Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 16. Januar 2015 - VfGBbg 37/14 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. II
- ZPO, § 495a; ZPO, § 53; ZPO, § 56
- FamFG, § 290
- BGB, § 1896
Schlagworte: - Anspruch auf rechtliches Gehör
- Offenkundig unrichtige Anwendung von Präklusionsvorschriften
- Betreuung keine rechtsgeschäftliche Vertretung
- Hinweispflicht
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 16. Januar 2015 - VfGBbg 37/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 37/14




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

            I.,

            gesetzlich vertreten durch den Betreuer, Rechtsanwalt H.,

 

 

                                                                                                              Beschwerdeführerin,

 

Verfahrensbevollmächtigter:        Rechtsanwalt H.,

 

 

wegen des Urteils des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Februar 2014 und des Beschlusses vom 7. April 2014 (…)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

 

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch,

Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

 

am 16. Januar 2015

 

b e s c h l o s s e n :

 

  1. Das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Februar 2014 (…) verletzt die Beschwer­de­füh­rerin in ihrem Grund­­­recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 der Landesverfassung. Das Urteil wird auf­­ge­ho­ben. Die Sache wird an eine andere Abteilung des Amts­ge­­richts Pots­dam zurück­ver­wie­sen. Damit wird der Beschluss des Amts­­­­gerichts Potsdam vom 7. April 2014 (…) gegen­stands­los.

  2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.

  3. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.

 



 

 

G r ü n d e :

 

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein im Verfahren nach § 495a Zivilprozessordnung (ZPO) ergangenes Ur­teil in einer Forderungssache.

 

Das Amtsgericht Potsdam bestellte den Verfahrensbevollmächtigten im September 2012 zum Betreuer der Beschwerdeführerin, dem unter anderem deren Vermögenssorge obliegt.

 

Die A. (nachfolgend: Klägerin) nahm die Beschwerdeführerin im Frühjahr 2013 aus einem für einen B. Anschluss abgeschlossenen Telekommunikationsvertrag im Wege des Mahnverfahrens auf Zahlung von Euro nebst Mahn- und sonstigen Kosten für den Zeitraum von August 2012 bis März 2013 in Anspruch. Der Betreuer legte Widerspruch ein. Nachdem der Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht Potsdam abgegeben worden war, setzte der Amtsrichter der Beschwerdeführerin eine Frist zum abschließenden Vorbringen. Der Verfahrensbevollmächtigte meldete sich fristgerecht, zeigte unter Beifügung einer Kopie der Betreuerurkunde die Betreuung an und beantragte in seiner Eigenschaft als Betreuer die Abweisung der Klage. In der Sache vertrat er unter Beweisantritt im Wesentlichen die Auffassung, die Klägerin verlange mit der Klage Kosten für einen Zeitraum, zu dem der Vertrag bereits durch Kündigung beendet gewesen sei. Der Amtsrichter forderte den Verfahrensbevollmächtigten auf, die „Betreuervollmacht“ bei Gericht vorzulegen, woraufhin dieser neuerlich eine Kopie zur Gerichtsakte reichte. Nachdem der Amtsrichter am 15. Januar 2014 unter Setzung einer Äußerungsfrist darauf hingewiesen hatte, die Vorlage einer Kopie genüge nicht zum Nachweis einer „Vollmacht“, verurteilte er die Klägerin am 17. Februar 2014 antragsgemäß. Dabei ging er davon aus, dass die Beschwerdeführerin im eigenen Namen weder im Verfahren aufgetreten noch der Anspruchsbegründung entgegengetreten sei. Die von ihrem Rechtsanwalt als Betreuer abgegebenen Erklärungen könnten nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, denn dieser habe es trotz Aufforderung unterlassen, seine Bevollmächtigung in geeigneter Form darzutun. Daher sei der Vortrag der Klägerin  unstreitig.

 

Die Beschwerdeführerin, der das Urteil über den Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden war, erhob fristgerecht Anhörungsrüge. Das Urteil verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, denn das Amtsgericht habe nicht darauf hingewiesen, dass es die übersandte Kopie der Bestellungsurkunde für unzureichend erachte. Ein im Urteil erwähntes Schreiben vom 15. Januar 2014 sei ihr unbekannt. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte das Original seiner Bestellung sowie die ihm darüber erteilte Urkunde vorgelegt hatte, wies der Amtsrichter die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 7. April 2014 zurück, der Beschwerdeführerin wiederum über den Verfahrensbevollmächtigten am 16. April 2014 zugestellt. Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin sei nicht verletzt. Als Rechtskundiger habe der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin wissen müssen, dass er der Aufforderung zur Vorlage der Betreuerurkunde durch die Fertigung einer Kopie nicht nachgekommen sei.

 

Die Beschwerdeführerin hat am 16. Juni 2014 Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung ihrer Grundrechte auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3  Alt. 2 Landesverfassung – LV –) und auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) rügt. Der Amtsrichter habe den Vortrag der Klägerin ohne vorherigen rechtlichen Hinweis nicht allein deshalb als unstreitig behandeln dürfen, weil ihr Verfahrensbevollmächtigter nur eine Kopie der Betreuerurkunde vorgelegt habe. Die Aufforderung zur Vorlage der Betreuerurkunde habe nicht erkennen lassen, dass es auf die Vorlage des Originals ankomme. Obwohl dem Amtsrichter habe bewusst sein müssen, dass der Verfahrensbevollmächtigte sich in dieser Hinsicht geirrt habe, habe er auf die Sachlage nicht hingewiesen. Dass es eine weitere gerichtliche Verfügung zu geben scheine, sei dem Verfahrensbevollmächtigten erst aus dem Urteil bekannt geworden.

 

Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden. Der Präsident des Amtsgerichts Potsdam und die Klägerin haben Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt.

 

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

 

1. Das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Februar 2014 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

 

a. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss vom 16. Juni 2005 – VfGBbg 2/05 –, JMBl BB 2005, 111, 112). Das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht soll demnach sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG NJW 2000, 1327). Allerdings gewährt Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben das rechtliche Gehör beschränkende Vorschriften wegen der einschneidenden Folgen, die sie für die säumige Partei nach sich ziehen, strengen Ausnahmecharakter (vgl. BVerfGE 69, 126, 136; 69, 145, 149). Die Fachgerichte sind daher bei der Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen, als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung muss über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehen (vgl. BVerfGE 75, 302, 312; 81, 97, 106). Demzufolge ist das rechtliche Gehör jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung der einfach-rechtlichen Präklusionsvorschrift durch das Fachgericht offenkundig unrichtig ist (vgl. BVerfGE 69, 145, 149; BVerfG NJW-RR 1999, 1079).

 

b) Das ist vorliegend der Fall. Das Amtsgericht war unter keinen Umständen befugt, den fristgemäß bei Gericht angebrachten Sachvortrag der unter Betreuung stehenden Beschwerdeführerin unberücksichtigt zu lassen und stattdessen den Vortrag der Klägerin als unstreitig anzusehen. Ein Fall der Säumnis der Beschwerdeführerin durch das Auftreten eines vollmachtlosen Vertreters lag offensichtlich nicht vor. Das Amtsgericht begründet die unterlassene Berücksichtigung des Vortrags damit, dass der Verfahrensbevollmächtigte seine „Bevollmächtigung“ als Betreuer nicht „in geeigneter Form, d. h. durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde“ nachgewiesen hat. Tatsächlich beruht die Vertretungsmacht des Verfahrensbevollmächtigten aber nicht auf einer diesem rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht, sondern auf dem Gesetz. Bei der Bestellungsurkunde des Betreuers nach § 290 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) handelt es sich gerade nicht um eine  Vollmacht (BGH FamRZ 2010, 968; Budde, in:  Keidel, FamFG, 17. Aufl., § 290 Rn. 1). Der Verfahrensbevollmächtigte ist als Betreuer gesetzlicher Vertreter der Beschwerdeführerin (§ 1896 Abs. 2 Satz 2, § 1902 BGB). Als solcher war (und ist) er befugt, im Rahmen seines Aufgabenkreises gegenüber dem Gericht Erklärungen für die Beschwerdeführerin abzugeben (§ 51 Abs. 1, § 53 ZPO). Davon hat er im zugrundeliegenden Verfahren unter ausdrücklicher Berufung auf die Betreuerstellung fristgemäß Gebrauch gemacht, ohne dass Anhaltspunkte für ein Überschreiten des ihm zugewiesenen Aufgabenkreises der Vermögenssorge erkennbar wären (zur Reichweite vgl. etwa Jürgens, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Aufl., § 1896 BGB Rn. 26, 30).

 

Der Sachvortrag durfte auch nicht deshalb übergangen werden, weil sich der Verfahrensbevollmächtigte nur durch Vorlage einer einfachen Kopie der Betreuerbestellung legitimiert hatte. Es handelt sich bei dem Original der Betreuerbestellung nicht um eine Vollmachtsurkunde. Darüber hinaus war es nach § 56 Abs. 1 ZPO Sache des Amtsgerichts, bei etwaigen Zweifeln an der Legitimation des Verfahrensbevollmächtigten von Amts wegen zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Betreuung bestand, da die Beschwerdeführerin gegebenenfalls in diesem Umfang als prozessunfähig zu gelten hatte (§ 53 ZPO). Dazu hätte der Amtsrichter alle erschließbaren Erkenntnisquellen heranziehen (vgl. etwa BGH NJW 2000, 289, 290; NJW-RR 2011, 284; Kayser, in: Hk-ZPO, § 56 Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 56 Rn. 8), also etwa mit der Betreuungsabteilung des Amtsgerichts Rücksprache nehmen können. Nicht einmal auf die Anhörungsrüge hat es die vorgelegte Ausfertigung des Beschlusses des Amtsgerichts über die Anordnung der Betreuung sowie das Original der Bestellungsurkunde zur Kenntnis genommen.

 

c) Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör liegt zudem auch darin, dass das Amtsgericht nicht auf seine Bedenken gegen die Vertretungsbefugnis des ausdrücklich als Betreuer auftretenden Verfahrensbevollmächtigten hingewiesen hat (vgl. dazu BGH NJW-RR 2006, 937, 938). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f). Im Hinblick darauf, dass der Verfahrensbevollmächtigte auf die gerichtliche Verfügung vom 30. Dezember 2013 seine Bestellung durch Übersendung einer einfachen Kopie, nicht aber durch Vorlage des Originals oder – was mit Blick auf den Unterschied zur Prozessvollmacht ebenfalls für ausreichend erachtet wird – einer beglaubigten Kopie der Bestellungsurkunde (Vollkommer, in: Zöller, a.a.O., § 53 Rn. 4; Hübsch, in: Vorwerk/Wolf, Beck´scher Online-Kommentar zur ZPO, Stand: 15. September 2014, § 53 Rn. 7) belegt hatte, wäre es Sache des Amtsrichters gewesen, konkret auf den aus seiner Sicht bestehenden Mangel der Form hinzuweisen, ohne dass er damit aber seine Nachprüfungspflicht auf die Beschwerdeführerin hätte abwälzen können. Dass der Verfahrensbevollmächtigte die entsprechende gerichtliche Verfügung nicht erhalten hatte, jedenfalls der Zugang der Verfügung nicht nachgewiesen ist, hätte Anlass zu fachgerichtlicher Selbstkorrektur geboten (vgl. dazu allgemein BVerfGE 107, 395, 412 ff), die das Amtsgericht aus nicht nachvollziehbaren Gründen indes nicht genutzt hat.

 

d) Das Urteil des Amtsgerichts beruht auf der Verletzung von Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung anders getroffen worden wäre, wenn der Amtsrichter das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu der in Rede stehenden Vertragsbeendigung durch Kündigung zur Kenntnis genommen hätte.

 

2. In Ansehung der vorstehenden Gründe bedarf die weiter aufgeworfene Frage, ob das Vorgehen des Amtsgerichts noch mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 LV vereinbar war, keiner näheren Betrachtung.

 

C.

Hiernach ist das Urteil vom 17. Februar 2014 gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg auf­zu­he­ben und die Sache zur erneuten Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam zurück­­­­zu­­­ver­­weisen. Der Beschluss über die Anhö­­rungs­rüge vom 7. April 2014 ist mit dieser Entscheidung gegenstandslos gewor­den und damit keine Grundlage für die Erhebung einer Gerichtsgebühr nach Nr. 1700 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.

 

Die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg und umfasst auch die Kosten der anwaltlichen Tätigkeit des Betreuers (§ 1908i Abs. 1, § 1835 Abs. 3 BGB). Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechts­­­an­waltsvergütungsgesetz auf 10.000,00 Euro fest­­zu­set­­zen.

 

Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt