VerfGBbg, Beschluss vom 17. Mai 2001 - VfGBbg 4/01 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 52 Abs. 4 - ZPO, § 579 Abs. 1 Nr. 4; ZPO, § 579 Abs. 2; ZPO, § 516; ZPO, § 234 Abs. 3 - AKB, § 10 Nr. 5 |
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Schlagworte: | - Zivilprozeßrecht - Bundesrecht - Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts - Rechtswegerschöpfung - rechtliches Gehör - faires Verfahren - Prozeßkostenhilfe - Prüfungsmaßstab |
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Fundstellen: | - LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 27 - LVerfGE 12, 103 (nur LS) |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 17. Mai 2001 - VfGBbg 4/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 4/01

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren J., Beschwerdeführer, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. O., gegen die Entscheidungen des Kreisgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 1993, des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 1998 sowie gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. Juni 1999 und des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. September 2000 hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 17. Mai 2001 b e s c h l o s s e n : 1. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. September 2000 verletzt in der Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozeßordnung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör und faires Verfahren (Art. 52 Abs. 3 und 4 Verfassung des Landes Brandenburg). Das Urteil wird aufgehoben. Das Nichtigkeitsverfahren wird an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. G r ü n d e : A. Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger und war am 28. September 1991 in einen Verkehrsunfall verwickelt. Der andere Unfallbeteiligte verklagte den Beschwerdeführer und den Verband der H.-e.V. vor dem Kreisgericht auf Zahlung von Schadensersatz. Die Klageschrift wurde lediglich dem H.-e.V., nicht aber dem Beschwerdeführer zugestellt. Die Prozeßbevollmächtigte des H.-e.V., Rechtsanwältin F., trat in dem Verfahren vor dem Kreisgericht für den Beschwerdeführer auf, ohne daß er ihr eine Vollmacht erteilt hatte. Das Kreisgericht verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 19. Mai 1993, an den anderen Unfallbeteiligten 6.761,61 DM zu zahlen. Die Klage gegen den ebenfalls beklagten H.-e.V. wurde mit der Begründung abgewiesen, daß der Beschwerdeführer den Verkehrsunfall vorsätzlich herbeigeführt hätte. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 14. August 1996 Berufung gegen das Urteil des Kreisgerichts und stellte unter dem 10. September 1996 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er machte geltend, das Urteil erst am 8. August 1996 über eine polnische Rechtsanwaltskanzlei erhalten zu haben. Das Landgericht verwarf die Berufung mit Urteil vom 15. Oktober 1998 als unzulässig. Die Berufungsfrist sei nicht gewahrt. Das Urteil des Kreisgerichts sei wirksam der Rechtsanwältin des H.-e.V. zugestellt worden. Selbst wenn – wie der Beschwerdeführer vortrage – die auf dem Empfangsbekenntnis vom 26. Mai 1993 befindliche Unterschrift nicht von der Rechtsanwältin F. stammen sollte, habe die Berufungsfrist gemäß § 516 Zivilprozeßordnung (ZPO) spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Urteilsverkündung begonnen. Das Urteil sei am 19. Mai 1993 verkündet worden. Die Berufungsfrist habe demnach spätestens am 19. Oktober 1993 begonnen und am 19. November 1993 geendet. Der Fristbeginn nach § 516 ZPO setze lediglich das Vorliegen einer wirksamen Verkündung sowie eine Vertretung der Parteien in dem vorausgegangenen Verhandlungstermin bzw. eine ordnungsgemäße Ladung der Parteien zu diesem Termin voraus. Der Beschwerdeführer sei durch die Ladung der Rechtsanwältin, die sich als Prozeßbevollmächtigte für ihn bestellt habe, ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin geladen und im Termin von ihr vertreten worden. Dem stehe nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer der Rechtsanwältin tatsächlich keine Prozeßvollmacht erteilt habe. Eine solche Prozeßvollmacht lasse sich auch nicht aus den Regelungen der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) herleiten, da zwischen dem Beschwerdeführer und dem H.-e.V. keine vertraglichen Beziehungen bestünden, die zu einer Anwendung der AKB führen könnten. Auf das tatsächliche Vorliegen einer Prozeßvollmacht komme es jedoch nicht an. Die Rechtsanwältin habe sich gegenüber dem Gericht auch für den Beschwerdeführer bestellt. Eine Bestellung i. S. des § 176 ZPO liege dann vor, wenn der Prozeßbevollmächtigte seine Bestellung anzeige. Die Rechtsanwältin habe ihre Bestellung für beide Beklagten des Ausgangsverfahrens angezeigt und ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung für beide Beklagten Klagabweisung beantragt. Das Kreisgericht sei gemäß § 176 ZPO verpflichtet gewesen, alle Zustellungen an die Rechtsanwältin zu richten. § 176 ZPO finde unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen einer Prozeßvollmacht Anwendung. Auch die vom Beschwerdeführer vorgetragene Interessenkollision zwischen den beiden von der Rechtsanwältin vertretenen Beklagten sei unerheblich. Das Kreisgericht habe sich gemäß § 88 Abs. 2 ZPO auf das Vorliegen einer Prozeßvollmacht verlassen dürfen. Es sei nicht verpflichtet gewesen, das Vorliegen einer Vollmacht von Amts wegen zu prüfen. Selbst wenn das Fehlen der Vollmacht erkannt werde und das Gericht trotzdem eine Entscheidung fälle, wirke diese gegen die vollmachtlos vertretene Partei, die die Entscheidung nur mit dem jeweils statthaften Rechtsmittel und nach Rechtskraft mit der Nichtigkeitsklage angreifen könne. Das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei nicht verletzt. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sei schon wegen § 234 Abs. 3 ZPO (Ablauf eines Jahres) nicht zu gewähren gewesen. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 22. September 1998 Nichtigkeitsklage, die das Amtsgericht mit Urteil vom 2. Juni 1999 abwies. Die Nichtigkeitsklage sei unzulässig, da die Klagefrist des § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO bei Erhebung der Nichtigkeitsklage bereits verstrichen sei. Darüber hinaus liege der Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht vor. Der Beschwerdeführer sei von Rechtsanwältin F. wirksam vertreten worden. Die Regelungen der AKB fänden Anwendung. Gegen das Urteil des Amtsgerichts im Nichtigkeitsverfahren legte der Beschwerdeführer Berufung ein. Das Landgericht wies die Berufung mit Urteil vom 28. September 2000 – zugestellt am 20. November 2000 – zurück. Die Nichtigkeitsklage sei unzulässig, da das Berufungsgericht den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund im Hauptprozeß umfassend geprüft habe. Innerhalb der Prüfung des Wiedereinsetzungsgrundes habe sich die Kammer ausführlich mit der Vertretung des Beschwerdeführers im Verhandlungstermin vor dem Kreisgericht auseinandergesetzt. Bei den Nichtigkeitsgründen des § 579 ZPO sei das Wiederaufnahmeverfahren nur dann zulässig, wenn der behauptete Nichtigkeitsgrund in dem Hauptprozeß übersehen worden sei. Habe das Gericht die Frage geprüft, so könne die Entscheidung nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß ihre Unrichtigkeit behauptet werde. Andernfalls gelange man nie zu einer endgültigen Entscheidung. Dieser Auslegung stehe der Wortlaut des § 579 Abs. 1 Nr. 2, 4, Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Zwar nenne § 579 Abs. 2 ZPO nicht § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, weshalb eine Nichtigkeitsklage nicht dadurch unzulässig werde, daß der Mangel der Bevollmächtigung mittels eines Rechtsmittels hätte geprüft werden können. § 579 Abs. 2 ZPO lasse sich nur auf die Fälle anwenden, in denen der Nichtigkeitsgrund mittels eines Rechtsmittels - abstrakt – nicht geltend gemacht werden konnte; sie sei jedoch nicht anzuwenden, wenn dies - wie vorliegend - tatsächlich ohne Erfolg geschehen sei. Bereits mit Durchführung des seinerzeitigen Berufungsverfahrens sei dem Grundsatz auf rechtliches Gehör in ausreichendem Maße Geltung verschafft worden. Für eine weitere Überprüfung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage sei daher kein Raum. Daß das Landgericht in dem Berufungsurteil des Ausgangsprozesses die Ansicht vertreten habe, die fehlende Vertretung könne im Wege einer Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, stehe nicht entgegen. Im übrigen werde auf den den Antrag auf Prozeßkostenhilfe zurückweisenden Beschluß vom 22. März 2000 Bezug genommen. In diesem Beschluß führte das Landgericht aus, daß der Beschwerdeführer ordnungsgemäß durch die Rechtsanwältin F. vertreten gewesen sei. Nach ständiger Rechtsprechung finde bei Unfällen mit Ausländern, die durch die grüne Versicherungskarte legitimiert seien, deutsches Recht unter Einschluß der AKB Anwendung. Der H.-e.V. habe den Prozeß auch nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers geführt. Die Prozeßbevollmächtigte des H.-e.V. habe das Vorbringen des Klägers, wonach der Beschwerdeführer den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, nicht übernommen, sondern Klagabweisung aufgrund der Unfallschilderung des Beschwerdeführers für beide Beklagten des Ausgangsverfahrens beantragt. II. Mit der am 20. Januar 2001 bei Gericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, daß die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen sein Recht auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz verletzten. Er rügt im wesentlichen, daß er in dem Verfahren vor dem Kreisgericht nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei. Er habe der Rechtsanwältin F., die vor dem Kreisgericht für ihn aufgetreten sei, keine Vollmacht erteilt. Die Vertretungsregelung des § 10 Nr. 5 AKB sei nicht anwendbar, da keine Vertragsbeziehungen zwischen dem Beschwerdeführer und dem H.-e.V. bestanden hätten. Zudem habe die Rechtsanwältin F. den Beschwerdeführer nicht vertreten dürfen, da sie sich in einer Interessenkollision befunden habe. Das Landgericht habe 1998 die Berufung gegen das Urteil des Kreisgerichts als unzulässig abgewiesen und sich nicht inhaltlich mit der Begründung des Berufungsantrags und der sachlichen Richtigkeit des Urteils des Kreisgerichts auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer habe damit weder vor dem Kreisgericht noch vor dem Landgericht die Möglichkeit gehabt, sich in der Sache zu äußern. Gleiches gelte für die beiden im Nichtigkeitsverfahren ergangenen Urteile. Weder das Amts- noch das Landgericht habe sich mit den inhaltlichen Argumenten des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Auch im Nichtigkeitsverfahren sei dem Beschwerdeführer nicht ordnungsgemäß rechtliches Gehör gewährt worden. III. Der Präsident des Landgerichts und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben von der Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, keinen Gebrauch gemacht. B. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. 1. Der Anrufung des Landesverfassungsgerichts steht nicht entgegen, daß die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - durch Zivilprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 330, 371 ff.) sind hier gegeben.2. Der Beschwerdeführer hat dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung getragen, indem er zunächst Nichtigkeitsklage erhoben hat. Mit der Nichtigkeitsklage sieht die Zivilprozeßordnung einen spezifischen Weg vor, der den Fachgerichten die Möglichkeit gibt, die fehlerhafte Vertretung einer Partei im Ausgangsprozeß zu überprüfen. Die Verfassungsbeschwerde ist gegenüber der Nichtigkeitsklage grundsätzlich subsidiär (vgl. BVerfG, NJW 1992, 496 und 1030 f.). 3. Die Verfassungsbeschwerde ist fristgerecht binnen zwei Monaten (vgl. § 47 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg [VerfGGBbg]) ab Zustellung des Berufungsurteils im Nichtigkeitsverfahren erhoben worden. II. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Landgericht hat die Bestimmungen des § 579 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO über die Nichtigkeitsklage in einer Weise angewendet, die das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör und faires Verfahren (Art. 52 Abs. 3 und 4 Verfassung des Landes Brandenburg [Landesverfassung - LV]) verletzt. 1.Die Auslegung des einfachen Verfahrensrechts ist vorrangig Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und insoweit der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn ein Richterspruch unter Berücksichtigung der die Verfassung beherrschenden Grundsätze evident rechtlich nicht mehr vertretbar ist und von daher – objektiv – sachfremd erscheint (vgl. BVerfGE 74, 102, 127; BVerfG, NJW 1998, 745).2. Art. 52 Abs. 3 LV gewährleistet ebenso wie Art. 103 Abs. 1 GG, daß sich die Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren zu den entscheidungserheblichen Fragen vor Erlaß der Entscheidung äußern können (vgl. etwa Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 15. September 1994 – VfGBbg 10/93 -, LVerfGE 2, 179, 182). Diese Gewährleistung schließt ein, daß die Gerichte die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachzuholen haben, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (vgl. BVerfGE 69, 233, 242; BVerfG, NJW 1998, 745 und BGHZ 84, 24, 29 f. ausdrücklich für die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Die Auffassung des Landgerichts, die Nichtigkeitsklage sei deshalb unzulässig, weil die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahrens in der Berufungsinstanz geprüft und bejaht worden sei, verkennt die elementare Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und verletzt Art. 52 Abs. 3 und 4 LV. Hier wäre § 579 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO von Verfassungs wegen in einer Weise auszulegen gewesen, die dem Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör Rechnung trägt. a. Es entspricht allgemeiner Auffassung, daß die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch das Auftreten von Prozeßvertretern erfaßt, die hierfür keine Vollmacht hatten (BVerfG, NJW 1998, 745; BGHZ 84, 24, 28 ff.; Musielak, in: ders., ZPO, 2. Aufl. 2000, § 579, Rn. 5; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 579, Rn. 6; Greger, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl. 2000, § 579, Rn. 6). § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezweckt den Schutz von Parteien, die ihre Angelegenheiten im Prozeß nicht verantwortlich regeln konnten und denen die Handlungen vollmachtloser Vertreter zuzurechnen nicht angemessen wäre (vgl. BGHZ 84, 24, 28). § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO will die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellen, wenn eine Partei infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat, daran gehindert war, sich im Prozeß (eigenverantwortlich) zu äußern (vgl. BGHZ 84, 24, 29). Versagt ein Gericht trotz des geltend gemachten Gehörverstoßes den Zugang zum Wiederaufnahmeverfahren, kann sich dies als Verletzung des Willkürverbots und des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen (vgl. BVerfG, NJW 1998, 745). b. Der Auslegungsspielraum, der einem Gericht bei der Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO grundsätzlich offensteht, wird durch die Pflicht, dem Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör Rechnung zu tragen, entsprechend eingeengt. Zu berücksichtigen sind hierbei die konkreten Umstände des jeweiligen Falles. Vorliegend hatte der Beschwerdeführer von dem Ausgangsverfahren vor dem Kreisgericht unstrittig keine Kenntnis. Für ihn trat dort eine Rechtsanwältin auf, die er nicht beauftragt hatte. Von dem Urteil, das aufgrund dieses Prozesses gegen ihn erlassen wurde, erhielt er erst nach Ablauf der Berufungsfrist Kenntnis. Seine dennoch gegen dieses Urteil eingelegte Berufung war aus verfahrensrechtlichen Gründen ohne sein Verschulden unzulässig. Er hatte somit keine Möglichkeit, den Nichtigkeitsgrund im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen. Das Landgericht bezieht sich in dem Berufungsurteil des Nichtigkeitsverfahrens insoweit zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH, NJW 1999, 2391, 2391), als dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Dort hatte der Nichtigkeitskläger den Nichtigkeitsgrund im Vorprozeß deshalb erfolglos geltend gemacht, weil aufgrund seines eigenen Fehlverhaltens die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Hier aber konnte der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden in dem ersten Berufungsverfahren weder mit dem geltendgemachten Nichtigkeitsgrund einer nicht ordnungsgemäßen Vertretung noch in der Sache selbst rechtliches Gehör finden. Grundsätzlich hat eine Partei, der einer der Nichtigkeitsgründe nach § 579 Abs. 1 Nr. 2 und 4 ZPO zur Seite steht, die Wahl, ob sie vor Rechtskraft des Urteils das zulässige Rechtsmittel einlegen oder nach Eintritt der Rechtskraft Nichtigkeitsklage erheben will (vgl. Musielak, in: ders. ZPO, 2. Aufl. 2000, § 579 Rn. 11; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. 1999, § 579 Rn. 3). Zwar gilt nach der Literatur der allgemeine Grundsatz, daß eine Nichtigkeitsklage nicht statthaft ist, wenn der Nichtigkeitsgrund in dem Vorprozeß ausdrücklich durch Zwischenurteil oder in den Gründen des Endurteils verneint worden ist (vgl. Musielak, in: ders., ZPO, 2. Aufl. 2000, § 579 Rn. 10 m.w.N.). In der Rechtsprechung wird hingegen vertreten, daß ein unzulässiger - weil verspätet eingelegter - Rechtsbehelf der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht entgegenstehe. Nach Rechtskraft des Urteils entfalle die Wahlmöglichkeit zwischen Rechtsmittel und Nichtigkeitsklage. Vielmehr habe eine Partei dann nur die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage (vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1989, 446, 447). Entgegen der Auffassung der Berufungskammer in dem Nichtigkeitsverfahren hat das Berufungsgericht des Ausgangsverfahrens eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung der Rechtsanwältin F. auch nicht etwa geprüft und bejaht, sondern vertreten, daß die Vertretungsregelungen der AKB keine Anwendung fänden und die Rechtsanwältin vollmachtlos gehandelt habe. Das Berufungsgericht des Ausgangsverfahrens ist vielmehr lediglich davon ausgegangen, daß sich die Rechtsanwältin für den Beschwerdeführer bestellt hatte und deshalb nach den einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften Zustellungen an sie bewirkt werden durften mit der Folge, daß ein wirksames Urteil gegen den Beschwerdeführer existiert, auf das die Vorschriften der §§ 516 und 234 Abs. 3 ZPO Anwendung finden. Das Berufungsgericht des Ausgangsverfahrens hat also zwischen ordnungsgemäßer Bevollmächtigung und formaler Vertretung im Prozeß durchaus unterschieden und die Frage einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung als eine Rechtsfrage angesehen, auf die es - wegen der durch die Zustellung an die Rechtsanwältin F. in Gang gesetzten und sodann abgelaufenen Berufungsfrist – nicht angekommen sei. Damit aber war über die Frage, ob der Beschwerdeführer in dem Schadensersatzprozeß nach Maßgabe der Gesetze ordnungsgemäß vertreten war, im Nichtigkeitsverfahren zu entscheiden. Die dort ergangene Entscheidung wird jedoch der Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gerecht. Tatsächlich hat der Beschwerdeführer von der gegen ihn erhobenen Schadensersatzklage nichts gewußt und nichts wissen können. Er hatte nicht die Möglichkeit, sich gegen die Klage – in eigener Person auftretend oder unter Einschaltung eines Rechtsanwalts – zur Wehr zu setzen. Soweit sich das Berufungsgericht des Nichtigkeitsverfahrens im Rahmen seiner (in dem Berufungsurteil in Bezug genommenen) Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch auf den Standpunkt gestellt hat, daß der Beschwerdeführer zufolge § 10 Nr. 5 AKB durch die von Seiten des H.-e.V. bestellte Rechtsanwältin vertreten gewesen sei, trifft dies offensichtlich nicht zu. Weil naturgemäß keine versicherungsvertragliche Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem H.-e.V. bestand, können auch die AKB nicht gelten. Dem Beschwerdeführer wurde demnach in dem Ausgangsverfahren vor dem Kreisgericht kein rechtliches Gehör gewährt. In dem ersten Berufungsverfahren konnte die Gewährung rechtlichen Gehörs aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht nachgeholt werden. Diese Umstände berücksichtigt das Landgericht bei seiner Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der Berufungsentscheidung im Nichtigkeitsverfahren nicht. Vor diesem Hintergrund ist der Beschwerdeführer durch die Abweisung der Nichtigkeitsklage bzw. die Zurückweisung seiner hiergegen gerichteten Berufung in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und zugleich in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die Sache ist daher unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts vom 28. September 2000 an das Landgericht (Berufungsgericht) zurückzuverweisen. III. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg. IV. Eine Entscheidung über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe erübrigt sich, da die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers, insbesondere seine Anwaltskosten, vom Land Brandenburg zu erstatten sind. Gerichtskosten fallen nicht an. | ||||||||||||||
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