VerfGBbg, Beschluss vom 15. April 2011 - VfGBbg 50/10 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 5 Abs.3; LV, Art. 12; LV, Art. 52 - VerfGGBbg, § 46 - VwGO, § 161 Abs. 2 |
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Schlagworte: | - Grundrechtsfähigkeit - Juristische Person des öffentlichen Rechts - Verfahrensrechte - Rechtliches Gehör - Willkürverbot |
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amtlicher Leitsatz: | 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts genießen durch die Verfassung des Landes Brandenburg in der Regel keinen Grundrechtsschutz. 2. Eine Ausnahme bilden die Prozessrechte, die durch die Verfassung des Landes Brandenburg in den Rang von Grundrechten erhoben worden sind. 3. Danach sind Gehörs- und Besetzungsrügen ebenso wie die Beanstandungen überlanger Gerichtsverfahren zulässig. Das Willkürverbot ist hingegen nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht beachtlich. |
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Fundstellen: | NVwZ-RR 18/2011, S. 714 | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. April 2011 - VfGBbg 50/10 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 50/10
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
S.
Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Z.
gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt
(Oder) vom 30. Juli 2010 – 1 M 14/10 –,
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker,
Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt
am 15. April 2011
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.
G r ü n d e:
A.
Der Beschwerdeführer, ein gemeindlicher Wasser- und Abwasserzweckverband, wendet sich gegen eine vom Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens getroffene Kostenentscheidung.
I.
In einem abgeschlossenen Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) wurden zu Gunsten des jetzigen Beschwerdeführers mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Dezember 2009 (1 K 592/09) 120,67 Euro nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit dem 28. September 2009 zur Erstattung festgesetzt. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers forderte die Schuldnerin des Kostenfestsetzungsbeschlusses mit Schreiben vom 18. Januar 2010 unter Androhung der Zwangsvollstreckung zur Leistung auf und berechnete 14,28 Euro für die Vollstreckungsandrohung. Am 20. Januar 2010 gingen mit dem Überweisungstext „Kostenfestsetzung VG 1 K 592/0“ 120,67 Euro beim Beschwerdeführer ein. Dieser buchte die Zahlung zunächst auf eine alte Beitragsforderung gegen die Schuldnerin. Nach erneuter Mahnung bestätigte der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zwar die Zahlung von 120,67 Euro, forderte die Schuldnerin jedoch weiter zur Leistung von 137,57 Euro auf, weil sie keine Zahlungsbestimmung getroffen habe und die Zahlung auf Abgabenforderungen gebucht worden sei. Am 9. März 2010 leistete die Schuldnerin einen Zinsbetrag von 2,00 Euro auf den Kostenfestsetzungsbeschluss und meinte, dass die Forderung damit vollständig beglichen sei. Der Beschwerdeführer bestand weiter darauf, dass auf die Hauptforderung bisher nicht geleistet worden sei.
Er beantragte am 12. April 2010 beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die Vollstreckung einer Forderung von 14,41 Euro aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss. Die Schuldnerin zahlte daraufhin 14,51 Euro. Es handele sich ihrer Meinung nach um eine Nebenforderung. Die Hauptforderung sei mit der Zahlung vom 20. Januar 2010 beglichen worden, weil die mit dem Überweisungstext getroffene Zahlungsbestimmung und der genau der Hauptforderung entsprechende Überweisungsbetrag zu einer Anrechnung auf die Hauptforderung führten. Der Beschwerdeführer erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Eine Erledigungserklärung der Schuldnerin erfolgte zunächst nicht. Das Gericht stellte das Verfahren mit Beschluss vom 17. Juni 2010 ein und legte in entsprechender Anwendung von § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Vollstreckungsschuldnerin die Kosten auf. Vor Zustellung des Beschlusses an die Beteiligten ging beim Gericht die Erledigungserklärung der Schuldnerin ein. Sie erhob zudem gegen den Beschluss vom 17. Juni 2010 Beschwerde. Der Vorsitzende des Gerichts wies die Beteiligten darauf hin, dass der Beschluss vom 17. Juni 2010 unwirksam sein dürfte und er beabsichtige, eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffen. Mit Beschluss vom 30. Juli 2010 hat der Vorsitzende das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 und von § 161 Abs. 2 VwGO eingestellt und über die Kosten entschieden. Es entspreche billigem Ermessen, dem Beschwerdeführer die Kosten aufzuerlegen. Die zur Vollstreckung gestellte Forderung sei eine Nebenforderung, deren selbstständige Vollstreckung nach Lage des Falles im Hinblick auf den vergleichsweise niedrigen Betrag (14,41 Euro) unverhältnismäßig gewesen wäre. Die dagegen gerichtete Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das Gericht mit Beschluss vom 30. August 2010 als unbegründet zurück.
II.
Mit seiner am 29. Oktober 2010 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht und des Willkürverbots (Art. 52 Abs. 3 1. und 2. Alt. der Verfassung des Landes Brandenburg – LV). Die erneute Entscheidung über die Kosten sei rechtlich nicht vertretbar, sie verstoße gegen § 158 Abs. 2 VwGO, wonach Kostenentscheidungen unanfechtbar seien. Die ausschließlich gegen die Kostenentscheidung gerichtete Beschwerde der Schuldnerin sei nicht statthaft gewesen. Die auf Grund von § 161 Abs. 2 VwGO getroffene Kostenentscheidung vom 30. Juli 2010 widerspreche inhaltlich dem in § 154 Abs. 1 VwGO verankerten Verursacherprinzip. Die Schuldnerin habe erst nach Vollstreckungsantrag geleistet und daher die Kosten zu tragen. Das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt und eine Überraschungsentscheidung getroffen. Der Beschwerdeführer habe keine Kenntnis von der Ansicht des Gerichts gehabt, dass eine Vollstreckung von Kleinforderungen unverhältnismäßig sei. Anderenfalls hätte er das Gericht auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. August 2006 (OVG 9 L 27.06) aufmerksam gemacht. In Kenntnis dieser Entscheidung hätte das Verwaltungsgericht möglicherweise anders entschieden.
Auf Nachfrage des Verfassungsgerichts hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass ihm die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) zur Vollstreckung von Kleinbeträgen schon länger bekannt sei. Zunächst habe sich das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 8. August 2006 angeschlossen. Später, z. B. mit Beschluss vom 27. Mai 2010 (5 M 24/09), dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers bekannt seit dem 2. Juni 2010, habe es die Vollstreckung von Kleinbeträgen für die öffentliche Hand abgelehnt. Diese Entscheidungen entgegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts seien willkürlich.
III.
Die Gerichtsakten waren beigezogen und das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hatte die Möglichkeit zur Stellungnahme.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zum überwiegenden Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I. Der Zulässigkeit steht nicht von vornherein entgegen, dass das Vollstreckungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht eingestellt wurde und nicht Verfahrensgegenstand ist. Der behauptete Verfassungsverstoß betrifft gerade und ausschließlich die Nebenentscheidung. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Gerichtsentscheidung, die den Beschwerdeführer nur noch in der Nebenentscheidung über die Kosten belastet, bestehen in diesem Falle nicht (LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 185, 188 und Beschluss vom 19. November 2010 - VfGBbg 39/10 -, www.verfassungsgericht.branden-burg.de).
II. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig, soweit der Beschwerdeführer rügt, die Kostenentscheidung vom 30. Juli 2010 sei in der Sache fehlerhaft und willkürlich getroffen worden, weil sie auf die Unzulässigkeit der Vollstreckung von Kleinforderungen abstelle. Der Beschwerdeführer ist als juristische Person des öffentlichen Rechts insoweit nicht beschwerdebefugt.
1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich in der Regel nicht auf die Grundrechte der Verfassung des Landes Brandenburg berufen. Nach Art. 5 Abs. 3 LV gelten zwar die Grundrechte für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Grundrechte dienen jedoch vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. Darüber hinaus sichern sie Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung des Einzelnen im Gemeinwesen. Daher sind die materiellen Grundrechte ihrem Charakter nach in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie und die zu ihrer Verteidigung geschaffene Verfassungsbeschwerde sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), der sich das erkennende Gericht für die Auslegung der Landesverfassung angeschlossen hat, auf juristische Personen des öffentlichen Rechts - jedenfalls soweit sie öffentliche Aufgaben erfüllen - grundsätzlich nicht anwendbar (LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 172, 176; Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, Stand Febr. 2008, Art. 5 Ziff. 2.1; zum Bundesrecht: BVerfGE 68, 193, 206; BVerfG Beschluss vom 1. September 2000 - 1 BvR 178/00-, NVwZ-RR 2001, 93). Ausnahmen gelten für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die – wie etwa Universitäten und Rundfunkanstalten - von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder – wie etwa Kirchen - kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören (vgl. BVerfGE 61, 82, 102 und 75, 192, 196). Der Beschwerdeführer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg) und nimmt mit der Wasserver- und Abwasserentsorgung im Rahmen der Daseinsvorsorge eine typische öffentliche Aufgabe wahr, ohne einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet zu sein.
2. a. Eine weitere Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die im Grundgesetz verbürgten grundrechtsähnlichen Rechte der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG (sog. Prozessgrundrechte, st. Rspr. BVerfGE 61, 82, 104). Diese Verfassungsbestimmungen gehören formell nicht zu den Grundrechten im Sinne von Art. 19 GG; sie gewährleisten auch nach ihrem Inhalt keine Individualrechte wie die Art. 1 bis 17 GG, sondern enthalten objektive Verfahrensgrundsätze, die für jedes gerichtliche Verfahren gelten und daher auch jedem zugute kommen müssen, der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist oder von dem Verfahren unmittelbar betroffen wird. Die für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren konstitutiven Gewährleistungen des gesetzlichen Richters und des rechtlichen Gehörs wie auch weitere, etwa aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Verbot der Verfahrenswillkür abzuleitende Gewährleistungen wirken daher auch zugunsten der verfahrensbeteiligten juristischen Person des öffentlichen Rechts. Die Funktion richterlicher Entscheidungen im Rechtsstaat rechtfertigt sich nur, wenn sie unter Beachtung der Erfordernisse eines gehörigen Verfahrens gewonnen werden (vgl. BVerfGE 61, 82, 104).
b. Dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt sich das Gericht im Hinblick auf die in Art. 52 Abs. 1 bis 4 der Verfassung des Landes Brandenburg verbürgten Grundrechte vor Gericht an. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können mit der Verfassungsbeschwerde Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, den gesetzlichen Richter, zügiges und faires Verfahren sowie das verfahrensrechtliche Willkürverbot geltend machen (so auch LVerfGE 10, 257 und LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 172).
Zwar treffen die systematischen Erwägungen, die das Bundesverfassungsgericht zu den grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG angestellt hat, auf die in der Landesverfassung grundrechtlich verbürgten Verfahrensrechte nicht zu. Die in Rede stehenden Prozessrechte wurden in den Grundrechtskatalog des 2. Hauptteils der Verfassung des Landes Brandenburg aufgenommen. Art. 52 ist mit „Grundrechte vor Gericht“ überschrieben, so dass es sich um Grundrechte handelt. Als solche wären sie nach allgemeinen Grundsätzen (siehe oben II.1.) von juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit der Verfassungsbeschwerde nicht rügefähig.
Wegen dieser systematischen Stellung des Art. 52 in der Landesverfassung die juristischen Personen des öffentlichen Rechts vom Schutzbereich der Verfahrensrechte auszunehmen, widerspräche jedoch den Erwägungen zu den rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen und dem mutmaßlichen Willen des Verfassungsgebers. Die formale Stellung der Verfahrensrechte außerhalb des formellen Grundrechtskatalogs im Grundgesetz ist nur ein Begründungselement der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Tragender sind die – ebenfalls für die Landesverfassung uneingeschränkt geltenden - Ausführungen zum (auch) objektiven Gehalt der Verfahrensgrundsätze sowie zur rechtsstaatlichen Funktion richterlicher Entscheidungen und den Erfordernissen des diesen zu Grunde liegenden Verfahrens. Der Verfassungsgeber für das Land Brandenburg hat die in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiche Rechtspositionen ausgestalteten Verfahrensanforderungen um den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz des fairen und zügigen Verfahrens sowie das verfahrensrechtliche Willkürverbot erweitert und in den Grundrechtskatalog aufgenommen. Damit hat er die Bedeutung eines diese Rechte beachtenden rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens hervorgehoben und die Verfahrensrechte gleichsam aufgewertet. Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts allein aus systematischen Erwägungen vom den landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen auszunehmen, widerspräche dieser Erhebung in den Grundrechtsstatus. Dies gilt insbesondere, weil sie bereits bei der Erarbeitung der Landesverfassung auf Grund ständiger Rechtsprechung insoweit verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen konnten. Dafür, dass der Landesverfassungsgeber in Bezug auf die Verfahrensrechte eine Mindergewährleistung gegenüber dem Grundgesetz beabsichtigte, bietet die Dokumentation zur Erarbeitung der Landesverfassung keinerlei Anhaltspunkte.
Auch der Wortlaut des Art. 52 Abs. 3 LV, wonach alle Menschen vor Gericht gleich sind und Anspruch auf rechtliches Gehör haben, steht dieser Auslegung nicht entgegen. Nach Art. 5 Abs. 3 LV sind diese Grundrechte jedenfalls auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar (Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, Stand Febr. 2008, Art. 52 Ziff. 4). Die Anwendung auf juristische Person des öffentlichen Rechts kann damit nicht unter Berufung auf den Wortlaut „Mensch“ abgelehnt werden.
c. Einen Verstoß gegen das Willkürverbot als Ausgangspunkt der Prüfung von Gerichtsentscheidungen auf eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts kann die juristische Person des öffentlichen Rechts dennoch nicht mit der Verfassungsbeschwerde rügen (BVerfGE 75, 192, 200). In dieser Ausprägung wird das Willkürverbot von den Verfahrensgrundrechten des Art. 52 LV nicht erfasst.
Die Gleichheit vor Gericht gibt einen Anspruch auf die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen durch das Verfassungsgericht auf Willkürfreiheit (Maunz/Dürig, GG, Kommentar, Stand: Oktober 2010, Art. 3 Rdnr. 394 ff.). Dieses Recht ist verletzt, wenn sich eine gerichtliche Entscheidung als willkürlich erweist. Das ist sie dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich deshalb der Verdacht aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss vom 15. April 2010 - VfGBbg 5/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Insoweit stimmen die von der landes- und bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Schutzrichtung und der gezogene Rahmen der Prüfungskompetenz beim sog. Willkürverbot überein.
Ausgangspunkt der Prüfung von Gerichtsentscheidungen am Maßstab des Willkürverbots ist der allgemeine Gleichheitssatz, der als materielles Grundrecht aus Art. 12 LV jedoch nicht für juristische Person des öffentlichen Rechts gilt (LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 172, 176 und Lieber/Iwers/Ernst, Art. 12 Ziff. 2.2). Auch soweit in dem Gleichheitssatz ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck kommt, der objektiv Geltung beansprucht (vgl. BVerfGE 89, 132, 141), kann sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde darauf nicht berufen (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 75, 192, 201). Das Willkürverbot für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus gilt auf Grund des Rechtsstaatsprinzips. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können einen Verstoß dagegen nur im Rahmen von Normenkontrollen und Organstreitverfahren geltend machen (st. Rspr. vgl. BVerfGE 89, 132 und Beschluss vom 28. September 2004 – 2 BvR 622/03 -, NVwZ 2005, 82 m.w.N.).
Im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde kommt eine Berufung auf das Willkürverbot für juristische Personen des öffentlichen Rechts nur in dessen verfahrensrechtlicher Gestalt in Betracht, die mit den Verfahrensgrundrechten in Art. 52 Abs. 3 und 4 LV gegenüber Art. 12 Abs. 1 LV ihre spezielle normative Ausprägung gefunden hat.
3. Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Willkürverbot wegen des Inhalts der Kostentscheidung rügt, macht er einen Verstoß gegen das – für ihn nicht rügefähige – materiell-rechtliche Willkürverbot (Art. 12 Abs. 1 LV) geltend.
Die gerügte fehlerhafte Anwendung von § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die nach Auffassung des Beschwerdeführers zu Unrecht das Verursacherprinzip unberücksichtigt lasse und auf die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung von Kleinforderungen abstelle, betrifft die materielle Rechtsposition des Beschwerdeführers. Nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht bei Erledigung der Hauptsache nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Die Vorschrift enthält zwar verfahrensrechtliche Regelungen soweit es um die Form und die Voraussetzungen der Kostenentscheidung an sich geht. Die vorliegend geltend gemachte Verletzung bezieht sich jedoch allein auf die Vorgaben für den Inhalt der Kostenentscheidung, die in die Billigkeitsabwägung des Vorsitzenden eingestellten materiell-rechtlichen Bewertungen und das Ergebnis des Abwägungsvorgangs. Sie betrifft nicht den Ablauf des Verfahrens. Der Beschwerdeführer bemängelt den Inhalt der Entscheidung und nicht den Weg, der zur Entscheidungsfindung geführt hat.
III. Im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 2. Alt. LV) ist der Beschwerdeführer zwar auch als juristische Person des öffentlichen Rechts beschwerdeberechtigt (siehe II.2.). Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht den Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) entsprechend begründet. Danach sind das (Landes-)Grundrecht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. Im Einzelnen ist darzulegen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht genügt und inwieweit dadurch das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll. Rechtliches Gehör bedeutet zunächst, dass der Einzelne vor der Entscheidung Gelegenheit hat, seine Sicht der Dinge darzulegen. Dabei muss er die einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen. Um rechtliches Gehör zu gewähren, muss das Gericht nur auf solche rechtlichen Gesichtspunkte hinweisen, mit denen ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (vgl. Beschlüsse vom 21. November 2002 - VfGBbg 99/02 -, NJ 2003, 85 und LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 82, 86 f.). Dass ihn die die Höhe des Vollstreckungsbetrages und die Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung im Einzelfall berücksichtigende Billigkeitsentscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) in diesem Sinne überraschte, hat der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar dargelegt. Dem Verfahrenbevollmächtigten war als Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) zur Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung von Kleinbetragsforderungen zu Gunsten der öffentlichen Hand spätestens seit dem 2. Juni 2010 (Bekanntgabe des Beschlusses vom 27. Mai 2010 – 5 M 24/09 -) bekannt. Als gewissenhafter Prozessbeteiligter musste er in Erwägung ziehen, dass das Gericht bei der Kostentscheidung maßgeblich auf diesen Gesichtspunkt abstellen könnte. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden, wonach er beabsichtigte, eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffen, war ausreichend Gelegenheit, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
IV. Soweit der Beschwerdeführer die willkürliche Anwendung von Verfahrensrecht rügt, weil entgegen § 158 VwGO eine erneute Kostentscheidung getroffen wurde, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet.
1. Der Beschwerdeführer kann als juristische Person des öffentlichen Rechts den behaupteten Verfahrensverstoß mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen (siehe II.2.).
Die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich (durch die Verwaltungsgerichtsordnung) geordneten Verfahrens kann in zulässiger Weise gerügt werden (vgl. Beschluss vom 30. September 2010 – VfGBbg 32/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. dazu LVerfGE 8, 82, 84) sind erfüllt: Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Beschwer beruht auf der Entscheidung eines Gerichts des Landes Brandenburg, ein Bundesgericht war nicht befasst; der fachgerichtliche Rechtsweg ist erschöpft, der Beschwerdeführer hat alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende unternommen, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu verhindern. Die angegriffene Entscheidung berührt Art. 52 Abs. 3 oder 4 LV und damit eine dem Grundrecht des Grundgesetzes jeweils inhaltsgleiche Norm (Recht auf willkürfreies bzw. faires Verfahren).
2. Welche der beiden Grundrechtspositionen die Rüge zu § 158 VwGO betrifft, kann dahinstehen, denn der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Juli 2010 wendet das einfache Verfahrensrecht nicht fehlerhaft an.
Die erneute Entscheidung über die Kosten verstößt nicht gegen § 158 VwGO. Die allgemeinen Verfahrensvorschriften zum Urteils- und Beschlussverfahren finden zwar nach überwiegender Auffassung auch im Vollstreckungsverfahren nach §§ 167 ff. VwGO Anwendung (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Auflage, 2007, § 167 Rdnr. 3). Nach § 158 Abs. 1 VwGO ist die Anfechtung einer Entscheidung über die Kosten unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Ist eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen, so ist die Entscheidung über die Kosten unanfechtbar (Absatz 2). Auf die Anfechtbarkeit der im Beschluss vom 17. Juni 2010 getroffenen Kostenentscheidung kommt es jedoch nicht an. Sie war aus anderen Gründen unwirksam. Liegen übereinstimmende Erledigungserklärungen vor, endet die Rechtshängigkeit eines Verfahrens (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15. November 1991 – 4 C 27/90 -, NVwZ-RR 1992, 276). Das Gericht stellt das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO nur deklaratorisch ein. Nicht rechtskräftige Entscheidungen werden mit Ende der Rechtshängigkeit unwirksam (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar, VwGO, Stand: Mai 2010, § 161 Rdnr. 17). Der Beschluss vom 17. Juni 2010 war zum Zeitpunkt des Eingangs der Erledigungserklärung der Schuldnerin beim Verwaltungsgericht am 19. Juni 2010 den Beteiligten noch nicht zugestellt und damit nicht rechtskräftig. Das Gericht hatte demnach das Vollstreckungsverfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO deklaratorisch einzustellen und über die Kosten zu entscheiden.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Postier, 27. 5. 2011 | Dr. Becker |
Dielitz | Frau Dr. Fuchsloch ist wegen Abwesenheit verhindert, ihre Unterschrift beizufügen Postier, 27.5.2011 |
Dr. Lammer | Partikel |
Frau Schmidt ist wegen Abwesenheit verhindert, ihre Unterschrift beizufügen Postier, 27.5.2011 |