VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2011 - VfGBbg 45/10 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV; Art. 52 Abs. 3 | |
Schlagworte: | - Beschwerdegegenstand - Verletzung rechtlichen Gehörs - Beruhen - Subsidiarität - Willkür |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2011 - VfGBbg 45/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 45/10
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
L.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. W.
Präsident des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
,
Äußerungsberechtigter,
gegen das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2010 (Az.: 11 U 32/10) sowie den Beschluss vom 25. August 2010 (Az.: 11 U 32/10)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker,Dielitz, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 17. Juni 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.
Gründe:
A.
I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, durch das er zu der Herausgabe vereinnahmter Mieten verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer war Eigentümer mehrerer zu einer Gewerbeeinheit verbundener Grundstücke in F.. Voreigentümerin war bis zum 29. Juni 1999 seine Mutter. Mit Vertrag vom 1. Januar 1999 vermietete der Beschwerdeführer verschiedene Teilflächen der Immobilie (wie z.B. den Schornstein und den Technikraum) an die L. & Co Handels GmbH, gesetzlich vertreten durch seine Eltern J. und R. L. Diese ihrerseits vermietete einen Teil der Flächen zum Betrieb einer Mobilfunkanlage an die M. GmbH, sodann an deren Rechtsnachfolgerin V. GmbH. In einem zweiten Nachtrag zu diesem Vertrag vereinbarten die V. GmbH und der Beschwerdeführer, dass dieser als Vermieter in den Mietvertrag eintrete; eine entsprechende Vereinbarung schloss der Beschwerdeführer auch mit seinen Eltern. Diese übten jedoch das ihnen in dieser Vereinbarung gewährte Rücktrittsrecht Ende 2008 aus. Die Miete für das Jahr 2008 überwies die V. GmbH auf das Konto des Beschwerdeführers, der den Betrag seinen Eltern in bar aushändigte.
Eine der auf dem Gelände belegenen Wohnungen hatte der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2002 an einen Herrn K. vermietet. Mit Vereinbarung vom 1. Mai/1. Juni 2005 traten die Eltern des Beschwerdeführers in das Mietverhältnis als Mieter des Beschwerdeführers bzw. Untervermieter des Herrn K. ein. Dieser bzw. die für die Mieten aufkommende Behörde zahlten gleichwohl die Miete weiter auf das Konto des Beschwerdeführers. In Mitteilungen an die Behörde trat der Beschwerdeführer weiterhin als Vermieter auf. Die aus diesem Vertragsverhältnis gezahlte Miete händigte der Beschwerdeführer seinen Eltern aus.
Durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. September 2007 erwarb die Klägerin des Ausgangsverfahrens das Eigentum an den Immobilien. Sie verlangte vom Beschwerdeführer die Herausgabe der für das Jahr 2008 vereinnahmten Mieten. Das Landgericht wies die darauf gerichtete Klage ab. Auf ihre Berufung sprach ihr das Brandenburgische Oberlandesgericht die Mieten auf Grundlage des § 816 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu. Der Beklagte sei der eigentliche Empfänger aller Mietzahlungen. Der Untermietvertrag bezüglich der Mobilfunkanlage sei nicht eindeutig und ohne nachvollziehbaren wirtschaftlichen Sinn, der Beschwerdeführer sei deshalb zumindest Mit-Vermieter. Hinsichtlich der Wohnungsmieten seien sowohl der öffentliche Träger aufgrund der Bescheinigungen des Beschwerdeführers als auch er selbst und der Mieter davon ausgegangen, dass er eigentlicher Zahlungsempfänger sei. Die Klägerin habe gem. § 566 Abs. 1 BGB, § 57 Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Anspruch auf die Mietzahlungen für das Jahr 2008, weil die Eltern des Beschwerdeführers nur formal die Stellung eines Zwischenvermieters innegehabt hätten. Diese sei nicht zu berücksichtigen. Der Beklagte sei trotz der Auskehrung der Mieten an seine Eltern nicht entreichert. Er habe einen Rückzahlungsanspruch gegenüber seinen Eltern, ohne dass vorgetragen sei, dass diese nicht leistungsfähig seien.
Die gegen das Urteil erhobene Gehörsrüge wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 25. August 2010, dem Beschwerdeführer zugegangen am 27. August 2010, zurück.
II. Mit seiner am 27. September 2010 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Willkürverbots, des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Verfassung des Landes Brandenburg (LV). Die rechtliche Würdigung des Oberlandesgerichts entbehre jedes sachlichen Grundes und zeuge von einer krassen Verkennung der Sach- und Rechtslage. Der Senat habe sein Urteil auf nicht geleisteten Sachvortrag gestützt. Entgegen der Ankündigung in der mündlichen Verhandlung sei die Revision nicht zugelassen worden. Der Beschwerdeführer sei deshalb von weiteren Rechtsausführungen abgeschnitten worden. Darüber hinaus habe der Senat nicht darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Beschwerdeführers zur Entreicherung nicht genüge.
III. Der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten (Az: Brandenburgisches Oberlandesgericht 11 U 32/10 – LG Frankfurt (Oder) 11 O 405/08) sind beigezogen.
B.
Die in Teilen zulässige Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
- Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. August 2010 wendet. Dieser ist mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar, weil er keine eigenständige Beschwer schafft. Im Anhörungsrügeverfahren ist rechtliches Gehör nicht versagt worden. Der Beschwerdeführer kann deshalb im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausschließlich die Ausgangsentscheidung angreifen und auf die seiner Ansicht nach fortbestehenden Grundrechtsverletzungen hin überprüfen lassen (Beschluss vom 18. März 2011 – VfGBbg 56/10 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
2. Soweit sich der Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die behauptet Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht hinreichend substantiiert. Diese Rüge kann nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 52 Abs. 3 LV beruht, dh wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (Beschluss vom 25. Februar 2011 – VfGBbg 46/10 – www.verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 28, 17, 19f). Im Hinblick darauf ist dem Substantiierungsgebot aus § 45 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nur Genüge getan, wenn der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß beruht. Der Vortrag des Beschwerdeführers im Verfassungsbeschwerdeverfahren lässt aber nicht erkennen, was der Beschwerdeführer im Hinblick auf die vom Brandenburgischen Oberlandesgericht problematisierte Entreicherung oder die Zulassung der Revision weiter hätte vortragen wollen.
3. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Brandenburgische Oberlandesgericht habe die Frage eines wirtschaftlichen Nutzens des Vertrages nicht mit den Parteien erörtert und in diesem Punkt eine Überraschungsentscheidung getroffen, ist er mit seiner Rüge ausgeschlossen, nachdem er sie nicht bereits im Gehörsrügeverfahren erhoben hat. Der Grundsatz der Subsidiarität des Verfassungsbeschwerde verlangt vom Beschwerdeführer, vor Anrufung des Verfassungsgerichts alle Möglichkeiten zu ergreifen, um einer Grundrechtsverletzung vorzubeugen oder eine solche auszuräumen. Dazu zählt die Erhebung der Anhörungsrüge; diesen Weg hat der Beschwerdeführer zwar beschritten, er hat jedoch in diesem Verfahren nicht vorgebracht, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht den wirtschaftlichen Nutzen des Zwischenmietverhältnisses mit dem Mobilfunkanbieter vor der abschließenden Entscheidung nicht problematisiert habe.
4. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 LV rügt. Insoweit fehlt es an einer Darstellung, inwieweit er sich durch die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in seinen Grundrechten betroffen sieht.
II. Die Verfassungsbeschwerde im Übrigen hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen das aus Art. 52 Abs. 3 LV, dem gerichtlichen Gleichheitssatz, abgeleitete Willkürverbot nicht vor. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits, wenn die Rechtsanwendung fehlerhaft ist, sondern erst dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Verdacht aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 – VfGBbg 8/09 – und vom 19. November 2010 – VfGBBg 30/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Entscheidung muss ganz und gar unverständlich erscheinen und auf einer Rechtsanwendung beruhen, die jeden Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschreitet (Beschlüsse vom 15. April 2010 - VfGBbg 5/10 – und vom 19. November 2010 – VfGBbg 39/10 –; jeweils www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Denn es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, Gerichtsentscheidungen nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu überprüfen. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts ist vielmehr grundsätzlich Sache der zuständigen Fachgerichte. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung insbesondere dann nicht willkürlich, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 87, 273, 278 f.; 96, 189, 203). Hiervon ausgehend ist ein Verstoß gegen Art. 52 Abs. 3 LV nicht feststellbar.
1. Soweit das Brandenburgische Oberlandesgericht geprüft hat, ob der Beschwerdeführer Leistungsempfänger der von der V. GmbH gezahlten Mieten war, sprechen zumindest einige Indizien, wie die äußere Gestaltung des Mietvertrages, die den Beschwerdeführer als Eigentümer erwähnt und seine Unterschrift enthält, sowie die Tatsache, dass die Zahlungen von der Mieterin unmittelbar an ihn geleistet worden sind, für eine Beteiligung am Mietverhältnis. Dass die Wertung des Oberlandesgerichts den ihm eingeräumten Auslegungs- und Bewertungsspielraum in einem Maße überschreitet, dass der Schluss auf sachfremde Erwägungen nahe liegt, ist vor dem Hintergrund dieser Indizien nicht anzunehmen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist das Gericht an dieser rechtlichen Bewertung auch nicht durch die abweichende Beurteilung der Parteien gehindert. Dass die Parteien aus den dem Gericht vorgelegten Tatsachen nicht den selben Schluss gezogen haben wie das Gericht, bindet dieses nicht. Im Zivilprozess ist das Gericht nur hinsichtlich der vorgetragenen Tatsachen an die – übereinstimmende – Darstellung der Parteien gebunden; die daraus folgende rechtliche Würdigung obliegt dem Gericht selbst.
2. Auch hinsichtlich der auf das Wohnraummietverhältnis K. geleisteten Mieten hat das Oberlandesgericht dargelegt, aufgrund welcher objektiven Tatsachen es davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer Leistungsempfänger war. Dazu zählt – neben der Tatsache, dass die Zahlungen unmittelbar an ihn geleistet wurden - dass sowohl er selbst als auch sein Vater ihn gegenüber der Wohngeldstelle als Vermieter angegeben haben und er weitere vertragliche Abreden mit dem Mieter schloss. Die Wertung des Oberlandesgerichts, ihn als Leistungsempfänger anzusehen, ist vor diesem Hintergrund nicht unvertretbar.
3. Dass das Brandenburgische Oberlandesgericht bei der vorliegenden Konstellation schließlich § 566 BGB für anwendbar hält, ist ebenfalls nicht als willkürlich anzusehen. Zwar setzt die Norm nach ihrem Wortlaut die Identität von Vermieter und veräußerndem Eigentümer voraus. Allerdings wird – insbesondere im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 2003 – Az.: XII ZR 119/02 – (NJW-RR 2004, 657) und an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 1995 – 1 BvR 1063/95 – (NJ 1996, 82) in Literatur und Rechtsprechung eine analoge Anwendung der Vorschrift in bestimmten, besonderen Fallkonstellationen befürwortet (vgl. Münchener-Kommentar-Häublein, 5. Aufl. 2008, § 566 Rn. 19f; Koch/Rudzio, ZfIR 2007, 437; Herrmann, in: Bamberger-Roth, Beck’scher Online-Kommentar, Stand 1. Februar 2010, § 566 Rn. 10.a). Mit diesen Ausnahmefällen hat sich der Senat auseinandergesetzt und insbesondere im Hinblick auf die zu Beginn seiner Ausführungen dargelegten Verflechtungen zwischen den Beteiligungen des Beschwerdeführers und seiner Eltern an den Mietverhältnissen eine Anwendbarkeit des § 566 BGB angenommen. Von einer völlig unvertretbaren, sachfremde Erwägungen nahelegenden Entscheidung ist deshalb nicht auszugehen.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Lammer |
Möller | Nietsche |
Partikel | Schmidt |