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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Oktober 1996 - VfGBbg 19/95 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 41; LV, Art. 53 Abs. 2; LV, Art. 53 Abs. 1
- StPO, § 440; StPO, § 441
- StGB, § 76a
Schlagworte: - Strafprozeßrecht
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Strafrecht, materielles
- Einziehung
- Unschuldsvermutung
- Rückwirkungsverbot
- Eigentum
amtlicher Leitsatz:
Fundstellen: - NJW 1997, 451
- NStZ 1997, 93
- LVerfGE 5, 74
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Oktober 1996 - VfGBbg 19/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 19/95



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

D.,

Beschwerdeführerin,

gegen den Beschluß des Landgerichts Potsdam vom 15. September 1995 betreffend die Einziehung von Zigaretten, Spirituosen u.ä.

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Knippel, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 17. Oktober 1996

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich im Wege der Verfassungsbeschwerde gegen die Einziehung einer größeren Anzahl von Genußmitteln (Zigaretten, Spirituosen u.ä.).

Im November 1992 beschlagnahmte das Zollfahndungsamt Potsdam in der Wohnung der Beschwerdeführerin u.a. 6.900 unversteuerte Zigaretten, 52 Flaschen Spirituosen, 19 Büchsen Kaviar und diverse Päckchen und Gläser Kaffee. Im Rahmen des anschließend eingeleiteten Steuerstrafverfahrens gab die Beschwerdeführerin an, die Zigaretten, einen Teil der Spirituosen und die übrigen beschlagnahmten Dinge, die ihr im übrigen nur zum Teil gehörten, habe sie im Jahre 1992 im Magazin der russischen Streitkräfte gekauft; die restlichen Spirituosen hätten ihr russische Staatsangehörige geschenkt. Daß der zoll- und steuerfreie Einkauf im Magazin der GUS-Streitkräfte eine Steuerstraftat darstelle, habe sie nicht gewußt. Nach Erhebung der öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft stellte das Amtsgericht Potsdam das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführerin durch Beschluß vom 12. September 1994 nach § 153 der Strafprozeßordnung (StPO) ein. Zugleich ordnete es auf Antrag der Staatsanwaltschaft die selbständige Einziehung der beschlagnahmten Gegenstände an. Die von der Beschwerdeführerin gegen die Einziehung erhobene sofortige Beschwerde wurde von dem Landgericht Potsdam mit Beschluß vom 15. September 1995 verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: Die in § 76 a Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) auch nach einer Einstellung des Verfahrens eröffnete - selbständige - Einziehung sei zu Recht erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe sich Waren aus der Zollgutverwendung der GUS-Streitkräfte verschafft und dadurch eine Steuerhinterziehung begangen. Es sei zu befürchten, daß die Waren weiterveräußert würden.

Mit ihrer hiergegen rechtzeitig eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 53 Abs. 2 der Landesverfassung -LV-), des Verbots rückwirkender Strafbarkeit (Art. 53 Abs. 1 LV) und der Sache nach der Eigentumsgarantie (Art. 41 LV). Sie macht geltend, die Einziehung wirke für sie wie eine Strafe. Eine Straftat habe sie jedoch nicht begangen. Bereits die Formulierung in dem Beschluß des Landgerichts, daß sie sich Waren “verschafft” habe, empfinde sie als belastend. Einen Teil der Gegenstände habe sie im übrigen schon seit 1987 oder 1988 in ihrem Besitz, und jedenfalls seinerzeit sei der Erwerb nicht strafbar gewesen. Entweder seien ihr die Gegenstände zurückzugeben oder es sei entsprechender Ersatz zu leisten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, hat indes in der Sache keinen Erfolg. Hierbei läßt das Gericht wie schon in früheren Entscheidungen ausdrücklich offen, ob Grundrechtsverletzungen, die im Rahmen eines bundesrechtlich geordneten Verfahrens - hier der Strafprozeßordnung - erfolgt sein sollen, von dem erkennenden Gericht am Maßstab der brandenburgischen Landesverfassung gemessen werden können (siehe dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 - LVerfGE 2, 179, 182). Das Gericht hat auch im vorliegenden Fall keine Veranlassung, zu dieser Frage eingehend und abschließend Stellung zu nehmen. Denn die von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Landesverfassungsnormen wären, ihre Anwendbarkeit als Prüfungsmaßstab in dem vorliegenden Verfahren unterstellt, durch den angegriffenen Beschluß des Landgerichts Potsdam nicht verletzt.

I.

Der Beschluß vom 15. September 1995 verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung des Art. 53 Abs. 2 LV. Nach dieser Bestimmung ist jeder wegen einer Straftat Beschuldigte oder Angeklagte so lange als unschuldig anzusehen, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Einem Täter müssen hiernach Tat und Schuld nachgewiesen werden; bis zu einem etwaigen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet. Gegen diese Grundsätze verstößt der angegriffene Beschluß weder in seinem Tenor noch in seinen Gründen.

1. Der Tenor enthält über die Frage, ob die Beschwerdeführerin einer Straftat schuldig ist, keine Aussage. Darum geht es in einem selbständigen Einziehungsverfahren auch nicht. Das in den §§ 76 a StGB, 440, 441 StPO geregelte selbständige (objektive) Einziehungsverfahren enthält keine Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld und damit über die Strafbarkeit eines bestimmten Beschuldigten. Es geht in einem solchen selbständigen Einziehungsverfahren, anders als die Beschwerdeführerin dies empfinden mag, nicht um den Vorwurf strafrechtlicher Schuld, sondern allein um die Anordnung der Einziehung unter den dafür bestimmten Voraussetzungen. Eine solche Anordnung kann auch dann ergehen, wenn ein schuldhaftes Verhalten nicht vorliegt (vgl. auch § 74 Abs. 3 StGB; zum Wesen des selbständigen Einziehungsverfahrens etwa Gössel in: Löwe-Rosenberg, Strafprozeßordnung, Fünfter Band, 24. Aufl. 1989, § 440 StPO, Rdn. 1). Die hier von dem Landgericht Potsdam bestätigte Einziehung erweist sich im Kern als Sicherungsmaßnahme (vgl. dazu z.B. Lackner, StGB, 21. Aufl. 1995, § 74, Rdn. 2); sie geht ersichtlich auch von der Besorgnis aus, daß die beschlagnahmte Ware unbefugtermaßen in die Hände Dritter gelangen könnte und stützt sich damit der Sache nach im wesentlichen auf § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB.

2. Den Ausführungen in den Gründen des Beschlusses des Landgerichts vom 15. September 1995 ist ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung ebenfalls nicht zu entnehmen. Das Landgericht nimmt eine strafrechtliche Wertung des Verhaltens der Beschwerdeführerin lediglich im Rahmen seiner Begründung für die Einziehung der beschlagnahmten Waren vor. Dies hängt damit zusammen, daß unbeschadet des nicht auf einen Schuldausspruch gerichteten Wesens des selbständigen Einziehungsverfahrens die strafrechtliche Wertung als Voraussetzung für die Anordnung der Einziehung eine Rolle spielt. Sie wird dort aber nur inzident, nämlich außerhalb einer gegebenenfalls zum Schuldspruch führenden Hauptverhandlung und (lediglich) unter den Verfahrensmodalitäten der §§ 440 f. StPO, geprüft (vgl. etwa Boujong in: Pfeiffer - Hrsg. -, Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 440 StPO, Rdn. 1). § 76 a Abs. 3 StGB, auf den der Beschluß des Landgerichts Potsdam (mit) abstellt, läßt die selbständige Einziehung auch dann zu, wenn das (subjektive) Strafverfahren - wie hier - nach § 153 StPO eingestellt worden ist. § 76 a Abs. 1 StGB, auf den der Abs. 3 des § 76 a StGB verweist, verlangt hierbei, daß “im übrigen” die Einziehungsvoraussetzungen vorliegen.

Das erkennende Gericht sieht keinen durchgreifenden Grund, an der Verfassungsmäßigkeit dieser (bundesrechtlichen) Regelung zu zweifeln und die Sache etwa - mit Blick auf die auch im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung - nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. § 76 a Abs. 3 StGB liegt erkennbar zugrunde, daß sich die zuständigen Stellen an der Einstellung eines Strafverfahrens nicht dadurch gehindert sehen sollen, daß damit zugleich die Möglichkeit der Einziehung von Unrechtsgut entfiele (vgl. Gössel, a.a.O., § 440 StPO, Rdn. 13). Dies gerät nicht in Widerspruch zur Unschuldsvermutung und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Im übrigen hat die seinerzeit anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die Einstellung des Strafverfahrens angeregt und dieser zugestimmt, folglich die Rechtslage - Einziehbarkeit auch ohne strafgerichtliche Verurteilung - zumindest in Kauf genommen.

3. Auch die weiteren Ausführungen in dem Beschluß des Landgerichts Potsdam verstoßen nicht gegen die Unschuldsvermutung. Dies gilt namentlich für die dem Beschluß zugrundeliegende Bewertung der Angaben der Beschwerdeführerin, sie habe nicht gewußt, daß der Einkauf von Waren im GUS-Magazin strafbar sei. Die Würdigung solcher Einlassungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist in erster Linie Sache des dafür zuständigen Fach- und nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht greift bei der Kontrolle einer fachgerichtlichen Entscheidung grundsätzlich nur - und, wenn sich die Beschwer wie hier vornehmlich aus Einzelausführungen in der Begründung der Entscheidung ergeben soll, allenfalls ausnahmsweise (siehe Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 20. April 1995 - VfGBbg 11/94 -, S. 6 des Umdrucks, zur Veröffentlichung in LVerfGE 3 Nr. 4 vorgesehen) - ein, wenn die fachgerichtliche Entscheidung willkürlich erscheint und sich deshalb der Schluß aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (vgl. zum Ganzen Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, a.a.O., S. 7 des Umdrucks und bereits Beschluß vom 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93, 6/93 EA - LVerfGE 2, 105, 110). Das ist hier - und zwar auch in bezug auf die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich eine etwaige Unkenntnis über das Entstehen des staatlichen Steueranspruchs beim Einkauf oder sonstiger ungenehmigter Entgegennahme unversteuerter Waren aus der Zollgutverwendung strafrechtlich auswirkt (vgl. hierzu etwa Lackner, a.a.O., § 17 StGB, Rdn. 22 m.w.N.) - nicht zu erkennen. Auch in diesem Zusammenhange ist darauf hinzuweisen, daß die - seinerzeit auch anwaltlich vertretene - Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, ihre Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens (§ 153 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu verweigern und so die Durchführung des Strafverfahrens - mit dem Ziel des Freispruchs, allerdings auch der Gefahr einer Verurteilung - zu erreichen.

II.

Desgleichen verstößt die Beschlagnahme der in Frage stehenden Waren nicht gegen das Verbot der rückwirkenden Strafbarkeit i.S. des Art. 53 Abs. 1 LV. Zum einen handelt es sich hier, wie dargelegt, nicht um eine Bestrafung, sondern um eine Sicherungsmaßnahme zur Freihaltung des Markts von unversteuerter Ware. Zum anderen bestand die Einziehungsmöglichkeit jedenfalls 1992, als die Beschwerdeführerin, wovon das Landgericht nach den damaligen eigenen Angaben der Beschwerdeführerin ersichtlich ausgegangen ist, die in Frage stehenden Waren erworben hat. Daß sie einen Teil der hier eingezogenen Waren schon in den Jahren 1987 und 1988, also noch zu Zeiten der DDR, erworben habe, hat die Beschwerdeführerin erstmals im Verfahren der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht. Dieser Vortrag konnte deshalb von dem Landgericht noch gar nicht berücksichtigt werden. Schon allein deshalb ist jedenfalls der Vorwurf der Beschwerdeführerin, daß das Landgericht mit seiner Bestätigung der Beschlagnahmeentscheidung gegen die Verfassung verstoßen habe, nicht gerechtfertigt.

III.

Schließlich verstößt der Beschluß des Landgerichts vom 15. September 1995 auch nicht gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Art. 41 LV). Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV gewährleistet das Eigentum nur nach Maßgabe der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen. Hierzu zählen auch die Vorschriften über das selbständige Einziehungsverfahren, deren Anwendung hier verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden ist.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Dr. Knippel
Prof. Dr. Mitzner Prof. Dr. Schöneburg
Prof. Dr. Schröder Weisberg-Schwarz
Prof. Dr. Will