VerfGBbg, Beschluss vom 16. März 2006 - VfGBbg 3/06 EA -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde EA |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 6 Abs. 1; LV, Art. 12 Abs. 1; LV, Art. 26 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 3 - AufenthG, § 81 |
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Schlagworte: | - Verwaltungsprozeßrecht - rechtliches Gehör - Rechtsschutzgarantie - Gleichheitsgrundsatz - Willkür - Ehe |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 16. März 2006 - VfGBbg 3/06 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 3/06 EA
IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren K., Beschwerdeführer und Antragsteller, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen N. und S., gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2006 hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 16. März 2006 b e s c h l o s s e n : 1. Das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird eingestellt. 2. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. G r ü n d e A. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, mit dem eine Beschwerde gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichts Cottbus zurückgewiesen wurde. Die Entscheidungen ergingen im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes. I. Er ist kamerunischer Staatsangehöriger. Sein im Jahr 2002 gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Seine hiergegen gerichtete Klage wurde im April 2004 mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus abgewiesen. Eine Abschiebung fand insbesondere deswegen nicht statt, weil der Beschwerdeführer keinen kamerunischen Paß vorlegte. Im April 2005 begann der Beschwerdeführer mit den Vorbereitungen für eine Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen A. Später legte der Beschwerdeführer dem Standesamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin einen im Dezember 2004 auf ihn ausgestellten kamerunischen Paß vor. Das Standesamt informierte die Ausländerbehörde des Landkreises Spree-Neiße. Nachdem der Beschwerdeführer auf Aufforderung der Ausländerbehörde im Oktober 2005 auch ihr den Paß vorgelegt hatte, wurde ihm die Abschiebung angekündigt und eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt. Im Hinblick auf den Eheschließungstermin beantragte der Beschwerdeführer am 15. November 2005 eine Duldung, die ihm die Ausländerbehörde für den Zeitraum bis zum 22. November 2005 erteilte. Am 18. November 2005 heiratete der Beschwerdeführer. Am 22. November 2005 sprach der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau bei der Ausländerbehörde vor und ließ sich Formulare für einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geben. Zudem erhielt er wiederum eine Grenzübertrittsbescheinigung und wurde aufgefordert, zur Vermeidung einer Abschiebung bis zum 15. Dezember 2005 eine Flugbuchung für eine Rückreise in sein Herkunftsland nachzuweisen. Mit Schreiben vom 23. November 2005 stellte seine Bevollmächtigte einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Anfang Dezember 2005 teilte die Ausländerbehörde dem Beschwerdeführer mit, daß sie beabsichtige, seinen Antrag abzulehnen und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Daraufhin beantragte er beim Verwaltungsgericht Cottbus den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel einer vorläufigen Duldung „bis zur Entscheidung in der Hauptsache“. Den Antrag wies das Verwaltungsgericht Cottbus mit Beschluß vom 17. Januar 2006 zurück. Die Ausländerbehörde teilte ihre Absicht mit, den Beschwerdeführer am 19. Januar 2006 abzuschieben. Auf die Beschwerde vom 17. Januar 2006 gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts untersagte das Oberverwaltungsgericht mit einer sogenannten Zwischenverfügung am 18. Januar 2006 der Ausländerbehörde, den Beschwerdeführer vor einer Beschwerdeentscheidung abzuschieben. Am 19. Januar 2006 belegte der Beschwerdeführer, für den 26. Januar 2006 einen Flug nach Duala (Kamerun) gebucht zu haben, um eine Abschiebung und eine damit verbundene zeitweilige Wiedereinreisesperre zu vermeiden. Mit Beschluß vom 24. Januar 2006 wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurück. Am selben Tage erhob der Beschwerdeführer beim Oberverwaltungsgericht eine Anhörungsrüge, die das Oberverwaltungsgericht am 25. Januar 2006 zurückwies. II. Noch am 25. Januar 2006 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung durch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg beantragt. Er machte geltend, das Oberverwaltungsgericht habe eine willkürliche Entscheidung getroffen und die Anwendbarkeit der seiner Ansicht nach allein streitentscheidenden Normen des § 81 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V.m. § 39 Nr. 5 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) ignoriert. Damit sei auch rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) nicht hinreichend gewährt worden. Das Oberverwaltungsgericht habe zugleich dem Schutzanspruch der Ehe nach Art. 26 LV nicht genügt. Es sei verfassungswidrig, von einem Beschwerdeführer nach seiner Eheschließung mit einer Deutschen zu verlangen, daß er den Ausgang seines Verfahrens über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ausland abwartet, wenn ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in einem Eilverfahren bejaht wird. Auch die Rechtschutzgarantie des Art. 6 Abs. 1 LV sei verletzt worden. III. Das Landesverfassungsgericht hat den Beschwerdeführer noch am 25. Januar 2006 darauf hingewiesen, daß der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung unzulässig sein und auch die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben dürfte. Am darauffolgenden Tag reiste der Beschwerdeführer nach Kamerun aus. Mit Stellungnahmeschreiben vom 13. Februar 2006 hat seine Verfahrensbevollmächtigte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt. B. I. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann offenbleiben, ob das erkennende Gericht befugt ist, über Entscheidungen des gemeinsamen Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zu befinden. Zweifel können insofern bestehen, als ein gemeinsames Gericht der Länder Berlin und Brandenburg nicht als öffentliche Gewalt des Landes Brandenburg (vgl. § 45 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg) anzusehen sein könnte (vgl. Finkelnburg in Festschrift für Driehaus, S. 458 ff.). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe § 81 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 5 AufenthV ignoriert, geht fehl. Jedenfalls im Beschluß zur Anhörungsrüge vom 25. Januar 2006 hat sich das Oberverwaltungsgericht - wenn auch knapp - mit dem entsprechenden Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und die Anwendbarkeit dieser Normen verneint. Insbesondere liegt darin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alternative 2 LV), zumal diese Normen nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich waren. Dadurch, daß das Oberverwaltungsgericht eine Anwendbarkeit von § 81 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 39 Nr. 5 AufenthV auf den Fall des Beschwerdeführers nur annehmen wollte, sofern diese Normen einen Rechtsgrund für den Aufenthalt fingieren, ließ es als entscheidungserheblichen Umstand erkennen, daß es vom Fehlen eines solchen Grundes - und entsprechend auch einer Duldung - im für seine Entscheidung maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 1997, E 106, 13) ausging. Diese Rechtsauffassung zu § 39 Nr. 5 AufenthV, der zur Tatbestandsvoraussetzung hat, daß die Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes (Duldung) ausgesetzt ist - wohingegen der Beschwerdeführer im Verfahren bei der Ausländerbehörde bzw. den Verwaltungsgerichten (zumindest) eine Duldung erst erstrebt(e) - ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, daß allein § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG eine Fiktionswirkung dergestalt regeln, daß nach einem rechtmäßigen Aufenthalt oder im Anschluß an einen Aufenthaltstitel der „Aufenthalt ... als erlaubt“ bzw. „der bisherige Aufenthaltstitel ... als fortbestehend“ gelten, sofern der Ausländer einen Aufenthaltstitel oder dessen Verlängerung beantragt, ist nicht unvertretbar. Sie verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 12 Abs. 1 LV und ist schon gar nicht willkürlich. Das Oberverwaltungsgericht steht im Einklang insbesondere mit der Rechtsprechung mehrerer anderer Oberverwaltungsgerichte, die bereits zu entsprechenden Regelungen im früheren Ausländergesetz davon ausgingen, daß ein nicht durch den Vortatbestand eines bislang rechtmäßigen Aufenthalts geschützter Ausländer grundsätzlich ausreisen und die Entscheidung über seinen Antrag auf - erstmalige - Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland abwarten muß (vgl. die Nachweise im angegriffenen Beschluß, S. 4; u.a. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 26. März 1998 - 18 B 2195/96 -, zitiert über juris). Daß der Fall des Beschwerdeführers - der zu keinem früheren Zeitpunkt einen Aufenthaltstitel besessen hat und auch nicht über eine Duldung verfügt - grundsätzlich anders als die Fälle nach § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG betrachtet werden kann und er nicht als entsprechend privilegiert angesehen wird, weil erst die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels für den sich bislang unrechtmäßig im Inland aufhaltenden Ausländer zur Entscheidung steht, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Auch der Schutzanspruch des Art. 26 LV (Ehe und Familie) führt nicht dazu, daß der Beschwerdeführer sich in Deutschland aufhalten darf, bis das Verfahren über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entschieden ist. Soweit der Beschwerdeführer darauf abstellt, daß ein Anspruch auf Duldung zur Ermöglichung einer Eheschließung mit einem deutschen Verlobten grundsätzlich zu bejahen sei, betrifft dies einen anderen Fall. Zur Ermöglichung der Eheschließung am 18. November 2005 ist dem Beschwerdeführer eine bis zum 22. November 2005 befristete Duldung erteilt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Blick auf den geltend gemachten Anspruch auf weitere Duldung berücksichtigt, daß ein Ausländer nicht abgeschoben werden dürfe, wenn es ihm „kraft Verfassungsrechts nicht zumutbar ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen“ (vgl. BVerwGE 106, 13). Daß es mit diesem Maßstab die Schutzgewährleistungen des Art. 26 Abs. 1 LV verkannt hätte, ist nicht ersichtlich. Daran gemessen ist auch nicht zu beanstanden, daß das Oberverwaltungsgericht davon ausging, allein die Tatsache der Eheschließung genüge für einen Duldungsanspruch nicht, nachdem der Beschwerdeführer darüber hinaus gehende besondere Umstände nicht dargetan hat. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, es erscheine absurd, zunächst in das Herkunftsland zurückreisen zu müssen, wenn ein Anspruch auf Aufenthalt gegeben sei, trifft dies nicht den vorliegenden Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar - anders als das Verwaltungsgericht - zugestanden, daß für eine Duldung auch genüge, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zugunsten eines verheirateten Ausländers spreche. Einen solchen Fall hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht bejaht. Dafür ist auch angesichts der Ermessensgesichtspunkte der Sozialhilfelast und eines früheren strafrechtlich relevanten Verhaltens des Beschwerdeführers (vgl. § 5 Abs. 1, § 27 Abs. 3, § 55 AufenthG) nichts ersichtlich. Überdies hat der Beschwerdeführer infolge seiner freiwilligen Ausreise eine im Falle einer Abschiebung bestehende (in der Regel befristete) Wiedereinreisesperre vermieden, so daß er - entgegen seiner nicht substantiierten Behauptung - nicht zwangsläufig „mehrere Monate von seiner Ehefrau getrennt“ zu sein braucht, sondern, wie seine Verfahrensbevollmächtigte im selben Schriftsatz der Stellungnahme vom 13. Februar 2006 einräumt, „derzeit ganz normal über die deutsche Botschaft in Jaunde das Visumverfahren betreiben“ und dann vermutlich zunächst mit befristetem Aufenthaltstitel (insbesondere Visum für Touristen) - gegebenenfalls wiederholt - einreisen kann. Ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 6 Abs. 1 LV ist ebensowenig zu erkennen. Der Beschwerdeführer ist nicht gehindert, seine auf deutschen Rechtsvorschriften beruhenden Ansprüche geltend zu machen. Dafür, daß er hierzu einen dauernden Aufenthalt im Inland benötigte, ist nichts dargetan oder sonst ersichtlich. II. Das Verfahren betreffend den Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird, nachdem es der Beschwerdeführer
mit dem Schriftsatz vom 13. Februar 2006 für erledigt erklärt hat,
eingestellt. Für eine Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen
Kosten des erledigten Verfahrens besteht kein Anhalt. Zum Fehlen der
Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird auf das
Hinweisschreiben des Verfassungsgerichts vom 25. Januar 2006 Bezug genommen.
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Dr. Knippel | Prof. Dr. Schröder |
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