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VerfGBbg, Beschluss vom 17. Januar 2020 - VfGBbg 65/18 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 2 Abs. 1; LV, Art. 5; LV, Art. 49 Abs. 1
- VBVG, § 1 Abs. 2 Satz 2; VBVG, § 4; VBVG, § 9
- FamFG, § 168 Abs. 1; FamFG, § 292 Abs. 1
- BGB, § 1908i; BGB, § 1836e Abs. 1
Schlagworte: - Betreuervergütung
- Berufsbetreuer
- Stundensatz
- Berufsfreiheit
- Rückwirkung
- Vertrauensschutz
- Rechtsstaatsprinzip
- Rechtsschutzbedürfnis
- keine eigenständige Beschwer durch Entscheidung über Gehörsrüge
Fundstellen: - NJW 24/2020, S. 1735 ff.
- Rpfleger 2020, Heft 6, S. 331 ff.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 17. Januar 2020 - VfGBbg 65/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 65/18




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

VfGBbg 65/18

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

V.,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:              Rechtsanwalt
                                                                 H.,

 

wegen            Beschlüsse des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 6. November 2018 und vom 5. Dezember 2018 ‌‑ 92 XVII 18/15

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 17. Januar 2020

durch die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Heinrich-Reichow, Kirbach, Dr. Lammer, Sokoll und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

Die Verfassungsbeschwerde wird teilweise verworfen
und im Übrigen zurückgewiesen.

 

Gründe:

          A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine Vergütungsfestsetzung im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Betreuerin.

I.

Die Beschwerdeführerin ist seit dem Jahr 2008 als Berufsbetreuerin tätig. In einem der ersten sie betreffenden Vergütungsfestsetzungsverfahren beim Amtsgericht Brandenburg an der Havel (im Folgenden: Amtsgericht) nahm der Bezirksrevisor beim Landgericht Potsdam Ende des Jahres 2009 dahingehend Stellung, dass die Abschlüsse der Beschwerdeführerin als Metallurgin und Restaurantfachfrau als Ausbildungen gemäß § 4 Abs. 1 [es fehlt: Satz 2] Nr. 1 Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) [in der damals und bis zum 26. Juli 2019 gültigen Fassung] einzuordnen seien und ihr daher ein erhöhter Stundensatz von 33,50 Euro zustehe.

Das Amtsgericht gewährte der Beschwerdeführerin daraufhin in zahlreichen Betreuungsverfahren über einen Zeitraum von etwa neun Jahren hinweg den Stundensatz der mittleren von drei Stufen in Höhe von 33,50 Euro.

Auf einen Vergütungsantrag der Beschwerdeführerin vom 30. Januar 2018 für im Zeitraum vom 5. Januar 2017 bis zum 4. Januar 2018 erbrachte Betreuungsleistungen gegenüber einer ihrer Betreuten gewährte das Amtsgericht - Rechtspflegerin - lediglich eine um 273,00 Euro gekürzte Vergütung. Es legte dabei einen Stundensatz von 27,00 Euro anstelle der beantragten 33,50 Euro zugrunde. Die Beschwerdeführerin erinnerte dagegen, dass ihre Ausbildungen zur Metallurgin, zur Restaurantfachfrau und bei der Polizei richtigerweise gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG zur Erhöhung des Stundensatzes führten und ihr aufgrund der Stellungnahme des Bezirksrevisors im Jahr 2009 gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die höhere Vergütung zu gewähren sei. Eine Herabsetzung des Stundensatzes würdige die Tätigkeit der Beschwerdeführerin herab und gefährde ihre Existenz. Durch die Handhabung über den Zeitraum von mehr als zehn Jahren sowie die Stellungnahme des Bezirksrevisors aus dem Jahr 2009 sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Sie beantragte vorsorglich die Zulassung der Beschwerde gemäß §§ 58, 61 Abs. 3 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

Das Amtsgericht wies die Erinnerung durch richterlichen Beschluss vom 6. November 2018 zurück. Zur Begründung führte es an: Die Rechtspflegerin habe die Vergütung zutreffend festgesetzt. Die Ausbildungen der Beschwerdeführerin vermittelten nicht die für eine erhöhte Vergütung erforderlichen besonderen betreuungsrelevanten Kenntnisse. Die Beschwerdeführerin könne sich für die Vergütungsfestsetzung nicht auf Vertrauensschutz berufen. Für jeden Vergütungszeitraum seien die Voraussetzungen für die erhöhte Vergütung erneut zu prüfen. Die Beschwerde ließ das Amtsgericht nicht zu, da der Sachverhalt bereits obergerichtlich geklärt sei.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Beschluss einen als „Gegenvorstellung/‌Gehörsrüge“ bezeichneten Rechtsbehelf. Sie begründete ihn damit, dass das Amtsgericht ihre Ausbildungen fehlerhaft bewertet habe, ferner, dass sie im Vertrauen auf die innerhalb der vergangenen zehn Jahre auch vom Bezirksrevisor vertretene Ansicht ihre Tätigkeit entfaltet habe. Wäre ihr zu Beginn des Vergütungszeitraumes eine Kürzung des Stundensatzes in Aussicht gestellt worden, hätte sie sich zwischen der Weiterführung der Betreuung und ihrer Abgabe entscheiden können. Dies sei aufgrund der rückwirkenden Kürzung nicht möglich gewesen, was das Amtsgericht nicht berücksichtigt habe. Jedenfalls sei die Beschwerde zuzulassen.

Der mit Beschluss vom 5. Dezember 2018 beschiedene Rechtsbehelf blieb erfolglos. Das Amtsgericht führte aus, dass es rechtliches Gehör gewährt habe, indem es auf die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der betreuungsrelevanten Kenntnisse sowie des Vertrauensschutzes unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingegangen sei. Da die Rechtsfragen obergerichtlich geklärt seien, bestehe kein Bedürfnis für die Zulassung der Beschwerde.

II.

Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer am 13. Dezember 2018 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 49 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) in Verbindung mit dem Grundsatz des aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Vertrauensschutzes.

Sie ist der Meinung, ein schutzwürdiges, bei der notwendigen Korrektur einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis zu berücksichtigendes Vertrauen des Berufsträgers werde begründet, wenn die zuständige Behörde in ständiger Verwaltungspraxis durch eine fehlerhafte Gesetzesanwendung einen Irrtum über die Höhe der gesetzlichen Vergütung erwecke. Der Rückforderung einer bereits ausgezahlten Vergütung könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein schutzwürdiges Vertrauen des Betreuers entgegenstehen. Zwar sei anerkannt, dass Verwaltungsbehörden und das Gericht nicht an frühere Entscheidungen gebunden seien, in denen sie dem Betreuer einen höheren Stundensatz als die Grundvergütung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VBVG zuerkannt hätten. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ergebe sich aus dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch nicht, dass ein vorrangiger Vertrauensschutz stets auch dann ausscheide, wenn es um die Vergütung von Betreuungsleistungen gehe, die der Betreuer vor der Änderung einer langjährigen, nun für rechtswidrig gehaltenen Verwaltungspraxis bereits erbracht habe. Die Grundsätze über die „unechte Rückwirkung“ im Fall einer Gesetzesänderung seien auch auf die hier vorliegende Änderung einer langjährigen Verwaltungspraxis anwendbar. Die Rückwirkung sei unzulässig, soweit der Betroffene mit der Änderung nicht habe rechnen müssen, er sie nicht habe einplanen können und sein Vertrauen schutzwürdiger sei als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen. Allein darauf abzustellen, dass der Betreuer seine Vergütung immer erst im Nachhinein erhalte und deshalb jederzeit damit rechnen müsse, einen ihm gewährten erhöhten Vergütungssatz bei der nächsten Bewilligungsentscheidung nicht mehr zu erhalten, greife zu kurz. Denn jedenfalls nach einer langjährigen Verwaltungspraxis rechne ein Berufsbetreuer nicht mehr damit, dass seine persönliche Einordnung in eine höhere Vergütungsstufe zukünftig abweichend bewertet werde. Er stelle sich mit der Anzahl seiner Betreuungsmandate und der Organisation seiner Tätigkeit auf die bisherige Vergütungshöhe ein. Die Absenkung der Vergütung von der ersten Erhöhungsstufe auf die Grundversorgung um fast 20 % belaste ihn erheblich.

Die Beschwerdeführerin habe durch die über neun Jahre lang vertretene Rechtsauffassung ein berechtigtes Vertrauen dahin entwickelt, dass die Vergütungseinordnung zutreffe. Sie habe ihre berufliche Tätigkeit darauf ausgerichtet, ein Einkommen in der entsprechenden Höhe zu erzielen.

Das Amtsgericht habe die Betreuungsleistungen bis zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Beschwerdeführerin von der geänderten Rechtsauffassung mit dem bisher gewährten Vergütungssatz bewerten müssen. Allenfalls Betreuungsleistungen, die die Beschwerdeführerin nach dem Zeitpunkt ihrer Kenntnis von der Änderung der Rechtsauffassung erbracht habe, dürften - sofern die neue Rechtsauffassung richtig sei - mit dem geringeren Stundensatz bemessen werden.

Das Amtsgericht habe die Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzt, indem es nicht in Erwägung gezogen habe, dass die Bewilligung nur der Grundvergütung für die bereits vor der Änderung der Rechtsauffassung der Verwaltungsbehörde erbrachten Betreuungsleistungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes unzumutbar sein könne. Es habe sich mit dieser Frage jedenfalls substantiiert anhand der konkreten Umstände des Falles auseinandersetzen müssen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 5. Dezember 2018 richtet. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen (jüngst Beschluss vom 21. Juni 2019 - VfGBbg 30/18 -, https://verfassungsgericht.‌branden­burg.de). Die Beschwerdeführerin hat auch nicht behauptet, dass ein Ausnahmefall einer eigenständigen, in der Zurückweisung der Anhörungsrüge liegenden verfassungsrechtlich erheblichen Beschwer gegeben wäre (vgl. hierzu Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die ‌‑ neben der Bezeichnung als Gehörsrüge - verwendete Benennung des Rechtsbehelfs als Gegenvorstellung ändert hieran ebenfalls nichts (vgl. Beschluss vom 23. Mai 2000 - VfGBbg 13/00 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 6. November 2018 richtet, ist sie zulässig, aber unbegründet.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin sie fristgerecht erhoben (§ 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg) und ordnungsgemäß begründet (§ 20 Abs. 1 Satz 1, § 46 VerfGGBbg) und zuvor den Rechtsweg erschöpft (§ 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg). Ein Rechtsbehelf gegen den Beschluss des Amtsgerichts war gemäß § 58 Abs. 1, § 61 Abs. 1, 2 FamFG mangels Übersteigen des Beschwerdewertes von 600,00 Euro oder Zulassung der Beschwerde durch das Amtsgericht nicht gegeben.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch, soweit sie zulässig ist, unbegründet.

Die durch Art. 49 Abs. 1 LV gewährleistete Berufsfreiheit gewährt jeder Person das Recht, ihren Beruf frei zu wählen und auszuüben. Art. 49 Abs. 1 Satz 1 LV konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und will eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung gewährleisten (Beschluss vom 19. Oktober 2012 - VfGBbg 31/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluss sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1999 ‌‑ 1 BvR 1904/95 -, Rn. 72, www.bverfg.de).

Der Beschluss des Amtsgerichts verletzt die Berufsfreiheit nicht. Er beruht auf den bundesrechtlichen Regelungen zur Betreuungsvergütung, die das Amtsgericht ohne Verkennung der hier allein gerügten Grundsätze von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 5 LV) angewandt hat.

1. Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und daher der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Eine Überprüfung erfolgt allein an dem Maßstab, ob in der Landesverfassung gewährte Rechte verletzt sind. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht, vornehmlich bei Verletzung des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot oder bei einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts (vgl. Beschlüsse vom 16. August 2019 ‌‑ VfGBbg 67/18 -, vom 19. Januar 2018 ‌‑ VfGBbg 29/17 - und vom 16. Dezember 2016 ‌‑ VfGBbg 33/16 -, https://verfassungs­gericht.‌brandenburg.de, m. w. N.).

2. Die inhaltliche Wertung, dass die von der Beschwerdeführerin absolvierten Ausbildungen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung für einen im Vergleich zur Grundvergütung erhöhten Stundensatz nicht erfüllten, überprüft das Verfassungsgericht daher ‌‑ wie die Beschwerdeführerin zutreffend erkennt ‑‌ nur unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 5 LV.

3. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Rückwirkungsverbot aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 LV begrenzen zunächst die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Der Einzelne braucht grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber in der Vergangenheit liegende Lebenssachverhalte nachträglich anders regelt (Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11 -, https://verfassungsgericht.‌branden­burg.de, m. w. N.).

4. Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Rückwirkung von Gesetzen ist auf die Korrektur eines als rechtswidrig erkannten Verwaltungshandelns jedoch nicht ohne weiteres übertragbar. Sie beruht auf der besonderen Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungen des Gesetzgebers, die wegen seiner herausgehobenen demokratischen Legitimation besondere Verbindlichkeit beanspruchen. Anders als bei rückwirkenden Gesetzesänderungen geht es bei behördlichen Einzelfallentscheidungen um den verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Rechtssicherheit in Form des Vertrauens auf den Bestand einer gefällten Behördenentscheidung und einem Korrekturbedarf im Hinblick auf die womöglich im Nachhinein erkannte materielle Fehlerhaftigkeit dieser Entscheidung (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 ‌‑ 1 BvR 571/07 -, Rn. 24 f, www.bverfg.de). In eine bestandskräftige, ihn begünstigende Verwaltungsentscheidung wird ein Bürger möglicherweise aber ein ähnliches Vertrauen entwickeln wie in den Fortbestand einer Gesetzeslage. Dieses ist daher bei einer - grundsätzlich möglichen - Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zu berücksichtigen (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg).

Fehlt es jedoch an einer solchen begünstigenden Verwaltungsentscheidung über den zu beurteilenden Sachverhalt, ist ein Vertrauen des Adressaten in ein in der Vergangenheit erfolgtes begünstigendes Verwaltungshandeln bei vergleichbaren Sachverhalten im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen grundsätzlich nicht in gleichem Maße schutzwürdig. Denn es wird in diesem Fall nicht in ein der Vergangenheit angehörendes Geschehen eingegriffen, sondern auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingewirkt. Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, ob und ggf. in welchen Fällen ein derartiges Vertrauen in ein ‌‑ nunmehr als rechtswidrig erkanntes - vergangenes Verwaltungshandeln ausnahmsweise schutzwürdig sein kann. Das bisherige staatliche Handeln müsste dafür zumindest eine hinreichend zuverlässige Grundlage für ein Vertrauen des Adressaten geschaffen und er bereits Dispositionen getätigt haben, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2014 ‌‑ VfGBbg 31/12 -, Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11 -, https://verfassungs­gericht.‌brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 ‌‑ 1 BvR 571/07 -, Rn. 30, www.bverfg.de).

5. Daran fehlt es hier. Ein das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandels überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerin an der Beibehaltung der - vom Amtsgericht als rechtswidrig erkannten und vom Verfassungsgericht in diesem Verfahren nicht überprüfbaren - Bewertung ihrer Ausbildungen als solche nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a. F. bestand vorliegend nicht. Nachdem das Amtsgericht abweichend von seiner früheren Wertung zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Stundensatzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG a. F. nicht erfüllt, oblag ihm aufgrund seiner Gesetzesbindung, diese Erkenntnis auch umzusetzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2012 ‌‑ XII ZB 230/11, XII ZB 231/11, XII ZB 232/11 ‑‌, jeweils Rn. 15, juris, ebenso BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 2013 ‌‑ XII ZB 492/12 -, Rn. 7, juris, und vom 22. August 2012 ‌‑ XII ZB 319/11 -, Rn. 22, juris).

a. Das Vertrauen der Beschwerdeführerin beruht bereits nicht auf einer hinreichenden Grundlage.

Die vorangegangenen Auszahlungen über mehrere Jahre auf Grundlage eines Stundensatzes von 33,50 Euro können ein schützenswertes Vertrauen der Beschwerdeführerin nicht begründen.

Die Vergütung für Betreuungsleistungen wird (u. a.) auf Antrag des Betreuers gemäß § 292 Abs. 1 i. V. m. § 168 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG durch Beschluss des Gerichts oder gemäß § 292 Abs. 1 i. V. m. § 168 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 4 FamFG im Wege des sogenannten vereinfachten Justizverwaltungsverfahrens (z. B. BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - XII ZB 261/13 -, Rn. 17, juris, vom 18. Februar 2015 ‌‑ XII ZB 563/14 -, Rn. 22, juris, vom 6. November 2013 ‌‑ XII ZB 86/13, Rn. 14, juris) bestimmt. Dabei bezieht sich ein Antrag stets auf in einem bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit erbrachte Leistungen (vgl. § 9 Satz 1 VBVG, wonach der Vergütungsanspruch nach Ablauf von jeweils drei Monaten für diesen Zeitraum geltend gemacht werden kann). Für diesen Zeitraum hat das Gericht auf den neu gestellten Vergütungsfestsetzungsantrag hin erneut das Vorliegen der Voraussetzungen für die Höhe der Vergütung zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2013 ‌‑ XII ZB 23/13 ‑, Rn. 19, juris, vom 27. Februar 2013 ‌‑ XII ZB 492/12 -, Rn. 7, juris, vom 22. August 2012 ‌‑ XII ZB 319/11 ‑, Rn. 22, juris, vom 8. Februar 2012 ‌‑ XII ZB 230/11, XII ZB 231/11 und XII ZB 232/11 -, jeweils Rn. 15, juris). Da die Vergütung abschnittsweise und nur nach einer Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen bewilligt wird, kann keine über den jeweiligen Bewilligungszeitraum hinausgehende Rechtsposition begründet werden. Eine bindende Wirkung hatte die Bewertung des Amtsgerichts hinsichtlich vorangegangener Vergütungsanträge in anderen oder ggf. auch im selben Betreuungsverfahren für den in Rede stehenden Zeitraum dementsprechend nicht.

Hinzu kommt, dass - soweit dies aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin hervorgeht - ihr in der Vergangenheit die Vergütungsbeträge von der Staatskasse schlicht ausgezahlt worden sind, d. h. ein förmliches Festsetzungsverfahren nicht stattgefunden hat. Vielmehr hätte die Beschwerdeführerin insofern bereits für vorangegangene Vergütungszeiträume stets damit rechnen müssen, dass eine - gemäß § 168 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG auch amtswegig mögliche - förmliche Festsetzung eine im Wege des vereinfachten Justizverwaltungsverfahrens erfolgte Auszahlung herabsetzt. Erst recht konnte sie nicht damit rechnen, dass der ihr zuvor gewährte Stundensatz auch in Zukunft (immer) wieder zuerkannt würde (vgl. grundlegend aus der st. Rspr. des BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2012 - XII ZB 230/11, XII ZB 231/11, XII ZB 232/11 -, jeweils Rn. 15, juris).

Auch die im Jahr 2009 in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren abgegebene Stellungnahme des Bezirksrevisors bildet keine geeignete Vertrauensgrundlage. Denn der Bezirksrevisor bzw. die Bezirksrevisorin ist für die abschließende Vergütungsentscheidung nicht zuständig. Diese Stelle gibt für die Landeskasse zu der vom Amtsgericht zu treffenden Entscheidung lediglich eine (unverbindliche) Stellungnahme ab.

b. Ferner sind unumkehrbare Dispositionen der Beschwerdeführerin nicht hinreichend erkennbar.

Soweit sie anführt, „ein Berufsbetreuer“ stelle sich in der Anzahl und Organisation seiner Betreuungsmandate auf eine über mehrere Jahre gewährte Vergütungshöhe ein, fehlt es bereits an hinreichend konkretem Bezug zu der Beschwerdeführerin, aber auch an konkretem Sachvortrag.

Zwar ist zugunsten der Beschwerdeführerin zu vermuten, dass sie als Berufsbetreuerin ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus den Einnahmen der Betreuervergütung bestreitet (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2013 ‌‑ XII ZB 86/13, Rn. 30, juris). Ob und inwiefern die Höhe der Vergütung existenzielle Bedeutung für sie haben kann, lässt sich ihrem Vorbringen jedoch nicht entnehmen. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, alle drei Monate über die erbrachten Leistungen abzurechnen (§ 9 Satz 1 VBVG).

Anders als in Fällen, in denen bereits für den konkret in Rede stehenden Zeitraum eine Vergütung (nach formloser Festsetzung) an den Betreuer ausgezahlt worden ist und eine darauf folgende förmliche Festsetzung als Grundlage für eine Rückforderung des überzahlten Betrages im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs dient (so bei BGH, Beschluss vom 6. November 2013 ‌‑ XII ZB 86/13, juris), was die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Betreuers wesentlich verstärkt, hat die Beschwerdeführerin die von ihr eingeplanten Einkünfte hinsichtlich des Betreuungszeitraums 2017 vor der Änderung der Rechtsauffassung seitens des Amtsgerichts noch nicht erhalten und konnte sie daher auch noch nicht verbrauchen.

c. Für die umgehende Korrektur der bisherigen Praxis des Amtsgerichts und damit gegen die Anerkennung eines schutzwürdigen Vertrauens der Beschwerdeführerin spricht in Konstellationen wie der vorliegenden auch, dass sich das Rechtsverhältnis nicht auf dasjenige zwischen der Beschwerdeführerin und dem Amtsgericht als Justizverwaltungsbehörde beschränkt. Vielmehr sind auch die Rechte der Betreuten zu berücksichtigen. Dieser steht ihrerseits das Recht auf - alsbaldige - zutreffende Bemessung des Stundensatzes ihrer Betreuerin zu. Denn wenngleich die Beschwerdeführerin hier wegen der Mittellosigkeit der Betreuten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG einen eigenen Anspruch gegen die Staatskasse hat, betrifft die Entscheidung über die Vergütungsfestsetzung dennoch auch die Betreute. Im Falle der Vergütungsleistung durch die Staatskasse geht nämlich dieser Anspruch gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836e Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG auf die Staatskasse über. In der Folge kann sie bei der Betreuten (im Falle des nachträglichen Wegfalls ihrer Mittellosigkeit) oder bei deren späteren Erben (vgl. § 168 Abs. 3 i. V. m. § 292 Abs. 1 FamFG, § 1836e Abs. 1 Satz 2 BGB) Regress nehmen. Das Vertrauen der Beschwerdeführerin auf die unrichtige Rechtsanwendung kann aber regelmäßig nicht dazu führen, der Betreuten das eigene Recht auf zutreffende Bemessung des Stundensatzes zu versagen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1976 ‌‑ VII ZR 88/75 -, Rn. 31, juris).

C.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

 

 

Möller

Dr. Becker

 

Dresen

Dr. Finck

 

Heinrich-Reichow

Kirbach

 

Dr. Lammer

Sokoll

 

Dr. Strauß