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VerfGBbg, Beschluss vom 15. November 2001 - VfGBbg 49/01 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 11; LV, Art. 11 Abs. 2 Satz 1
- StPO, § 81 g Abs. 1
Schlagworte: - Strafprozeßrecht
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Recht auf informationelle Selbstbestimmung
- Datenschutz
nichtamtlicher Leitsatz: Zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer DNA-Erfassung.
Fundstellen: - NJ 2002, 31 (nur LS)
- JMBl 2002, 11
- LKV 2002, 131
- NVwZ 2002, 714 (nur LS)
- LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 133
- LVerfGE 12, 155
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 15. November 2001 - VfGBbg 49/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 49/01



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

S.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt K.,

gegen den Beschluß des Amtsgerichts Eberswalde vom 2. April 2001 und den Beschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. September 2001 betreffend die Anordnung der Entnahme von Körperzellen und ihrer molekulargenetischen Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 15. November 2001

b e s c h l o s s e n :

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Eberswalde vom 2. April 2001 sowie des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. September 2001 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 11 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg.

Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Eberswalde zurückverwiesen.

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Entnahme von Körperzellen und ihrer molekulargenetischen Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters

I.

Der 1978 geborene Beschwerdeführer wird ausweislich der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft E. vom 2. November 2000 beschuldigt, u.a. eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung begangen und eine weitere gemeinschaftliche Körperverletzung versucht zu haben. Ihm wird zur Last gelegt, im Anschluß an eine Demonstration am 3. Juni 2000 an gewalttätigen Ausschreitungen einer Gruppe von ca. 50 bis 60 gewaltbereiten der linksextremistischen Szene zugehörigen Personen beteiligt gewesen zu sein. Im Verlauf der Gewalthandlungen, bei denen auch Steine und Flaschen gegen Gebäude und wiederholt in Richtung der eingesetzten Polizeikräfte geworfen worden seien, habe der Beschwerdeführer einen Stein in die hintere Fensterscheibe des Jugendklubs „Am Wald“ geworfen. Im weiteren Verlauf der Ausschreitungen sei der zur Begleitung des Demonstrationszuges eingesetzte Polizeibeamte D. von einem unbekannt gebliebenen Mittäter durch einen gegen die eingesetzten Polizeikräfte gerichteten Steinwurf am rechten Oberschenkel verletzt worden und habe sich hierdurch ein Hämatom zugezogen. Der Beschwerdeführer habe die Verletzungen des Polizeibeamten, mögliche Körperverletzungen weiterer Personen sowie die Sachbeschädigungshandlungen anläßlich der Ausschreitungen billigend in Kauf genommen.

Durch Beschluß vom 2. April 2001 hat das Amtsgericht E. angeordnet, dem Beschwerdeführer Körperzellen zu entnehmen, um die molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters durchzuführen. Der Beschwerdeführer sei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, nämlich eines Vergehens der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung sowie der versuchten gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung und damit einer Katalogtat gemäß § 81 g Abs. 1 StPO dringend verdächtig. Es bedürfe daher der Anordnung nach § 81 g (i.V.m. § 81 f) StPO zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren. Es bestehe Grund zu der Annahme, daß gegen den Beschwerdeführer künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 81 g StPO zu führen seien. Dies ergebe sich insbesondere aus der Art und Ausführung der hier zugrunde liegenden Tat, hinsichtlich derer auf die Anklage der Staatsanwaltschaft F. vom 2. November 2000 verwiesen werde, aber auch aus der Persönlichkeit des Beschwerdeführers. Dieser sei der linksextremistischen Szene zugehörig und in der Vergangenheit bereits zumindest einmal einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am 5. März 1998 habe das Amtsgericht E. ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung nach Erbringung von Arbeitsleistungen gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 3 JGG eingestellt. Die Gesamtumstände ergäben die Prognose, daß der Beschwerdeführer auch künftig gleichgelagerte Straftaten begehen werde.

Die Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts hat das Landgericht durch Beschluß vom 11. September 2001 „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses“, die auch durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden, als unbegründet verworfen.

II.

Mit seiner am 22. Oktober 2001 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 10 und 7 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) sowie einen Verstoß gegen das „allgemeine Willkürverbot“. Die Anordnung einer molekulargenetischen Untersuchung gemäß § 81 g StPO könne sich nicht auf eine Prognose stützen, die einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als zulässig erscheinen lasse. Der angefochtene Beschluß des Amtsgerichts E., den das Landgericht F. unter Bezugnahme auf die „zutreffenden Gründe“ bestätigt habe, erschöpfe sich in einer bloßen Aufzählung von Tatsachen und Tatsachenbehauptungen und beziehe sich dabei weitgehend auf Informationen aus dem abgeschlossenen Ermittlungsverfahren, ohne eine einzelfallbezogene Prüfung der Erheblichkeit vorzunehmen. Die Ausführungen zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers könnten den Anforderungen an eine Negativprognose nicht standhalten. Die Einbeziehung des einschlägigen strafrechtlichen Vorverhaltens erfolge ohne jegliche Beachtung und Auswertung von Tatumständen. So seien weder Aussagen zur Bedeutung der Tat getroffen noch der Tatsache Rechnung getragen worden, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des relevanten Verhaltens noch nicht 18 Jahre alt gewesen und nach Erbringung von Arbeitsleistungen von der Verfolgung abgesehen worden sei. Ebenso finde die Tatsache, daß der Beschwerdeführer seit 4 Jahren nicht mehr strafrechtlich relevant aufgefallen sei, keine Erwähnung in der Prognose. Die Feststellungen zur Mitgliedschaft in der linksextremistischen Szene zögen die Gerichte offenbar lediglich aus der Tatsache der Teilnahme des Beschwerdeführers an der Demonstration vom 3. Juni 2000 und dem hier in Rede stehenden Tatvorwurf. Auch die besonderen Umstände der Anlaßtat seien nicht berücksichtigt worden. Wie aus der Anklageschrift hervorgehe, seien die Straftaten unmittelbar im Anschluß an einen Gedenkmarsch für einen bei einer Auseinandersetzung mit einem rechtsextremistischen Jugendlichen zu Tode gekommenen linken Jugendlichen erfolgt. Der hinsichtlich des eingeräumten strafrechtlichen Verhaltens in Bezug auf den Steinwurf beim Beschwerdeführer vorherrschenden Gemütsverfassung und Motivation, nämlich Wut und Trauer um einen verlorenen Freund, trügen die Entscheidungsgründe keine Rechnung.

III.

Das Landgericht F., das Amtsgericht E. und die Staatsanwaltschaft F. haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Das Amtsgericht E. tritt den Ausführungen der Verfassungsbeschwerde bei. Die Begründung in dem Beschluß vom 2. April 2001 sei nicht ausreichend. Zwar liege eine Katalogtat nach §§ 81 g StPO i.V.m. § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vor, wobei freilich berücksichtigt werden müsse, daß der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt am 10. Mai 1996 erst 17 Jahre alt gewesen sei. Zu der weiterhin erforderliche Wiederholungsgefahr seien jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es fehle möglicherweise an ausreichenden Feststellungen über die Art und Ausführung der Tat. Zur Persönlichkeit des Täters fehle es an nachprüfbaren Erkenntnissen. Ein entwicklungspsychologisches Gutachten oder Berichte der Jugendgerichtshilfe lägen nicht vor.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft F. sind Grundrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt. Das Amtsgericht habe eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung getroffen, die sich auf tragfähige Gründe stütze. Bei den inkriminierten Taten habe es sich nicht um spontane Handlungen, sondern nach dem Ergebnis der Ermittlungen um geplante, fast eine Stunde andauernde Angriffe gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gehandelt, und der Angeklagte sei bereits zumindest einmal einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Anlaßtat habe den Rechtsfrieden empfindlich gestört und sei geeignet gewesen, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Unter diesen Umständen sei die Negativprognose ungeachtet dessen gerechtfertigt, daß der Beschwerdeführer seither nicht durch weitere Straftaten aufgefallen sei.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Die Beschwerdebefugnis ist auch insoweit gegeben, als eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in Frage steht. Ein dieses Grundrecht beeinträchtigendes Verhalten ist hinreichend dargelegt (vgl. Art. 6 Abs. 2 LV, §§ 45 Abs. 1, 46 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg – VerfGGBbg -). Dabei ist unschädlich, daß der Beschwerdeführer nicht die spezielle Regelung des Art. 11 LV, sondern nur Art. 10 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 LV ausdrücklich genannt hat. Das in Art. 11 LV gewährleistete Landesgrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stimmt inhaltlich mit dem vom Bundesverfassungsgericht in Ermangelung einer speziellen Regelung im Grundgesetz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundrecht überein.

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß mit ihr die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - durch die StPO - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 96, 345, 372), der sich das erkennende Gericht angeschlossen hat (Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f.), aufgestellten Voraussetzungen sind hier gegeben: Es geht nicht um materielles Bundesrecht, sondern um die Anwendung von (Bundes-)Verfahrensrecht. Eine Rechtsschutzalternative zu der Verfassungsbeschwerde besteht nicht. Die behauptete Beschwer des Beschwerdeführers beruht auf der Entscheidung eines Gerichts des Landes Brandenburg; ein Bundesgericht war nicht befaßt. Das der Sache nach als verletzt gerügte Landesgrundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 11 LV) ist inhaltsgleich mit dem entsprechenden aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundrecht des Grundgesetzes. Seine Anwendung führt für den vorliegenden Fall zu demselben Ergebnis.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem durch Art. 11 LV geschützten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

a) Nach Art. 11 Abs. 1 LV hat jeder das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen, auf Auskunft über die Speicherung seiner persönlichen Daten und auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen, soweit sie ihn betreffen und Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Daten dürfen nur mit freiwilliger und ausdrücklicher Zustimmung des Berechtigten erhoben, gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder sonst verwendet werden. Dementsprechend umfaßt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er einen persönlichen Lebenssachverhalt offenbart und wie mit seinen personenbezogenen Daten verfahren wird (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 30. Juni 1999 – VfGBbg 3/98 -, LVerfGE 10, 157, 161 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 65, 1, 42 ff.). Einschränkungen dieses Grundrechts sind nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 LV nur im überwiegenden Allgemeininteresse durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes im Rahmen der darin festgelegten Zwecke zulässig. Dabei ist – wie sich von selbst versteht – zugleich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.

Gemäß § 81 g Abs. 1 StPO dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind. Bei der Anwendung und Auslegung dieser bundesrechtlichen Regelung, die das Bundesverfassungsgericht für mit dem Grundgesetz vereinbar befunden hat (vgl. BVerfG, NJW 2001, 879 ff.), haben die Gerichte die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sorgfältig und sensibel in Rechnung zu stellen. Notwendig für die Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung ist, daß der Beschuldigte einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, wobei das Vorliegen einer der in § 81 g Abs. 1 StPO als Regelbeispiele genannten Straftatbestände für sich allein nicht genügt und von einer einzelfallbezogenen Prüfung der Erheblichkeit der Straftat nicht entbinden kann. Gibt es Hinweise auf Umstände, die den Charakter der konkret angeklagten Straftat als „Straftat von erheblicher Bedeutung“ in Frage stellen, muß sich die Entscheidung damit im Einzelnen auseinandersetzen (BVerfG, NJW 2001, 2320, 2321). Darüber hinaus muß wegen der Art und der Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehen, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Die damit zu treffende Prognoseentscheidung setzt von Verfassungs wegen eine hierauf bezogene zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, voraus (BVerfG, NJW 2001, 879, 881, sowie NJW 2001, 2320, 2321). Diese durch das Bundesverfassungsgericht aus dem hohen Stellenwert des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmungsrecht für die Auslegung des § 81 g Abs. 1 StPO hergeleiteten Vorgaben gelten gleichermaßen für Art. 11 LV.

b) Die hier zugrundeliegende Anordnung der Entnahme von Körperzellen und ihrer molekulargenetischen Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters wird diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.

Schon die Qualifizierung der Anlaßtat als Straftat von erheblicher Bedeutung durch das Amtsgericht erscheint nach Lage des Falles allzu schematisch. Die Entscheidungsgründe enthalten keine Ausführungen zu der Frage, ob sich möglicherweise Veranlassung zu einer von der Regel abweichenden Beurteilung ergibt. Daß dem Beschwerdeführer in der Anklageschrift vom 2. November 2000 nicht zur Last gelegt wird, eigenhändig Steine in Richtung der Polizeibeamten geworfen zu haben, hätte eine genauere Auseinandersetzung mit Art und Maß der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen objektiven Tatbeteiligung nahegelegt. Auch hätte die Begründung nach Lage des Falles näher auf den sich nach dem bisherigem Ermittlungsstand abzeichnenden Grad der persönlichen Schuld des Beschwerdeführers eingehen müssen. Dabei hätte es nahegelegen, neben dem - sich auch aus der in Bezug genommenen Anklageschrift nicht im einzelnen ergebenden - konkreten Demonstrationsverlauf vor Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen auch die Ereignisse in den Blick zu nehmen, die Auslöser für die Demonstration waren. Da sich die Demonstrationsteilnehmer ausweislich der Anklageschrift zum Gedenken an ein ihnen nahestehendes Opfer rechtsextremistischer Gewalt versammelt hatten, scheint es jedenfalls denkbar, daß sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt in einer von Wut und Trauer geprägten psychischen Ausnahmesituation befunden hat, seine Beteiligung an der gewalttätigen Demonstration daher nicht Ausdruck einer die körperliche Unversehrtheit anderer mißachtenden Grundeinstellung ist und von daher Rückschlüsse auf die Begehung weiterer einschlägiger Straftaten nicht uneingeschränkt zuläßt. Zu diesen Anhaltspunkten für eine von der Regelwirkung des § 81 g Abs. 1 StPO abweichende Beurteilung verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse ebensowenig wie zu den Gesichtspunkten, die die Staatsanwaltschaft aus ihrer Sicht in ihrer Stellungnahme zu der hier zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde geltend macht. Dies läßt darauf schließen, daß Amtsgericht und Landgericht unter Verkennung der verfassungsrechtlichen Anforderungen davon ausgegangen sind, daß das Vorliegen eines Regelbeispiels im Sinne von § 81 g Abs. 1 StPO von einer Prüfung der Erheblichkeit der Straftat entbindet.

Auch zur Frage der sog. Negativprognose („Grund zu der Annahme“ künftiger Strafverfahren wegen einschlägiger Straftaten) erscheinen hier die von Verfassungs wegen an eine Gefahrenprognose zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend beachtet. Die Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts, auf die das Landgericht lediglich Bezug nimmt, läßt nicht ausreichend erkennen, daß wegen der Art und der Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Diesbezüglich fehlt es bereits an einer zureichenden Sachaufklärung. Das Amtsgericht hat ausschließlich auf die Anklageschrift vom 2. Dezember 2000 Bezug genommen und sich zu den Hintergründen des früheren Strafverfahrens wegen gefährlicher Körperverletzung, das das Amtsgericht E. nach Erbringung von Arbeitsleistungen gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 3 JGG eingestellt hat, keinen eigenen Eindruck – etwa durch Beiziehung der verfügbaren Strafakten - verschafft. Hierzu aber hätte angesichts des offenbar eher geringen – nämlich den Verzicht auf ein Urteil rechtfertigenden - Schuldgehalts der vorangegangenen Straftat Veranlassung bestanden. Auch die pauschale Einschätzung des Beschwerdeführers als „der linksextremistischen Szene zugehörig“ folgt lediglich der entsprechenden Feststellung in der Anklageschrift und läßt nicht erkennen, worauf diese Erkenntnis des Gerichts beruht. Der Beschwerdeführer selbst hatte in dem der Außervollzugsetzung des Haftbefehls vorangegangenen Haftprüfungstermin vom 15. Juni 2000 angegeben, seit ca. zwei bis zweieinhalb Jahren keine politische Meinung mehr zu haben und zu der verfahrensgegenständlichen Demonstration mit zwei Freunden „eigentlich einfach mitgelaufen“ zu sein. Irgendwelche Auskünfte hat das Amtsgericht in dieser Hinsicht nicht eingeholt. Selbst eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister hat das Amtsgericht ausweislich der Verfahrensakten erst angefordert, als der angegriffene Beschluß bereits unterschrieben war.

Weiter sind auch die bereits in den Verfahrensakten vorhandenen Erkenntnisse nicht in ausreichender Weise in die Gesamtwürdigung einbezogen worden. Eine nähere Würdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung auch entlastender Gesichtspunkte wird in der Begründung des Amtsgerichts nicht vorgenommen. Zu den beruflichen und privaten Lebensumständen und Bindungen enthält der Beschluß keine Ausführungen. Auch der Umstand, daß die letzte einschlägige Straftat des Beschwerdeführers längere Zeit zurückliegt und sich der Beschwerdeführer zu dieser Zeit noch im Heranwachsendenalter befand, findet in der Begründung keine Berücksichtigung, obwohl dies der Annahme einer durch Straftaten im Sinne des § 81 g Abs. 1 StPO geprägten „kriminellen Karriere“ eher entgegenstehen könnte.

Der die Beschwerde verwerfende Beschluß des Landgerichts F. vom 11. September 2001 verweist lediglich auf die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts und unterliegt damit den nämlichen verfassungsrechtlichen Beanstandungen. Auf die zur Begründung der Beschwerde mit Schreiben des Verteidigers des Beschwerdeführers vom 18. Juli 2001 vorgetragenen Gesichtspunkte ist das Landgericht nicht näher eingegangen. Ebensowenig hat der Umstand Berücksichtigung gefunden, daß der Haftbefehl zwischenzeitlich durch Beschluß des Amtsgerichts E. vom 16. August 2001 aufgehoben worden war.

2. Da die Verfassungsbeschwerde schon wegen der Verletzung des durch Art. 11 LV geschützten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung begründet ist, bedarf die Frage, ob die angegriffenen Entscheidungen auch gegen Verfahrensgrundrechte verstoßen, keiner Entscheidung.

III.

Die angegriffenen Beschlüsse sind nach § 50 Abs. 3 VerfGGBbg aufzuheben. Die Sache wird an das Amtsgericht E. zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, die zugleich Gelegenheit gibt, auch die von der Staatsanwaltschaft in dem vorliegenden Verfahren geltend gemachten Gesichtspunkte mit zu prüfen.

IV.

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg.

V.

Das Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung war gemäß § 13 Abs. 1 VerfGGBbg in Verbindung mit § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung einzustellen, nachdem der Beschwerdeführer den Antrag mit Schreiben vom 1. November 2001 zurückgenommen hat.

Dr. Macke Dr. Dombert
Havemann Dr. Jegutidse
Dr. Knippel Prof. Dr. Schröder
Weisberg-SchwarzProf. Dr. Will