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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 242/03 EA -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 32 Abs. 7
- BRAGO, § 113 Abs. 2 Satz 3
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Gegenstandswert
- Auslagenerstattung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Oktober 2003 - VfGBbg 242/03 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 242/03 EA



IM NAMEN DES VOLKES
 
B E S C H L U S S

In dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

Gemeinde Wolfshain,
vertreten durch das Amt Döbern-Land,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Forster Str. 8,
03159 Döbern,

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Th., S. und Partner,

betrifft: kommunale Neugliederung;
hier: Antrag der Gemeinde Wolfshain (Amt Döbern-Land) auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Havemann, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 16. Oktober 2003

b e s c h l o s s e n :

1. Für die Zeit bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin wird angeordnet:

a) Das Land Brandenburg, das Amt Döbern-Land und die Gemeinde Tschernitz werden verpflichtet, keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden; insbesondere darf über bisher der Antragstellerin gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften nicht verfügt werden. Maßnahmen oder Entscheidungen mit Zustimmung des Ortsbeirates bzw. des Ortsbürgermeisters bleiben zulässig.

b) Der Gemeinde Tschernitz wird aufgegeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist.

2. Das Land Brandenburg hat der Antragstellerin die im einstweiligen Anordnungsverfahren entstehenden notwendigen Auslagen nach einem Gegenstandswert von 4.000,00 € zu erstatten.

G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin, eine amtsangehörige Gemeinde, wehrt sich im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde (VfGBbg 245/03) gegen ihre Auflösung durch die in Art. 1 § 29 Abs. 2 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße sowie zur Auflösung der Gemeinden Diepensee und Haidemühl und zur Änderung des Gesetzes zur Auflösung der Gemeinde Horno und zur Eingliederung ihres Gemeindegebietes in die Gemeinde Jänschwalde sowie zur Änderung der Amtsordnung (6. GemGebRefGBbg) vom 24. März 2003 (GVBl I S. 93) vorgesehene Eingliederung in die Gemeinde Tschernitz. Die Vorschrift tritt zufolge Art. 6 Satz 1 des Artikelgesetzes am Tage der nächsten - inzwischen auf den 26. Oktober 2003 festgesetzten - landesweiten Kommunalwahlen in Kraft.

Die Antragstellerin beantragt

a) das Land Brandenburg, das Amt Döbern-Land und die Gemeinde Tschernitz bis zur Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin zu verpflichten, keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen zu treffen, die ihr im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden; insbesondere über bisher den Antragstellerinnen gehörendes Grundvermögen oder solches ihrer Eigengesellschaften nicht abschließend zu verfügen

sowie

b) dem Amt Döbern-Land und der Gemeinde Tschernitz aufzugeben, bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerinnen betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand vertretbar ist.

Wegen der Eilbedürftigkeit (Kommunalwahlen am 26. Oktober 2003) und angesichts der Parallelität mit Anträgen zahlreicher anderer Kommunen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen hat das Landesverfassungsgericht von einer Anhörung in diesem erst jetzt eingegangenen Verfahren abgesehen.

II.

1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Soweit die Landesregierung in vergleichbaren Verfahren anderer Kommunen das Rechtschutzbedürfnis, jedenfalls aber den Anordnungsgrund in Zweifel gezogen hat, weil durch Runderlaß vom 30. Juni 2003 eine Handhabung im Sinne des Antrages im Wege der Kommunalaufsicht sichergestellt sei, ist darauf hinzuweisen, daß der hier zugrundeliegende Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung der Sache nach auch das Land selbst einbezieht, welches ansonsten - ohne Einbeziehung in die einstweilige Anordnung - seinerseits nicht in der Pflicht wäre und auch von dem Runderlaß wieder abrücken könnte.

2. Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg.

Nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg - kann das Landesverfassungsgericht, das im Verfahren der einstweiligen Anordnung an die gestellten Anträge nicht gebunden ist (vgl. BVerfGE 86, 46, 48; 81, 53, 57; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethke, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand Juli 2002, § 32 Rn. 115, 158), einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Hiernach hält es das Verfassungsgericht für veranlaßt, Vorkehrungen zu treffen, daß bis zu der Entscheidung über die kommunale Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin keine aufschiebbaren Entscheidungen oder Maßnahmen getroffen werden, die der Antragstellerin im Fall ihres Obsiegens in der Hauptsache die Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unzumutbar erschweren oder ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile einbringen würden. Dem dient die einstweilige Anordnung zu Ziffer 2 a) der Entscheidungsformel (ebenso BVerfGE 91, 70, 72; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; SächsVerfGH LKV 2000, 23, 25; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279; s. auch Brinktrine/Unnerstall, LKV 2000, 330, 334 ff.). Sie hält das Land, die Gemeinde Tschernitz sowie das Amt Döbern-Land für die Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache, um „unumkehrbare Verhältnisse“ zu vermeiden, zur Zurückhaltung gegenüber den Belangen der für ihre Selbständigkeit eintretenden Antragstellerin an. Als – nicht abschließendes – Beispiel hat das Gericht hervorgehoben, daß nicht über Grundvermögen der Antragstellerin und etwaiger Eigengesellschaften verfügt werden darf. Dies soll freilich Entscheidungen und Maßnahmen aller Art nicht im Wege stehen, die im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin liegen. Solche erfordern jedoch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes die Zustimmung des Ortsbeirates bzw., wo ein solcher nicht gebildet wird, des Ortsbürgermeisters.

Darüber hinaus gibt das Landesverfassungsgericht aus Gründen der Transparenz der Gemeinde Tschernitz auf, bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltes alle Vorgänge, die die Antragstellerin betreffen, zu kennzeichnen, soweit dies vom Aufwand her vertretbar ist (ebenso BVerfGE 91, 70, 73; ThürVerfGH LVerfGE 6, 373, 380; VerfGH NW OVGE 30, 278, 279).

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg und § 113 Abs. 2 Satz 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Der Gegenstandswert für das Verfahren der einstweiligen Anordnung war hier entsprechend dem von vornherein begrenzten Rechtsschutzziel auf 4000 € festzusetzen.


 
Dr. Macke Havemann
   
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
   
Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Will