VerfGBbg, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - VfGBbg 258/03 -
Verfahrensart: |
Kommunalverfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1 | |
Schlagworte: | - kommunale Selbstverwaltung - Gemeindegebietsreform - Verhältnismäßigkeit |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - VfGBbg 258/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 258/03
IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem kommunalen
Verfassungsbeschwerdeverfahren
Gemeinde Dolgenbrodt, Beschwerdeführerin, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S.,
hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg am 15. Dezember 2005 b e s c h l o s s e n : Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. G r ü n d e : A. Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Friedersdorf angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die neugebildete Gemeinde Heidesee. I. 1. Die Beschwerdeführerin gehörte mit ursprünglich elf weiteren Gemeinden dem im Landkreis Dahme-Spreewald gelegenen und nach dem sogenannten Modell 1 gebildeten Amt Friedersdorf an. Sie war unmittelbar von den amtsangehörigen Gemeinden Bindow, Blossin, Gussow, Kolberg und Prieros umgeben. Mit einem im Mai 2002 genehmigten Gebietsänderungsvertrag schlossen sich die bisherigen amtsangehörigen Gemeinden Bindow, Blossin, Dannenreich, Friedersdorf, Kolberg und Prieros zum Tag der nächsten landesweiten Kommunalwahl (26. Oktober 2003) zur neuen Gemeinde Heidesee zusammen. Das Gebiet des bisherigen Amtes Friedersdorf und damit auch der Beschwerdeführerin ist dem engeren Verflechtungsraum zu Berlin zugeordnet (s. Art. 1 Anlage 1 § 4 Satz 4 Nr. 1 i.V.m. Anhang B 1 des Staatsvertrages vom 7. August 1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg [Landesentwicklungsprogramm] und über die Änderung des Landesplanungsvertrages [GVBl. 1998 I S. 14]). Die Fläche des Amtes liegt mit ca. 135 km² (ohne die Gemeinde Pätz) unter dem Landesdurchschnitt (161 km²) vor der kommunalen Neugliederung. Die Bevölkerungsdichte lag zum 31. Dezember 2001 mit 49 Einwohnern je Quadratkilometer unter dem Durchschnitt des Landes von 87 Einwohnern je Quadratkilometern. Zu diesem Zeitpunkt lebten von den ca. 6.900 Einwohnern des Amtsgebietes (ohne die Gemeinde Pätz) ca. 4.560 in den später die Gemeinde Heidesee bildenden Gemeinden und 330 im Gebiet der Beschwerdeführerin. Das Amt ebenso wie die Beschwerdeführerin verzeichneten seit 1992 mit andauernder Tendenz einen mit ca. 20 % starken Einwohnerzuwachs. Die Entfernung der Beschwerdeführerin zum Amtssitz in der mit ca. 1.920 Einwohnern (Stand: 2001) größten früheren Gemeinde Friedersdorf betrug ca. sieben Kilometer. Im heutigen Ortsteil Friedersdorf besteht eine Anbindung an die Bundesautobahn A 12 (Anschlußstelle Friedersdorf) und ein Bahnhof der nach Königs Wusterhausen und Berlin führenden Regionalbahn (RB 36). Von Friedersdorf aus ist die Bundesautobahn A 10 („Berliner Ring“, Dreieck Spreeau) ca. fünf Kilometer entfernt. Die Bundesautobahn A 13 ist ca. 13 Kilometer vom Gebiet der Beschwerdeführerin entfernt. Die Bundesstraße 246 verläuft ca. einen Kilometer südlich der Beschwerdeführerin in Ost-West-Richtung durch das bisherige Amtsgebiet und führt nach ca. neun Kilometern in die amtsfreie Gemeinde Bestensee mit einem Bahnhof der mit Berlin verbindenden Regionalbahnlinien RE 2 und RB 14. In der Gemeinde Heidesee bestehen eine Gesamtschule (Ortsteil Friedersdorf) sowie zwei Grundschulen (Ortsteile Friedersdorf und Prieros). Im bisherigen Amtsgebiet gibt es größere Seen und - häufig mit Wochenendhäusern durchsetzte - Wälder. Neben dörflichen Siedlungsstrukturen finden sich Hunderte von Wochenendhäusern. Allein im Gebiet der Beschwerdeführerin werden 665 Zweitwohnsitze unterhalten. 2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. 3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. Art. 1 § 1 des Entwurfs zum sechsten dieser Gesetze, zugleich § 1 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße (6. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin und der weiteren verbliebenen Gemeinden des Amtes Friedersdorf in die neugebildete Gemeinde Heidesee vor. Lediglich die im Südwesten des Amtsgebiets gelegene Gemeinde Pätz sollte in die ihr benachbarte amtsfreie Gemeinde Bestensee eingemeindet werden. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Für den 15. Januar 2003 erging zur Anhörung der Beschwerdeführerin eine Einladung an die ehrenamtliche Bürgermeisterin, die vor dem Ausschuß insbesondere einen Bürgerentscheid und größere Investitionen der letzten Jahre für den Erhalt der Eigenständigkeit der Beschwerdeführerin geltend machen ließ. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 1 des 6. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 93), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. Art. 6 des Artikelgesetzes), lautet: § 1
II. Die Beschwerdeführerin hat am 24. Oktober 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, der Gesetzgeber sei seiner Anhörungspflicht ungenügend nachgekommen. Im Hinblick auf die auszuwertenden Ergebnisse der Bevölkerungsanhörung und die im Gesetzentwurf erstmalig enthaltenen Leitbildbestimmungen sei die Stellungnahmefrist für die Beschwerdeführerin zu knapp bemessen gewesen. Eine strikte Zugrundelegung der Leitbildvorgaben sei unzulässig. Ein Erhalt des Amtes Friedersdorf habe als eigenständige und vorzugswürdige Alternative in den Abwägungsprozeß eingehen müssen. Die frühere Gemeinde Friedersdorf sei kein Zentralort gewesen. Die geringe Siedlungsdichte entspreche nicht den Merkmalen des engeren Verflechtungsraums. Es handele sich um einen vorwiegend ländlich geprägten Raum. Wegen naturräumlicher Beschränkungen und Schutzgebieten seien eine weitere bauliche Verflechtung und eine wesentliche Bevölkerungszunahme nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin und andere kleine Gemeinden des Amtes strebten jedoch einen Bevölkerungsanstieg auf jeweils etwa 500 Einwohner an. Der Gesetzgeber habe den Sachverhalt nicht vollständig und richtig ermittelt, insbesondere sei eine Ortsbesichtigung unterblieben. Der Gesetzgeber habe die gute finanzielle Situation der Beschwerdeführerin nicht hinreichend berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:
III. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Gemeinde Heidesee hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. B. Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. I. Sie ist - insbesondere nachdem die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 30. August 2004 generell klargestellt hat, sich nur gegen ihre eigene Eingliederung in die größere bzw. neue Gemeinde, hier nach Heidesee, zu wenden - gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Die Beschwerdeführerin ist ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten. II. Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt. 1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit in einer Vielzahl von Verfahren im wesentlichen entsprechend vorgebrachten Einwände wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203, und zuletzt ausführlich Beschlüsse vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 und 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen. 2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Heidesee bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung. a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann. Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]). Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –, UA S. 20, LKV 2002, 573, 575; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.). b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen: aa) Die allgemeinen vom Gesetzgeber hier herangezogenen Kriterien für die kommunale Neugliederung halten sich im Rahmen des öffentlichen Wohls (Art. 98 Abs. 1 LV) und wurden in verfassungsgemäßer Weise angewandt. Der Gesetzgeber beruft sich für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Heidesee wesentlich auf die Notwenigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur in der Nähe zu Berlin zu ändern (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 103 f. sowie Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 1 des 6. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550), und zwar auf das Leitbild des Zusammenschlusses bislang amtsangehöriger zu amtsfreien Gemeinden im engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin (2. a) aa) des Leitbildes). (1) Die Einteilung des Landes in verschiedene Neugliederungsräume mit der Differenzierung zwischen engerem Verflechtungs- und äußerem Entwicklungsraum einschließlich der Grundsatzentscheidung für amtsfreie Gemeinden in dem Bereich um Berlin ist verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber hat die Problematik des engeren Verflechtungsraumes ausführlich untersucht und beschrieben (s. Gesetzesbegründung zum 6. GemGebRefGBbg, LT-Drucksache 3/5021, S. 28 ff., 80 f.). Wenn er annimmt, die beiden Teilräume des Landes unterschieden sich in ihrer Entwicklung nach einigen Kennziffern deutlich - etwa Bevölkerungsdichte, Besiedlungsgrad, durchschnittliche Gemeindegröße, Bevölkerungsentwicklung, Wanderungssaldo, Anteil der Auspendler nach Berlin, Arbeitslosenquote etc. (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 28 ff.) - und er für diese Teilräume grundsätzlich jeweils eine andere Struktur präferiert, so liegt darin nicht die Entscheidung für offenkundig ungeeignete oder unnötige Maßnahmen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - [Groß Machnow]). (2) Es kann auch nicht festgestellt werden, daß der Gesetzgeber die Abgrenzung zwischen den beiden Neugliederungsräumen fehlerhaft vorgenommen hätte. Er hat im Gesetzgebungsverfahren, ausgehend von der bisherigen landesplanerischen Einordnung nach Anhang B 1 zum Landesentwicklungsprogramm und Anlage 1 zum Landesplanungsvertrag, geprüft, ob die Einordnung einer Gemeinde bzw. eines Amtes in den engeren Verflechtungsraum angesichts der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre noch trägt. Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (eingehend hierzu: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004, a.a.O.). bb) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den danach maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen befaßt. Die örtlichen Verhältnisse sowohl in Hinsicht auf die allgemeinen Strukturprobleme, die sich aus der Nähe zu Berlin ergeben, als auch die Beziehungen zwischen den Gemeinden des Amtes Friedersdorf sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung der Gemeinden im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/5021, S. 99 ff.). Die maßgeblichen Strukturdaten wurden zutreffend ermittelt, etwa die ausgeprägten Verkehrsverbindungen der Gemeinden des Amtes Friedersdorf nach Berlin über die Anschlußstelle Friedersdorf der Bundesautobahn A 12, die nahen Bundesautobahnen A 10 (Berliner Ring) und A 13, ein Netz von Landstraßen und durch die Regionalbahn über die Bahnhöfe Friedersdorf (RB 36) und den der dem Amt benachbarten amtsfreien Gemeinde Bestensee (RE 2 und RB 14). Die Erreichbarkeit Berlins wird zudem über jedenfalls in der Schulzeit regelmäßige Busverbindungen der Gemeinden untereinander und zu den Bahnhöfen gefördert. Der Gesetzgeber berücksichtigte auch einerseits die für den engeren Verflechtungsraum noch deutlich unterdurchschnittliche Einwohnerdichte und - abgesehen von einer weiträumigen Zersiedelung durch Bebauung mit Hunderten von Wochenendhäusern - untypische dörfliche Strukturen im Amtsgebiet sowie andererseits den für diesen Raum typischen Bevölkerungszuwachs um ca. 20 % binnen 9 Jahren, mit dem eine hohe Zahl neuer Wohnungen einherging. Daß sich insbesondere wegen Naturschutzbestimmungen eine Bebauung auf bestimmte Bereiche konzentriert, steht der Prognose des Gesetzgebers, daß der Siedlungsdruck und Bevölkerungzuwachs anhalten wird, nicht entgegen. Die Attraktivität des naturräumlich reizvollen Gebiets im besonderen für Einwohner Berlins bestätigt auch die Beschwerdeführerin, indem sie auf eine hohe Zahl in den Gemeinden des Amtes gemeldeter Zweitwohnsitze - allein 665 im Gebiet der Beschwerdeführerin - hinweist. Auch die aus Verpachtungen herrührende gute Einnahmesituation der Beschwerdeführerin bei verhältnismäßig geringer Steuerkraft hat der Gesetzgeber berücksichtigt. Ebenso hat der Gesetzgeber besondere Beziehungen der amtsangehörigen Gemeinden untereinander sowie zur zunächst nur aus sechs Gemeinden durch Gebietsänderungsvertrag gebildeten Gemeinde Heidesee ermittelt. Dazu gehört insbesondere, daß die in Betracht kommenden Schüler der Beschwerdeführerin und der übrigen Gemeinden des bisherigen Amtes die in der Gemeinde Heidesee vorhandenen Schulen (Gesamtschule und Grundschule im Ortsteil Friedersdorf, kleine Grundschule im Ortsteil Prieros) besuchen. Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber die Gemeinde Heidesee aufgrund ihrer Einwohnerstärke von zwei Dritteln der Bevölkerung des Amtes, mit einer Kindertagesstätte sowie vielfältigen Handels-, Dienstleistungs-, Sport- und Jugendeinrichtungen als den Siedlungskern im Amtsgebiet ansieht. Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin indes nicht vorgetragen. Insbesondere kommt es auf den Einwand der Beschwerdeführerin, daß die nunmehr einen Ortsteil der Gemeinde Heidesee bildende frühere Gemeinde Friedersdorf für sich allein noch kein Kleinzentrum gewesen sei, nicht an. Auch die Zweifel gegenüber der Prognose des Gesetzgebers, daß der Bevölkerungsanstieg im Raum Heidesee sich fortsetzen werde, sind nicht schlüssig, zumal die Beschwerdeführerin für sich und andere kleine Gemeinden des Amtes angibt, jeweils zumindest einen Schwellenwert von 500 Einwohnern anzustreben und daß, wo immer möglich, die Umwandlung der zahlreichen Wochenendgrundstücke in Wohngrundstücke stattfinde. cc) Zur Bewältigung der vom Gesetzgeber benannten Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Heidesee nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Bereich Heidesee durch die Zusammenführung in einem einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde. Die Einschätzung des Gesetzgebers, die zwischen dem Gebiet der Beschwerdeführerin und anderen Ortsteilen der Gemeinde Heidesee liegenden Seen und Wälder - die auch nach den Angaben der Beschwerdeführerin zwar baulichen Verflechtungen, nicht aber funktionierenden Straßenverbindungen im Wege stehen - hinderten die Entstehung eines einheitlichen Verwaltungsraumes nicht, ist nicht zu beanstanden. dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Heidesee ist nicht unverhältnismäßig. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für ihren Fortbestand sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls können der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002, a.a.O.). Vorliegend besitzen indes nach der vertretbaren Abwägung des Gesetzgebers die für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Heidesee sprechenden Gründe das größere Gewicht. Dem Gesetzgeber war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner durchaus im Blick gehabt und sich damit, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drucksache 3/5021, S. 91 ff., 106; s. auch S. 74 ff., 85 ff.) und den Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu § 1 des 6. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drucksache 3/5550), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise außer der Bereinigung der Stadt-Umland-Probleme im Raum Heidesee und um ihrer künftigen Vertiefung entgegenzuwirken namentlich die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung durch die Zusammenführung in einer einheitlichen Kommune sowie Gesichtspunkte der Raumordnung in seine Abwägung eingestellt und ihnen die größere Bedeutung beigemessen. Die hier in Frage stehenden Stadt-Umland-Probleme lassen sich entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführerin nicht etwa ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur in Teilbereichen wirken. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler. ee) Auch im übrigen läßt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen. (1) Eine mindestens gleich geeignete Alternative zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Heidesee ist weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zumal die Beschwerdeführerin inmitten des bisherigen Amtsgebietes lag, durfte der Gesetzgeber eine - wie im Fall der Gemeinde Pätz nach Bestensee - amtsgrenzenüberschreitende Eingliederung ausschließen. (2) Der Gesetzgeber war auch nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Heidesee gehindert. Er hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und mit Blick auf die gestärkten Instrumente der Ortsteilsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten als Folge eines Gemeindezusammenschlusses in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 89). Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Von dieser Erwägung hat sich der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens leiten lassen. Eine Beteiligung aller Gemeinden an den finanziellen Lasten des miteinander verflochtenen Gesamtraumes ist nicht unangemessen. Unabhängig davon ist die Finanzlage naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar. (3) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung gewichtet hat. Die aus der Anhörung der Bevölkerung der Beschwerdeführerin und der weiteren bisher amtsangehörigen Gemeinden des Amtes Friedersdorf resultierenden Stellungnahmen sowie Ergebnisse von Bürgerentscheiden (vgl. LT-Drucksache 3/5021, S. 91 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem in einigen Gemeinden des Amtes mehrheitlich ablehnenden Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung bzw. dem Votum der Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die neugebildete Gemeinde Heidesee sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Städte sowie Berlins, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat. C. Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1, 2. Alt.
VerfGGBbg. |
Weisberg-Schwarz | Prof. Dr. Dombert |
Prof. Dr. Harms-Ziegler | Havemann |
Dr. Jegutidse | Dr. Knippel |
Prof. Dr. Schröder | Prof. Dr. Will |