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VerfGBbg, Beschluss vom 17. November 2017 - VfGBbg 45/17 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2
- VerfGGBbg, § 20 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unzulässig
- mangelnde Begründung
- rechtliches Gehör
- (kein) Übergehen von Vorbringen
- (keine) Überraschungsentscheidung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. November 2017 - VfGBbg 45/17 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 45/17




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

F.,

Beschwerdeführer,

wegen            Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 13. Juni 2016 und Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 23. Juni 2017 (37 C 348/15)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 17. November 2017

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

 

 

Gründe:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Abweisung einer Klage als unzulässig infolge fehlender örtlicher Zuständigkeit.

 

I.

Der Beschwerdeführer nahm das Land Brandenburg im Wege des Mahnverfahrens auf Zahlung eines Betrages von 235,06 Euro zuzüglich Nebenforderungen in Anspruch, den er zuvor beim Amtsgericht Bad Freienwalde hinterlegt hatte (s. hierzu auch Beschluss vom 17. Februar 2017 - VfGBbg 52/16 -). Nach Einlegung des Widerspruchs durch das beklagte Land erhob der Beschwerdeführer Klage. Daraufhin verwies das Amtsgericht Karlsruhe-Durlach den Rechtsstreit an das Amtsgericht Potsdam.

 

Dieses wies mit Schreiben vom 11. April 2016 darauf hin, dass ungeachtet der Ausführungen des Beschwerdeführers das Landgericht Frankfurt (Oder) sachlich und örtlich zuständig sein dürfte. Einem Verweisungsantrag werde binnen einer Woche entgegengesehen. Anderenfalls dürfte die Klage mangels Zuständigkeit des Amtsgerichts als unzulässig abzuweisen sein.

 

Der Beschwerdeführer entgegnete mit Schreiben vom 15. April 2016, dass er beantragt habe, das Verfahren vorerst ruhend zu stellen, bis das Brandenburgische Oberlandesgericht in dem zeitgleich gegen die Hinterlegungsstelle betriebenen Verfahren eine Entscheidung getroffen habe. Wenn das Gericht indes der Meinung sein sollte, dass das Amtsgericht Potsdam nicht zuständig sei für einen Anspruch gegenüber dem Land Brandenburg aus unrechtmäßiger Bereicherung, dann müsse es wohl an das hierfür zuständige Gericht verweisen.

 

Mit Urteil vom 13. Juni 2016 (37 C 348/15) wies das Amtsgericht Potsdam die Klage als unzulässig ab. Es verwies auf § 5 BbgHintG und führte an, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen den nach dem Hinterlegungsgesetz vorgezeichneten Weg beschritten habe, eine abschließende Entscheidung des Oberlandesgerichts in der Sache aber noch ausstehe. Einen Antrag auf Verweisung an das Landgericht Frankfurt (Oder) habe der Beschwerdeführer nicht gestellt. Eine parallele Zuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam außerhalb des nach dem Hinterlegungsgesetz vorgegebenen Weges sei nicht gegeben, da sonst die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und doppelter Rechtshängigkeit bestünde. Das Verfahren sei weder ruhend zu stellen, da die Voraussetzungen des § 251 ZPO nicht gegeben seien, noch etwa gemäß § 148 ZPO auszusetzen. Die Berufung ließ das Amtsgericht nicht zu.

 

Unter dem 30. Juli 2016 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge. Er sei vor Erlass des Urteils nicht über die Absicht des Amtsgerichts angehört worden, die Klage wegen unterstellter Unzulässigkeit abzuweisen. Das Amtsgericht habe seinen Sachvortrag nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aus dem Urteil ergebe sich nicht, weshalb wegen der Regelungen des Hinterlegungsgesetzes ein Anspruch aus unrechtmäßiger Bereicherung gegen das Land ausgeschlossen sei. Bei dem Anspruch auf Herausgabe einer hinterlegten Sache und dem Anspruch aus unrechtmäßiger Bereicherung handele es sich um unterschiedliche Streitgegenstände, die nebeneinander bestünden und auch getrennt voneinander geltend gemacht werden könnten. Mit Blick darauf sei die Entscheidung des Amtsgerichtes weder verständlich noch in irgendeiner sonstigen Art und Weise rechtlich vertretbar. Auch habe das Amtsgericht seinen im Schreiben vom 15. April 2016 gestellten Verweisungsantrag nicht gelten lassen.

 

Das Amtsgericht Potsdam wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 23. Juni 2017 als unbegründet zurück. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Missachtung eines vom Beschwerdeführer gestellten Verweisungsantrags komme nicht in Betracht. Denn der Schriftsatz vom 15. April 2016 beinhalte keinen Verweisungsantrag, vielmehr habe der Beschwerdeführer darin die Entscheidung über eine Verweisung ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt. Der Beschwerdeführer sei auf das Erfordernis eines Verweisungsantrages hingewiesen worden. Da er aber in seinem Antwortschriftsatz vom 15. April 2016 ausdrücklich anderer Auffassung geblieben sei, habe das Gericht den Schriftsatz nicht als Verweisungsantrag werten dürfen. Eine Verweisung nach Ermessen des Gerichts und damit von Amts wegen sei gemäß § 281 ZPO unzulässig. Einer Überraschungsentscheidung stehe der rechtliche Hinweis des Gerichts vom 29. Januar 2016 entgegen, in dem das Gericht ausdrücklich auf die fehlende Zulässigkeit hingewiesen habe. Darüber hinaus seien dem Beschwerdeführer auch die Schriftsätze der Gegenseite zur Stellungnahme zugeleitet worden.

II.

Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 12. August 2017 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 52 Abs. 3 LV.

 

Er habe dem Amtsgericht nach dem Hinweis des Gerichts mitgeteilt, dass die Rechtssache an das Landgericht Frankfurt (Oder) verwiesen werden könne. Daher erschließe sich nicht, weshalb sich das Amtsgericht für eine Klageabweisung und nicht für die Verweisung an das Landgericht entschieden habe. Auch sei die Argumentation des Amtsgerichts nicht nachvollziehbar, es habe sein Schreiben nicht als Verweisungsantrag ansehen müssen, weil darin die Verweisung ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt worden sei. Dem Amtsgericht sei mit der Anhörungsrüge nochmals ausdrücklich mitgeteilt worden, dass mit dem fraglichen Schreiben eine Verweisung beantragt worden sei und er mit einer solchen auch gerechnet habe. Da sich das Amtsgericht jedoch mit dem Beschluss vom 23. Juni 2016 gegen eine Fortführung des Verfahrens entschieden habe, habe es sogar ein zweites Mal sein Begehren auf Verweisung der Rechtssache an das sachlich und örtlich zuständige Gericht ignoriert.

 

Das Urteil des Amtsgerichts stelle auch eine verfassungswidrige Überraschungsentscheidung dar. Er habe aufgrund des beim Amtsgericht anhängigen Verweisungs­antrages nicht damit rechnen müssen, dass das Amtsgericht anstelle der beantragten Verweisung eine Klageabweisung vornehme.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Bran­denburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.

 

Soweit mit der Verfassungsbeschwerde der Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juni 2017 über die Zurückweisung der Anhörungsrüge angegriffen wird, ist die Beschwerde wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurück­weisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grund­sätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kön­nen, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Über­prüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht nicht (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 15/17 - und vom 15. September 2017 - VfGBbg 57/16 -, www.verfas­sungs­gericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.).

 

Im Übrigen genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg ist eine Begründung notwendig, die schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Sie muss somit umfassend und aus sich heraus verständlich sein. Mit der Begründung müssen neben einem substantiierten Vortrag des entscheidungserheblichen Sachverhalts die wesentlichen rechtlichen Erwägungen dargelegt werden, um dem Gericht eine sachgerechte Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Begehren zu ermöglichen. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert (vgl. Beschlüsse vom 17. Juni 2016 - VfGBbg 95/15 - und vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 9/17 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, jeweils m. w. Nachw.). Dies leistet die Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere lässt die Beschwerdebegründung eine mögliche Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV nicht erkennen.

 

Der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene An­spruch auf rechtliches Gehör gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Ent­scheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Ent­scheidung in Erwägung zu ziehen. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Pflicht nachkommt, und es von Verfassungs wegen nicht jedes vorge­brachte Argument ausdrücklich bescheiden muss, bedarf es besonderer Umstände für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (vgl. Beschluss vom 19. Mai 2017 - VfGBbg 32/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. Nachw.). Nach der Beschwerdebegründung ist nicht erkennbar, dass das Amtsgericht relevantes Vor­bringen des Beschwerdeführers außer Betracht gelassen hätte.

 

Das Amtsgericht hat nicht das Vorbringen des Beschwerdeführers im Schreiben vom 15. April 2016 und einen darin enthaltenen Verweisungsantrag übergangen. Wie sich jedenfalls dem Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juni 2017 entnehmen lässt, hat das Amtsgericht das fragliche Schreiben des Beschwerdeführers sehr wohl - auch bezüglich der Frage einer Verweisung - zur Kenntnis genommen. Indes hat es das Vorbringen nicht als einen Antrag des Beschwerdeführers gewertet, dass der Rechtsstreit nach dessen Willen verwiesen werden soll, und den Vortrag dahingehend verstanden, dass es in das Ermessen des Gerichts fallen soll, ob verwiesen wird. Diese Auslegung ist gut vertretbar und liegt sogar nahe. Gegen die Landesverfassung verstößt die Interpretation des Schreibens des Beschwerdeführers jedenfalls nicht. Dass die Klage nach Auffassung des Beschwerdeführers verwiesen werden soll und dass auch er das Landgericht Frankfurt (Oder) für örtlich zuständig hält, geht aus dem Schreiben gerade nicht hervor.

 

Die Beschwerdebegründung legt einen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung dar.

 

Der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass ein Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen darf, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Dagegen muss ein Prozessbeteiligter selbst bei umstrittener oder problematischer Rechtslage prinzipiell die einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl. Beschluss vom 17. Juni 2016 - VfGBbg 79/15 -, www.verfassungsgericht.bran­denburg.de, m. w. Nachw.).

 

Anhaltspunkte, dass das Amtsgericht vorliegend gehalten gewesen sein könnte, den Beschwerdeführer auf seine Auslegung des Schreibens vom 15. April 2016 hinzuweisen, zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf. Angesichts der konkreten Formulierung - die gerade nicht zweifelsfrei das Begehren des Beschwerdeführers zum Ausdruck bringt, dass das Verfahren künftig durch ein anderes Gericht verhandelt werden soll, sondern es vielmehr dem Amtsgericht überlässt, ob verwiesen werden soll - musste ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter damit rechnen, dass das Amtsgericht die offene Formulierung gerade nicht als Verweisungsantrag auslegt. Ebenso wenig überraschend ist dann auch, dass die Klage aufgrund der - bereits vom Amtsgericht ausdrücklich mitgeteilten - Unzuständigkeit durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen wurde (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. 2017, § 281 Rn. 21; Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 281 Rn. 32; Bacher, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: Juni 2019, § 281 Rn. 16; Saenger, in: Saenger, HK-ZPO, 7. Aufl. 2017, § 281 Rn. 14).

 

II.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Nitsche
   
Partikel Schmidt