VerfGBbg, Beschluss vom 18. April 2002 - VfGBbg 7/02 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1 - ZPO, § 321a Abs. 2 Satz 2 - EGZPO, § 26 Nr. 10 |
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Schlagworte: | - Rechtswegerschöpfung - Prüfungsmaßstab - Willkür - rechtliches Gehör - Überraschungsentscheidung - Zivilrecht, materielles |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 18. April 2002 - VfGBbg 7/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 7/02

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren Beschwerdeführer, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwalt B., gegen das Urteil des Amtsgerichtes Oranienburg vom 7. November 2001 hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 18. April 2002 b e s c h l o s s e n : Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. G r ü n d e : I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein Urteil des Amtsgerichtes O. vom 7. November 2001, durch das er unter Klageabweisung im übrigen verurteilt worden ist, an die H. GmbH - die Klägerin des Ausgangsverfahrens - 1.500,00 DM zu zahlen. 1. Der Beschwerdeführer betreibt einen Elektroinstallationsbetrieb. In diesem Zusammenhang errichtet er auch Straßenlampen. Zur Montage der Straßenbeleuchtungsmasten verwendet er einen Kran, den er tageweise anmietet. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens verkauft komplette Straßenlampen, ist jedoch Herstellerin lediglich der eigentlichen Beleuchtungskörper. Die für diese Beleuchtungskörper benötigten Masten läßt sie von Dritten produzieren und unmittelbar von dem jeweiligen Hersteller zu den Käufern transportieren. Der Beschwerdeführer und die Klägerin des Ausgangsverfahrens schlossen im November 1999 einen Vertrag über die Lieferung von 10 Masten für Straßenlampen und die jeweiligen Beleuchtungskörper. Die Auslieferung sollte in zwei Schritten erfolgen. Bei der Lieferung der zweiten Teilmenge (5 Stck. Straßenbeleuchtungsmasten und dazugehörige Beleuchtungskörper), kam es zu Verzögerungen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens lieferte die Straßenbeleuchtungsmasten zunächst ohne die dazugehörigen Beleuchtungskörper. Der Beschwerdeführer sah sich wegen der Notwendigkeit, weiterhin ein Ausleuchten der Straße zu gewährleisten, deshalb zunächst nicht in der Lage, die alten Straßenlampen zu entfernen. Dies erfolgte erst, nachdem die Klägerin des Ausgangsverfahrens auch die Beleuchtungskörper geliefert hatte. Der Beschwerdeführer mußte jedoch wegen der getrennten Lieferung von Masten und Beleuchtungskörpern ein weiteres Mal einen Kran anmieten. Hierfür entstanden ihm nach seinen Angaben Kosten in Höhe von 2282,88 DM. Zusätzlich entstanden ihm Kosten in Höhe von 870,00 DM für das von ihm veranlaßte Abladen der Masten. In der Folge weigerte er sich wegen dieser Gegenforderungen, den vereinbarten Kaufpreis in voller Höhe zu zahlen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens nahm den Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht O. auf Zahlung von insgesamt 2.370,00 DM in Anspruch. Im Rahmen dieses Verfahrens stellte sie sich auf den Standpunkt, daß Gegenforderungen nicht bestünden, weil man einen Kaufvertrag abgeschlossen habe und lediglich Anlieferung frei Haus vereinbart worden sei. Der Beschwerdeführer verteidigt sich mit einer insoweit hier nicht mehr verfahrensgegenständlichen Gegenforderung von 870,00 DM wegen zusätzlich benötigter Arbeitskräfte und mit der Gegenforderung wegen der Kosten für das erneute Anmieten des Kranes in Höhe von mehr als 2000,00 DM. Zusätzlich machte er geltend, es sei ein Skonto von 3 % vereinbart worden. In der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2001 erklärte der Richter, er könne eine Pflichtverletzung und einen daraus entstandenen Schaden nicht sehen. Dem Beschwerdeführer wurde vom Gericht aufgegeben darzulegen, aus welchem Grunde er einen Schadenersatzanspruch für begründet halte. Mit Urteil vom 7. November 2001 verurteilte das Amtsgericht O. nach weiterer mündlicher Verhandlung den Beschwerdeführer, an die Klägerin des Ausgangsverfahrens 1.500,00 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 17. August 2000 zu zahlen. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, daß dem Beschwerdeführer wegen der Kosten, die ihm durch das Abladen entstanden seien, eine Gegenforderung in Höhe von 870,00 DM zustehe. Eine weitere Gegenforderung wegen erneuter Krananmietung bestehe jedoch nicht. Dabei könne dahinstehen, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens überhaupt Vertragspflichten verletzt habe. Selbst für diesen Fall sei ein Anspruch auf Schadenersatz nicht gegeben, weil der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Schaden nicht die adäquate Folge einer derartigen Pflichtverletzung sei. Die Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, daß sich der Beschwerdeführer Kräne ausleihen müsse, um die Ware einzubauen. Die Weiterverwendung der Ware falle nur dann in den Schutzbereich des Vertrages, wenn dies Vertragszweck geworden sei. Der Sachvortrag zu den Kaufverträgen lasse hierzu Schlußfolgerungen nicht zu. 2. Der Beschwerdeführer hat gegen dieses Urteil, das ihm am 15. November 2001 zugestellt wurde, am 15. Januar 2002 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung des Art. 52 Abs. 3 Landesverfassung Brandenburg. Zum einen sei nicht damit zu rechnen gewesen, daß das Gericht darauf abstellen werde, die Krananmietungskosten seien nicht mehr adäquate Folge einer unterstellten Pflichtverletzung. Zum anderen liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, daß der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht bestrittene 3 %ige Skonto in den Urteilsgründen übergangen werde. Es sei nicht ersichtlich, daß das Gericht den aufgeworfenen Gesichtspunkt etwa für nicht entscheidungserheblich gehalten habe. 3. Das Amtsgericht O. und die Klägerin des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Nach Darstellung des Amtsgerichtes O. sind im Termin am 21. Februar 2001 Fragen der Zurechenbarkeit der Krankosten erörtert worden. Es seien aber ungeachtet dieser Frage sowohl die Pflichtverletzung als auch der Schaden unklar gewesen, so daß eine allgemeine Auflage formuliert worden sei. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig, weil der Beschwerdeführer keine Gehörsrüge nach § 321 a Zivilprozeßordnung (ZPO) angebracht habe. Aus § 26 Nr. 10 EGZPO ergebe sich, daß ein derartiges Abhilfeverfahren auch für „Altverfahren“ anwendbar sei. Dem Beschwerdeführer sei bei entsprechendem Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren, da zum Zeitpunkt des Fristablaufes die neue Gesetzeslage noch nicht bekannt gewesen sei. Im übrigen sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet. II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere steht ihr § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden, wenn gegen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig ist. Dies war hier aber nicht der Fall. Der Beschwerdeführer brauchte keine Gehörsrüge nach § 321 a ZPO zu erheben. Aus § 26 Nr. 10 EGZPO mag sich ergeben, daß eine Gehörsrüge grundsätzlich auch bei vor dem 1. Januar 2002 ergangenen Entscheidungen in Betracht kommt. Dies kann jedoch nur gelten, wenn die Frist des § 321 a Abs. 2 Satz 2 ZPO bei Inkrafttreten der Neuregelung noch nicht verstrichen war. Ist die Frist bereits verstrichen, kommt eine Gehörsrüge nach § 321 a ZPO nicht mehr in Frage; eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer noch gar nicht geltenden Frist scheidet schon begrifflich aus.2. Die Verfassungsbeschwerde ist indes unbegründet. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtes, die Entscheidungen der Fachgerichte nach Art eines Rechtsmittelgerichtes zu überprüfen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 17. September 1998 - VfGBbg 18/98 -, LVerfGE 9, 95). Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtes ist allein die Landesverfassung. Sie ist hier nicht verletzt. a) Das Urteil des Amtsgerichtes verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Willkürlich ist eine Gerichtsentscheidung nur für den Fall, daß sie ganz und gar unvertretbar und schlechthin unverständlich ist, so daß sich der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (st. Rspr., vgl. etwa Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. Oktober 2001 - VfGBbg 24/01 -). So liegt es hier nicht. Daß das Amtsgericht die dem Beschwerdeführer durch das nochmalige Anmieten eines Kranes für das Aufstellen der Lichtmasten entstandenen Kosten nicht als ersatzfähigen Schaden angesehen hat, knüpft an Erwägungen in Rechtsprechung und Literatur zur Begrenzung der Schadensverantwortlichkeit unter Adäquanz-, Zurechnungs- und Schutzzweckgesichtspunkten (vgl. BGHZ 143, 389 = NJW 2000, 1782 = MDR 2000, 640 sowie BGH NJW 1997, 2947; NJW 1995, 449; 1990, 2057; siehe weiter etwa Grunsky, in: MünchKomm, 3. Aufl., Vorb. § 249 Rn. 36 ff., 45; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. [2002], Vorb. § 249 Rn. 54 ff. m.w.N.) und ist, mag man auch das Ergebnis, zu dem das Amtsgericht gelangt, für bedenklich halten, nicht gänzlich unvertretbar und geradezu willkürlich. Anders, als der Beschwerdeführer meint, wird im Urteil des Amtsgerichtes nicht verkannt, daß zum Aufstellen von Lichtmasten Kräne benötigt werden. Das Urteil stellt vielmehr darauf ab, es sei für die Klägerin nicht vorhersehbar gewesen, daß sich gerade auch der Beschwerdeführer Kräne ausleihen muß, um die Masten einzubauen. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, daß angesichts des von ihm bei dem Vertragsschluß verwandten Briefbogens manches für eine andere Auslegung gesprochen hätte. Die von dem Amtsrichter vorgenommene Deutung verläßt aber noch nicht den der Tatsacheninstanz zugebilligten Auslegungsspielraum. b) Das angegriffene Urteil stellt sich auch nicht als unter Verletzung des rechtlichen Gehörs - Art. 52 Abs. 3 LV - ergangene „Überraschungsentscheidung“ dar. Art. 52 Abs. 3 LV verbürgt, daß der einzelne vor der Entscheidung zu Wort kommen kann. Dies gilt nicht nur für den zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch für Ausführungen zur Rechtslage. Das Gericht braucht aber grundsätzlich nicht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen (BVerfGE 74, 1 (5) = NJW 1987, 1192 zu Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. auch Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 103 Rn. 15: Hinweis zur Rechtsauffassung nur im Ausnahmefall; ähnlich auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, Art. 103 Abs. 1 Rn. 45). Die Verfahrensbeteiligten müssen vielmehr prinzipiell alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen. Das Gericht muß nur auf solche rechtlichen Gesichtspunkte hinweisen, mit denen ein gewissenhafter Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen braucht (BVerfGE 84, 188 (190) = NJW 1991, 2823). Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung greift schon dann nicht ein, wenn die betreffenden Gesichtspunkte auch nur im Vortrag einer Partei bereits angesprochen waren (vgl. BVerfG, Beschluß vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 (145) = NVwZ 1992, 401). So war es hier. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat bereits vor Klageerhebung mit Schreiben vom 4. August 2000 und erneut in der Klageschrift angesprochen, daß die Krankosten nicht geltend gemacht werden könnten, weil zwischen den Parteien lediglich ein Kaufvertrag abgeschlossen worden sei und sie, die Klägerin, damit nur Verkäuferpflichten zu erfüllen gehabt habe. Der Sache nach waren damit Fragen der Zurechenbarkeit des Schadens bereits angesprochen. Zwar ging es dann im weiteren Verlauf des Verfahrens um die Frage, ob zum Abladen der Masten ein Kran benötigt wurde. Der Beschwerdeführer hat darauf klargestellt, daß der angemietete Kran benötigt worden sei, um bereits unmittelbar bei Anlieferung der Ware die alten durch die neuen Masten zu ersetzen. Nachdem die Klägerin des Ausgangsverfahrens aber mit Schriftsatz vom 23. März 2001 erneut darauf hingewiesen hat, daß von ihr allein die Lieferung geschuldet gewesen sei und die zusätzlichen Kosten aus fehlerhafter Organisation des Beschwerdeführers herrührten, mußte der Beschwerdeführer - schon deshalb - damit rechnen, daß es für die Entscheidung möglicherweise darauf ankommen würde, ob es sich bei den Krananmietungskosten um ersatzfähige Nachteile handelt. Dies gilt um so mehr, als, nachdem der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2001 näher erläutert hatte, daß der Kran nicht zum Abladen, sondern zum Aufstellen der Masten benötigt worden sei, ihm von Seiten des Gerichtes aufgegeben wurde darzulegen, warum er einen Schadenersatzanspruch für begründet halte. Damit war erkennbar, daß das Gericht zu diesem Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen einer Gegenforderung für zweifelhaft hielt. c) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist auch nicht dadurch verletzt, daß das Gericht in dem Urteil nicht auf den Skonto eingeht. Das Gericht ist lediglich verpflichtet, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Verfassung gewährt jedoch keinen Schutz dagegen, daß das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Rechtsgründen ganz oder teilweise unberücksichtigt läßt; das Gericht muß sich in den Entscheidungsgründen auch nicht mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzen (vgl. BVerfG, Beschluß v. 23. 6. 1999 - 2 BvR 762/98 -, NJW 2000, 131). Eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör ist deshalb nur gegeben, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder nicht mit erwogen worden sind. Darüber hinaus muß die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruhen. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß zu seinem Einwand, die Klageforderung sei – teilweise - auch wegen des eingeräumten Skontos unbegründet, im Urteil nicht Stellung genommen wird. Es sind aber keine besonderen Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die darauf schließen lassen, daß das Gericht diesen Vortrag gar nicht zur Kenntnis genommen hat. Letztlich kann aber dahinstehen, ob der Amtsrichter die nur am Rande vorgetragene Skontoeinräumung tatsächlich übersehen hat. Denn jedenfalls beruht die Entscheidung des Amtsgerichtes nicht auf dem Gehörsverstoß, weil die Voraussetzungen des Skontos - „zahlbar 30 Tage netto Kasse – 14 Tage 3 % Skonto“ – ersichtlich nicht gegeben sind. Angesichts der größeren Abzüge, die der Beschwerdeführer vorgenommen hat, steht fest, daß eine rechtzeitige und vollständige Zahlung von 97 % der Rechnungssumme nicht erfolgt ist. | ||||||||||||||||||||
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