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VerfGBbg, Beschluss vom 17. August 2012 - VfGBbg 6/12 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30
Schlagworte: - einstweilige Anordnung
- Rechtsschutzbedürfnis
- Beschwerdebefugnis
- irreversibler Nachteil
- zum gemeinen Wohl dringend geboten
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. August 2012 - VfGBbg 6/12 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 6/12 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

     M.  

    

                                              Antragsteller,

 

 

wegen der Mitteilung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 5. Juli 2012,

 

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

durch die Ver­­­fassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 17. August 2012

 

b e s c h l o s s e n :

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

 

 

 

G r ü n d e :

 

A.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anord­nung in einer den Umgang betreffenden familienrechtlichen Ange­legenheit.

 

Der Antragsteller ist der Vater des achtjährigen N. Dieser lebt bei seiner Mutter, welche das alleinige Sorgerecht inne­hat. Antragsteller und Kindesmutter sind und waren nicht mit­ein­ander verheiratet. In der Ver­gan­gen­heit gab es bereits meh­rere umgangsrechtliche Auseinandersetzungen zwischen den Kin­­des­­eltern; derzeit strei­ten sie vor dem Amtsgericht Pots­dam um das (gemein­same) Sorgerecht. Dort holte das Gericht ein Gut­ach­ten des Sachverständigen W. ein, den der Antrag­steller nach Fer­tigstellung des Gutachtens wegen der Besorgnis der Befan­gen­heit abgelehnt hat. Über das Ableh­nungs­­ge­­such ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

 

Der Antragsteller hatte aufgrund gerichtlichen Beschlusses vom 5. Mai 2010 jeden Mittwochnachmittag, jedes zweite Wochenende sowie in der Regel in der Hälfte der Schulferien Umgang mit N.

 

In der Folge stritten die Kindeseltern um die Not­­­­­wen­­digkeit, eine Erkrankung von N. durch einen ope­ra­­ti­ven Ein­griff zu behe­ben. Der Antragsteller, der eine Ope­ration ablehnte, behan­delte N. ohne Kenntnis der Mut­ter und ohne ärzt­liche Anord­nung mit einem ver­schrei­bungs­pflich­tigen Medi­ka­ment. Fer­ner brachte er N. am 9. Mai 2011 nicht gemäß der Umgangs­re­ge­lung zur Mutter zurück, um den geplanten opera­tiven Eingriff zu vereiteln. Daraufhin ordnete das Amts­gericht Potsdam mit Beschluss vom 26. Mai 2011 an, dass dem Antrag­steller nur noch begleiteter Umgang mit seinem Sohn zustehe und der Umgang jeden zweiten Samstag von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr stattfinde. Zusätzlich sprach das Gericht ein Kontaktverbot aus, dem­zu­folge der Antragsteller außerhalb der Umgangszeit ohne Zustim­mung der Mutter keinen Kontakt zu N. aufnehmen dürfe.

 

Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller Beschwerde zum Bra­­­­n­­­denburgischen Oberlandesgericht (Oberlandesgericht) ein. Das Oberlandesgericht – 3. Fami­lien­se­nat – ver­handelte am 27. Juni 2011 mündlich über die Beschwerde und ord­nete per Beweis­be­schluss die Einholung eines Sach­ver­stän­di­gen­gut­­ach­tens zur Frage der Eignung des Antragstellers zu unbe­­glei­­tetem Umfang an. Der Antragsteller weigert sich, an einer Begut­ach­tung teil­zunehmen bzw. an ihr mitzuwirken. Beim Ver­fas­sungs­ge­richt beantragte er erfolglos die Aus­set­zung der Vollziehung des Beweis­beschlusses und des Beschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011. Sodann beantragte er beim Ober­lan­des­ge­richt am 2. Sep­­tember 2011, den Beschluss vom 26. Mai 2011 und den Beweis­beschluss im Wege der einstweiligen Anordnung auf­zu­heben. Das Ober­lan­des­­gericht wies den Antrag mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 zurück.

 

Mitte November 2011 beraumte das Oberlandesgericht einen Ter­min zur mündlichen Verhandlung für Mitte Januar 2012 an, wobei es einen Sachverständigen und den im Sorgerechtsverfahren vom Antrag­­­steller abgelehnten Sach­­­­verständigen W. als sach­ver­stän­digen Zeugen lud. Daraufhin lehnte der Beschwer­­de­füh­rer den 3. Fami­­­liensenat des Oberlandesgerichts wegen der Besorgnis der Befan­­­genheit ab; zu den dienstlichen Stel­­­lung­nah­men der Rich­ter nahm er wiederholt Stel­­lung. Mit Beschluss vom 26. April 2012 wies der 2. Fami­lien­­senat des Ober­lan­des­ge­richts als nach Geschäfts­­­verteilungsplan zuständiger Ver­tre­ter­­senat das Ableh­nungs­­­­­gesuch als unbe­gründet zurück. Hier­ge­gen erho­­­­­b der Antrag­­steller unter dem 10. Mai 2012 eine Anhö­rungs­rüge.

 

Am 29. Juni 2012 beantragte der Antragsteller beim Ober­­­­­­­­­­lan­des­ge­richt, die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlus­­­­­­ses vom 26. Mai 2011 durch einstweilige Anordnung aus­zuse­t­­zen und die Ent­­scheidung über seinen Antrag dem Ver­tre­ter­­­­­senat des abge­lehn­ten Senats vorzulegen. Die Vorsitzende des 2. Fami­­­lien­se­nats wies den Antragsteller mit Schreiben vom 5. Juli 2012 darauf hin, dass der Vertretersenat derzeit nur über die Gehörs­­rüge vom 10. Mai 2012 zu entscheiden habe und für den Antrag vom 29. Juni 2012 nicht zuständig sei.

 

B.

Gegen die Mitteilung vom 5. Juli 2012 wendet sich der vor­lie­gende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

Der Antragsteller macht geltend, eine rasche Entscheidung des Ober­­­landesgerichts über seinen Antrag vom 29. Juni 2012 sei erfor­­derlich, weil nach nunmehr einjährigem begleiteten Umgang die unwi­der­ruf­li­che Entfremdung und die Zer­störung der fami­liä­­ren Bindung zu seinem Sohn drohe.

 

Die Weigerung des 2. Familiensenats, über seinen Antrag vom 29. Juni 2012 zu entscheiden, verletze seine Grundrechte auf effek­tiven Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren. Eine rasche und unparteiliche Entscheidung durch den 3. Fami­lien­­senat sei im Hinblick auf dessen bisherige Verfahrensweise nicht zu erwarten. Ferner ver­­­­­­­­­letze die Weigerung des 2. Fami­lien­senats auch sein Grund­recht auf den gesetzlichen Rich­ter und seinen Justiz­ge­wäh­­­rungs­­­­­­anspruch, weil bis zur rechts­kräf­ti­gen Erledigung des gegen den 3. Familiensenats angebrachten Ableh­nungsgesuchs der Vertretersenat der zuständige gesetz­liche Richter für die Ent­­­­scheidung über seinen Antrag vom 29. Juni 2012 sei. Dies ergebe sich daraus, dass zu den vom abgelehnten Richter vor­zu­neh­­­menden unaufschiebbaren Handlungen im Sinne von § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) rich­ter­li­che Entscheidungen auch in Eil­­sachen nicht gehörten. Das Grund­­recht auf ein faires Ver­­­fahren setze voraus, dass rich­ter­­liche Entscheidungs­tä­tig­keit nur von Richtern ausgeübt werde, die frei seien von Zwei­feln der Verfahrensbeteiligten an ihrer Unparteilichkeit.

 

Der Antragsteller ist weiter der Ansicht, dass der Geschäfts­ver­­­teilungsplan des Oberlandesgerichts das Recht auf ein fai­res Ver­­­fah­ren unterlaufe, indem er regele, dass über Ableh­nungs­­­­gesuche die unmittelbaren Ver­tre­tungs­richter des abge­lehn­­­­ten Senats entscheiden. Diese könnten ihrerseits nicht unbe­fangen über das Ablehnungsgesuch entscheiden, weil sie bei des­sen Stattgabe das unter Umständen komplizierte und umfang­reiche Ausgangsverfahren übernehmen müssten. Die Anlage 2 zu seiner Antrags­schrift ent­halte insoweit Vorschläge und Anre­gungen, den Geschäfts­ver­tei­lungs­­plan grundrechtskonform zu ändern.

 

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anord­­­nung dahingehend, dass

 

  1. bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Ableh­nungs­ge­­such gegen die Richter des 3. Familiensenats in dem umgangsrechtlichen Beschwerdeverfahren in Eil­sa­chen nach Geschäfts­vertei­lungs­plan zuständige Ver­tre­tungs­­richter außer die des 2. Fami­lien­senats eine Ent­schei­­dung zu tref­­fen haben,

 

hilfsweise,

 

die Angelegenheit zur Überprüfung der Auslegung von § 47 Abs. 1 ZPO hinsichtlich des Tätigwerdens eines abge­lehnten Richter in Eilverfahren nach Art. 100 Grundgesetz i.V.m.  § 80 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird;

 

  1. das Präsidium des Oberlandesgerichts angewiesen wird, die Geschäfts­­­verteilung hinsichtlich der Bearbeitung von Ableh­­­­­­nungs­gesuchen gemäß den Vorschlägen aus Anlage 2 abzu­­­­­än­­­dern;

 

  1. das Oberlandesgericht angewiesen wird, das umgangs­recht­liche Beschwerdeverfahren mit äußerster Beschleunigung zu för­dern.

 

C.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zurück­­­­­­­­zu­weisen, weil deren Erlass nicht im Sinne von § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zur Abwehr schwe­­rer Nach­teile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem ande­ren wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend gebo­ten ist. Dies ergibt sich teils bereits daraus, dass das Begeh­ren des Antragstellers in der Hauptsache unzu­läs­­­sig wäre und im Übrigen aus einer Folgenabwägung, in deren Rahmen die nach­tei­li­gen Wirkungen, die ohne die einst­wei­lige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, mit den nachteiligen Wirkungen, die sich bei Erlass der einst­wei­li­gen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Haupt­sache ergeben, verglichen und bewertet werden.

 

I.

1. Soweit der Antrag zu 1. darauf gerichtet ist, dass vor Erle­di­gung des Ablehnungsgesuchs neben dem abgelehnten 3. Fami­lien­senat auch dem 2. Fami­lien­senat eine Entscheidung über den Eil­­antrag vom 29. Juni 2012 untersagt werden soll, wäre er in der Haupt­sache mangels Rechts­­­­­schutz­be­dürf­nisses unzulässig. Denn der Eil­­antrag vom 29. Juni 2012 zielte gerade auf eine Ent­schei­dung durch den 2. Familiensenat als Ver­tretersenat ab. An der ver­­fassungsgerichtlichen Unter­sa­gung einer Entschei­dung, die der Antragsteller im fach­ge­richt­li­chen Verfahren zuletzt selbst erstrebt hat, besteht kein schutz­­wür­di­ges Interesse. Darü­ber hin­­aus ist der Antragsteller auch nicht beschwer­de­be­fugt, weil gemes­­sen an seinem dem Ver­fas­­sungsgericht unter­brei­teten Begeh­­­­ren, (auch) der 2. Fami­lien­­senat möge vor Erle­di­gung des Ableh­­nungsgesuchs über sei­nen Eilantrag nicht ent­schei­den, das von ihm angegriffene Schrei­ben der Vorsitzenden des 2. Fami­lien­senats vom 5. Juli 2012 eine Beschwer gar nicht ent­hält. Aus­weis­­lich dieses Schrei­bens droht eine solche Ent­schei­­dung des 2. Familiensenats über den Eilantrag nicht; er hält sich inso­­­­­w­eit für unzu­stän­dig.

 

2. Soweit der Antrag zu 1. das Rechtsschutzziel verfolgt, dass jede­­n­falls vor rechtskräftiger Entscheidung über das den 3. Fami­­liensenat betreffende Ablehnungs­gesuch ein Vertreter­se­nat eine Entschei­dung über seinen Eilantrag vom 29. Juni 2012 trifft, ergibt die Folgenabwägung, dass dies nicht dringend gebo­­ten ist.

 

In die nach strengem Maßstab vorzunehmende Abwä­gung sind regel­­­mäßig nur irreversible Nach­teile einzustellen (Beschlüsse vom 30. September 2010 – VfGBbg 8/10 EA -; 29. Juli 2011 – VfGBbg 4/11 EA -, www.verfassungsgericht.bran­den­burg.de; zuletzt Beschluss vom 6. Juli 2012 – VfGBbg 5/12 EA -, noch unver­­öffentlicht). Solche sind nicht erkennbar. Es erscheint aus­­­­­geschlossen, dass durch eine überschaubare Ver­zö­ge­rung der fach­­­­­­gerichtlichen Entscheidung über seinen Eil­an­trag, die Resu­l­­­­­tat des infolge der anstehenden Entscheidung über die Anhö­­­­rungs­rüge in Kürze erledigten Ablehnungs­ge­suchs ist, eine end­­gültige Entfremdung zwischen dem Antrag­stel­­ler und sei­­nem Sohn eintritt. Kein anderes Ergebnis ergäbe sich in dem Fall, dass der abge­­lehnte 3. Familiensenat den Eil­­­­an­trag noch vor Erledigung des als erfolgreich unter­stell­ten Ableh­nungs­ge­suchs zurück­wiese. Denn eine solche Ent­schei­dung würde den dann zustän­di­gen Vertretersenat nicht binden; er könnte jeder­zeit – auf oder ohne Antrag des Antragstellers – nach § 64 Abs. 3 des Geset­­­zes über das Verfahren in Fami­lien­­sa­chen und in den Ange­le­­genheiten der freiwilligen Gerichts­­­bar­keit (FamFG) mittels einst­­­weiliger Anordnung die Voll­­ziehung des amts­­­ge­richt­li­chen Umgangs­­­­beschlusses vom 26. Mai 2012 aus­set­zen.

 

Darüber hinaus fehlt es auch an dem durch § 30 Abs. 1 VerfGGBbg aufgestellten Erfordernis, dass die begehrte einst­wei­­lige Anord­­­nung „zum gemeinen Wohl“ dringend geboten sein muss (vgl. Urteil vom 4. März 1996 – VfGBbg 3/96 EA -,    LVerfGE 4, 109, 113; Beschluss vom 20. Februar 2003 – VfGBbg 1/03 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; Beschluss vom 6. Juli 2012 – VfGBbg 5/12 EA -). Das gemeine Wohl ist in die­­­sem umgangsrechtlichen Ein­zel­fall, der in Kürze seinen Fort­­­­­gang finden wird, nicht betrof­fen; Aus­wir­kungen dieser Ent­­­­schei­dung auf das gemeine Wohl sind daher nicht zu erwar­ten.

 

II.

Der Hilfsantrag zum Antrag zu 1. wäre in der Hauptsache unzulässig. Die Gerichte ent­­scheiden nach ihrer Anschauung von der Sache und Über­zeu­gung, ob die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 Grund­ge­setz vor­­lie­gen. Auf die Verfassungsmäßigkeit von § 47 Abs. 1 ZPO kam es für die Zurückweisung des Hauptantrags zu 1. im Übrigen nicht an (s. zu I.).

 

 

 

 

III.

Der Antrag zu 2. wäre in der Hauptsache unzulässig. Das Ver­fas­sungsgericht ist nicht befugt, dem Oberlandesgericht dessen Geschäfts­verteilung vor­zu­­schrei­ben.

 

IV.

Auch der Antrag zu 4. wäre in der Hauptsache unzulässig, weil das Verfassungsgericht die begehrte Anweisung nicht erteilen kann. Im Übrigen bestünde für den Antrag auch deshalb kein Rechts­schutzbedürfnis, weil das Oberlandesgericht das umgangs­recht­liche Beschwerdeverfahren bereits nach dem Gesetz (§ 155 FamFG) und wegen dessen bisheriger Dauer beschleunigt zu behan­deln hat.

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Nitsche
   
Partikel Schmidt