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VerfGBbg, Beschluss vom 17. März 1994 - VfGBbg 11/93 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
Schlagworte: - Subsidiarität
- Vorabendentscheidung
nichtamtlicher Leitsatz: Eine Verfassungsbeschwerde ist unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde regelmäßig auch dann unzulässig, wenn trotz Erschöpfung des Rechtswegs im einstweiligen fachgerichtlichen Rechtsschutzverfahren effektiver Rechtsschutz auch noch im fachgerichtlichen Hauptsachverfahren erlangt werden kann.
Fundstellen: - LVerfGE 2, 85
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. März 1994 - VfGBbg 11/93 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 11/93



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

1. K.,

2. S.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. E., Dr. S., G.,

gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 16. Dezember 1993

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Knippel, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg und Weisberg-Schwarz

am 17. März 1994

b e s c h l o s s e n :

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Beschwerdeführer zu 2. seine Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hat.

2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

G r ü n d e :

I.

Der Beschwerdeführer zu 1. ist Inhaber der 1991 gegründeten Firma M. mit Sitz in der Stadt Brandenburg/Havel.

Seinen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport nach dem brandenburgischen Rettungsdienstgesetz (RettGBbg vom 8. Mai 1992, GVB1. 1 S. 170) hatte die Stadt Brandenburg abgelehnt. Daraufhin erhob er Klage zum Verwaltungsgericht Potsdam, die bis heute noch nicht entschieden ist.

Wegen der am 31. Dezember 1992 auslaufenden Übergangsfrist des § 12 RettGBbg beantragte der Beschwerdeführer zu 1. am 04. Februar 1993 beim Verwaltungsgericht Potsdam, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung die Teilnahme am qualifizierten Krankentransport zu genehmigen. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag ab. Die daraufhin am 18. Februar 1993 erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht am 16. Dezember 1993 zurück mit der Begründung, dem Beschwerdeführer zu 1. sei es zuzumuten, die Hauptsachenentscheidung abzuwarten.

Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. haben am 29. Dezember 1993 gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg Verfassungsbeschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer zu 2. hat seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 12. März 1994 zurückgenommen.

Zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerde trägt der Beschwerdeführer zu 1. vor:

Seine Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere sei der Rechtsweg erschöpft. Auch der Grundsatz der Subsidiarität führe nicht zur Unzulässigkeit. Das Abwarten einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache sei ihm nicht zuzumuten, da dieses zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz führe.

Über 68 % seiner Dienstleistungen seien 1992 auf den qualifizierten Krankentransport entfallen. Die daraus gewonnenen Erlöse stellten etwa 85 % der Unternehmenseinnahmen dar. Knapp 13 % entfielen auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem kassenärztlichen Notfalldienst, hinzu seien Krankenfahrten gekommen. 1993 sei der Anteil des qualifizierten Krankentransportes auf rund 78 % zugunsten des kassenärztlichen Notfalldienstes und der Krankenfahrten zurückgegangen. Nachdem mit Bescheid vom 11. November 1993 die Stadt Brandenburg dem Beschwerdeführer zu 1. jede weitere Tätigkeit zum qualifizierten Krankentransport untersagte, habe er den qualifizierten Krankentransport eingestellt und die Zahl seiner Mitarbeiter von 20 auf 6 Personen reduziert.

Weiter trägt der Beschwerdeführer zu 1. vor, daß die Verfassungsbeschwerde darüber hinaus auch allgemeine Bedeutung habe, da bis auf zwei Unternehmen allen privaten Anbietern der Zugang zum Rettungsdienst verwehrt worden sei. Vor den Verwaltungsgerichten des Landes Brandenburg seien in diesem Zusammenhang vier weitere Verfahren anhängig.

Dem Landtag, der Landesregierung, dem Oberverwaltungsgericht Brandenburg und der Stadt Brandenburg/Havel ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

II.

Das Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2. war gemäß § 13 Abs. 1 VerfGGBbg in Verbindung mit § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen, nachdem der Beschwerdeführer zu 2. seine Beschwerde zurückgenommen hat.

Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Zwar ist der Rechtsweg gemäß § 45 Abs. 2 VerfGGBbg erschöpft; denn mit der angegriffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg sieht die Verwaltungsgerichtsordnung kein weiteres Rechtsmittel im einstweiligen Rechtsschutz vor. Der einstweilige Rechtsschutz stellt ein im Verhältnis zur Hauptsache eigenständiges Verfahren dar; denn die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes enthält für den Antragsteller eine selbständige Beschwer.

Dennoch steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

Dieser Grundsatz ergibt sich aus der Funktion des Verfassungsgerichts und der Verfassungsbeschwerde. Er fordert von dem Beschwerdeführer, daß dieser über die Rechtswegerschöpfung hinaus alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan hat, um eine Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder zu verhindern.

Daher ist der Beschwerdeführer auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, in dem er im Falle einer möglichen Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich den Schutz seiner Grundrechte sicherstellen kann. Die Möglichkeit des Grundrechtsschutzes durch das Fachgericht der Hauptsache korrespondiert mit der Verantwortung, die diesem Gericht auch gerade insoweit zukommt.

Die Verweisung des Beschwerdeführers auf das Gericht des Hauptsacheverfahrens ist notwendig, um zu verhindern, daß ein Verfassungsgericht als „Superrevisionsinstanz“ angerufen wird.

Gleichzeitig stellt die vorherige Befassung des Fachgerichts sicher, daß eine Entscheidung über eine spätere Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage eines mehrfach geprüften Tatsachenmaterial und in Auseinandersetzung mit der jeweiligen Rechtsprechung der Fachgerichte ergehen kann.

Das Subsidiaritätsprinzip findet allerdings dort seine Grenze, wo eine Verweisung auf das Hauptsacheverfahren eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht mehr beseitigen oder verhindern könnte. Diesem Gedanken des effektiven Grundrechtsschutzes entspricht § 45 Abs. 2 VerfGGBbg, indem er ausdrücklich eine Entscheidung schon vor Erschöpfung des Rechtsweges zuläßt, wenn dem Beschwerdeführer anderenfalls ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde.

Das Gericht verkennt nicht, daß sich der Beschwerdeführer in einer unternehmerisch schwierigen Situation befindet. Zwar ist er wirtschaftlich 1993 noch hinsichtlich seiner Umsätze ähnlich erfolgreich gewesen wie im Jahre 1992. Nach der völligen Einstellung des qualifizierten Krankentransportes Ende 1993 steht jedoch zu erwarten, daß sich das Betriebsergebnis 1994 erheblich verschlechtert.

Dennoch kann das Verfassungsgericht nicht erkennen, daß durch die Verweisung des Beschwerdeführers auf das Hauptsacheverfahren seine wirtschaftliche Existenz vernichtet würde, was in der Tat ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des § 45 Abs. 2 VerfGGBbg wäre. Denn die Verweisung des Beschwerdeführers auf das seit 1992 anhängige Hauptsacheverfahren schließt seinen effektiven Grundrechtsschutz nicht aus.

Im Gegenteil geht das Verfassungsgericht davon aus, daß das Fachgericht im Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz nunmehr bald in einer Entscheidung klärt, ob das RettGBbg ein subjektiv-öffentliches Recht auf Zulassung zum qualifizierten Krankentransport gibt und ob die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs hier vorliegen, so daß ein Existenzverlust, wie ihn der Beschwerdeführer fürchtet, ausgeschlossen wird. Dem Fachgericht kommt gerade in diesem konkreten Fall besondere Verantwortung zu.

Das Verfassungsgericht hat auch keinen Anlaß zu einer Vorabentscheidung gemäß § 45 Abs. 2 VerfGGBbg unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Bedeutung der Verfassungsbeschwerde gesehen. Ausgehend von dem angesichts des Subsidaritätsgrundsatzes engen Ausnahmecharakter dieser Regelung ist das Verfassungsgericht in seiner Abwägung zum Ergebnis gekommen, von der Möglichkeit einer Vorabentscheidung keinen Gebrauch zu machen, zumal eine Klärung durch das Verfassungsgericht mangels divergierender Entscheidungen auch insoweit nicht erforderlich ist.

Die Verfassungsbeschwerde ist daher als unzulässig abzuweisen.

Dr. Knippel Dr. Dombert
Prof. Dr. Harms-Ziegler Prof. Dr. Mitzner
Prof. Dr. Schöneburg Weisberg- Schwarz