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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2022 - VfGBbg 5/22 EA -

 

Verfahrensart: sonstige Verfahren
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 46
Schlagworte: - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, unzulässig
- Begründungsmangel
- Dringlichkeit, fehlend
- Kindeswohlgefährdung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2022 - VfGBbg 5/22 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 5/22 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 5/22 EA

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

Dr. K.,

Antragstellerin,

wegen

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgang der Kindesmutter mit dem minderjährigen Kind u. a.

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 17. Juni 2022

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dresen, Dr. Finck, Heinrich‑Reichow, Müller, Richter, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Gründe:

A.

Die Antragstellerin begehrt eine einstweilige Anordnung zum Umgang mit ihrem bei dem Vater lebenden Sohn.

I.

Die Antragstellerin ist Mutter zweier Söhne. Der ältere Sohn lebt bei der Antragstellerin, der jüngere Sohn bei dem Vater. Seit der Trennung der Eltern im Jahr 2015 sind vor den Familiengerichten in Berlin-Schöneberg und Brandenburg an der Havel zahlreiche Verfahren über das elterliche Sorge- und Umgangsrecht geführt worden. Die Elternschaft ist konfliktgeprägt. Versuche, den Umgang zwischen Eltern und Kindern langfristig zu regeln, scheiterten. Der ältere, bei der Antragstellerin lebende Sohn lehnt den Umgang mit dem Vater ab. Ein Umgang zwischen der Antragstellerin und dem jüngeren Sohn, für den der Vater sorgeberechtigt ist, findet derzeit nicht statt. Im Dezember 2018 hatten die Eltern vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel einen gerichtlich gebilligten Vergleich geschlossen, wonach begleitete Umgänge stattfinden sollten. Sie kamen nicht zustande, da die Antragstellerin begleitete Umgänge ablehnte.

Mit Beschluss vom 30. August 2021 (42 F 240/18) wies das Amtsgericht Brandenburg an der Havel einen Antrag der Antragstellerin auf unbegleiteten Umgang zurück. Es schloss sich den Ausführungen des von ihm bestellten und angehörten Sachverständigen an, der von einer Kindeswohlgefährdung bei unbegleiteten Umgängen mit der Antragstellerin ausging. Über die Gewährung begleiteten Umgangs sei keine Entscheidung zu treffen; die Antragstellerin lehne begleitete Umgänge kategorisch ab.

Das Oberlandesgericht wies die gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtete sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 20. Januar 2022 (10 UF 78/21) zurück. Es befand, das Amtsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass angesichts der von dem Sachverständigen herausgearbeiteten Umstände das Kindeswohl des Sohnes bei unbegleiteten Umgängen mit der Antragstellerin konkret gefährdet wäre. Es habe nur begleiteter Umgang angeordnet werden können. Zwar lasse sich eine bloße Zurückweisung des Umgangsrechtsantrags eines Elternteils grundsätzlich nicht mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) vereinbaren. Eine Regelung zum Umgang müsse nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folge, dann nicht getroffen werden, wenn der umgangsberechtigte Elternteil erkläre, ein Umgangsrecht nur entweder unbegleitet oder gar nicht ausüben zu wollen und ein unbegleiteter Umgang aus Gründen des Kindeswohls ausscheide. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung, es fehle insbesondere an den Voraussetzungen für eine Umgangspflegschaft.

II.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin legte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. August 2021 (42 F 240/18) und den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Januar 2022 (10 UF 78/21) am 21. Februar 2022 Verfassungsbeschwerde ein; sie ist noch anhängig (VfGBbg 9/22). Die Antragstellerin rügt die Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die beiden familiengerichtlichen Beschlüsse und führt dazu aus, Amtsgericht und Oberlandesgericht seien den für die Entscheidung über das Umgangsrecht vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht geworden. Die Zurückweisung des Begehrens auf unbegleiteten Umgang sei nicht mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 2 GG sei auf den inhaltsgleichen Art. 27 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) übertragbar. Art. 27 Abs. 2 LV, der den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiere, diene in erster Linie dem Kindeswohl. An diesem hätten sich auch Umgangsregelungen zu orientieren. Die Zurückweisung des Antrags auf unbegleiteten Umgang käme dem faktischen unbefristeten Umgangsausschluss gleich. Das Oberlandesgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Es sei nicht mehr nachvollziehbar und sachfremd, dem Sachverständigengutachten zu folgen. Die Antragstellerin zieht die Qualifikation des Sachverständigen in Zweifel und beanstandet unter anderem den Inhalt, Standard und die Kosten des Gutachtens.

 

III.

Das Verfassungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Mai 2022 (VfGBbg 5/22 EA) einen Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem sie eine Verletzung des Rechts auf Bildung ihres Sohnes, seines Rechts auf medizinische Versorgung, auf seine Mutter, seinen Bruder, seine Großmutter, sein Elternhaus sowie auf Sozialkontakte rügte. Das Verfassungsgericht hatte das Antragsbegehren dahingehend ausgelegt, dass die Antragstellerin die Anordnung von Maßnahmen durch das Verfassungsgericht zur Sicherung der Beschulung und medizinisch-ärztlichen Versorgung ihres Sohnes begehre. Es hat den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig befunden. Es sei die vornehmliche Aufgabe der Familiengerichte, eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufzuklären und die zur Abwehr erforderlichen und vorläufigen Maßnahmen zu treffen. Dass diese Inanspruchnahme des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes der Antragstellerin nicht zumutbar sein könnte, sei nicht ersichtlich. Eine Dringlichkeit der Angelegenheit sei nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin nicht erkennbar, die sich auf seit dem Jahr 2021 andauernde Schulversäumnisse bzw. eine seit 2018 unzureichende ärztliche Behandlung berufe. Den bis in das Jahr 2015 zurückgehenden Anlagen der Antragsschrift sei zu entnehmen, dass die Behörden und Hilfeträger mit den Anliegen der Antragstellerin engmaschig befasst seien.

IV.

Mit dem am 7. Juni 2022 beim Verfassungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 3. Juni 2022 rügt die Antragstellerin in Bezug auf den Beschluss vom 20. Mai 2022 (VfGBbg 5/22 EA), es habe dem Verfassungsgericht oblegen, in einstweiliger Anordnung über den Umgang mit dem Sohn zu entscheiden. Sie erhalte ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgang aufrecht.

Sie bringt im Wesentlichen vor: Jedes Kind habe grundgesetzlich ein Recht auf seine Mutter und jede Mutter auf ihr Kind. Dem Sohn werde jede kinderärztliche Betreuung verwehrt, das Jugendamt habe 22 Kinderschutzanzeigen unterschlagen, das Kind habe anderthalb Jahre nicht zur Schule gedurft, ihm werde jede sonderpädagogische Förderung verwehrt. Nach Art. 6 Abs. 2 GG sei die Pflege und Erziehung das natürliche Recht der Eltern, die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Gegen den Willen der Eltern dürften Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Eltern versagten. Ein Versagen ihrerseits habe es nicht gegeben. Sie führt an, es habe Fehler eines vormals befassten Berliner Familienrichters gegeben. Weiter moniert sie die Bestellung des Sachverständigen durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel. Die von ihr angerufenen Familiengerichte hätten seit 2018 unterlassen, eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufzuklären und vorläufige Maßnahmen zu treffen.

Dem Verfassungsgericht liegt das im fachgerichtlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht vor.

B.

1. Der Antrag vom 3. Juni 2022 ist ausdrücklich auf die vorläufige Gewährung von Umgang der Antragstellerin mit ihrem Sohn gerichtet. Dabei kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Antragstellerin als Anhörungsrüge oder (erneuter) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgang zu werten ist. Nachdem das Verfassungsgericht mit dem hiesigen Beschluss über den Eilantrag zum Umgang ausdrücklich entscheidet, besteht für eine Bescheidung einer etwaigen Gehörsrüge kein Anlass.

2. Der begehrte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg; er ist unzulässig.

Die Antragstellerin wird in ihren Ausführungen den spezifischen Erfordernissen des verfassungsrechtlichen Eilverfahrens nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nicht gerecht, da sie diese nicht substantiiert darlegt. So lässt sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten sein könnte. Vielmehr beschränkt sich die Antragstellerin darauf, das Vorbringen aus der Verfassungsbeschwerde in verkürzter Form zu wiederholen. Damit ist ein besonderes Eilbedürfnis nicht dargetan.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Umgangsregelung durch das Verfassungsgericht kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dadurch eine (weitere) Kindeswohlgefährdung eintreten kann. Es ist Sache der Antragstellerin, dem Verfassungsgericht diese Gewissheit zu verschaffen. Ihre schlichte Behauptung, sie habe keine Fehler gemacht, genügt dazu nicht. Für den Fall einer Gewährung des von der Antragstellerin erstrebten, unbegleiteten Umgangs waren sowohl das Amts- als auch das Oberlandesgericht von einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen. Um diese Erwägungen der sachnäheren Gerichte zu widerlegen, hätte es eines Sachvortrags der Antragstellerin bedurft.

3. Ferner bestehen erhebliche Zweifel, ob die Verfassungsbeschwerde in formaler Hinsicht dem Begründungserfordernis des § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg genügt. Zu diesem Erfordernis gehört, dass die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrundeliegenden Rechtsschutzanträge und andere Dokumente, ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt wurden, vorzulegen oder wenigstens durch inhaltliche Wiedergabe zur Kenntnis zu bringen sind (vgl. Beschluss vom 19. November 2021 ‌‑ VfGBbg 28/21 ‑‌, Rn. 15 und Rn. 17, https://verfassungsgericht.‌brandenburg.de). Die Antragstellerin hat davon abgesehen, das vom Amtsgericht Brandenburg an der Havel eingeholte Sachverständigengutachten vorzulegen bzw. seinen wesentlichen Inhalt vorzutragen und sich damit substantiiert auseinanderzusetzen.

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dresen

Dr. Finck

Heinrich-Reichow

Müller

Richter

Sokoll

Dr. Strauß