994, 498). Sollte der Beschwerdeführer deshalb, was aus seinen Schreiben nicht hervorgeht, aber auch nicht ausgeschlossen werden kann, sein Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 LV verletzt sehen, wäre er gehalten gewesen, vor einer Verfassungsbeschwerde von dem Rechtsbehelf nach § 33 a StPO Gebrauch zu machen. Diese Vorschrift erfaßt jeden Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl. BVerfG NStZ-RR 2000, 110). Von dem Rechtsbehelf nach § 33 a StPO ist Gebrauch zu machen, wenn, wie hier zufolge § 304 Abs. 4 StPO, der angegriffene Beschluß anders nicht mehr angreifbar ist.

2. Die Verfassungsbeschwerde könnte aber auch in der Sache keinen Erfolg haben. Die Entscheidung, die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, hält der verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

Freilich müssen gerichtliche Entscheidungen, welche die persönliche Freiheit betreffen, eine dem hohen Stellenwert der Freiheitsgarantie entsprechende tragfähige Grundlage haben (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 23. Mai 2000 - VfGBbg 13/00 -). Dies gilt nicht nur für das strafprozessuale Hauptverfahren, sondern auch für im Strafvollstreckungsverfahren zu treffende Entscheidungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß v. 17. Februar 2000 - VfGBbg 39/99 -, LVerfGE Suppl.Bbg. zu Bd. 11, 45 = NStZ-RR 2000, 172). Der Richter muß sich ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 17. Juni 1999 – 2 BvR 867/99 -, StV 1999, 548 = NJW 2000, 501).

Diesen Maßstäben wird der angegriffene Beschluß gerecht. Der Strafsenat des Oberlandesgerichtes stützt die negative Sozialprognose plausibel auf das Vorleben des Beschwerdeführers und die Umstände der Tatbegehung. Der Beschwerdeführer habe die Tat begangen, obwohl er erst wenige Monate zuvor aus der Strafhaft entlassen worden sei und ihn seinerzeit selbst die drohende Vollstreckung der erheblichen Reststrafe nicht von der Begehung weiterer einschlägiger Taten abgehalten habe. Nach dem Inhalt der Straf- und Strafvollstreckungsakten ist diese Entscheidung im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach Lage der Dinge rechtfertigt das mehrfache Bewährungsversagen des Beschwerdeführers die Entscheidung, die Strafentlassung zur Bewährung gegenwärtig abzulehnen:

Nur wenige Monate nach der letzten Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln einer siebenjährigen Gesamtfreiheitsstrafe ist der Beschwerdeführer erneut in einschlägiger Weise rückfällig geworden. Bereits zuvor mußten mehrfach Strafaussetzungen zur Bewährung widerrufen werden, darunter auch mehrfach die Aussetzung eines Strafrestes. So ist etwa die Strafaussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichtes N. vom 28. Oktober 1980, desgleichen eine Strafaussetzungen zur Bewährung des Amtsgerichtes W. vom 18. August 1982 widerrufen worden. Nachdem der Beschwerdeführer sodann eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten des Amtsgerichtes R. Ende der achtziger Jahre vollständig verbüßt hatte, wurde ein Strafrest aus der siebenjährigen Freiheitsstrafe des Urteils des Landgerichtes A. wiederum ausgesetzt. Binnen Jahresfrist wurde der Beschwerdeführer indes erneut straffällig. Diesem wiederholten Bewährungsversagen, wie es sich allgemein besonders negativ auf die Prognose auswirkt (vgl. BGH NStZ 1988, 452), durfte das Oberlandesgericht entscheidendes Gewicht beimessen. Hinzu kommt, daß es bei dem Beschwerdeführer offenkundig an Einsicht in die Verwerflichkeit seines strafbaren Verhaltens fehlt. Er bezweifelt noch in der Begründung der sofortigen Beschwerde, daß es einen „wirtschaftlich nachvollziehbaren Schaden“ gegeben habe. Soweit er dies daraus herleitet, daß in einem Zivilverfahren das OLG eine nachhaltige Verschlechterung des Zustandes des landwirtschaftlichen Unternehmens wegen der nur wenige Tage währenden Bewirtschaftung des Hofes als unwahrscheinlich angesehen habe, verkennt er, daß die betrügerische Handlung bereits in dem auf die Übergabe des Hofes gerichteten Vertragsschluß mit der „L. A. GbR“ als solchem und der für den Betrugstatbestand strafrechtlich relevante Schaden darin besteht, daß die Getäuschten keinen wirtschaftlich gleichwertigen Anspruch erlangt haben.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
Prof. Dr. Schröder