VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2011 - VfGBbg 33/10 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV; Art. 12, 41, 52 Abs. 3, 52 Abs. 4 | |
Schlagworte: | - Willkür - Recht auf Eigentum - rechtliches Gehör |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 17. Juni 2011 - VfGBbg 33/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 33/10
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
S.,
Beschwerdeführer zu 1),
S.,
Beschwerdeführerin zu 2),
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte S.
Dr. C. –T.,
Äußerungsberechtigte,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. und S.,
gegen das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. April 2010 sowie den Beschluss vom 7. Juni 2010 – Az. jeweils : 5 U 40/08 –
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Lammer, Möller, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 17. Juni 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
A.
I. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ein Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, durch das sie zur Duldung eines Notwegerechts verurteilt worden sind.
Die Beschwerdeführer wurden als Eigentümer eines bebauten Grundstückes in Alt-S. neben weiteren Anrainern von der Äußerungsberechtigten sowie ihrer Miteigentümerin auf Duldung eines Wegerechts in Anspruch genommen. Ursprünglich war ein Wegerecht zugunsten des Grundstücks der Hinterlieger grundbuchrechtlich gesichert; bei der Teilung des dienenden Grundstücks und der Veräußerung der Teilflächen war das Wegerecht durch das Grundbuchamt fälschlicherweise nicht mit umgetragen worden.
Seit mindestens 1974 war das Grundstück der Hinterlieger über eine als „Z.-weg“ bezeichnete Zuwegung, die die Grundstücke der Beschwerdeführer und weiterer Anrainer überquerte, an die öffentlichen Straße angeschlossen gewesen. Davor hatte der Weg über drei andere Grundstücke, von denen zwei nicht bebaut waren, geführt. Als die Beschwerdeführer im Jahr 2005 ankündigten, den „Z.-weg“ zum 31. März 2006 zu schließen, erhob die Äußerungsberechtigte und ihre Miteigentümerin Klage auf Einräumung eines Wegerechts, das dem „Z.-weg“ entsprechen sollte. Die Beschwerdeführer wandten im Verfahren vor dem Landgericht Cottbus ein, dass sich das eingetragene Wegerecht auf den zunächst genutzten, nicht über ihr Grundstück führenden Weg bezogen habe. Sie hätten das Grundstück in Unkenntnis des Wegerechts gutgläubig lastenfrei erworben. Das Landgericht gab der Klage gegenüber allen Anrainern, über deren Grundeigentum der „Z.-weg“ führte, statt. Auf die allein von den Beschwerdeführern eingelegte Berufung wurden sie verurteilt, das Begehen und Befahren des zuletzt genutzten Weges durch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens gegen Zahlung einer Notwegerente zu dulden. Zwar sei das ursprüngliche Wegerecht durch den gutgläubigen Erwerb des Grundstücks als insoweit lastenfrei untergegangen. Den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens stehe allerdings ein Notwegerecht gem. § 917 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu, weil ihr Grundstück keinen unmittelbaren Zugang zu einem öffentlichen Weg habe. Dieses erstrecke sich auch auf das Grundstück der Beschwerdeführer, denn das ursprünglich grundbuchrechtlich gesicherte Wegerecht habe sich durch langjährige tatsächliche Ausübung auf den „Z.-weg“ konkretisiert. Ob vorher das Wegerecht auf anderen Grundstücken genutzt worden sei, sei irrelevant. Bei der Bestimmung des Notweges sei auf gewachsene lokale Gegebenheiten, wie vorhandene Wegeverhältnisse, Rücksicht zu nehmen. Das Notwegerecht berechtige auch zum Befahren des Grundstückes, weil die Entfernung zur nächsten öffentlichen Anbindung beträchtlich sei. Schließlich ließ das Brandenburgische Oberlandesgericht die Revision nicht zu und wies die von den Beschwerdeführern erhobene Anhörungsrüge mit Beschluss vom 7. Juni 2010 zurück.
Unter dem 12. Juli 2010 haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie sehen sich in ihrem Grundrecht auf Eigentum (Art. 41 Verfassung des Landes Brandenburg – LV) sowie Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 12) verletzt, weil das Brandenburgische Oberlandesgericht die Regelung des § 918 Abs. 2 BGB willkürlich nicht angewandt habe. Des Weiteren sei die Einräumung eines Fahrrechts unverhältnismäßig. Ein Gehrecht würde die Beschwerdeführer weniger belasten. Außerdem sei das Grundstück der Hinterlieger durch seine Lage an der Spree, einer öffentlichen Wasserstraße, ausreichend erschlossen, so dass Lasten regionaltypisch auf dem Wasserweg angeliefert werden könnten. Indem das Oberlandesgericht die Revision nicht zugelassen habe, habe es Art 12 LV verletzt. Die Zulassung der Revision sei geboten gewesen, weil das Oberlandesgericht mit seiner Entscheidung sowohl in Bezug auf die Einräumung eines Fahr- statt eines bloßen Gehrechts, als auch in der Frage einer erneuten Konkretisierung eines einmal bestimmten Wegerechts von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen sei. Die Beschwerdeführer sehen sich darüber hinaus in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV) und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) verletzt.
II. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens sowie das Brandenburgische Oberlandesgericht haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Die Verfahrensakten (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Az.: 5 U 40/08; Landgericht Cottbus, Az.: 3 O 120/06) waren beigezogen.
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I. Die angegriffenen Entscheidungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Eigentum (Art. 41 LV). Dieses schützt den Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt. Nicht jede fachlich unrichtige Entscheidung in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit stellt jedoch einen durch das Verfassungsgericht zu beanstandenden Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Das Landesverfassungsgericht ist nicht nach Art eines Rechtsmittelgerichts zur Überprüfung von Entscheidungen der Fachgerichte berufen. Ein korrigierender Eingriff kommt erst bei der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts in Betracht, also dann, wenn dargelegt ist, dass die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht. Dazu reicht die Behauptung, der Richter habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, nicht aus (vgl. zum Bundesrecht: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. Mai 2007 – 1 BvR 730/07 - BVerfGK 11, 203, 207).
1. Soweit die Beschwerdeführer rügen, das Brandenburgische Oberlandesgericht habe die Vorschrift des § 918 Abs. 2 BGB zu ihren Lasten nicht angewandt, ist darin keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu sehen. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat sich mit dieser Norm auseinandergesetzt. Es hat die Vorschrift aber nicht als einschlägig angesehen, weil der „Z.-weg“ seit den 1970er Jahren – und damit nach einer, das Grundstück der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens von der öffentlichen Zuwegung abschneidenden Teilung der ursprünglichen Gesamtfläche - einvernehmlich als Zuwegung auch zu dem Grundstück der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens genutzt wurde. Damit hat das Gericht für den Verlauf des Notwegerechts auf lokale Gegebenheiten und früher vorhandene Wegverhältnisses abgestellt und den auch weithin anerkannten Gesichtspunkt berücksichtigt, dass eine – neue - Belastung anderer Nachbargrundstücken jedenfalls dann nicht gerechtfertigt ist, wenn ein geeigneten Zugang zu dem abgeschnittenen Grundstück besteht (vgl. Münchener–Kommentar-Säcker, BGB, 5. Aufl. 2009, § 917 Rn. 29). Dass es nicht die kürzeste und die Beschwerdeführer weniger einschneidende Wegführung gewählt hat, ist vor dem Hintergrund der seit 30 Jahren bestehenden, von den damaligen Eigentümern einvernehmlich begründeten Praxis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Auch soweit die Beschwerdeführer rügen, das Gericht hätte den Klägerinnen allenfalls ein Gehrecht einräumen dürfen, weil das Befahren mit einem PKW sie in ihrem Grundstücksrecht unverhältnismäßig einschränke, ist eine grundsätzlich unrichtige Anschauung ihres Eigentumsrechts nicht erkennbar. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat darauf abgestellt, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens jedenfalls in den Sommermonaten ihre Freizeit auf dem Flurstück verbringen und – wegen der beträchtlichen Entfernung zwischen der öffentlichen Straße und ihrem Grundstück - für den Transport von Gebrauchsgegenständen auf das Befahren des Z.-weges angewiesen sind. Sachfremde, die Interessen der Beschwerdeführer vernachlässigende Erwägungen sind darin nicht erkennbar.
- Die Beschwerdeführer sind auch in ihrem durch Art. 12 LV geschützten Anspruch auf Gleichbehandlung nicht verletzt, insbesondere nicht dadurch, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht die Revision nicht zugelassen hat. Art. 12 LV gewährt dem Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt einen Anspruch auf gleiche Behandlung, mithin auf angemessene gleichheitsgemäße Berücksichtigung seiner Position im Verhältnis zu anderen Menschen und ihren Belangen (Iwers, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2. Nachlfg. Februar 2008, Art. 12, Rn. 2.3). Eine Grundrechtsverletzung läge danach bei einer willkürlichen Ungleichbehandlung vor. Willkürlich ist ein Richterspruch allerdings nicht bereits dann, wenn die Rechtsanwendung fehlerhaft ist, sondern erst, wenn er unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Verdacht aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss vom 19. November 2010 – VfgBbg 26/10 – www.verfassungsgericht.brandenburg.de.)
1. Dass die Nichtzulassung der Revision auf nicht mehr vertretbaren, sachfremden Erwägungen beruht, ist nicht erkennbar. Auch unter Berücksichtigung der von den Beschwerdeführern angeführten Urteile des Bundesgerichtshofes ist das Brandenburgische Oberlandesgericht nicht in einem Maße von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen, das die Nichtzulassung der Revision als unvertretbar erscheinen ließe. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. November 1975 – V ZR 237/73 – (MDR 1976, 479) bezog sich auf einen wesentlich anderen Sachverhalt. Sie betraf eine Dienstbarkeit zur Sicherung eines Schienenrechts, also einer festen Anlage, die besondere Anforderungen an ihre Unterhaltung und Benutzung stellt. Dies veranlasste den Bundesgerichtshof zu der Wertung, das Verlangen nach einer Verlegung der Anlage stelle sich als eintragungsbedürftige Änderung dar. Mit der – spätestens Anfang der 70iger Jahre erfolgten - Verlegung eines unbefestigten Weges ist dieser Sachverhalt nicht vergleichbar. Er präjudiziert die Zulässigkeit einer solchen Änderung eines einmal ausgeübten Wegerechts nicht.
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist das Brandenburgische Oberlandesgericht auch von den Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit der Bewilligung von bloßen Geh- oder Fahrrechten (Urteil vom 12. Dezember 2008 – V ZR 106/07 – MDR 2009, 374) nicht maßgeblich abgewichen. Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien, die die Bewilligung eines Fahrrechts – jedenfalls bei Wohngrundstücken – rechtfertigten, nämlich die sichere Erreichbarkeit des Grundstücks, die Notwendigkeit einer Zuwegung zur problemlosen Anlieferung von Gegenständen des täglichen Lebensbedarfs, zur Versorgung mit Energie und zum Anschluss des Grundstücks an die Abfallentsorgung – treffen auch auf ein lediglich in den Sommermonaten als Freizeitgrundstück genutztes Grundstück zu. Vor diesem Hintergrund ist die Wertung des Oberlandesgerichts, eine Zulassung der Revision sei unter den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich, nicht schlechterdings unvertretbar.
3. Auch die Festsetzung des Streitwertes auf einen Wert, der gem. § 26 Nr. 8 Gesetz betreffend die Einführung zur Zivilprozessordnung die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Zivilprozessordnung (ZPO) ausschließt, ist nicht zu beanstanden. Nach der Zivilprozessordnung hat das Ausgangsgericht, worauf das Brandenburgische Oberlandesgericht auch hingewiesen hat, lediglich den Gebührenstreitwert verbindlich festzusetzen, der Rechtsmittelstreitwert obliegt der abschließenden Bewertung des Rechtsmittelgerichts. Dass Anlass bestanden hätte, den Rechtsmittelstreitwert auf einen Betrag über 20.000 EURO festzustehen, haben die Beschwerdeführer nicht vorgetragen – tatsächlich haben sie auf die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde unter entsprechendem Vortrag auch verzichtet.
III. Schließlich sind die Beschwerdeführer auch in ihren Rechten aus Art. 52 Abs. 3 und 4 LV nicht verletzt.
1. Insoweit machen sie mit der Verfassungsbeschwerde geltend, das Brandenburgische Oberlandesgericht habe ihnen rechtliches Gehör versagt, indem es nicht berücksichtigt habe, dass sie die Echtheit des Grenzprotokolls von 1959 bestritten hätten. Wie bereits das Brandenburgische Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 7. Juni 2010 ausgeführt hat, ist dieser Verstoß nicht kausal geworden, weil das Urteil des Oberlandesgerichts nicht auf der Beurteilung des Grenzprotokolls beruht. Dem sind die Beschwerdeführer auch in ihrer Verfassungsbeschwerde nicht entgegengetreten.
2. Soweit sie rügen, dass Brandenburgische Oberlandesgericht habe sowohl naturschutzrechtliche Belange als auch die Tatsache unberücksichtigt gelassen, dass das herrschende Grundstück über eine öffentliche Wasserstraße regionaltypisch erschlossen sei, ist ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 52 Abs. 3 und 4 LV erkennbar. Nach Art. 52 Abs. 3 LV sind die Gerichte verpflichtet, den Vortrag der Beteiligen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte müssen jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich bescheiden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sie den Vortrag der Parteien hinlänglich berücksichtigen (Beschluss vom 15. Januar 2009 – VfGBbg 52/07 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und zur Erwägung des Vorgetragenen nicht nachgekommen ist (Beschluss vom 10. Mai 2007 – VfGBbg 8/07 – LVerfGE 18, 150; www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Eine Verletzung des Anspruches auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) ist ebenfalls nicht erkennbar.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dielitz | Dr. Lammer |
Möller | Nietsche |
Partikel | Schmidt |