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VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 145/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Verhältnismäßigkeit
- Anhörung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 145/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 145/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Schönberg (Mark),
vertreten durch das Amt Lindow (Mark),
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Straße des Friedens 20,
16835 Lindow (Mark),

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingliederung der Gemeinde Schönberg (Mark) (Amt Lindow (Mark)) in die amtsangehörige Stadt Lindow(Mark)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Will

am 16. Juni 2005

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine dem Amt Lindow (Mark) angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Eingliederung in die amtsangehörige Stadt Lindow (Mark).

I.

1.Die Beschwerdeführerin, eine Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, gehörte zum nach dem sog. Modell 1 gebildeten Amt Lindow (Mark) mit Sitz der Amtsverwaltung in der gleichnamigen Stadt und liegt mit dieser im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land. Die Beschwerdeführerin ist ca. 4 km südlich des Zentrums der Stadt Lindow (Mark) gelegen. Sie grenzt im Norden unmittelbar an Gebiet der Stadt Lindow (Mark), im Osten bzw. Süden an die amtsangehörigen Gemeinden Vielitzsee und Herzberg (Mark) sowie im Westen an die amtsfreie Stadt Neuruppin. Das Amt bestand zuletzt aus der Stadt und den fünf Gemeinden Herzberg (Mark), Hindenberg, Rüthnick, Schönberg (Mark) und Vielitzsee mit insgesamt ca. 5.220 Einwohnern (Stand 2001). Davon lebten 3.100 Einwohner in Lindow (Mark) und ca. 280 im Gebiet der Beschwerdeführerin.

2. Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. Die Anhörung sollte vor dem Ende der Gemeindeanhörung abgeschlossen sein.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 21 des Entwurfes zum Fünften Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Barnim, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Uckermark (5. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lindow (Mark) vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Zur Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß am 08. Januar 2003 wurde deren ehrenamtlicher Bürgermeister geladen. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. Der lediglich in der Paragraphenzählung geänderte § 20 des 5. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 82), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 48 Satz 1 des 5. GemGebRefGBbg), lautet:

§ 20
Verwaltungseinheit Amt Lindow (Mark)

Die Gemeinden Hindenberg und Schönberg (Mark) werden in die Stadt Lindow (Mark) eingegliedert.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 02. Juni 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die Stadt Lindow (Mark) sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden seien. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe“. Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Daß sich von 302 Gemeinden, die der Gesetzgeber aufzulösen versucht habe, 250 mit kommunalen Verfassungsbeschwerden dagegen zu Wehr setzten, sei bereits „ernstes Indiz für die verfassungswidrige Gewalt der gesetzlichen Regelung“. Es fehle an dem Nachweis, daß die Beschwerdeführerin ungeeignet sei, den Anforderungen moderner Selbstverwaltung zu entsprechen. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 20 des Fünften Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Stadt Lindow (Mark) hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die weitgehend zulässige kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I.

1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich auch gegen die in § 20 des 5. GemGebRefGBbg geregelte Auflösung der Gemeinde HIndenberg und deren Eingliederung in die Stadt Lindow (Mark) richtet. Insofern sind Gesichtspunkte für eine Beschwer nicht ersichtlich.

2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür ebenfalls nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die Anhörungserfordernisse nach der Landesverfassung sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in einer Vielzahl von Verfahren kommunaler Verfassungsbeschwerden im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203) Bezug genommen. Auch die von der Beschwerdeführerin in Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung vorgebrachten Einwände im Schriftsatz vom 24. Februar 2004 geben keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 24. Juni 2004 - VfGBbg 162/03 -, zuletzt ausführlich: Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 -).

2. Auch materiell ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lindow (Mark) mit der Landesverfassung vereinbar.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das den Eingriff in den Bestand der Kommunen tragende Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116 = LKV 2002, 573, 574; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.) Unter mehreren offensichtlich gleich gut geeigneten Lösungen muß der Gesetzgeber allerdings diejenige auswählen, die für die betroffene Gemeinde weniger belastend ist und in ihre Rechtssphäre weniger intensiv eingreift (VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 31 f; StGH BW, Urteil vom 14. Februar 1975 - GR 11/74 -, NJW 1975, 1205, 1212).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lindow (Mark) Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt. Dabei hat er in gebotener Weise auch die Gesamtsituation im Bereich des Amtes Lindow (Mark) in den Blick genommen.

So hat er festgestellt, daß das Amt eine mit 42 Einwohnern pro Quadratkilometern auch für den äußeren Entwicklungsraum unterdurchschnittliche Besiedelungsdichte aufweist. Die Ausstattung der nördlich ca. 4 km entfernten Stadt Lindow (Mark) in den Bereichen Bildung/Jugend, Gesundheit/Soziales, Kultur, Sport, Handel und Dienstleistungen entspricht der für ein Kleinzentrum typischen Infrastruktur. Die Regionalplanung ordnet die Beschwerdeführerin dem Nahbereich dieses Kleinzentrums zu. Das nächstgelegene Mittelzentrum ist die Stadt Neuruppin.

Die örtlichen Verhältnisse und wesentlichen Strukturdaten der Beschwerdeführerin, der Stadt Lindow (Mark) und der weiteren Gemeinden des Amtes sind in den Gesetzesunterlagen ebenfalls zutreffend angesprochen (vgl. „Neugliederungssachverhalt“: LT-Drucksache 3/5020, S. 391 ff.). So ist die Beschwerdeführerin nach der Gemeinde Hindenberg die kleinste Gemeinde im Amtsgebiet. Der Busverkehr des öffentlichen Personennahverkehrs ist auf die Stadt Lindow (Mark) ausgerichtet. Die auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin wohnenden Kinder werden in den Einrichtungen der Stadt Lindow (Mark) betreut und besuchen dort die Grund- und Gesamtschule.

Es kommt nicht darauf an, ob vom Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt worden sind. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung ersichtlich von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des von ihm gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen sind indes weder ersichtlich noch von der Beschwerdeführerin vorgetragen.

bb) Der Gesetzgeber gliedert aus Gründen des öffentlichen Wohls im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV die Beschwerdeführerin neu. Ihre Einbeziehung in die nun größere amtsangehörige Stadt Lindow (Mark) überwindet die bisherige Kleingliedrigkeit der Kommunen und erstrebt eine Stärkung ihrer Verwaltungskraft. Nachvollziehbar beruft sich der Gesetzgeber darauf, daß amtsangehörige Gemeinden regelmäßig nicht weniger als 500 Einwohner haben sollen.

(1) Daß die Stärkung der Verwaltungskraft sowie die Straffung und Effizienzsteigerung der Kommunalverwaltungen Gründe des öffentlichen Wohls sind, welche eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermögen, hat das Landesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, insbesondere zum Unterfall der Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland (Urteile vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 -) sowie zum vorausgegangenen Gesetz zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg vom 13. März 2001 (vgl. Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, daß Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 -, [Groß Machnow] und Beschluß vom 18. November 2004 - VfGBbg 167/03 -, [Jessern]). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

(2) Der Neugliederungsbedarf ergab sich bereits aus der geringen Einwohnerzahl der Beschwerdeführerin von ca. 280 Einwohnern. Soweit der Gesetzgeber seine Abwägungsentscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin die im Leitbild unter I. 2. b) cc) festgelegte Regel-Mindestgröße einer amtsangehörigen Gemeinde von 500 Einwohnern unterschreite (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 24, 394 ff.), ist hiergegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Dabei durfte der Gesetzgeber vernachlässigen, daß saisonal etwa 300 Bürger anderer Gemeinden und Städte Erholungsgrundstücke auf dem Gebiet der Beschwerdeführein nutzen. Denn solche Nutzer stehen dauerhaft in der Gemeinde lebenden Einwohnern nicht gleich.

Die Landesverfassung steht der Einschätzung des Gesetzgebers, daß sich aus einer geringen Einwohnerzahl der Gemeinde typisierend Rückschlüsse auf ihre (verminderte) Leistungsfähigkeit ergeben, nicht entgegen. Der Rückgriff auf die Einwohnerzahl als Indiz für die Leistungsfähigkeit der Gemeinde ist auch bei amtsangehörigen Gemeinden unbeschadet dessen statthaft, daß eine amtsangehörige Gemeinde – jedenfalls im Land Brandenburg – nicht selbst Träger der „eigentlichen“ Verwaltung ist. Die Gemeindevertretung bleibt nämlich ungeachtet der administrativen Umsetzung durch das Amt für alle Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Nicht das Amt, sondern die einzelne Gemeinde ist Träger der gemeindlichen Einrichtungen und für den Unterhalt dieser Einrichtungen zuständig. Solche Einrichtungen können im Regelfall sinnvoll nur von bestimmten gemeindlichen Mindestgrößen an betrieben werden (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O. und Beschluß vom 18. November 2004 – VfGBbg 167/03 –, m.w.N.).

Im übrigen hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang geprüft, ob geographische, historische oder soziokulturelle Gesichtspunkte ein Abweichen von der Regelmindesteinwohnerzahl rechtfertigen. Seine Einschätzung, daß dies nicht der Fall sei (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 396), ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

cc) Zur Erreichung dieser Reformziele ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lindow (Mark) nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Klein- und Kleinstgemeindestruktur durch die Zusammenführung der Beschwerdeführerin mit der benachbarten Stadt eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung ist auch nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt.

Ihm war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner im Blick gehabt und sich damit, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5020, S. 389 f.) und den Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu „§ 21“ des 5. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise im Bereich des Amtes Lindow (Mark) namentlich die geringe Größe der Beschwerdeführerin berücksichtigt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber von der Notwendigkeit der Bildung einer größeren Verwaltungseinheit unter Einbeziehung der Beschwerdeführerin ausging. Besonderheiten, die einen Fortbestand als eigenständige (amtsangehörige) Gemeinde gebieten, hat weder die Beschwerdeführerin geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.

Der Gesetzgeber mußte auch nicht die Beschwerdeführerin als eigenständige amtsangehörige Gemeinde erhalten, weil er im Falle der Gemeinde Rüthnick so verfahren ist. Er durfte berücksichtigen, daß die Beschwerdeführerin dieser Gemeinde nicht gleichsteht. Mit mehr als 500 Einwohnern und anhaltendem Zuwachs war sie erheblich größer als die Beschwerdeführerin und genügte bereits den Leitbildanforderungen.

Eine geeignetere Alternative zu der vom Gesetzgeber gewollten Neuordnung (vgl. dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.) ist nicht erkennbar. Die Zuordnung der unmittelbar südlich der Stadt Lindow (Mark) gelegenen Beschwerdeführerin in diese Stadt ist nicht zu beanstanden. Zu anderen Gemeinden des Amtes sind vergleichbar enge Beziehungen weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch Besonderheiten für einen Amtsgrenzen überschreitenden Gemeindenzusammenschluß liegen nicht vor. Zudem präferierte auch die Beschwerdeführerin eine solche Lösung nicht.

ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen.

Der Gesetzgeber hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortschaftsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner, für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung, zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO), in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 88 f.).

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung, der Beschwerdeführerin und der Stadt Lindow (Mark) sowie der sonstigen betroffenen Träger öffentlicher Belange resultierenden Stellungnahmen sind in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drucksache 3/5020, S. 389 ff.). An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Lindow (Mark) sprechenden Umständen das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg. Der Beschluß ist unanfechtbar.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Prof. Dr. Harms-Ziegler
   
Havemann Dr. Jegutidse
   
  Dr. Knippel Prof. Dr. Will