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VerfGBbg, Urteil vom 15. Dezember 2005 - VfGBbg 287/03 -

 

Verfahrensart: konkrete Normenkontrolle
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 12 Abs. 2; LV, Art. 13; LV, Art. 36
- VerfGGBbg, § 33; VerfGGBbg, § 41 Satz 1; VerfGGBbg, § 44 Abs. 2
- BbgSchulG, § 9 Abs. 2 Satz 1
- GG, Art. 7 Abs. 3 Satz 1; GG, Art. 31; GG, Art. 100 Abs. 1; GG, Art. 141
- VwGO, § 42 Abs. 1
Schlagworte: - Bundesrecht
- Gleichheitsgrundsatz
- Prüfungsmaßstab
- Schulrecht
- Tenor
- Verwaltungsprozeßrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
amtlicher Leitsatz: 1. Die Landesverfassung enthält den Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen. Dieser Verfassungsgrundsatz ergibt sich als tragendes Strukturprinzip aus der Gesamtheit der Religion und Weltanschauung betreffenden Normen der Landesverfassung. Danach ist der Gesetzgeber gehalten, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleich zu behandeln, soweit Regelungen in Frage stehen, die allein an die Betroffenheit einer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft als solcher anknüpfen.

2. Ungleichbehandlungen widersprechen der für und gegen jede Religion und jede Weltanschauung geltenden staatlichen Neutralität und bedürfen einer der Landesverfassung oder dem vorrangigen Bundesrecht selbst zu entnehmenden Rechtfertigung, solange die Differenzierungen nicht im Interesse der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit Berücksichtigung verdienen bzw. nicht religiös-weltanschau­licher Art sind, wenngleich eine schematische Gleichbehandlung aller Bekenntnisgemeinschaften nicht geboten ist.

3. Läßt der Staat Religionsunterricht einfachgesetzlich zu, berechtigt ihn Art. 7 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz nicht, Weltanschauungsgemeinschaften die Erteilung von Weltanschauungsunterricht aufgrund ihrer Eigenschaft als Weltanschauungsgemeinschaft zu versagen.
Fundstellen: - GVBl 2006, 3
- LKV 2006, 218
- DÖV 2006, 258
- NVwZ 2006, 1052
- Mitt StGB 2006, 23
- DVBl 2006, 267 (nur LS)
- NJW 2006, 3133 (nur LS)
- LVerfGE 16,190
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 15. Dezember 2005 - VfGBbg 287/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 287/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
U R T E I L
In dem konkreten Normenkontrollverfahren

betreffend die Vereinbarkeit von § 9 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg vom 12. April 1996 (GVBl I, S. 102) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 2002 (GVBl I, S. 78) mit der Landesverfassung aufgrund des Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 22. August 2003

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dawin, Prof. Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder und Prof. Dr. Will

auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2005

für R e c h t erkannt:

1. § 9 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchulG) vom 12. April 1996 (GVBl I, S. 102) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 2002 (GVBl I, S. 78) ist mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar, soweit die Norm den Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht einräumt, Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen und Schulstufen in den Räumen der Schule in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu unterrichten (Religionsunterricht), Weltanschauungsgemeinschaften hingegen ausschließt.

2. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, spätestens mit Wirkung ab dem 1. Januar 2007 eine der Landesverfassung genügende Regelung zu schaffen. Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber bleibt die für unvereinbar mit der Landesverfassung festgestellte Regelung in Geltung. Sollte der Gesetzgeber nicht rechtzeitig eine Neuregelung treffen, so gilt § 9 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg vom 12. April 1996 (GVBl I, S. 102) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 2002 (GVBl I, S. 78) ab dem 1. Januar 2007 mit der Maßgabe fort, daß auch Weltanschauungsgemeinschaften das Recht zusteht, Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen und Schulstufen in den Räumen der Schule in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu unterrichten.

G r ü n d e :

A.

Gegenstand des konkreten Normenkontrollverfahrens ist eine die Erteilung von Religionsunterricht betreffende Vorschrift des Brandenburgischen Schulgesetzes.

I.

Das Verwaltungsgericht Potsdam hat dem Landesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchulG) vom 12. April 1996 (GVBl I, S. 102) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. [2.] August 2002 (GVBl I, S. 78) mit Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 Abs. 5 der Verfassung des Landes Brandenburg vereinbar ist, soweit diese Vorschrift lediglich den Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht einräumt, Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen und Schulstufen in den Räumen der Schule in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu unterrichten (Religionsunterricht), den Kläger des verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahrens als Weltanschauungsgemeinschaft jedoch nicht einbezieht.

II.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG vom 12. April 1996 lautete (GVBl I, S. 102):

„Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, Schülerinnen und Schüler in den Räumen der Schule nach ihrem Bekenntnis zu unterrichten (Religionsunterricht).“

Das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes vom 1. Juni 2001 (GVBl I, S. 62) sah von einer Einbeziehung von Weltanschauungsgemeinschaften in § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG ab (s. auch Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs 3/2371, S. 43; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport, LT-Drs 3/2738, S. 8, 79; Änderungsantrag, LT-Drs 3/2799; LT-Plenarprotokoll 3/35, S. 2230).

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes vom 10. Juli 2002 (GVBl I, S. 55) neu gefaßt und am 2. August 2002 bekannt gemacht (GVBl I, S. 78):

„Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen und Schulstufen in den Räumen der Schule in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu unterrichten (Religionsunterricht).“

III.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens erstrebt die Zulassung zur Erteilung des Faches „Humanistische Lebenskunde“ an den Schulen des Landes Brandenburg. Sein dahingehender Antrag vom 21. Juni 2000 wurde durch Schreiben des Beklagten des Ausgangsverfahrens - dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg - vom 25. Oktober 2000 unter Verweis auf Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG) abgelehnt. Der Kläger erhob am 21. Juni 2001 Klage beim Verwaltungsgericht Potsdam, mit der er sein Begehren weiterverfolgte und beantragte, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 2000 zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht setzte durch Beschluß vom 22. August 2003 das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 113 Nr. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), § 42 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) aus und legte dem Landesverfassungsgericht die zu I. wiedergegebene Frage zur Entscheidung vor.

Zur Begründung führte es aus, die verwaltungsgerichtliche Klage sei als Bescheidungsklage zulässig (§ 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), obwohl § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG eine Norm mit gebundener Rechtsfolge sei. § 10 Abs. 6 Satz 2 BbgSchulG und die „Zahl der vorab zu beurteilenden Fragen“ erforderten ein - im Schulgesetz nicht ausdrücklich vorgesehenes - Verfahren für die Zulassung zur Erteilung vom Religionsunterricht. Denn es bedürfe der Prüfung, „ob eine Vereinigung in den Kreis der Berechtigten des § 9 BbgSchulG fällt, ob die Rahmenpläne bzw. verbindlichen curricularen Materialien gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG i.V.m. § 2 Abs. 2 der Verordnung über den Religionsunterricht an Schulen (RUV) vom 1. August 2002 (GVBl II, S. 481) den Anforderungen entsprechen und ob die zu beauftragenden Lehrkräfte über eine hinreichende Ausbildung im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG i.V.m. § 2 Abs. 1 RUV verfügen“ (S. 7 des Vorlagebeschlusses). Dieser gebotenen Prüfung sei der Beklagte des Ausgangsverfahrens schon deshalb nicht nachgekommen, weil er den Kläger des Ausgangsverfahrens bereits grundsätzlich nicht dem Kreis der Anspruchsberechtigten des § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG zugeordnet habe. Insoweit sei eine Bescheidungsklage unter Effektivitätsgesichtspunkten zulässig.

Im Falle der Vereinbarkeit von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG mit der Landesverfassung sei die Klage abzuweisen, da der Kläger des Ausgangsverfahrens - weder Kirche noch Religionsgemeinschaft, sondern Weltanschauungsgemeinschaft - sich nicht mit Erfolg auf § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG berufen könne, wenngleich er die Mindestanforderungen, die hinsichtlich der Erteilung von Bekenntnisunterricht auch an Religionsgemeinschaften zu stellen seien (Mindestmaß an Organisation, festliegende Inhalte in einem gemeinsamen Bekenntnis, Interessenten im Kreis der Schüler), erfülle. Das vorlegende Gericht führt zur Person des Klägers des Ausgangsverfahrens aus (S. 2 f. des Vorlagebeschlusses):

„Der im März 1999 gegründete Kläger versteht sich gemäß seiner Satzung als eine Weltanschauungsgemeinschaft, die sich zu einer weltlich humanistischen Lebensauffassung bekennt. Er ist als eingetragener Verein organisiert, strebt jedoch nach eigenen Angaben den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Der Kläger ist Mitglied im Humanistischen Verband Deutschland e. V. (HVD), einer bundesweiten Dachorganisation, und über diesen in der internationalen Organisation ‚Internationale Humanistische und Ethische Union (IHEU)’. Dem Kläger als Trägerverein gehören acht Brandenburger Regionalverbände sowie der Landesverband Berlin an, die ihrerseits ebenfalls eingetragene Vereine sind. Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich weltlicher Fest- und Feierkultur sowie bei Projekten der Jugend-, Bildungs-, Senioren- und Sozialarbeit. Seit 1984 erteilt der heutige Landesverband Berlin e.V. an Berliner Schulen humanistischen Lebenskundeunterricht als weltanschauliche Alternative zum kirchlichen Religionsunterricht. Die Nachfrage für dieses Angebot entwickelte sich nach Angaben des Klägers kontinuierlich und erreichte im Schuljahr 2001/02 eine Beteiligung von knapp 30.000 Berliner Schülern.“

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG sei einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich, da eine solche ihre Grenzen dort fände, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch träte.

Im Falle der Unvereinbarkeit von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG mit der Landesverfassung sei das verwaltungsgerichtliche Verfahren hingegen erneut auszusetzen, bis der Landesgesetzgeber eine der Landesverfassung entsprechende Regelung vorgenommen habe. Die verfassungsgerichtlich festgestellte Unvereinbarkeit von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG mit der Landesverfassung halte dem Kläger zumindest die Chance offen, an einer etwaigen Erweiterung des Kreises der Begünstigten teilzuhaben.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG verstoße gegen das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates sowie gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 12 Abs. 2 LV i.V.m. Art. 36 Abs. 5 LV), da den nicht religiös gebundenen Bekenntnisgemeinschaften allein aus Gründen fehlender Religiosität die Befugnis zur Erteilung von Weltanschauungsunterricht versagt werde. Sobald der Staat Rechte einräume, sei er grundsätzlich verpflichtet, auch mit Bezug auf den Kreis der Anspruchsberechtigten die Parität zwischen den verschiedenen Bekenntnisgemeinschaften zu wahren. Dabei seien ihm zwar nicht jegliche Unterscheidungen versagt, Differenzierungen aber nur dann zulässig, wenn innerhalb der Gesamtheit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Verschiedenheiten vorlägen, die im Interesse der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit Berücksichtigung verdienten oder nicht religiös-weltanschaulicher Art seien. Die Differenzierung in § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG allein nach dem Inhalt des jeweiligen Bekenntnisses verbiete sich, da es an einem insoweit zulässigen Differenzierungsgrund fehle.

IV.

Dem Landtag, der Landesregierung und dem Kläger des Ausgangsverfahrens ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Die Landesregierung hält die Vorlage bereits mangels Zulässigkeit der zum Verwaltungsgericht erhobenen Bescheidungsklage für unzulässig. Das vorlegende Gericht sei verpflichtet gewesen, die Sache spruchreif zu machen. Jedenfalls sei die Vorlage unbegründet, da § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG nicht gegen das Differenzierungsverbot (Art. 12 Abs. 2 LV) verstoße. Art. 7 Abs. 3 GG stelle sich als Durchbrechung des strikten Neutralitätsgrundsatzes dar, wodurch die Regelungsfreiheit des Landesgesetzgebers erweitert werde. Im Ergebnis nichts anderes gelte, falls Art. 7 Abs. 3 GG wegen Art. 141 GG im Land Brandenburg keine Anwendung finde, da das Neutralitätsgebot der Landesverfassung „unter dem Eindruck der grundgesetzlichen Wertung des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG und der darin zum Ausdruck gebrachten Privilegierung der Religionsgemeinschaften“ stünde. § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG verstoße auch nicht gegen das Gleichstellungsgebot (Art. 36 Abs. 5 LV). Dieses könne - unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm und der entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes sowie der Weimarer Reichsverfassung - nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich beanspruchen, der sich - angesichts von Art. 7 Abs. 3 GG als vorrangiger grundgesetzlicher Differenzierungsnorm - wegen des Gebots der Einheit der Verfassung jedenfalls nicht im Sinne des religiös-weltanschaulichen Neutralitätsprinzips darstelle.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens hält die Vorlage für zulässig und begründet. Die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage gingen ins Leere, da die Grundsätze der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes und der Prozeßökonomie eine Sachentscheidung des Landesverfassungsgerichts ermöglichen müsse. Andernfalls sei das Verwaltungsgericht zu umfangreichen Ermittlungen veranlaßt, die sich im Falle der Unbegründetheit der Vorlagefrage als überflüssig darstellten. § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG verstoße gegen die Landesverfassung, wobei es weder auf Art. 7 Abs. 3 GG noch auf Art. 141 GG ankomme. Maßgeblich sei allein die Zulässigkeit des nichtstaatlichen Bekenntnisunterrichts, die sich ausschließlich „nach dem Grundrecht der Bekenntnisfreiheit in der Landes(Bundes-)verfassung“ beurteile. Es sei anerkannt, daß Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichbehandelt werden müßten.

B.

Auf die Vorlage war festzustellen, daß § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG in seiner geltenden Fassung mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar ist, soweit die Norm Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht einräumt, Schülerinnen und Schüler in allen Schulformen und Schulstufen in den Räumen der Schule in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu unterrichten (Religionsunterricht), Weltanschauungsgemeinschaften hingegen ausschließt.

I.

Die Vorlage ist im Verfahren der konkreten Normenkontrolle zulässig (Art. 113 Nr. 3 LV; §§ 12 Nr. 3, 42 ff. VerfGGBbg). Insbesondere ist die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage durch das vorlegende Gericht nicht zu beanstanden.

1. Es begegnet zwar Bedenken, die Klage im Ausgangsverfahren als sog. Bescheidungsklage für zulässig zu erachten. Streitentscheidende Norm des Ausgangsverfahrens ist mit § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG eine Norm mit gebundenem Anspruch. In einem solchen Fall ist das erkennende Fachgericht grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen (st. Rspr.: BVerwGE 90, 18, 24; 69, 198, 201; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 193 zu § 113 m.w.N. [Fn. 279]; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rn. 66 ff. zu § 113). Wenn der Kläger des Ausgangsverfahrens das ihm wegen seiner Eigenschaft als Weltanschauungsgemeinschaft in Abrede gestellte Recht auf Erteilung von Weltanschauungsunterricht verwaltungsgerichtlich isoliert überprüfen lassen wollte, ohne die weiteren durch das Schulgesetz aufgestellten Voraussetzungen (S. 6 f. des Vorlagebeschlusses: §§ 10 Abs. 6 Satz 2, 9 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG i.V.m. § 2 RUV) dartun zu müssen bzw. gerichtlich ermitteln zu lassen (§ 86 Abs. 1 VwGO), dürfte eine auf die Feststellung der in Streit stehenden Anspruchsvoraussetzungen gerichtete Feststellungsklage gegenüber der Bescheidungsklage vorrangig sein (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rn. 69 zu § 113). Allerdings ist das Landesverfassungsgericht an die Rechtsauffassung (vgl. BVerfGE 72, 51, 60 m.w.N.) oder Tatsachenwürdigung (vgl. BVerfGE 13, 31, 35 f.) des vorlegenden Gerichts gebunden, soweit diese nicht offensichtlich unhaltbar sind oder die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit von der Beantwortung verfassungsrechtlicher Vorfragen (vgl. BVerfGE 46, 268, 284) abhängt (vgl. BVerfGE 99, 280, 288; 78, 165, 172; 72, 51, 60 m.w.N.). Insoweit ist das vorlegende Gericht mit Blick auf die höchstrichterlich zugestandenen Ausnahmen von der Verpflichtung, die Sache spruchreif zu machen (vgl. BVerwGE 90, 18, 24; BVerwG DÖV 1982, 744; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 197 ff. zu § 113), zumindest vertretbar von der Zulässigkeit der Bescheidungsklage ausgegangen. Insbesondere ist anerkannt, daß in Fällen des sog. steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens ein Kläger in zulässiger Weise die Verurteilung der Behörde zur Bescheidung beantragen kann (vgl. BVerwG DVBl 1989, 1050, 1051; kritisch Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rn. 69 zu § 113).

2. Das vorlegende Gericht hat beanstandungsfrei dargelegt, daß eine Auslegung von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG in der Weise, daß auch der Kläger des Ausgangsverfahrens durch die Norm begünstigt wird, nicht möglich ist.

a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts, die im verfassungsgerichtlichen Verfahren von den Anhörungsberechtigten nicht in Zweifel gezogen worden sind und gegen deren Richtigkeit sich dem erkennenden Gericht keine Zweifel aufdrängen, eine Weltanschauungsgemeinschaft (S. 17 f. des Vorlagebeschlusses) und als solche dem Wortlaut von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG folgend, nicht anspruchsberechtigt. Die Norm nennt nur Kirchen und Religionsgemeinschaften als Berechtigte und schließt damit nach ihrem Wortlaut und auch nach ihrem Sinn und Zweck Weltanschauungsgemeinschaften aus. Ebenso geht das Landesverfassungsgericht aufgrund der Ausführungen des vorlegenden Gerichts (s. S. 2 f., 18 f. des Vorlagebeschlusses) und unter Berücksichtigung der Satzung des Klägers des Ausgangsverfahrens sowie dessen Schrift „Humanistisches Selbstverständnis (2001)“ davon aus, daß der Kläger des Ausgangsverfahrens als Trägerverein nicht nur auf die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten seiner Mitgliedsvereine beschränkt ist, ohne selber die für seine Identität wesentlichen Aufgaben wahrzunehmen (vgl. BVerwG NJW 2005, 2101, 2103 f.). Auch die Anhörungsberechtigten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens wenden sich hiergegen nicht.

Das erkennende Gericht hat ebenfalls keinen Anlaß dazu, die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen in Frage zu stellen, nach denen der Kläger des Ausgangsverfahrens die Mindestanforderungen erfüllt, die an Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften grundsätzlich zu stellen sind, wenn sie Bekenntnisunterricht erteilen wollen (vgl. etwa S. 18 f. des Vorlagebeschlusses: Mindestmaß an Organisation, festliegende Inhalte in einem gemeinsamen Bekenntnis, Interessenten im Kreis der Schüler; vgl. auch BVerwG NJW 2005, 2101, 2107; Mückl, AöR 122 (1997), 513, 535 und 552; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Auflage 2004, Rn. 93 zu Art. 7 [Fn. 317 f. m.w.N.]; Link, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 2. Band, 2. Auflage 1995, S. 500).

b) Das vorlegende Gericht hat ohne Rechtsfehler eine verfassungskonforme Auslegung von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG abgelehnt (vgl. zu dieser: BVerfGE 86, 288, 320 m.w.N.; 69, 1, 54 ff.). Gegen eine solche sprechen sowohl die eindeutige Wortwahl als auch die Entstehungsgeschichte der Norm. § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG benennt mit „Kirchen“ und „Religionsgemeinschaften“ - an den Sprachgebrauch der Landesverfassung in Art. 36 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 4; Art. 37 Abs. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 anknüpfend - die Begünstigten in einem eindeutigen und juristisch-formalen Sinn. Der Gesetzgeber hat sich in den Beratungen über die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG sowohl in der heute als auch in der zuvor geltenden Fassung mehrheitlich gegen die Aufnahme der Weltanschauungsgemeinschaften in den Kreis der Begünstigten ausgesprochen (s. zum Dritten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes: Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs 3/4148, S. 5; LT-Ausschußprotokolle 3/576-I, S.44 ff. und 3/588-I, S. 4; Änderungsanträge, LT-Drs 3/4543, 3/4544 und 3/4545; LT-Plenarprotokoll 3/58, S. 3878; s. zum Brandenburgischen Schulgesetz in der ursprünglich geltenden Fassung: Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs 2/1675, Begründung S. 15; LT-Ausschußprotokoll 2/520, S. 15 f.; Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport, LT-Drs 2/2349, S. 30). Selbst wenn die Gesetzesmaterialien nur behutsam und unterstützend zur Auslegung einer Vorschrift herangezogen werden dürfen (vgl. BVerfGE 36, 342, 367; 10, 234, 244; 1, 299, 312), trägt vorliegend jedenfalls auch der Wille des Gesetzgebers, da dieser im Normtext im Sinne eines Ausschlusses der Weltanschauungsgemeinschaften Niederschlag gefunden hat (vgl. BVerfGE 62, 1, 45 m.w.N.). Daher scheidet vorliegend eine verfassungskonforme Auslegung von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG aus, da andernfalls der normative Kerngehalt der Norm grundlegend neu bestimmt werden würde (vgl. BVerfGE 90, 263, 275; 69, 1, 55; 63, 131, 147 f. und 134 f.).

c) Das vorlegende Gericht hat zutreffend ausgeführt, daß das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Falle der Vereinbarkeit von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG mit der Landesverfassung zu einem anderen Ergebnis - Klageabweisung - führen würde als im Falle der Unvereinbarkeit der Norm mit der Landesverfassung - erneute Aussetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahren bis zu einer Entscheidung des Gesetzgebers - (vgl. BVerfGE 97, 35, 48; 72, 9, 18; 51, 356, 361; 49, 280, 282; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Auflage 2001, Rn. 854 ff. m.w.N.).

II.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG ist in seiner geltenden Fassung mit der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar, da die Norm gegen das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates verstößt.

1. Die Landesverfassung enthält den Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen. Dieser Verfassungsgrundsatz ergibt sich - unbeschadet der Reichweite und Bindung grundgesetzlicher Vorgaben insoweit (vgl. BVerfGE 105, 279, 293 ff.; 93, 1, 16 f.; 33, 23, 28 f. m.w.N.) - als tragendes Strukturprinzip aus der Gesamtheit der Religion und Weltanschauung betreffenden Normen der Landesverfassung (insbesondere Art. 12 Abs. 2, 13 Abs. 1, 36 Abs. 1 und 5) und unabhängig von der konkreten Reichweite der durch Art. 36 Abs. 5 LV garantierten Gleichstellung der Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung mit den Religionsgemeinschaften (vgl. mit Bezug auf die Reichweite von Art. 137 Abs. 7 WRV i.V.m. Art. 140 GG: Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Rn. 122 zu 140 GG / Art. 137 WRV; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Auflage 2004, Rn. 3 zu Art. 140 / Art. 137 WRV; Korioth, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rn. 103 zu Art. 140 GG / Art. 137 WRV; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 4. Auflage 2001, Rn. 301 zu Art. 137 WRV; a. A.: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Auflage 1933, Anm. 12 zu Art. 137 (S. 650); Magen, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Rn. 122 zu Art. 140; Hollerbach, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, 2. Auflage 2001, Rn. 137 zu § 138). Danach ist der Gesetzgeber gehalten, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleich zu behandeln, soweit Regelungen in Frage stehen, die allein an die Betroffenheit einer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft als solcher anknüpfen (vgl. Heckel, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 1. Band, 2. Auflage 1994, S. 646 f.; Link, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 2. Band, 2. Auflage 1995, S. 507 f.). Dem Staat ist es verwehrt, sich mit bestimmten Religionsgemeinschaften zu identifizieren (vgl. BVerfGE 93, 1, 17; 30, 415, 422). Dahingehende Privilegierungen widersprechen der für und gegen jede Religion und jede Weltanschauung geltenden staatlichen Neutralität und bedürfen einer der Landesverfassung oder dem vorrangigen Bundesrecht (Art. 31 GG) selbst zu entnehmenden Rechtfertigung, solange die Differenzierungen nicht im Interesse der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit Berücksichtigung verdienen bzw. nicht religiös-weltanschaulicher Art sind (vgl. BVerfGE 19, 1, 8; 19, 129, 134 f.; BVerwGE 61, 152, 158 f.; v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 4. Auflage 2001, Rn. 18 ff. und 28 ff. zu Art. 140; Heckel, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 1. Band, 2. Auflage 1994, S. 635 ff.; Obermayer, DVBl 1981, 615, 617; Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 82), wenngleich eine schematische Gleichbehandlung aller Bekenntnisgemeinschaften nicht geboten ist (vgl. BVerfGE 19, 1, 8; 19, 129, 134; BVerwGE 61, 152, 158).

Nach diesen Grundsätzen ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen verwehrt, in § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG das Recht auf Erteilung von Bekenntnisunterricht davon abhängig zu machen, ob sich dieser als Religions- oder aber als Weltanschauungsunterricht darstellt. Die Erteilung von Bekenntnisunterricht in den staatlichen Schulen berührt nicht nur einen untergeordneten Teilbereich der Glaubens- bzw. Gewissensfreiheit und stellt sich auch nicht als bloße Modalität der Ausübung einer Religion bzw. Weltanschauung dar. Vielmehr knüpft die einfachgesetzliche Berechtigung zur Erteilung von Bekenntnisunterricht unmittelbar - und insoweit den gesetzgeberischen Spielraum überschreitend - an die Frage der Zugehörigkeit zu einer Religions- oder aber Weltanschauungsgemeinschaft an, was sich von Landesverfassungs wegen nicht rechtfertigen läßt.

2. Nichts anderes ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG. Zwar geht Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG der Landesverfassung grundsätzlich vor (Art. 31 GG), rechtfertigt aber nicht die durch § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG normierte Ungleichbehandlung von Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und Weltanschauungsgemeinschaften andererseits. Daher kann offenbleiben, ob im Land Brandenburg am 1. Januar 1949 eine von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende landesrechtliche Regelung bestand (Art. 141 GG).

Der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates ist tragendes Prinzip sowohl der Bundes- als auch der Landesverfassung (s.o., B. II. 1.). Diesem gegenüber beansprucht Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG als dem Neutralitätsgrundsatz vorrangige Sonderregel nur solange und nur soweit Vorrang, als daß Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG den Neutralitätsgrundsatz konkret überlagert. Ein derartiger Anwendungsvorrang kommt Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch nicht zu. Läßt der Staat Religionsunterricht einfachgesetzlich zu, berechtigt ihn Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG nicht, Weltanschauungsgemeinschaften die Erteilung von Weltanschauungsunterricht aufgrund ihrer Eigenschaft als Weltanschauungsgemeinschaft zu versagen (im Ergebnis auch: Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 361 [Fn. 462]; Heckel, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2. Band, S. 396 [Fn. 64]).

a) „Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf“ (BVerfGE 19, 206, 216). Die Bekenntnisneutralität des Staates ist das tragende „Element der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Verfassung“ (Hollerbach, AöR 92 (1967), 99, 104; s. auch Obermayer, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 76 zu Art. 140 m.w.N.). Anders als noch Art. 135 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) hat das Grundgesetz die Bekenntnisfreiheit aus den die Kirchen und Religionsgemeinschaften betreffenden Bestimmungen herausgelöst und die Bekenntnisfreiheit als umfassendes Freiheitsrecht an herausgehobener Stelle innerhalb des Verfassungsgefüges normiert (vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Rn. 7 und 144 zu Art. 4; Will, in: Macke, Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, 131, 136). Dieser umfassende Geltungsanspruch innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes zeigt sich - anders als noch bei Art. 135 Satz 3 WRV - auch an dem Fehlen von Schrankenbestimmungen innerhalb des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Religionsfreiheit ist somit als eines der obersten Verfassungsprinzipien „eine spezifische Sicherung der Würde des Menschen und seiner Freiheit als Persönlichkeit, die über sich und ihre Stellung in der Welt zu einer bestimmten Gewißheit und Sinngebung gelangt ist“ (Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 36). Dieser Aufgabe und Stellung im Verfassungsgefüge ist bei der Auslegung des Grundgesetzes angemessen Rechnung zu tragen.

b) Demgegenüber ist Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG Sonderregel und nicht Ausdruck einer grundlegenden Wertentscheidung des Grundgesetzes. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG setzt sich nur für die durch diese Norm abschließend geregelte Materie gegenüber der Grundsatzentscheidung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch. Hier geht es jedoch nicht um die Einrichtung von Weltanschauungsunterricht als ordentliches Lehrfach. Auch hat Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG keinen Anspruch auf umfassende Verwirklichung außerhalb seines konkreten Anwendungsbereichs. Das Normgefüge der Art. 4 Abs. 1 und 2, 7 Abs. 3 Satz 1 GG gebietet es, eine etwaig durch Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG bezweckte Einschränkung der Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zumindest mit hinreichender Deutlichkeit - wenn nicht ausdrücklich - zum Ausdruck zu bringen.

aa) Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG bestimmt in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen den Religionsunterricht, der unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird, zum ordentlichen Lehrfach. Das Grundgesetz beantwortet insoweit allein die Frage, ob der von den Religionsgemeinschaften erteilte Unterricht ordentliches Lehrfach ist, bestimmt zugleich die Zuständigkeit für die Festlegung des Inhalts und relativiert das Recht der Religionsgemeinschaften auf Erteilung von Religionsunterricht insoweit, als daß die grundsätzliche Aufsicht des Staates im Bereich der Schule gewährleistet wird. Danach erstreckt sich die Regelung allein auf das Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Staat, ohne auf Weltanschauungsgemeinschaften auch nur reflexartig Bezug zu nehmen. Im übrigen besteht in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, daß die Übergänge von Religions- zur Weltanschauungsgemeinschaft fließend sind und eine randscharfe Abgrenzung praktisch nicht möglich ist (vgl. BVerwG NVwZ 1999, 769, 773 und NJW 1981, 1460; BFH NVwZ 2000, 967, 968; Kästner, AöR 123 (1998), 408, 409 ff.; Obermayer, DVBl 1981, 615, 618 m.w.N.; differenzierend Wilms, in: Staat, Kirche, Verwaltung (FS Maurer), 493, 501 ff.; sogar für die Einbeziehung der Weltanschauungsgemeinschaften in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 Link, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 2. Band, 2. Auflage 1995, S. 500; Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Auflage 2003, Rn. 41 zu Art. 7; Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Rn. 152 zu Art. 7; Oebbecke, DVBl 1996, 336, 339; Maurer, in: Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats (FS Zacher), 577, 579 f. und 582; wohl auch BVerwG NVwZ 1999, 769, 773). Diese begriffliche Unschärfe darf jedenfalls nicht zu Lasten der sich auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufenden Weltanschauungsgemeinschaften gehen.

bb) Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG verliert auch durch eine zumindest teilweise Gleichstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht seinen Anwendungsbereich. Zunächst gilt, daß die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften durch einen den Weltanschauungsgemeinschaften zustehenden Anspruch auf Teilhabe an dem einfachgesetzlich eingeräumten Recht auf Erteilung von Bekenntnisunterricht nicht angetastet wird, da die Rechtseinräumung in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG nur gegenüber dem Staat erfolgt (vgl. BVerwG NJW 2005, 2101) und dieses Recht - durch eine Erstreckung auf Weltanschauungsgemeinschaften - im Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum Staat nicht geschmälert wird. Sie bleiben Inhaber des originären Anspruchs aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG. Angesichts des Grundsatzes staatlicher Neutralität können die Religionsgemeinschaften allerdings nicht beanspruchen, allein zur Erteilung von Bekenntnisunterricht befugt zu sein (vgl. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 361 [Fn. 461 m.w.N.]; Maurer, in: Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats (FS Zacher), 577, 579).

Auch kann nicht überzeugend angeführt werden, daß die Beschränkung in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG auf Religionsgemeinschaften eine Art verfassungsrechtliche Untergrenze darstelle, die verhindern solle, daß nicht geeignete Gemeinschaften von der Erteilung von Bekenntnisunterricht ausgenommen werden sollen. Denn zum einen sind auch Religionsgemeinschaften, die nicht Körperschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV i.V.m. Art. 140 GG sind, grundsätzlich zur Erteilung von Religionsunterricht befugt (vgl. BVerwG NJW 2005, 2101, 2107). Zum anderen müssen Bekenntnisgemeinschaften, die die Erteilung von Bekenntnisunterricht begehren, die hierfür geltenden, sich zumindest an Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV i.V.m. Art. 140 GG orientierenden ungeschriebenen Voraussetzungen erfüllen (s.o., B. I. 2. a) m.w.N.), die überdies durch den Gesetzgeber konkretisiert werden können.

cc) Auch die Entstehungsgeschichte spricht nicht gegen eine Auslegung von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG als Anspruchsnorm ohne Weltanschauungsgemeinschaften ausgrenzenden Reflex. Sinn und Zweck von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG waren und sind, dem Unterricht der Religionsgemeinschaften die Eigenschaft eines ordentlichen Lehrfachs zu gewährleisten (vgl. Oebbecke, DVBl 1996, 336, 337). Bereits in den Beratungen des Parlamentarischen Rates ging es vorrangig um Reichweite und Abgrenzung von Elternrecht, Recht der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften auf Erteilung von Religionsunterricht und Aufsichtsrecht des Staates unter Berücksichtigung dessen religiös-weltanschaulicher Neutralität (vgl. JöR 1 (1951), S. 102 ff.; Wernicke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Anm. I. zu Art. 7). Ausgangspunkt hierfür war Art. 149 Abs. 1 WRV:

„Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.“

An dem sog. Weimarer Schulkompromiß, der in dieser sowie in weiteren Vorschriften Ausdruck gefundenen hat (vgl. zu diesem Badura, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, 1. Band, 2. Auflage 1994, S. 229 ff.; Richter, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage 2001, Rn. 2 zu Art. 7), wurde der Sache nach festgehalten (vgl. Hollerbach, in: Handbuch des Staatsrechts, 6. Band, 2. Auflage 2001, Rn. 20 zu § 138). Allerdings waren nach den damaligen Verhältnissen vorrangig die beiden großen Kirchen willens und in der Lage, Religionsunterricht zu erteilen, so daß das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach auch nur mit Blick auf die Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften - jedoch nicht mit Blick auf Weltanschauungsgemeinschaften - erörtert (vgl. JöR 1 (1951), S. 102 ff.) und nachfolgend als gemeinsame Aufgabe von Religionsgemeinschaften und Staat festgeschrieben wurde („res mixta“; vgl. Mückl, AöR 122 (1997), 513, 527 f.; Hollerbach, in: Handbuch des Staatsrechts, 6. Band, 2. Auflage 2001, Rn. 32 zu § 140). Es ist demgegenüber nicht ersichtlich, daß in Kenntnis der Bereitschaft und Fähigkeit zur Erteilung von Bekenntnisunterricht von Kirchen und Religionsgemeinschaften einerseits und Weltanschauungsgemeinschaften andererseits die Kirchen und Religionsgemeinschaften privilegiert werden sollten (vgl. unter Hinweis auf bisher zu geringe Mitgliederzahlen: Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 361).

III.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG war für mit der Landesverfassung unvereinbar zu erklären (§§ 44 Abs. 2, 41 Satz 1 VerfGGBbg). Dem Gesetzgeber obliegt angesichts seiner Gestaltungsfreiheit die Entscheidung, eine dem Neutralitätsgebot Rechnung tragende Regelung zu treffen. Bis zu dieser Entscheidung des Gesetzgebers gebietet es die Rechtssicherheit, die bestehende Regelung in Geltung zu lassen. Für den Fall, daß der Gesetzgeber seiner Verpflichtung zur Neuregelung nicht rechtzeitig nachkommt, war aus Gründen der Gleichbehandlung sowie aus Gründen der effektiven Durchsetzung des Gebots der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates die Fortgeltung von § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG unter Einschluß der Weltanschauungsgemeinschaften in den Kreis der Berechtigten anzuordnen (§ 33 VerfGGBbg; vgl. auch BVerfGE 107, 395, 418; 99, 300, 331 f.; 97, 228, 270).
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dawin
   
Prof. Dr. Dombert Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
Prof. Dr. Schröder Prof. Dr. Will