VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 22/11 (1/11 EA) -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - Art. 8 EMRK - UN-Kinderrechtskonvention - LV, Art. 2 Abs. 3; LV, Art. 10, 12 Abs. 1; LV, Art. 26 Abs. ; LV, Art. 27 Abs. 1; LV, Art. 52 Abs. 1 und 3 - VerfGGBbg, § 46 - ZPO, § 47 |
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Schlagworte: | - International gewährleistete Grundrechte als Auslegungshilfe - Rechte der Großeltern - Subsidiarität - effektiver Rechtsschutz - gesetzlicher Richter |
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amtlicher Leitsatz: | Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie die UN-Kinderrechts-konvention können zur Auslegung der in Art. 26 und 27 der Verfassung des Landes Brandenburg verbürgten Familien-, Eltern- und Kinderrechte herangezogen werden. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 22/11 - |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 22/11 (1/11 EA) -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 22/11 (1/11 EA)
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren und im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
M.,
Beschwerdeführerin und Antragstellerin zu 1),
K.,
vertreten durch den Vater,
M.
Beschwerdeführer und Antragsteller zu 2),
K
Äußerungsberechtigte,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.
wegen der verfahrensleitenden Verfügung des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Juni 2011 (Az.: 43 F 202/11)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche und Schmidt
am 15. Juli 2011
b e s c h l o s s e n :
1. Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen eine Verfügung des Amtsgerichts Potsdam, die im Rahmen eines Verfahrens über den Antrag auf einstweilige Anordnung hinsichtlich des Umgangsrechts der Beschwerdeführerin zu 1) mit ihrem minderjährigen Enkelsohn, dem Beschwerdeführer zu 2), ergangen ist.
I.
Die Eltern des Beschwerdeführers zu 2) sind und waren nicht miteinander verheiratet. Der Beschwerdeführer zu 2) lebt bei der Kindesmutter, der Äußerungsberechtigten, die alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge ist.
Dem Vater des Beschwerdeführers zu 2) und Sohn der Beschwerdeführerin zu 1) stand zunächst ein Umgangsrecht an jedem Mittwoch nachmittags, jedem zweiten Wochenende und in den Ferien zu. Während dieses Umgangs besuchte der Kindesvater mit dem Beschwerdeführer zu 2) des öfteren die Beschwerdeführerin zu 1). Das Umgangsrecht des Vaters wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Mai 2011 (Az.: 43 F 71/11) erheblich eingeschränkt. Der Umgang findet derzeit begleitet nur noch an jedem zweiten Sonnabend statt.
Die Beschwerdeführerin zu 1) beantragte mit Schreiben vom 4. Juni 2011 vor dem Amtsgericht Potsdam in der Hauptsache (43 F 203/11) im Wesentlichen, ihr die Hälfte aller Schulferien des Landes Brandenburg sowie im jährlichen Wechsel mit der Äußerungsberechtigten die gesamten Feiertage zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten als Umgang zuzuerkennen. Im Wege der einstweiligen Anordnung (43 F 202/11) beantragte sie, über die diesjährigen Sommerferien bis zu deren Beginn zu entscheiden. Das Umgangsrecht der Beschwerdeführerin zu 1) mit dem Beschwerdeführer zu 2) sei schützenswert, diene dem Kindeswohl und sei aufrecht zu erhalten. Der 77-jährigen Beschwerdeführerin zu 1) sei es nicht zuzumuten, eine Gesamtstrecke von 800 km für nur 6 Stunden Umgang am Wochenende zu bewältigen. Während der kommenden Sommerferien sei ein Besuch des Beschwerdeführers zu 2) im Rahmen des Ferienumgangs des Kindesvaters geplant gewesen, worauf sich der Beschwerdeführer zu 2) auch schon gefreut habe. Am 6. Juni 2011 bestellte der zuständige Familienrichter eine Verfahrensbeiständin für den Beschwerdeführer zu 2) und beraumte im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und in der Hauptsache einen Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. Anhörung für den 20. Juni 2011 an.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2011 beantragte die Beschwerdeführerin zu 1) in beiden Verfahren, bei der Befragung des Beschwerdeführers zu 2) anwesend sein zu dürfen, hilfsweise die Anwesenheit eines Rechtsanwalts oder Kinderpsychologen ihres Vertrauens, weiter hilfsweise die Tonaufzeichnung und deren Vorspielen. Die Entscheidung hierüber solle bis zum 16. Juni 2011 zugestellt werden; bei Nichtbescheidung werde von einer Zurückweisung ausgegangen. Die Beschwerdeführerin zu 1) regte weiter an, die Verfahrensbeiständin zu entpflichten und eine andere Person zu bestellen. Sie begründete die Anträge u. a. damit, dass ihr Sohn und Kindesvater über mutmaßliche Unrichtigkeiten bzw. Unvollständigkeiten bei der Wiedergabe der Kindesbefragung im Termin vor dem Amtsgericht Potsdam vom 26. Mai 2011 in den Verfahren 43 F 70 und 71/11 sowie 43 F 159/11 durch den dort ebenfalls zuständigen Richter und dieselbe Verfahrensbeiständin berichtet habe. Mit Schreiben vom 16. Juni 2011 teilte der Richter am Amtsgericht mit, dass über die Anträge vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht entschieden werden könne, da die übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten müssten.
Die Beschwerdeführerin zu 1) lehnte daraufhin den Richter am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf ihren Schriftsatz vom 14. Juni 2011 sowie darauf, dass der Richter es unterlassen habe, die darin gestellten Anträge rechtzeitig bis zu der von der Beschwerdeführerin zu 1) gesetzten Frist zu bescheiden. Sie müsse daher von einer Benachteiligung in der mündlichen Verhandlung ausgehen und eine Befragung des Kindes unter ihrem Ausschluss befürchten. Diese würde dem Richter freie Hand hinsichtlich der Interpretation und Auswertung der Kindesbefragung geben. Hinsichtlich des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wies sie auf die nach ihrer Auffassung gegebene Unaufschiebbarkeit hin, da ihr Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz und das des Beschwerdeführers zu 2) sonst verletzt würde. Die Entscheidung könne wegen Dringlichkeit auch ohne mündliche Verhandlung ergehen. Dem abgelehnten Richter sei bekannt, dass der Beschwerdeführer zu 2) die väterliche Verwandtschaft seit Jahren besuche und eine Bindung zu der Beschwerdeführerin zu 1) aufgebaut habe. Der Besuch bei den Großeltern diene dem Kindeswohl und beuge der Entfremdung vor.
Mit Verfügung vom 17. Juni 2011 hob der Richter den in beiden Verfahren anberaumten Termin auf. Zur Begründung führte er aus, dass er sich als abgelehnter Richter grundsätzlich jeder Amtshandlung zu enthalten habe. Es handele sich bei dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung auch nicht um eine unaufschiebbare Handlung. Er habe auf Grund der kurzfristigen Terminsbestimmung noch vor den Sommerferien umfassend entscheiden wollen. Allein der Umstand, dass durch das Ablehnungsgesuch die zeitnahe Entscheidung in der Hauptsache verhindert werde, führe nicht dazu, dass die beantragte einstweilige Anordnung, die bezüglich der kommenden Sommerferien eine Vorwegnahme der Hauptsache zum Gegenstand habe, zu einer unaufschiebbaren Handlung werde. Die gegen diese Verfügung gerichtete Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin zu 1) wies der Richter mit Schreiben vom 21. Juni 2011 zurück. Er halte an seiner Rechtsauffassung fest. Die von der Beschwerdeführerin zu 1) gewünschte Entscheidung durch Beschluss sehe das Gesetz nicht vor.
II.
Der Sohn der Beschwerdeführerin zu 1) und Vater des Beschwerdeführers zu 2) hat als Prozessbevollmächtigter bzw. Beistand für die Beschwerdeführerin zu 1) und im Namen des Beschwerdeführers zu 2) Verfassungsbeschwerde gegen die im Verfahren 43 F 202/11 am 17. Juni 2011 ergangene Verfügung erhoben. Gerügt wird die Verletzung des Grundrechts auf Gleichheit (Art. 12 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg – LV -), der Familien-, Eltern- und Kinderrechte aus Art. 26 Abs. 1 und Art. 27 Abs. 2 LV sowie des Rechts auf ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz (Art. 52 Abs. 4 LV). Daneben machen die Beschwerdeführer die Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der UN-Kinderrechtskonvention geltend.
Sie sind der Auffassung, dass es sich bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung um eine unaufschiebbare Handlung nach § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) handele und durch die Ablehnung der Vornahme dieser Entscheidung das Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt werde. Ebenso sei der Gleichheitssatz verletzt, da es nicht darauf ankommen könne, ob der Nachteil durch das Unterlassen der Entscheidung bei der das Ablehnungsgesuch stellenden Partei oder der Gegenpartei entstehe. Die Beschwerdeführerin zu 1) könne nicht gezwungen werden, auf das Ablehnungsgesuch zu verzichten, um effektiven Rechtsschutz zu erhalten.
III.
Nach Hinweis des Gerichts, dass eine Vertretung der Beschwerdeführerin zu 1) und eine Beistandschaft durch ihren Sohn nicht in Betracht kommen dürften, hat die Beschwerdeführerin zu 1) mit Schreiben vom 27. Juni 2011 sich die Verfassungsbeschwerde zu eigen gemacht.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.
1. a. Die Beschwerdeführerin zu 1) hat die Verfassungsbeschwerde wirksam erhoben. Die Erhebung der Verfassungsbeschwerde durch ihren Sohn, die mangels ausreichender Vollmacht (§ 19 Abs. 4 Satz 2 VerfGGBbg) und wegen fehlender Bestellung zum Beistand (§ 19 Abs. 3 VerfGGBbg) zunächst schwebend unwirksam war, hat sie binnen der Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde genehmigt und damit selbst im eigenen Namen erhoben.
b. Die angegriffene Verfügung vom 17. Juni 2011 erweist sich auch unter dem Gesichtspunkt der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 45 Abs. 2 VerfGGBbg) und der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde als zulässiger Beschwerdegegen-stand. Bei ihr handelt es sich um eine im familiengerichtlichen Verfahren unanfechtbare Zwischenentscheidung. Der Rechtsweg ist dagegen nicht eröffnet. Ebenso steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen diese Zwischenentscheidungen nicht entgegen. Danach sind Zwischenentscheidungen, die das Verfahren nicht beenden, mit der Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar, wenn die Rechtsverletzung in zumutbarer Weise mit der Anfechtung der Endentscheidung geltend gemacht werden können (Beschluss vom 18. März 2011, - VfGBbg 3/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). An der Zumutbarkeit fehlt es hier. Die Entscheidung des Richters, vor der Erledigung des Befangenheitsgesuch nicht tätig zu werden, kann mit einer später ergehenden Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mehr angefochten werden. Hier besteht darüber hinaus die Gefahr, dass eine rechtskräftige Entscheidung über das Befangenheitsgesuch erst nach Ablauf des von der Beschwerdeführerin zu 1) für den Umgang begehrten Zeitraums ergehen könnte. Die Folge, dass eine Entscheidung in der Sache möglicherweise zu spät käme, wäre nicht mehr korrigierbar.
c. Soweit die Beschwerdeführer direkt die Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention geltend machen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hierfür nicht zuständig ist. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 LV i. V. m. § 45 VerfGGBbg eröffnet die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen behauptete Verletzungen der in der Verfassung des Landes Brandenburg gewährleisteten Grundrechte.
d. Hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung von Art. 27 Abs. 2 LV ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Den Beschwerdeführern fehlt hierfür die Beschwerdebefugnis. Nach Art. 27 LV haben die Eltern das Recht und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder. Der sachliche Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 LV erfasst daher die Sorge der Eltern für das körperliche Wohl des Kindes und seine seelische und geistige Entwicklung (vgl. Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, Stand: 2. Lfg. Februar 2008, Art. 27 Ziff. 3). Die geltend gemachte Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern wird hiervon nach dem eindeutigen Wortlaut nicht erfasst.
e. Die Beschwerdebefugnis ist im Hinblick auf aus Art. 26 Abs. 1 LV folgende Grundrechte grundsätzlich gegeben. Danach sind Ehe und Familie durch das Gemeinwesen zu schützen und zu fördern.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zum inhaltsgleichen Art. 6 Abs. 1 GG werden zwar von dem Begriff der Familie nur die sog. Klein- oder Kernfamilie umfasst. Der Beziehung in der Großfamilie kommt demnach in der Regel kein grundrechtlicher Schutz zu (Lieber/Iwers/Ernst, a. a. O., Art. 26 Ziff. 2.1 m. w. N.).
bb) Die Auslegung des Art. 26 Abs. 1 LV hat aber im Lichte von Art. 8 EMRK zu erfolgen.
Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - im Range eines Bundesgesetzes. Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Sie können als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 74, 358, 370). Nach Art. 2 Abs. 3 LV bekennt sich das Volk des Landes Brandenburg u. a. zu den in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in den Internationalen Menschenrechtspakten niedergelegten Grundrechten. Durch die Formulierung, dass sich das Volk des Landes Brandenburg zu den bezeichneten Grundrechten bekennt und nicht etwa eine unmittelbare Bindung der Staatsgewalt angeordnet wird, werden die international verbürgten Grundrechte zwar nicht direkt in die Landesverfassung inkorporiert. Der Regelungsgehalt des Art. 2 Abs. 3 LV kann aber dahingehend verstanden werden, dass sich der Verfassungsgeber eine Auslegungsreserve für die in der Landesverfassung verbürgten Grundrechte vorbehalten wollte (vgl. auch Iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg (II),S. 302 f.). Danach spricht alles dafür, die vom Bundesverfassungsgericht für die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte angenommene Norminterpretationswirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch für die Grundrechte der Landesverfassung anzunehmen.
cc) Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umfasst das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zumindest - auch - nahe Verwandte - zum Beispiel Großeltern und Enkel -, da sie innerhalb der Familie eine beachtliche Rolle spielen können. Die Achtung des so verstandenen Familienlebens begründet für den Staat die Verpflichtung, in einer Weise zu handeln, die die normale Entwicklung dieser Beziehung ermöglicht (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR -, Urteil vom 13. Juni 1979, NJW 1979, 2449, 2452). Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht gefolgert, dass die Gerichte nach Art. 6 Abs. 1 GG bei der Auswahl eines Vormunds bestehende Familienbande zwischen Großeltern und Enkeln zu beachten haben und somit deren Beziehung in den Grundrechtsschutz mit einbezogen (Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 1 BvR 2604/06 -, BVerfGK 14, 539).
f. Etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit der vom Beschwerdeführer zu 2) erhobenen Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt mangelnder Prozessfähigkeit des minderjährigen Kindes können, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet ist, dahinstehen (vgl. BVerfGE 72, 122, 132). Aus den gleichen Gründen kam die Bestellung eines Ergänzungspflegers für den Beschwerdeführer zu 2) nicht in Betracht, weil ein Interessenkonflikt zwischen der allein sorgeberechtigten Äußerungsberechtigten, der grundsätzlich die Vertretung des Beschwerdeführers zu 2) und damit auch die Vertretung im verfassungsgerichtlichen Verfahren zukommt, und dem Beschwerdeführer zu 2) bereits im Hinblick auf die Erfolglosigkeit der eingelegten Beschwerde nicht zu erwarten stand (Beschluss vom 25. Februar 2011 - VfGBbg 46/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.
Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 12 LV), Grundrechte aus Art. 26 Abs. 1 LV, das Recht auf effektiven Rechtsschutz und das faire Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) vor.
a. Grundsätzlich unterliegt die Nachprüfung einer Gerichtsentscheidung durch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg engen Grenzen. Dieses übt keine umfassende Kontrolle der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts aus. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen sind Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht daher weitgehend entzogen. Das Verfassungsgericht überprüft nur, ob der Entscheidung eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts oder ein Verstoß gegen das Willkürverbot zugrunde liegt (vgl. Beschluss vom 18. März 2011 – VfGBbg 56/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
b. Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung weder die Bedeutung und Tragweite der genannten Grundrechte verkannt, noch hat es § 47 Abs. 1 ZPO willkürlich angewendet.
Das Rechtsstaatsgebot der Landesverfassung gewährleistet in Verbindung mit Art. 10 LV effektiven Rechtsschutz im Sinne eines Anspruchs der Bürger auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle in allen gesetzlich vorgesehenen Verfahrensarten. Das Grundrecht auf ein faires Verfahren garantiert dem Einzelnen, nicht bloßes Objekt des Verfahrens zu sein, ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis eines Verfahrens Einfluss zu nehmen (Beschluss vom 21. Januar 2011 – VfGBbg 35/10 – wwww.verfassungsgericht.branden-burg.de). Welche Anforderungen an die Rechtsauslegung und –anwendung sich daraus im Einzelnen für die Gerichte ergeben, ist mit Blick auf das jeweils vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel zu bestimmen.
aa. Nach § 47 Abs. 1 ZPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuches nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Die Vorschrift gewährleistet damit einerseits das Recht auf faires Verfahren und den gesetzlichen Richter (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV) und trägt in dringenden Fällen dem effektiven Rechtsschutz Rechnung. Das danach mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz abzuwägende Recht auf den gesetzlichen Richter garantiert neben einer abstrakt–generellen Zuständigkeitsordnung, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (Beschluss vom 18. März 2010 – VfGBbg 11/10 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
bb. Ob die in der Verfügung vom 17. Juni 2011 vertretene Rechtsauffassung des Amtsgerichts, dass es sich nicht um eine unaufschiebbare Handlung handelt, im Ergebnis zutrifft, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist nicht erkennbar, dass das Amtgericht bei seiner Beurteilung den wesentlichen Inhalt der genannten und unter einander in Ausgleich zu bringenden Grundrechte verkannt hätte oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, die offensichtlich unhaltbar wären.
cc. Bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt zwar die Annahme einer Unaufschiebbarkeit und damit die Entscheidung des als befangen abgelehnten Richters in Betracht. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, sondern nur dann, wenn bei deren Unterlassen Gefahr im Verzug besteht (vgl. Musielak, ZPO, Kommentar, 8. Auflage 2011, § 47 Rdnr. 4, Prütting/Gehrlein, ZPO, Kommentar, 1. Auflage 2010, § 47 Rdnr. 3). Dass der Richter – auch in Anbetracht der kurz bevorstehenden Sommerferien - nach Stellung des Befangenheitsgesuchs durch die Beschwerdeführerin zu 1) nicht ohne mündliche Verhandlung entschied bzw. die von ihm anberaumte mündliche Verhandlung und Anhörung nicht mehr selbst durchführte, lässt die gerügten Grundrechtsverstöße nicht erkennen.
dd. In dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Familienverfahren (§ 26 FamFG) muss es dem erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Der Richter am Amtsgericht hat über die einstweilige Anordnung nach mündlicher Verhandlung sowie Anhörung des Beschwerdeführers zu 2) und der anderen an dem familiengerichtlichen Verfahren Beteiligten entscheiden wollen. Dies ergibt sich aus der Ladung zum Termin am 20. Juni 2011, mit welcher das Erscheinen der Beschwerdeführerin zu 1) und der Kindeseltern angeordnet sowie der Äußerungsberechtigten aufgegeben wurde, den Beschwerdeführer zu 2) zum Termin mitzubringen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das familiengerichtliche Verfahren sieht bei einer Entscheidung über das Umgangsrecht regelmäßig eine Anhörung der Beteiligten und des Kindes vor (§ 159 Abs. 2, § 160 FamFG). Das gilt in der Regel auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 156 Abs. 3 Satz 3 FamFG). Dieses Erfordernis der Anhörung folgt ebenfalls aus den in Art. 26 und 27 LV verbürgten Eltern- und Kindrechten. Die Anhörung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte auch nach Stellung des Befangenheitsgesuchs nicht wegen des Rechts auf effektiven Rechtsschutzes oder aus anderen verfassungsrechtlich Gründen unterbleiben müssen. Dies haben die Beschwerdeführer auch nicht dadurch ausreichend dargelegt, indem sie geltend machen, dem Richter sei bekannt gewesen, dass die Beschwerdeführer ein gutes Verhältnis zu einander hätten und des öfteren Besuche stattgefunden haben. Der Beschwerdeführer zu 2) hat danach bisher nicht ohne seinen Vater die Beschwerdeführerin zu 1) besucht. Vor einer Entscheidung, ob der Siebenjährige erstmals allein seine 400 km entfernt lebende Großmutter über einen erheblichen Zeitraum besuchen dürfe, liegt es nahe, das Kind anzuhören. Es erscheint - auch im Hinblick auf eine durch das Unterbleiben der Entscheidung vor Ferienbeginn von der Beschwerdeführerin zu 1) befürchtete Entfremdung und damit einhergehende Gefährdung des Wohls des Beschwerdeführers zu 2) - nicht willkürlich, auf eine Anhörung zu verzichten.
ee. Dass der Richter den für die Anhörung anberaumten Termin nicht durchgeführt hat, stellt ebenfalls keinen Verfassungsverstoß dar. Dem Richter wird mit dem Ablehnungsgesuch durch die Beschwerdeführerin zu 1) insbesondere eine fehlerhafte Wiedergabe der Anhörung des Beschwerdeführers zu 2) in einem anderen Verfahren vorgeworfen. Dass er daraufhin den bereits anberaumten Termin aufhob, um nicht selbst die Anhörung durchzuführen, dient ersichtlich der Wahrung ihres mit dem Befangenheitsgesuch verfolgten Rechts auf den gesetzlichen (unbefangenen) Richter und ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 1 und 4 LV). Hinzu kommt, dass die Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung vorliegend eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache durch den nach Ansicht der Beschwerdeführerin zu 1) befangenen Richter bedeuten würde, die unanfechtbar wäre (§ 57 Satz 1 FamFG). Dafür, dass dem gegenüber dem gleichrangig gewährleisteten Recht auf effektiven Rechtsschutz hätte der Vorzug gegeben werden müssen, ist nichts ersichtlich.
c. Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 26 Abs. 1 LV liegt nicht vor. Das Amtsgericht Potsdam hat in der Sache noch nicht entschieden und sich damit zu materiellrechtlichen Fragen noch nicht verhalten.
Die Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin zu 1) und deren Enkel, dem Beschwerdeführer zu 2), steht in Konkurrenz zu den spezielleren Elternrechten (hier der Äußerungsberechtigten), die denen der Großeltern vorgehen. Die Elternrechte aus Art. 27 Abs. 2 LV sind speziellere Bestimmungen zu denen aus Art. 26 Abs. 1 LV (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, BVerfGE 104, 373, 384). Den Großeltern stehen in der Regel keine grundrechtlich geschützten Rechte zu, die denen der Eltern entgegen gehalten werden können (zum Bundesrecht: BVerfGE 19, 323, 329; Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 8, 5. Auflage 2008, § 1685 Rdnr. 16). Auch die Regelungen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention), die ebenfalls von Art. 2 Abs. 3 LV erfasst werden, reichen im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln nicht weiter. Sie schützen in erster Linie die Rechte des Kindes in Bezug auf die Eltern und erst nachrangig die anderer Familienangehöriger (vgl. Art. 5 und 9 UN-Kinderrechtskonvention).
Soweit aus dem Grundrecht auch verfahrensrechtliche Gewährleistungen folgen, sind diese ebenfalls nicht verletzt. Der Grundrechtsschutz beeinflusst zwar weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts; das gerichtliche Verfahren muss deshalb in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen. In Kindschaftssachen muss es insbesondere geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (Beschluss vom 18. März 2011 – VfGbbg 56/10 -, a. a. O.). Diese Anforderungen wurden mit der angegriffenen Verfügung vom 17. Juni 2011 nicht verkannt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter IV.2.b. verwiesen, die die verfahrensrechtlichen Besonderheiten des familiengerichtlichen Verfahrens bereits berücksichtigen.
B.
Der zusätzlich gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Eine einstweilige Anordnung kommt dann nicht in Betracht, wenn sich, wie hier, das Begehren in der Hauptsache als erfolglos erweist.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier | Dr. Becker |
Dr. Fuchsloch | Dr.Lammer |
Möller | Nitsche |
Schmidt |