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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Februar 2000 - VfGBbg 45/99 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 9 Abs. 2 Satz 3
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 47
Schlagworte: - Strafprozeßrecht
- Strafvollstreckungsrecht
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Bundesgericht
- Beschwerdebefugnis
- Rechtswegerschöpfung
- Beschwerdefrist
- Rechtsschutzbedürfnis
- Haftbefehl
- Freiheitsentziehung
- Tenor
- Auslagenerstattung
- Freiheit der Person
nichtamtlicher Leitsatz: 1. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Benachrichtigung einer Person des Vertrauens bei richterlichen Entscheidungen über Anordnung oder Fortdauer eines Freiheitsentzugs nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz LV kann grundsätzlich auch noch nach rechtskräftiger Aburteilung mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden.

2. Eine bei dem erstmaligen Erlaß eines Haftbefehls erfolgte Benachrichtigung entbindet das Gericht nicht von der Pflicht, auch bei jeder weiteren Entscheidung über die Haftdauer unverzüglich eine Person des Vertrauens nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz LV zu benachrichtigen.

3. Die Benachrichtigung eines von Amts wegen bestellten Pflichtverteidigers genügt den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz LV nicht, wenn sich dem Gericht Zweifel an der Vertrauensbeziehung zwischen dem Gefangenen und seinem Pflichtverteidiger aufdrängen müssen.
Fundstellen: - NStZ-RR 2000, 185
- LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 63
- LVerfGE 11, 126 (nur LS)
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Februar 2000 - VfGBbg 45/99 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 45/99



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführer,

gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 20. April 1999, gegen das Unterlassen einer rechtzeitigen Entscheidung über einen Antrag auf Haftprüfung sowie das Unterlassen der unverzüglichen Benachrichtigung einer Vertrauensperson von den Haftbefehlen des Amtsgerichts Zehdenick und des Landgerichts Neuruppin vom 21. September 1998 und den Beschlüssen des Landgerichts Neuruppin vom 26. Februar 1999 und 20. April 1999 über die Fortdauer der Haft

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert,Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Weisberg-Schwarz

am 17. Februar 2000

b e s c h l o s s e n :

1. Das Landgericht Neuruppin hat das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 9 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz, LV dadurch verletzt, dass es nicht unverzüglich eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers von dem Erlass des Haftbefehls vom 21. September 1998 benachrichtigt hat.

Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer ein Zehntel der notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen verschiedene gerichtliche Handlungen und Unterlassungen im Zusammenhang mit einem durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Strafverfahren.

I.

Der Beschwerdeführer befand sich seit dem 23. Juli 1998 auf Grund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Z. vom selben Tag wegen versuchter schwerer Körperverletzung in Untersuchungshaft. Von der Verhaftung wurde eine Frau S. als Vertrauensperson benachrichtigt, deren Anschrift der Beschwerdeführer zu diesem Zweck bei der Eröffnung des Haftbefehls angegeben hatte. Mit Schreiben an das Amtsgericht vom 8. August 1998 schilderte der Beschwerdeführer seinen durch eine Herzkrankheit beeinträchtigten Gesundheitszustand und bat darum, eine “Haftprüfung” zu veranlassen, sowie seinen Pflichtverteidiger zu informieren, der sich bei ihm melden möge. Unter dem 19. August 1998 forderte das Amtsgericht den gemäß § 140 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO)von Amts wegen bestellten notwendigen Verteidiger zur Stellungnahme binnen 3 Tagen auf, ob das Schreiben des Beschwerdeführers als Antrag auf Haftprüfung behandelt werden solle. Der Verteidiger bat zunächst nur um Fristverlängerung bis zum 4. September 1998 und unterließ auch anschließend eine weitere schriftliche Äußerung. Am 4. September 1998 vermerkte die stellvertretende Vorsitzende der zuständigen Strafkammer des Landgerichts N. in den Akten, dass eine von der Staatsanwaltschaft gegen den Haftbefehl eingelegte Beschwerde wegen des anhängigen Antrags auf Haftprüfung nicht entscheidungsbedürftig sei. Am 14. September 1998 teilte der zuständige Amtsrichter der Staatsanwaltschaft fernmündlich mit, dass er nicht beabsichtige, einen Haftprüfungstermin anzuberaumen, da eine Rücksprache mit dem Verteidiger ergeben habe, dass der Beschwerdeführer lediglich ein ärztliches Gutachten über seine Gewahrsamstauglichkeit begehre.

Nach erneuter Übersendung der Akten ersetzte das Landgericht N. durch Beschluss vom 21. September 1998 den Haftbefehl des Amtsgerichts Z. durch einen Haftbefehl wegen versuchten Totschlags, der dem Beschwerdeführer am 13. Oktober 1998 vom Amtsgericht B. bekannt gegeben und am selben Tag dem Pflichtverteidiger zugestellt wurde. Mit Schreiben vom 16. November 1998 meldete sich ein anderer Verteidiger im Auftrag des Beschwerdeführers bei der Staatsanwaltschaft.

In dem Eröffnungsbeschluss vom 26. Februar 1999 und in einem in der Hauptverhandlung vom 20. April 1999 im Anschluss an die Urteilsverkündung verkündeten Beschlusss ordnete das Landgericht jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

Durch das Urteil des Landgerichts N. vom 20. April 1999 wurde der Beschwerdeführer u.a. wegen versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer hatte der Bf. mit einem Kleinkalibergewehr aus dem Hinterhalt auf seine ehemalige Lebensgefährtin geschossen und diese unter zumindest billigender Inkaufnahme ihres Todes lebensgefährlich am Kopf verletzt. Diese Feststellungen wurden ausweislich der Urteilsgründe im wesentlichen aufgrund der durch Anhörung der Vernehmungsbeamten eingeführten Angaben des Beschwerdeführers in seinen polizeilichen Vernehmungen vom 23. Juli und 9. September 1998 getroffen. Die Bekundungen der Vernehmungsbeamten hielt das Landgericht entgegen der Rüge der Verteidigung für verwertbar, da sich eine Bescheinigung des Sachverständigen Dr. S. über eine Vernehmungsunfähigkeit des Beschwerdeführers - wie der Arzt in der Hauptverhandlung dargelegt habe - lediglich auf die Nacht vom 22. Juli zum 23. Juli 1996 bezogen habe, in der der Angeklagte in das Krankenhaus nach G. gebracht worden sei und zunächst sogleich polizeilich habe vernommen werden sollen. Am 23. Juli 1998 habe der Angeklagte auf freiwilliger Basis die Klinik verlassen. Ebenso wie die Zeugen KHM B. und KHM F. bei der in der Krankenabteilung der JVA B. am 9.September 1998 vorgenommenen Vernehmung habe der Zeuge KHM W. bei der von 13.00 Uhr bis 15.15 Uhr dauernden Vernehmung in der Polizeiwache G. sodann in Kenntnis der Erkrankung des Angeklagten auf krankheitsbedingte Ausfallsymptome geachtet, die jedoch nicht festgestellt worden seien und über die der Angeklagte auch nicht geklagt habe. Die insoweit zu der jeweiligen Vernehmungssituation mitgeteilten Angaben der der Kammer als erfahrene Vernehmungsbeamte bekannten Zeugen seien im Hinblick auf die vollständigen, geschlossenen und auf Nachfragen der Prozessbeteiligten bei Bedarf präzisierten Angaben glaubhaft. Anhaltspunkte für eine Vernehmungsunfähigkeit des Angeklagten seien für die hier in Rede stehenden Vernehmungen nicht ersichtlich.

Die gegen das Urteil des LG N. eingelegte - ohne nähere Begründung die Verletzung sachlichen Rechts rügende - Revision wurden durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 1999 nach § 349 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) als unbegründet verworfen.

II.

Mit der am 28. Dezember 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen verschiedene Handlungen und Unterlassungen der beteiligten Justizorgane. Insbesondere begehrt er die Aufhebung des Urteils des Landgerichts N.. Er rügt die Verletzung der §§ 114 b Abs. 1, 118 Abs. 5, 136a Abs. 1 bis 3, § 160 Abs. 2, 163a Abs. 4 StPO, 202 Abs. 1 Satz 1, 242 StGB, Art. 1 Abs. 1 UVollzO, Art. 3, 104 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 “Konv.”. Im Einzelnen trägt er vor: Seine Willensentschließung und Willensentscheidung sei während aller Verhandlungstage durch Verabreichung von Medikamenten erheblich beeinträchtigt gewesen. Bei den polizeilichen Vernehmungen sei er wegen seiner Herzkrankheit vernehmungsunfähig gewesen. Zudem sei er getäuscht und sein Erinnerungsvermögen beeinflusst worden. Durch die Verwertung der Vernehmungen entgegen dem Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 StGB in dem Urteil habe das Gericht den Straftatbestand des § 339 StGB erfüllt. Zudem liege ein Verstoß gegen “Konv. Art. 6" vor, da es an einem unabhängigen und unparteiischen auf Gesetz beruhenden Gericht fehle. Der Sachverständige habe vor der Kammer falsch ausgesagt. Über seinen Gesundheitszustand während der Tatzeit und der ersten Vernehmung sei nicht gesprochen worden. Der Pflichtverteidiger habe sich nicht um das Verfahren gekümmert, keine Anträge gestellt und zudem Geld und Krankenhausaufenthaltsbescheinigungen unterschlagen. Zu keinem Zeitpunkt sei eine Person seines Vertrauens von den richterlichen Entscheidungen verständigt worden. Der Haftprüfungstermin sei nicht eingehalten worden, da er trotz eines bereits Anfang September 1998 gestellten Antrags erst am 2. Dezember 1998 durchgeführt worden sei. Schließlich habe der Richter einen Brief an die Menschenrechtskommission unberechtigt geöffnet und das Beschwerdeformular entwendet.

III.

Der Präsident des Landgerichts N. und die Staatsanwaltschaft N. haben gemäß § 49 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat lediglich insoweit Erfolg, als das Landgericht N. die Benachrichtigung einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers von dem Erlass des Haftbefehls vom 21. September 1998 unterlassen hat. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde überwiegend bereits unzulässig, ansonsten unbegründet.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des LG N. vom 20. April 1999 (1), das Verhalten des Pflichtverteidigers (2), Maßnahmen der Postkontrolle (3) und die Verzögerung der Haftprüfung (4) wendet. Hinsichtlich der Nichtbenachrichtigung einer Vertrauensperson (5) ist die Verfassungsbeschwerde hingegen zulässig.

1. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Landesgrundrechten bzw. grundrechtsgleichen Gewährleistungen der Landesverfassung durch das Urteil des Landgerichts N. gerügt wird, ist für eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts kein Raum. Da es sich um die Durchführung eines bundesrechtlich - durch die StPO - geordneten Verfahrens handelt, berührt die begehrte Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts N. die Zuständigkeit des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Regelung der Rechts- und Bestandskraft gerichtlicher Entscheidungen. Raum für ein verfassungsgerichtliches Eingreifen auf Landesebene verbleibt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur insoweit, als dies zur Erreichung des Zweckes der Landesverfassungsbeschwerde unerlässlich ist (BVerfGE 96,345, 370). Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen im Sinne der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das erkennende Gericht in einer früheren Entscheidung angeschlossen hat (Beschluss vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -), sind nicht gegeben. Eine Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts scheidet jedenfalls immer dann aus, wenn ein Bundesgericht befasst war (Verfassungsgericht des Landes Landes Brandenburg, a.a.O., unter Bezugnahme auf Bundesverfassungsgericht, a.a.O., S. 371). Das ist hier der Fall: Der Bundesgerichtshof hat die Revision gegen das angegriffene Urteil mit Beschluss vom 27. Oktober 1999 zurückgewiesen. Der gesamte - den Kern der Verfassungsbeschwerde ausmachende - Komplex der angeblichen Verfahrensfehler und Verstöße gegen das Verwertungsverbot des § 136a StPO durch das Urteil des Landgerichts ist mithin einer Überprüfung durch das Landesverfassungsgericht entzogen.

2. Soweit der Beschwerdeführer das Verhalten seines Pflichtverteidigers rügt, der sich nicht um das Verfahren gekümmert, keine Anträge gestellt und zudem Geld und Krankenhausaufenthaltsbescheinigungen unterschlagen haben soll, fehlt die Beschwerdebefugnis, da es sich nicht um einen nach Art. 6 Abs. 2 LV, § 45 Abs. 1 VerfGGBbg mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Akt der öffentlichen Gewalt des Landes Brandenburg handelt.

3. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, “der Richter” habe einen Brief an die “Menschenrechtskommission” unberechtigt geöffnet und das Beschwerdeformular entwendet, fehlt es ebenfalls an der Beschwerdebefugnis. In den Akten findet sich kein Anhaltspunkt für die nicht weiter präzisierte Behauptung des Beschwerdeführers. Die aus der Akte ersichtlichen Beschlagnahmebeschlüsse betrafen keine Schreiben an die Europäische Kommission für Menschenrechte oder an andere der in § 29 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz genannten Stellen. Im Übrigen würde es an der Voraussetzung der Rechtswegerschöpfung (§ 45 Abs. 2 VerfGGBbg) fehlen: Sollte im Rahmen der Untersuchungshaft eine unzulässige Maßnahme der Postkontrolle getroffen worden sein, hätte - auch noch nach der Überführung in die Strafhaft - das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 StPO zur Verfügung gestanden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, Rn. 49 zu § 119).

4. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch, soweit geltend gemacht wird, es sei ein Haftprüfungstermin verzögert worden. Allerdings fehlt es insoweit nicht bereits an der Beschwerdebefugnis. Eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Art. 9 LV, dessen Schutz die Bestimmungen über die Haftprüfung dienen, erscheint insoweit nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings sind die vom Beschwerdeführer genannten Daten - Antragstellung Anfang September 1998, Haftprüfung am 2. Dezember 1998 - nach Aktenlage unzutreffend. Der Beschwerdeführer hatte jedoch - wie auch das Landgericht zutreffend erkannt hat - bereits am 8. August 1998 einen Antrag auf Haftprüfung gestellt, der vom Amtsgericht nicht ordnungsgemäß bearbeitet und erst lange nach Verstreichen der Zweiwochenfrist des § 118 Abs. 5 StPO durch den neuen Haftbefehl des Landgerichts vom 21. September 1998 gegenstandslos geworden ist. Auch dass der Beschwerdeführer die Vorschrift des Art. 9 LV nicht ausdrücklich genannt hat, sondern nur eine Verletzung von Vorschriften der StPO, des StGB, der UVollzO, des GG und der “Konv.” - gemeint ist wohl die Europäische Konvention für Menschenrechte - geltend gemacht hat, steht der Beschwerdebefugnis nicht entgegen, da die Möglichkeit einer Verletzung des Art. 9 LV jedenfalls der Sache nach angesprochen war.

Dem Beschwerdeführer kann, soweit es um die Verzögerung eines Haftprüfungstermins geht, auch nicht entgegengehalten werden, dass er den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hat. Zwar kommt grundsätzlich auch gegen das Unterlassen einer von Amts wegen oder auf Antrag zu treffenden gerichtlichen Entscheidung die Beschwerde gemäß § 304 StPO in Betracht. Dies gilt jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in aller Regel nur dann, wenn die Unterlassung auf eine endgültige Ablehnung und nicht auf eine bloße Verzögerung der zu treffenden Entscheidung hinausläuft; denn der StPO ist eine reine Untätigkeitsbeschwerde fremd (BGH, NJW 1993, 1279, 1280). Im vorliegenden Fall dürfte der - auf einer unzutreffenden Auslegung des Schreibens des Beschwerdeführers vom 8. August 1998 beruhenden - Verzögerung der Durchführung der Haftprüfung durch das Amtsgericht die Bedeutung einer endgültigen Ablehnung nicht zukommen.

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch, soweit sie sich auf die Verzögerung der Haftprüfung bezieht, wegen des Zeitablaufs verwirkt und unter diesem Gesichtspunkt unzulässig. Zwar kann die in § 47 VerfGGBbg bestimmte Frist von zwei Monaten für Verfassungsbeschwerden gegen Unterlassungen der öffentlichen Gewalt in dieser Form nicht gelten (vgl. BVerfGE 16, 119, 121, zu § 93 BVerfGG). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde jedoch erst über 15 Monate nach der durch Erlass des neuen Haftbefehls des LG N. vom 21. September 1998 eingetretenen Erledigung eingelegt. Die Berechtigung der Untersuchungshaft als solche kann auch im Lichte des den Haftbefehl des Amtsgerichts Z. ersetzenden Haftbefehl des Landgerichts N. nicht zweifelhaft sein. Unter diesen Umständen ist eine Verfassungsbeschwerde wegen des seinerzeit verzögerten Haftprüfungstermins nach einer derart langen Zeit, wie sie hier verstrichen ist, verwirkt.

5. Die Verfassungsbeschwerde ist hingegen nach Art. 6 Abs. 2, 113 Nr. 4 LV, §§ 12 Nr. 4, 45 ff. VerfGGBbg teilweise zulässig, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass zu keinem Zeitpunkt eine Vertrauensperson von den richterlichen Entscheidungen über die Anordnung und Fortdauer der Freiheitsentziehung verständigt worden sei. Diesbezüglich ist die Beschwerdebefugnis gegeben. Eine Verletzung des Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV - der inhaltlich Art. 104 Abs. 4 GG entspricht - erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Dies gilt allerdings nicht für den ersten Haftbefehl des Amtsgerichts Z. vom 23. Juli 1998. Insoweit ergibt sich aus den Akten, dass noch am Tag der Eröffnung des Haftbefehls eine Frau S., deren Anschrift der Beschwerdeführer zu diesem Zweck bei der Eröffnung des Haftbefehls angegeben hatte, vom Gericht als Vertrauensperson benachrichtigt wurde. Hingegen geht aus den Akten nicht hervor, dass das Landgerichts N. bei dem Erlass des Haftbefehls vom 21. September 1998 und den Entscheidungen über die Fortdauer der Haft vom 26. Februar 1999 und 20. April 1999 eine vom Beschwerdeführer benannte Vertrauensperson benachrichtigt hat.

Auch der Grundsatz der Rechtswegerschöpfung (§ 45 Abs. 2 VerfGGBbg) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insoweit nicht entgegen. Zwar hätte der Beschwerdeführer die Mitteilung der Entscheidungen des Landgerichts an eine Person seines Vertrauens jeweils ausdrücklich beantragen und im Fall der Zurückweisung dieses Antrags hiergegen Rechtsmittel ergreifen können. Da die Benachrichtigung jedoch von Amts wegen zu geschehen hat und ein förmlicher Rechtsbehelf nicht vorgesehen ist, wäre ein entsprechender Antrag des Beschwerdeführers nur als eine Anregung an das Gericht zum gesetzmäßigen Handeln aufzufassen. Dies ist kein Rechtsweg im Sinne des § 45 Abs. 2 VerfGGBbg (vgl. BVerfGE 16, 119, 122, zu § 90 Abs. 2 Satz 1BVerfGG).

Auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV ist nicht etwa in Folge der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers entfallen. Zwar ist der Haftbefehl im Verhältnis zu dem Verfahren in der Hauptsache eine Zwischenentscheidung, so dass eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Zwischenentscheidung durch die rechtskräftige Aburteilung des Beschwerdeführers überholt worden sein kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, ist dies jedoch nur für den Fall anzunehmen, dass sich die Grundrechtsverletzung, derentwegen der Haftbefehl angegriffen wird, im Urteil wiederholt, nicht jedoch dann, wenn bereits die Untersuchungshaft mit einer Verletzung prozessualer Grundrechte verbunden ist (vgl. BVerfGE 9, 89, 93). Im vorliegenden Fall wirkt sich aber eine mögliche Verletzung der Benachrichtigungspflicht nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV auf das Urteil nicht aus.

Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch rechtzeitig erhoben worden. Die Zweimonatsfrist des § 47 VerfGGBbg kann - wie erwähnt - für Verfassungsbeschwerden gegen Unterlassungen der öffentlichen Gewalt nicht gelten. Auch der Gesichtspunkt der Verwirkung kann - anders als bei der Rüge der Verzögerung der Haftprüfung - hier nicht eingreifen. Zum einen bekommt ein Gefangener von der unterbliebenen Benachrichtigung einer Vertrauensperson entweder gar nicht oder erst zeitversetzt Kenntnis. Zum anderen besteht der Anspruch auf Benachrichtigung einer Vertrauensperson nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV unabhängig davon, ob sich hierdurch an der Untersuchungshaft als solcher irgendetwas hätte ändern können.

Schließlich steht in dem hier interessierenden Zusammenhang auch nicht entgegen, dass ein Bundesgericht befasst gewesen ist. Über die Verletzung des Rechts auf Benachrichtigung einer Vertrauensperson durch Entscheidungen über Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft hatte der Bundesgerichtshof im Rahmen der Revision gegen das Urteil des Landgerichts nicht zu befinden.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die unterlassene Benachrichtigung einer Vertrauensperson von dem Erlass des Haftbefehls vom 21. September 1998 gerügt wird (1). Im Übrigen ist sie unbegründet (2).

Nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz, LV ist von richterlichen Entscheidungen über Anordnung oder Fortdauer eines Freiheitsentzugs unverzüglich eine Person des Vertrauens zu benachrichtigen. Für die dem Wortlaut nach weitgehend identische Bestimmung des Art. 104 Abs. 4 GG hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass es sich hierbei nicht nur um eine objektive Verfassungsnorm handele, die den Richter verpflichtet; sie verleiht vielmehr dem Festgehaltenen ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird (BVerfGE 16, 119, 122). Aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass die Pflicht zur Benachrichtigung dem Richter obliegt, der die Haft oder ihre Fortdauer anordnet (BVerfG, a.a.O., S. 123). Insoweit ist hier zu differenzieren:

1. Der Erlass des - den Haftbefehl des Amtsgerichts Z. ersetzenden - Haftbefehls des Landgerichts N. vom 21. September 1998 war eine Entscheidung über die Anordnung eines Freiheitsentzuges. Das Landgericht war verpflichtet, für die unverzügliche Benachrichtigung einer Person des Vertrauens des Beschwerdeführers zu sorgen. Diese Pflicht hat das Landgericht ausweislich der Akten nicht beachtet.

Eine Verletzung des Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil jedenfalls das Amtsgericht Z. eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers von dem Erlass des Haftbefehls vom 23. Juli 1998 benachrichtigt hatte. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer eines Freiheitsentzugs eine Person des Vertrauens zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung bei dem erstmaligen Erlass eines Haftbefehls reicht demnach nicht aus.

Der Benachrichtigungspflicht gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV war auch nicht durch die am 13. Oktober 1998 erfolgte Zustellung des Haftbefehls an den Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers genügt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Verteidiger zwar im Allgemeinen als Vertrauensperson des Beschuldigten gelten (vgl. BVerfGE 38, 32, 34). Zweifelhaft kann dies aber dann sein, wenn der Pflichtverteidiger von Amts wegen bestimmt ist (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 124). Jedenfalls im vorliegenden Fall ging es nicht an, sich mit der Benachrichtigung an den von Amts wegen bestellten Pflichtverteidiger zu begnügen. Zum einen war der Beschwerdeführer bei der Auswahl des Pflichtverteidigers nicht beteiligt worden. Zum anderen lässt hier das Verhalten des Pflichtverteidigers erhebliche Zweifel zu, ob er das Vertrauen des Beschwerdeführers besaß. Insbesondere ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Verteidiger zunächst eine Entscheidung über den - eindeutig als solchen bezeichneten - Haftprüfungsantrag des Beschwerdeführers durch einen Antrag auf großzügige Verlängerung der Stellungnahmefrist verzögert und den Antrag sodann durch seine telefonische Auskunft an den Haftrichter, dass der Beschwerdeführer lediglich ein ärztliches Gutachten über seine Gewahrsamstauglichkeit begehre, jedenfalls relativiert hat. Im Übrigen lässt sich der in dem Schreiben vom 8. August 1998 ausgedrückten Bitte des Beschwerdeführers an das Amtsgericht, den Pflichtverteidiger zu informieren, damit er sich bei dem Beschwerdeführer melden möge, entnehmen, dass von einem vertrauensvollen Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinem damaligen Pflichtverteidiger keine Rede sein konnte. Dies bestätigt sich darin, dass der Beschwerdeführer sodann am 18. November 1998 einen neuen Verteidiger beauftragt hat. Aufgrund der - sich aus den Akten ergebenden - erheblichen Zweifel an der Vertrauensbeziehung zwischen dem Untersuchungsgefangenen und dem Pflichtverteidiger konnte das Landgericht die Verpflichtung zur unverzüglichen Benachrichtigung einer Vertrauensperson durch die Zustellung des Haftbefehls an den damaligen Verteidiger nicht als erfüllt ansehen. Dass der vom Beschwerdeführer selbst ausgewählte neue Verteidiger später Kenntnis erhielt, bleibt ohne Bedeutung, da es jedenfalls daran fehlt, dass eine Vertrauensperson unverzüglich benachrichtigt worden ist, wie es Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV vorschreibt.

2. Anders verhält es sich bei den Beschlüssen vom 26. Februar 1999 und 20. April 1999. Für diese gilt zwar als Entscheidungen über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung ebenfalls die Benachrichtigungspflicht nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV. Von dem Eröffnungsbeschluss vom 26. Februar 1999 ist aber der neue Pflichtverteidiger benachrichtigt worden. Er war auch bei der Urteilsverkündung am 20. April 1999 zugegen. Da er von dem Beschwerdeführer selbst beauftragt war, kann davon ausgegangen werden, dass er - jedenfalls zu dieser Zeit - das Vertrauen des Beschwerdeführers genoss (vgl. BVerfGE 16, 119, 124). Der Pflicht zur unverzüglichen Benachrichtigung einer Vertrauenspeson war deshalb genügt. Die Verfassungsbeschwerde insoweit ist unbegründet.

III.

Da die Verletzung des Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV die Rechtmäßigkeit des - zudem inzwischen erledigten - Haftbefehls vom 21. September 1998 nicht berührt, war lediglich auszusprechen, dass die Unterlassung der Benachrichtigung einer Person des Vertrauens des Beschwerdeführers von dem Haftbefehl dessen Grundrecht aus Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV verletzt hat.

IV.

Die Anordnung der Erstattung eines Zehntels der notwendigen Auslagen berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde zu einem - freilich geringen - Teil durchgedrungen ist und beruht insoweit auf § 32 Abs. 7VerfGGBbg.

Dr. Macke Dr. Dombert
Prof. Dr Harms-Ziegler Dr. Jegutidse
Dr. Knippel Weisberg-Schwarz