VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juni 2017 - VfGBbg 61/16 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 Satz 2; VerfGGBbg § 46 |
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Schlagworte: | - Verfassungsbeschwerde unzulässig - Begründung - Rechtliches Gehör - Faires Verfahren - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Irrtum über Inhalt eines staatsanwaltlichen Einstellungsschreibens |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. Juni 2017 - VfGBbg 61/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 61/16
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
T.,
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
S.,
wegen | Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 19. Januar 2016 (75 Cs 1700 Js 24891/14 (300/15)), Beschlüsse des Landgerichts Cottbus vom 19. Mai 2016 und vom 5. September 2016 (22 Wi Qs 5/16) |
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 15. Juni 2017
durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer und Schmidt
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Wiedereinsetzungsentscheidung im Rahmen eines Strafverfahrens.
I.
Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer zahlreicher Gesellschaften der Firmengruppe D. und auch Geschäftsführer der Hotelbetriebsgesellschaft D. mbH.
Wegen Verletzung von Buchführungspflichten sowie Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelten leitete die Staatsanwaltschaft Cottbus gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen 1700 Js 24891/14 ein. Parallel dazu wurde ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Betruges unter dem Aktenzeichen 1310 Js 26962/14 eingeleitet und der Beschwerdeführer unter der polizeilichen Tagebuchnummer 0194531/2015 dazu als Beschuldigter vernommen.
Mit Strafbefehl vom 10. August 2015 im Verfahren 1700 Js 24891/14 legte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer zur Last, im Zeitraum 27. Februar bis 29. April 2014 in 10 Fällen Arbeitsentgelt vorenthalten zu haben und setzte eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 35,- Euro fest.
Noch während der laufenden Einspruchsfrist gegen diesen Strafbefehl übersandte die Staatsanwaltschaft Cottbus mit Schreiben vom 18. August 2015 eine Einstellungsnachricht unter dem Aktenzeichen 1310 Js 26962/14 mit folgendem Inhalt:
„Datum: 18.08.2015
Aktenzeichen: 1310 Js 26962/14
(bei Antwort bitte angeben)
Ermittlungsverfahren gegen Sie
Tatvorwurf: Betrug
[…]
Sehr geehrter Herr T.,
ich habe das Verfahren im Hinblick auf das weitere gegen Sie bei der hiesigen Staatsanwaltschaft anhängige Verfahren (Aktenzeichen: 1700 Js 24891/14) wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gemäß § 154 Abs. 1 Strafprozessordnung eingestellt. Die Ermittlungen können wieder aufgenommen werden, falls die abschließende Entscheidung in o.g. Verfahren das vorläufige Absehen von der Verfolgung nicht mehr rechtfertigt.“
Da der Beschwerdeführer gegen den Strafbefehl vom 10. August 2015 keinen Einspruch einlegte, wurde dieser rechtskräftig.
Als der Beschwerdeführer zur Zahlung der verhängten Geldstrafe aufgefordert wurde, suchte er seinen Prozessbevollmächtigten auf, der daraufhin beim Amtsgericht Cottbus mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte. Mit Beschluss vom 19. Januar 2016 verwarf das Amtsgericht Cottbus den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet. Der Strafbefehl sei dem Beschwerdeführer am 19. August 2015 ordnungsgemäß zugestellt worden, der dagegen gerichtete Einspruch jedoch erst am 10. Dezember 2015 bei Gericht eingegangen. Ein als Begründung für den Wiedereinsetzungsantrag angegebener Irrtum aufgrund einer von der Staatsanwaltschaft in der Einstellungsmitteilung verwendeten missverständlichen Formulierung rechtfertige die Wiedereinsetzung nicht. Es liege keine missverständliche Formulierung vor. Der Briefkopf gebe das in Bezug genommene Ermittlungsverfahren an, während der Fließtext eindeutig ausweise, dass eben dieses Verfahren im Hinblick auf ein weiteres (also ein anderes) Verfahren, nämlich das Verfahren 1700 Js 24891/14 eingestellt worden sei. Einen etwaigen Irrtum müsse sich der Verurteilte selbst zuschreiben.
Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde vom 9. Februar 2016 verwarf das Landgericht Cottbus mit Beschluss vom 19. Mai 2016. Das Amtsgericht habe den Wiedereinsetzungsantrag rechtsfehlerfrei verworfen. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sein soll, den Inhalt eines Schreibens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zutreffend zu erfassen. Selbst wenn er sich geirrt hätte, so wäre dieser Irrtum nicht als unverschuldet anzusehen, denn er hätte bei zumutbarer Sorgfalt vermieden werden können. Wenn dem Beschwerdeführer mehrere Schreiben von verschiedenen Rechtspflegeorganen zugingen, so hätte Veranlassung bestanden, Unklarheiten durch Nachfrage bei Staatsanwaltschaft oder Gericht zu beseitigen oder einen sachkundigen Dritten heranzuziehen. Der Strafbefehl sei auch mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen. Eine unklare Verfahrenssituation zu Lasten des Beschwerdeführers sei durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht nicht geschaffen worden. Eine Mehrdeutigkeit sei dem Einstellungsschreiben nicht zu entnehmen. Die Anhörungsrüge vom 3. Juni 2016 wurde mit Beschluss des Landgerichts vom 5. September 2016 zurückgewiesen.
II.
Am 13. November 2016 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 52 Abs. 3 Landesverfassung (LV) und des Grundrechts auf faires, zügiges Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV). Das Einstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft sei missverständlich. Die Entscheidung des Landgerichts berücksichtige in keiner Weise das angebotene Mittel der Glaubhaftmachung des beim Beschwerdeführer vorhandenen Irrtums durch anwaltliche Versicherung. Zudem gehe das Landgericht nicht auf die offenkundige sprachliche Ungenauigkeit in dem staatsanwaltschaftlichen Schreiben ein. Die Sorgfaltsanforderungen seien überspannt worden, da der Beschwerdeführer die von ihm verlangten Verhaltensweisen von vornherein nicht in Betracht gezogen habe.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 5. September 2016 richtet, mit dem die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, dass Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls eine mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzung des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht nicht (vgl. Beschlüsse vom 9. September 2016 - VfGBbg 24/16 -, vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 39/15 -, vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 23/14 - und vom 15. Juli 2011 - VfGBbg 10/11 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
2. Im Übrigen genügt die Beschwerdeschrift nicht den sich aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg ergebenden Begründungsanforderungen, die voraussetzen, dass der die Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen. Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 15. April 2016 - VfGBbg 86/15 - und vom 22. Mai 2015 - VfGBbg 32/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).
a. Vor diesem Hintergrund hat der Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht mit hinreichendem Vortrag untersetzt. Der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene, mit Art. 103 Abs. 1 GG inhaltsgleiche Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2017 - VfGBbg 39/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfGE 84, 188, 190; E 89, 28, 35). Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Pflicht nachkommt, und es von Verfassungs wegen nicht jedes vorgebrachte Argument ausdrücklich bescheiden muss, bedarf es besonderer Umstände für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (vgl. Beschlüsse vom 9. September 2016 - VfGBbg 9/16 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, LVerfGE 18, 150, 157, vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 2/05 -, LVerfGE 16, 157, 162 und vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 -, LVerfGE 2, 179, 182).
Nach der Beschwerdebegründung ist nicht erkennbar, dass Amts- und Landgericht relevantes Vorbringen des Beschwerdeführers außer Acht gelassen hätten. Der Vortrag des Beschwerdeführers erschöpft sich darin, eine abweichende Auffassung zur Einstufung des Einstellungsschreibens der Staatsanwaltschaft als irreführend darzulegen. Insoweit trägt der Beschwerdeführer einen Sachverhalt vor, der bei verständiger Würdigung dahingehend zu verstehen ist, das Gericht habe das geltende Recht unzutreffend angewendet. Dies vermag einen Gehörsverstoß von vornherein nicht zu begründen. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus darauf abstellt, dass das Landgericht der anwaltlichen Glaubhaftmachung des bei ihm vorhandenen Irrtums keine Bedeutung zugemessen habe, übersieht die Verfassungsbeschwerde zum Einen, dass das Gericht den Vortrag nicht übergangen, sondern als unzureichend angesehen hat, so dass auch insoweit ein Gehörsverstoß nicht schlüssig dargelegt ist. Zudem ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der beim Beschwerdeführer eingetretene Irrtum, selbst wenn er als glaubhaft gemacht anzusehen wäre, auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen sei. Stützt das Fachgericht seine Entscheidung jedoch auf mehrere selbständig tragende Erwägungen, muss der Beschwerdeführer jede von ihnen angreifen und deren Unvereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht darlegen. Denn eine Grundrechtsverletzung vermag der Verfassungsbeschwerde nur dann zum Erfolg zu verhelfen, wenn die angegriffene Entscheidung auch auf ihr beruht. Ist aber das Fachgericht mit einer anderen in seiner Entscheidung herangezogenen und vom Beschwerdeführer nicht weiter angegriffenen Erwägung zum selben Ergebnis gekommen, fehlt es an der Kausalität des Verfassungsverstoßes für das Ergebnis des fachgerichtlichen Verfahrens (vgl. Beschluss vom 9. Oktober 2015 - VfGBbg 65/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; Magen, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 92 Rn. 18). Die Annahme eines Verschuldens auf Seiten des Beschwerdeführers durch das Gericht greift er jedoch der Sache nach nicht mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs an, sondern stellt auch hier der Auffassung des Landgerichts lediglich seine abweichende Rechtsauffassung entgegen.
b. Schließlich hat der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Grundrecht auf faires Verfahren nach Art. 52 Abs. 4 LV nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das Recht auf ein faires Verfahren als allgemeines Prozessgrundrecht gewährleistet den Parteien eines Prozesses, dass der Richter das Verfahren so gestaltet, wie es die Parteien von ihm erwarten dürfen: Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen, ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl. Beschlüsse vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 55/14 -, vom 26. August 2011 - VfGBbg 12/11 - und vom 15. Januar 2009 - VfGBbg 52/07 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Ein solches gerichtliches Verhalten ist ersichtlich nicht gegeben und vom Beschwerdeführer in der Sache auch nicht gerügt. Auch hier bezieht sich der Beschwerdeführer auf die Ausführungen des Gerichts zur Glaubhaftmachung des bei ihm vermeintlich vorhandenen Irrtums und die Bewertung des staatsanwaltlichen Schreibens als irreführend. Das Grundrecht auf faires Verfahren schützt die Prozessbeteiligten jedoch nicht davor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht eine abweichende Rechtsauffassung vertritt.
II.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Nitsche | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Schmidt | |