VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 191/03 -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1 | |
Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform - Verhältnismäßigkeit - Anhörung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 191/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 191/03
IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem kommunalen
Verfassungsbeschwerdeverfahren
Gemeinde Wustrau-Altfriesack, Beschwerdeführerin, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,
hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 16. Juni 2005 b e s c h l o s s e n : Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen. G r ü n d e : A. Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Fehrbellin angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin. I. 1. Die Beschwerdeführerin liegt ca. 8 km nordöstlich des Zentrums der bisherigen Stadt bzw. Gemeinde Fehrbellin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Sie grenzt im Süden an Gebiet der Gemeinde Fehrbellin, im Westen bzw. Südosten an die Gemeinden Langen und Linum, die ebenfalls dem Amt Fehrbellin angehörten, sowie im Osten an die amtsfreie Gemeinde Kremmen im Landkreis Oberhavel und im Norden an die amtsfreie Stadt Neuruppin. Die bisherige Stadt Fehrbellin und acht weitere Gemeinden des Amtes schlossen sich vertraglich zum 26. Oktober 2003 zur neuen Gemeinde Fehrbellin zusammen. Die Stadt Fehrbellin verzichtete dabei auf ihr Stadtrecht. Danach lebten von den etwa 9.600 Einwohnern des Amtes (Stand: 2001) knapp 5.300 in Fehrbellin und ca. 1.240 im Gebiet der Beschwerdeführerin. Das Amtsgebiet liegt überwiegend im durch weite Auen, Wiesen und Felder geprägten Rhinluch sowie im „Ländchen Bellin“. Das auch als „Wiege Preußens“ bezeichnete Fehrbellin ist Ort der im Jahr 1675 stattgefundenen „Schlacht bei Fehrbellin“. 2. Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. Die Anhörung sollte vor dem Ende der Gemeindeanhörung abgeschlossen sein. 3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 18 des Entwurfes zum Fünften Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 08. Januar 2003 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen. Im Februar 2003 ließ der Innenausschuß des Landtages eine ergänzende Bevölkerungsanhörung in Bürgerversammlungen zu der Alternative durchführen, das Amt mit einer durch Zusammenschlüsse verringerten Zahl der Gemeinden zu erhalten. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. Der lediglich in der Paragraphenzählung geänderte § 17 des 5. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 82), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 48 Satz 1 des 5. GemGebRefGBbg), lautet: § 17
II. Die Beschwerdeführerin hat am 23. Juni 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zu Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft. Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:
III. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Gemeinde Fehrbellin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. B. Die nur teilweise zulässige kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. I. 1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist insofern unzulässig, als sie sich, wie die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin zu gleichartigen kommunalen Verfassungsbeschwerden anderer Gemeinden des bisherigen Amtes Nauen-Land klargestellt hat, auch gegen die (hier in § 17 Abs. 2 des 5. GemGebRefGBbg bestimmte) Auflösung des bisherigen Amtes sowie zugleich gegen die Eingliederung anderer Gemeinden des früheren Amtes Fehrbellin in die neugebildete gleichnamige Gemeinde richtet. Insoweit ist die Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt. Eine amtsangehörige Gemeinde kann nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichtes, die entsprechend der (bloßen) verwaltungsmäßigen Hilfsfunktion des - wie immer zustandegekommenen bisherigen - Amtes für jedwede spätere Änderung der Amtszuordnung zu gelten hat, lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht aber, daß sie ihr in der bisherigen Form und in dem bisherigen Zuschnitt zur Verfügung steht (Beschluß vom 16. Mai 2002 - VfGBbg 57/01 -, LKV 2002, 515 sowie Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, S. 116 = LKV 2002, 573, 574). Soweit sich die kommunale Verfassungsbeschwerde einer amtsangehörigen Gemeinde als begründet erweist und sie (folglich) als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht, hat das Land dafür zu sorgen, daß ihr eine Verwaltung – durch Zuordnung zu einem Amt oder Bildung eines neuen Amtes, notfalls auch unter Wiederbelebung der früheren Amtsmodelle 2 oder 3 - zur Verfügung steht. Je nach Art der dann getroffenen Regelung, die also gegebenenfalls abzuwarten bleibt, mag Anlaß für eine darauf bezogene gerichtliche Überprüfung bestehen. Festhalten an dem einmal gefundenen Zuschnitt der Amtsverwaltung kann die einzelne Gemeinde das Land aber grundsätzlich nicht. Auch soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Zuordnung der anderen bislang amtsangehörigen Gemeinden wendet, sind Gesichtspunkte für eine Beschwer nicht ersichtlich. 2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten. II. Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür ebenfalls nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt. 1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in einer Vielzahl von Verfahren im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203, und zuletzt ausführlich Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen. Insbesondere ist die durchgeführte Anhörung der Beschwerdeführerin hier auch nicht deshalb obsolet geworden, weil danach der Gesetzentwurf geändert worden ist. Eine erneute Anhörung ist nur geboten, wenn es zu einer wesentlichen Änderung kommt (vgl. BVerfGE 50, 195, 203; SächsVerfGH LVerfGE 11, 356, 386; NdsStGH NJW 1979, 2301; StGH BW DÖV 1976, 245; VerfGH NW OVGE 26, 306). Das war hier auch insoweit nicht der Fall, als der Anhörungsentwurf des Innenministeriums noch die Eingliederung der schließlich im Nachbaramt Temnitz verbliebenen und dort eingegliederten Gemeinde Garz vorgesehen hatte. Bereits grundsätzlich ist eine Gemeinde in Bezug auf die Eingliederung dritter Gemeinden nicht in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung betroffen. Wie bereits ausgeführt, kann eine amtsangehörige Gemeinde nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichtes lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht aber, daß sie ihr in der bisherigen Form und in dem bisherigen Zuschnitt zur Verfügung steht (u.a. Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.). Ein Ausnahmefall, in dem eine Gemeinde ihre Selbständigkeit zugunsten einer Lösung aufgeben soll, deren Qualität in gewichtigem Maße von der Zuordnung ehemaliger Nachbargemeinden abhängt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - [Groß Machnow]), liegt im Falle der unterbliebenen Eingliederung der mit 170 Einwohnern auf ca. 9 km² sehr kleinen Gemeinde Garz nicht vor. Auch die Beschwerdeführerin hat dieser Änderung des Neugliederungsvorhabens in ihrem Vortrag keine Bedeutung beigemessen. 2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung. a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann. Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]). Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.). b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen: aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt. Der Gesetzgeber hat als maßgeblichen Grund für die Auflösung des Amtes Fehrbellin und die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin angeführt, nach dem Leitbild seien im äußeren Entwicklungsraum bei Vorliegen von „Zentralort-Umland-Verflechtungen“ amtsfreie Gemeinden zu bilden. Solche Verflechtungen seien u.a. regelmäßig bei Grundzentren gegeben, die in ihrer Ausstattung „den Grundzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums nahe kommen und die eine vergleichsweise hohe, von den übrigen dem Amt angehörenden Gemeinden deutlich unterschiedliche Einwohnerzahl aufweisen“ (LT-Drucksache 3/5020, S. 36 zu Ziff. 2 a) bb) des Leitbildes und S. 370). Zur Beantwortung der Frage, ob ein derartiges Grundzentrum vorliegt, bezieht sich der Gesetzgeber nicht entscheidend auf Raumordnungspläne. Vielmehr hat er die zentralen Funktionen und gegenwärtigen Verflechtungen, auf die er abstellt, selbst ermittelt. Die hiernach interessierenden örtlichen Verhältnisse einschließlich der finanziellen Situation sind in den Gesetzesunterlagen und der Anhörung zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung der Gemeinden und der bisherigen Stadt Fehrbellin im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/5020, S. 366 ff.). Als grundsätzlich wesentliche Elemente einer ausgeprägten Zentralort-Umland-Verflechtung finden sich außer dem Zahlenverhältnis von zuletzt ca. 5.300 Einwohnern der infolge vertraglicher Zusammenschlüsse neugebildeten Gemeinde Fehrbellin gegenüber etwa 1.240 Einwohnern der benachbarten Beschwerdeführerin in Fehrbellin zwei Grundschulen sowie eine bis zu vierzügige Gesamtschule, kommunale und kirchliche Kindertagesstätten, eine Regionalstelle der Kreisvolkshochschule, eine Mehrzweckhalle für sportliche und kulturelle Veranstaltungen, eine Bibliothek, ausgeprägte Dienstleistungsangebote einschließlich des Gesundheitswesens, zahlreiche, teils größere Einkaufs- und Versorgungseinrichtungen, sowie der große Gewerbepark „Ländchen Bellin“ im Ortsteil Tarmow. Der Gesetzgeber stellte fest, daß Fehrbellin - heute mit einem Futtermittelwerk, Agrarhandel und Baustoffhandel - wie seit Jahrzehnten ein Zentrum der landwirtschaftlichen Versorgung und Weiterverarbeitung darstellt. Außerdem besteht eine regelmäßige Verbindung der Beschwerdeführerin mittels Öffentlichen Personennahverkehrs zu dem ca. 8 km entfernten Kern der Gemeinde Fehrbellin. Demgegenüber, daß im Jahr 2003 noch eine weitere kleinere Gesamtschule im Gebiet der Beschwerdeführerin bestand, durfte der Gesetzgeber die Prognose aus der Schulentwicklungskonzeption des Landkreises übernehmen, daß diese Schule wegen zu geringer Schülerzahlen ab August 2004 geschlossen werde und dann grundsätzlich alle Gesamtschüler des Amtsbereichs die Schule in Fehrbellin besuchen würden. Berücksichtigt hat der Gesetzgeber, daß die Beschwerdeführerin insbesondere über eine Kindertagesstätte, eine Grundschule und einige Versorgungseinrichtungen verfügt. Darüber hinaus brauchte der Gesetzgeber nicht festzustellen, wie viele Bewohner der Beschwerdeführerin wie oft die in Fehrbellin vorgehaltenen anderen öffentlichen Einrichtungen nutzen. Es liegt auf der Hand, daß solche Einrichtungen von den Bewohnern des näheren Umlandes in Anspruch genommen werden. Schon wegen der Existenz dieser Einrichtungen in der Gemeinde Fehrbellin ist ihre Einstufung als Grundzentrum, das „einem Grundzentrum mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums nahe kommt“, nachvollziehbar. Auch der nach dem Leitbild erforderliche hohe Unterschied der Einwohnerzahlen des Zentrums und der Umlandgemeinden ist vom Gesetzgeber zutreffend ermittelt worden. Von den 9.600 Einwohnern im Amt Fehrbellin lebten nach dem vertraglichen Zusammenschluß der bisherigen Stadt und acht weiterer Gemeinden zur neuen Gemeinde Fehrbellin im Jahr 2003 mehr als 55 % (ca. 5.300) in der Gemeinde Fehrbellin. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des von ihm gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß die Neugliederung bei Zugrundelegung des behaupteten abweichenden Sachverhalts anders ausgefallen wäre, besteht deshalb eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin indes nicht mitgeteilt. bb) Dem Gesetzgeber stehen im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV Gründe des öffentlichen Wohls zur Seite. Er beruft sich ausweislich der Gesetzesbegründung und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin wesentlich auf die Notwendigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur im Umland regionaler Zentren des äußeren Entwicklungsraums zu ändern (vgl. 2. a) bb) des Leitbildes, LT-Drucksache 3/5020, S. 23 f.). Daß die Behebung von Strukturproblemen im Umland von Zentralorten ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinen Urteilen vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 - (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte, s. etwa SächsVerfGH SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639, 643) entschieden. Auch im Schrifttum wird dies grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, 641, 642 f.; v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f.). Das Zentralort-Umland-Verhältnis wirft eine Reihe schwieriger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf. Planung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen - Kindergärten und -krippen, Schulen (einschließlich weiterführender Schulen), Horte, Sportstätten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Feuerwehren, Kultureinrichtungen - erfordern Abstimmung und Absprache. Auch für Tourismusentwicklung, Infrastrukturausbau, Wirtschaftsförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie Trinkwasserversorgung empfiehlt sich ein gemeinsames Handeln. cc) Zur Bewältigung dieser Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Fehrbellin nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Fehrbelliner Zentralort-Umland-Bereich durch die Zusammenführung in einem einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde. dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Fehrbellin ist auch nicht unverhältnismäßig. So lassen sich die hier in Frage stehenden Zentralort-Umland-Probleme entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführerin nicht etwa ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur in Teilbereichen wirken. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler. Zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin gibt es auch im übrigen keine zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ebenso geeignete Alternative. Der Gesetzgeber hat die damit verbundenen Vor- und Nachteile in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für ihren Fortbestand sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls können der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Vorliegend besitzen indes nach der vertretbaren Abwägung des Gesetzgebers die für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Fehrbellin sprechenden Gründe das größere Gewicht. Dem Gesetzgeber war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner durchaus im Blick gehabt und sich damit, ablesbar insbesondere aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5020, S. 363 ff., 371 ff.; s. auch S. 73 ff., 84 ff.), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise außer der Bereinigung der Zentralort-Umland-Probleme im Raum Fehrbellin namentlich die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung durch die Zusammenführung in einer einheitlichen Kommune sowie Gesichtspunkte der Raumordnung in seine Abwägung eingestellt und ihnen die größere Bedeutung beigemessen. Der Gesetzgeber hat dabei die Möglichkeit, das Amt im Zuge weiterer Gemeindenzusammenschlüsse zu erhalten, eingehend in Betracht gezogen, insbesondere zu dieser Option durch den Innenausschuß noch im Februar 2003 eine ergänzende Bürgeranhörung durchgeführt. Danach ist nicht zu beanstanden, daß er angesichts einerseits der kaum vorhandenen Neigung und Bemühungen der verbliebenen Gemeinden, am bisherigen Zustand überhaupt etwas zu ändern, und andererseits der erneut bekräftigten Ansicht der vertraglich mit Fehrbellin vereinigten acht Gemeinden, den begonnenen Zusammenschluß aller Gemeinden des bisherigen Amtes zu vollenden, vom Neugliederungsvorschlag des Gesetzentwurfs nicht abging. Bei dieser Sach- und Interessenlage durfte er den Reformzielen der Stärkung der Zentralorte, der Verwaltungsvereinfachung und Effizienzsteigerung sowie der Steigerung der Investitionskraft durch Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge des Zusammenschlusses maßgebliche Bedeutung beimessen. Der Gesetzgeber durfte seiner Entscheidung auch zugrundelegen, daß die Strukturaussage 2. d) bb) seines Leitbildes für den Regelfall anstrebt, daß Gemeinden nur innerhalb der Grenzen der bestehenden Ämter zusammengeschlossen werden und daß es daher konsequent und leitbildgerecht ist, sämtliche Gemeinden des bisherigen Amtes Fehrbellin zu vereinigen, also unter Einbeziehung auch der Beschwerdeführerin, nachdem ein Abweichungsfall, ähnlich den in 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes angeführten Beispielen (zur Stärkung eines jenseits der Amtsgrenze liegenden Zentralortes nach Landesentwicklungsplan I bzw. nach den Regionalplänen sowie zur Schaffung von Verwaltungseinheiten annähernd gleicher Leistungskraft geboten), nicht ersichtlich ist (vgl. u.a. VfGBbg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - 148/03 - [Altglietzen], S. 24 f. des EA; aber zur Nichtanwendbarkeit dieser Leitbildregelung, wenn das bisherige Amt durch das Gesetz ohnehin amtsgebietsüberschreitend neugegliedert wird: VfGBbg Beschlüsse vom 27. Mai 2004 - 63/03 und 138/03 [Herzsprung, Königsberg], S. 18 EA). Es ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn der Gesetzgeber unter Meidung einer aufwendigen Vermögensauseinandersetzung (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 4, § 34 des 5. GemGebRefGBBg) an ein regelmäßig seit Jahren stattfindendes Zusammenwirken von Gemeinden eines Amtes anknüpft und eine Fortführung der Gemeinschaft in Gestalt der amtsfreien Gemeinde präferiert, soweit - wie hier - keine besonderen Umstände stärker für eine (gegebenenfalls nur partiell) die bisherigen Amts- oder sogar Kreisgrenzen überschreitende Lösung sprechen. Auch die Beschwerdeführerin hat keine solche Alternativlösung bevorzugt und geltend gemacht. Nicht mit Erfolg vermag sich die Beschwerdeführerin auf eine vermeintlich vom Leitbild des Gesetzgebers abweichende bzw. systemwidrige Neugliederung zu berufen, soweit der Gesetzgeber im selben Landkreis das - intern neugegliederte - Amt Lindow (Mark), nicht aber das Amt Fehrbellin erhielt. Ein für die Beschwerdeführerin maßgeblicher Verstoß gegen den Grundsatz kommunaler Gleichbehandlung liegt nicht vor. Denn zum einen würde selbst ein - geltendgemachter - einziger oder seltener Verstoß gegen bestimmte Leitbildvorgaben diese noch nicht hinfällig machen und einen weiteren Fall des Leitbildverstoßes zulassen oder gar einen Anspruch auf Gewährung einer entsprechend unrechtmäßigen Position bewirken. Zum anderen stellt sich die Neugliederungssituation wesentlich anders bereits dadurch dar, daß die bisherige Stadt Fehrbellin einem Grundzentrum, das in seiner Ausstattung den Grundzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums nahekommt, entsprach. Die ca. 3.100 Einwohner zählende Stadt Lindow (Mark) verkörperte hingegen mit ihrer Ausstattung lediglich ein Kleinzentrum. Der Gesetzgeber durfte seinen Entscheidungen, gestützt auf eigene Ermittlungen, zugrundelegen, daß eine vergleichbare Zentralort-Umland-Verflechtung wie im Bereich Fehrbellin im Amt Lindow (Mark) nicht bestand und konnte deshalb dort auch eine Gemeinde mit wenig mehr als 500 Einwohnern (Rüthnick) leitbildgerecht amtsangehörig bestehen lassen, während er von Verfassungs wegen nicht gehindert war, im Bereich Fehrbellin auch größere Gemeinden in den Zentralort einzugliedern. Außerdem strebte - anders als im Amt Lindow (Mark) - die die überwiegende Einwohnerzahl repräsentierende Mehrheit der bisherigen Gemeinden im Amt Fehrbellin die Bildung einer amtsfreien Gemeinde an. Daß der Gesetzgeber dies berücksichtigte (LT-Drucksache 3/5020, S. 398 f.), ist nicht zu beanstanden. ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen. Der Gesetzgeber hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortschaftsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner, für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung, zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO), in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 88 f.). Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren bisher amtsangehörigen Gemeinden resultierenden Stellungnahmen und Ergebnisse von Bürgerbefragungen, -versammlungen und -entscheiden (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 363 ff. und Protokoll 3/746 vom 20. Februar 2003 des Innenausschusses des Landtages mit Anlagen) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Fehrbellin sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Zentralorte, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat. C. Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt.
VerfGGBbg. |
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