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VerfGBbg, Urteil vom 15. April 2011 - VfGBbg 45/09 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97 Abs. 1
- BbgKVerf, § 32 Abs. 1
Schlagworte: - Kommunale Selbstverwaltung
- Organisationshoheit
- innerer Verwaltungsaufbau
- Fraktion
- Mindeststärke
amtlicher Leitsatz: 1. Die Organisationshoheit ist ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung.
2. Die äußeren Grundstrukturen der Kommunalverfassung unterfallen weitgehend der Regelungskompetenz des Landes. Hinsichtlich des inneren Verwaltungsaufbaus müssen die Gemeinden ihre Organisation grundsätzlich eigenständig regeln dürfen.
3. Fehlt ihnen ein ausreichender Spielraum zur eigenständigen
Organisation, muss die hierzu getroffene gesetzliche Regelung von hinreichend gewichtigen Gründen getragen sein.
4. Die gesetzliche Festlegung einer Mindestfraktionsgröße von
vier Stadtverordneten in den Stadtverordnetenversammlungen kreisfreier Städte und vier Kreistagsabgeordneten in den Kreistagen sowie drei Mitgliedern in Gemeindevertretungen mit 32 oder mehr Gemeindevertretern belässt den Kommunen keinen ausreichenden Spielraum zur Regelung dieser inneren Organisation, weil ihnen die Möglichkeit genommen wird, kleineren politischen Gruppierungen die ausschließlich Fraktionen zustehenden Rechte am politischen Willensbildungsprozess einzuräumen.
5. Für die Erhöhung der Mindestfraktionsstärke durch den Landesgesetzgeber liegt keine ausreichende Rechtfertigung vor.
Fundstellen: LKV 9/2011, S. 411 ff.
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 15. April 2011 - VfGBbg 45/09 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 45/09




IM NAMEN DES VOLKES

U r t e i l

In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren



der Landeshauptstadt Potsdam, vertreten durch den Oberbürgermeister,

Beschwerdeführerin,



Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Prof. Dr. M.,

 



gegen § 32 Abs. 1 Satz 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 286)



hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Postier, Dr. Becker, Dielitz, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Möller, Nitsche und Schmidt



auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2011



für R e c h t erkannt:



1. § 32 Abs. 1 Satz 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg vom 18. Dezember 2007 (BbgKVerf, GVBl. I S. 286) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung und ist nichtig.

2. § 32 Abs. 1 Satz 2 2.Halbsatz der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg vom 18. Dezember 2007 (BbgKVerf, GVBl. I S. 286) ist mit Art. 97 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und ist nichtig, soweit bestimmt ist, dass eine Fraktion in Gemeindevertretungen mit 32 oder mehr Gemeindevertretern aus mindestens drei Mitgliedern bestehen muss.

3. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. Der Wert des Gegenstandes anwaltlicher Tätigkeit für das Kommunale Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.



Gründe:



 

A.



Die Beschwerdeführerin, eine kreisfreie Stadt, wendet sich gegen eine ihre Stadtverordnetenversammlung betreffende Regelung der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf). Durch diese ist die Mindeststärke einer Fraktion in kreis­freien Städten und Landkreisen gegenüber der Altregelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 Gemeindeordnung für das Land Bran­denburg (GO) von zwei auf vier Mitglieder heraufgesetzt worden.

I.



Die als Art. 1 des Gesetzes zur Reform der Kommunalverfas­sung und zur Einführung der Direktwahl der Landräte sowie zur Änderung sonstiger kommunalrechtlicher Vorschriften (Kommunalrechtsreformgesetz-KommRRefG) am 18. Dezember 2007 verabschiedete Kommunalverfassung für das Land Brandenburg (BbgKVerf) lautet in § 32 Abs. 1 Sätze 1 bis 3:

"Fraktionen sind Vereinigungen von Mitgliedern der Ge­meindevertretung. Eine Fraktion muss aus mindes­tens zwei, in Gemeindevertretungen mit 32 oder mehr Ge­mein­­­de­vertretern aus mindestens drei Mitgliedern be­stehen. In kreis­freien Städten muss eine Fraktion mindestens vier Mitglieder haben."

Diese Vorschrift ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BbgKVerf auf Landkreise entsprechend anwendbar.

II.



Die Beschwerdeführerin vertritt mit ihrer am 25. September 2009 eingegangenen Verfassungsbeschwerde die Auffassung, durch § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung gemäß Art. 97 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV), Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verletzt zu sein. Hilfsweise rügt sie einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip, weil die angegriffene Norm in Verbindung mit weiteren, an den Begriff der Fraktion anknüp­fenden Regelungen der Kommunalverfassung sie verpflichte, ihre Geschäfte unter Verletzung des Grundsatzes der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns zu erledigen.

1. § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf verletze den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Art. 97 LV garantiere auf kommunaler Ebene die Beteiligung aller gewählten Mandatsträger am Willensbildungsprozess. Der Landesgesetzgeber knüpfe wesentliche Rechte kommunaler Mandatsträger, insbe­sondere im Hinblick auf die Ausschussarbeit, an die Zugehörigkeit zu einer Fraktion. Mit der Heraufsetzung der Mindestfraktionsstärke schließe er so etwa 17,5 % der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Beschwerdeführerin von der Wahrnehmung ihrer durch Wahl erworbenen Rechte und damit von einer maßgeblichen Tätigkeit für die Beschwerdeführerin aus.

2. Die Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf verstoße auch deshalb gegen Art. 97 LV, weil dem Landesgesetzgeber die Verbandskompetenz zur Regelung der Fraktionsmindeststärke fehle. Im Bereich der Organisationshoheit streite eine Regelvermutung für eine eigenverantwortliche Tätigkeit der Gemeinde.

3. Die von dem Landesgesetzgeber getroffene Regelung verstoße außerdem gegen das Übermaßverbot. Es bestehe kein Bedürfnis für eine entsprechende landeseinheitliche Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei beabsichtigt, den Prozess der Willensbildung in der Gemeindevertretung effektiver zu gestalten. Der Landesgesetzgeber dürfe aber erst dann in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung eingreifen, wenn er den konkreten Nachweis führe, dass die Vorbereitung und Strukturierung des Willensbildungsprozesses der Gemeindevertretung in einem Maße ineffektiv sei, dass dadurch die Funktionsfähigkeit der Vertretung gefährdet werde. Dabei komme ihm keine Einschätzungsprärogative zu und er dürfe sich nicht auf die Behauptung theoretischer Möglichkeiten beschränken. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit die gesetzliche Differenzierung nicht am Gemeinwohl, sondern am Ziel des eigenen Machterhalts festmache. Es fehle aber an einem konkreten Nachweis für eine Gefährdung des Willensbildungsprozesses. Eine größere Anzahl von Fraktionen gefährde nicht als solche die Arbeitsfähigkeit der Vertretung. Andere Bundesländer hätten keine vergleichbaren Regelungen eingeführt, ohne dass schwerwiegende Störungen der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen bekannt geworden seien. Im Gesetzgebungsverfahren sei auch unberücksichtigt geblieben, dass vor dem Inkrafttreten der Kommunalverfassung in Brandenburg 18 Jahre lang eine Fraktionsmindeststärke von zwei Mandatsträgern ausgereicht habe. Es fehle eine Begründung für die Festsetzung unterschiedlicher Fraktionsmindeststärken.

Die Regelung sei auch nicht geeignet. Das Kommunalverfassungsrecht werde durch das Selbstbestimmungsrecht der Gemeindebürger geprägt. Die Effektivität der Willensbildung in einer Stadtverordnetenversammlung beurteile sich deshalb auch danach, ob es der Vertretungskörperschaft gelinge, die Bürger für die örtlichen Angelegenheiten zu interessieren. Das Engagement kleinerer Gruppen reduziere sich jedoch, wenn die Kandidaten nach der Wahl von jedem maßgeblichen Einfluss ausgeschlossen seien. Deshalb dürfe die Möglichkeit, partikulare Ziele durch kleine Gruppen zu verfolgen, nicht der Erhöhung der Fraktionsmindeststärke geopfert werden.

4. Soweit in der Rechtsprechung die Festsetzung einer Fraktionsmindeststärke in Höhe von 10 % der Gesamtzahl der Stadtverordneten als zulässig bewertet worden sei, seien diese Mindeststärken jeweils von der betreffenden örtlichen Vertretung selbst festgesetzt worden. Außerdem hätten die entscheidenden Oberverwaltungsgerichte im Ein­zelfall geprüft, ob mit der Festsetzung der Fraktionsmindeststärke ein Verlust existenzieller Rechte des Vertreters bzw. eine Verletzung des Demokratiegebotes einhergehe. Durch die Kommunalverfassung Brandenburg würden fraktionslose Stadtverordnete allerdings von der maßgeblichen politischen Arbeit, insbesondere in den Ausschüssen, ausgeschlossen. Denn gemäß §§ 41, 43 BbgKVerf stünde das Vorschlags- bzw. das Benennungsrecht für die Mitglieder der Ausschüsse ausschließlich den Fraktionen zu. Die den fraktionslosen Stadtverordneten verbleibende Möglichkeit, passiv an Ausschusssitzungen teilzunehmen, könne die aktive Teilhabe nicht ersetzen. Weder die nach dem Gesetz eröffnete Möglichkeit konkurrierender Parteien, Zählgemeinschaften zu bilden noch die Option, sich durch einstimmige Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vom Vorschlagsmonopol der Fraktionen für die Ausschussbesetzung zu lösen, seien in der Praxis durchsetzbar.

Darüber hinaus führe die angegriffene Regelung auch zu einer Verletzung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit, weil die Ausschussbesetzung nicht mehr die Machtverhältnisse im Plenum abbilde. Die Regelungen des Initiativrechts (§ 34 Abs. 2 Nr. 2, § 35 Abs. 1 Satz 2, § 67 Abs. 3 BbgKVerf) privilegierten die Fraktion, da fraktionslose Mandatsträger Initiativen nur mit Unterstützung von min­destens einem Zehntel der gesetzlichen Anzahl der Stadtverordneten einbringen könnten. Dies setze voraus, dass mindestens drei oder vier fraktionslose Gruppen das Initiativrecht gemeinsam ausübten, was wegen der unterschiedlichen politischen Vorstellungen in der Praxis nicht durchsetzbar sei.

5. Auch der Gleichheitssatz sei verletzt. Dieser gewährleiste die Egalität aller Staatsbürger, also eine formale Gleichheit nicht nur bei, sondern auch nach der Wahl bei der Wahrnehmung der durch diese erworbenen Rechte. Die gesetzliche Einteilung von Mandatsträgern in zwei Gruppen, deren eine daran gehindert werde, ihre durch Wahl erhoben Rechte wahrzunehmen, sei damit nicht vereinbar.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

die Nichtigkeit des § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf vom 18. Dezember 2007 (GVBl. I S. 286) festzustellen.

Hilfsweise für den Fall, dass die gesetzliche Regelung
über die Mindeststärke der Fraktionen (§ 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf) nicht für sich genommen die Verfassung verletze, sondern nur in Verbindung mit weiteren Regelungen, die an den Begriff der "Fraktion" anknüpfen, beantragt die Beschwerdeführerin,

die Nichtigkeit des § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf i.V.m. den Regelungen der § 41 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4, § 41 Abs. 2 Satz 2 bis 8, § 41 Abs. 3, § 41 Abs. 5, § 41 Abs. 6, § 35 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 67 Abs. 3 BbgKVerf festzustellen, soweit die in § 41 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4, § 41 Abs. 2 Satz 2 bis 8, § 41 Abs. 3, § 41 Abs. 5, § 41 Abs. 6, § 35 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 67 Abs. 3 BbgKVerf getroffenen Regelungen an den Begriff der "Fraktion" anknüpfen.

III.



Der Präsident des Landtages, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg sowie der Landkreis­tag Brandenburg haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

1. Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG rügt.

Im Übrigen sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Eine Regelung der Mindestfraktionsstärke in den kommunalen Vertretungen sei Sache des Gesetzgebers, weil die kommunale Selbstverwaltung nach Art. 97 Abs. 2 und 5 LV unter dem Vorbehalt gesetzlicher Ausgestaltung stehe. Das Prinzip kommunaler Allzuständigkeit sei auf die Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft beschränkt, ohne dass eine Vermutung für eine Eigenorganisations­befugnis der Gemeinde streite.

§ 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf greife nicht in den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung ein. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Regelung eine die Organisationshoheit der Beschwerdeführerin gleichsam erstickende Wir­kung zukomme. Die angegriffene Regelung forme den allgemeinen organisatorischen Rahmen der kreisfreien Städte allerdings nur in einem Punkt näher aus. Auch in Verbindung mit anderen Vorschriften komme es nicht zu einer erstickenden Wirkung.

Die angegriffene Regelung verfolge einen legitimen Zweck. Organisationsvorgaben des Gesetzgebers könnten mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung oder dem Wunsch nach Übersichtlichkeit begründet werden.

Die Regelung genüge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Bestimmung einer Mindestgröße für Fraktionen sei geeignet, den Willensbildungsprozess in Gemeindevertretungen effektiver zu gestalten. Die Regelung sei auch erforderlich. Es gebe kein milderes Mittel zur Bündelung des Meinungs- und Entscheidungs­­­pro­zesses und zur Straffung der Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung. Alternativ könnten allenfalls Sperrklauseln im Kommunalwahlrecht eingeführt werden. Solche wären allerdings von verfassungsrechtlich einschneidenderer Wirkung, da in das Wahlrecht eingegriffen und die Wahl- bzw. Chancengleichheit der politischen Parteien eingeschränkt würde. Klei­nere Gruppen und Partikular­interessen seien dann in der Kommunal­vertretung überhaupt nicht vertreten. Die Regelung sei auch angemessen. Die politische Situation Brandenburgs sei durch eine besondere Fragmentierung des Spektrums der politischen Parteien auf kommunaler Ebene geprägt. Frak­tionsmindestgrößen von etwa 10 % der Mitglieder einer kom­munalen Vertretung würden in der Rechtsprechung für zulässig erachtet.

Die Organisationshoheit sei auch in Verbindung mit den im Hilfsantrag genannten Vorschriften nicht unzumutbar eingeschränkt: Nicht einmal jede Fraktion habe Anspruch darauf, bei der Besetzung von Ausschüssen berücksichtigt zu werden, wenn dies den Mehrheitsverhältnissen im Plenum widerspreche. Deshalb sei nicht zu beanstanden, wenn durch die Heraufsetzung der Fraktionsmindeststärke kleinere Gruppierungen von der Besetzung der Ausschüsse ausgeschlossen würden. Den Ausschüssen kommunaler Vertretungen kämen in der Regel keine Entscheidungsbefugnisse zu, deshalb habe die Ausschussarbeit auf kommunaler Ebene ein erheblich geringeres Gewicht als auf Landes- oder Bundesebene. Im Übrigen stünde den Kommunen mit § 41 Abs. 1 2. Halbsatz, § 43 Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf die Möglichkeit offen, auch fraktionslose Gruppen an der Ausschussbesetzung zu beteiligen.

2. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hält die kommunale Verfassungsbeschwerde für unbegründet. § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf greife nicht in den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung ein, sei durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlgründe legitimiert und wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

B.



Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist ganz überwiegend zulässig und, soweit sie zulässig ist, auch begründet.

I.



1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist nach Art. 100 LV, § 12 Nr. 5, § 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft, aber insofern unzulässig, als die Beschwerdeführerin eine Verletzung eigener Rechte aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 GG rügt. Nach Art. 100 LV können Gemeinden und Gemeindeverbände Verfassungsbeschwerde (nur) mit der Behauptung erheben, dass ein Gesetz des Landes ihr Recht auf Selbstverwaltung "nach dieser Verfassung" -- also der Verfassung des Landes Brandenburg verletze.

Die Verfassungsbeschwerde ist weiterhin unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 12 LV) stützt. Insoweit ist sie nicht beschwerdebefugt. Art. 12 LV begründet ein Recht des Einzelnen gegen den Staat, berührt aber das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 91, 228, 245).

2. Im Übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde zulässig, insbesondere ist die Beschwerdeführerin beschwer­debefugt und die kommunale Verfassungsbeschwerde am 25. September 2009 fristgerecht gem. § 51 Abs. 2 VerfGGBbg binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten der zur Überprüfung gestellten Rechtsvorschrift am 28. September 2008 erhoben worden (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 KommRRefG, § 1 Abs. 1 der Verordnung über den Wahltag und die Wahlzeit der landesweiten Kommunalwahlen 2008 [KWahltagV 2008] vom (4. Februar 2008 [GVBl. II S. 38]).

II.



Die kommunale Verfassungsbeschwerde hat -- soweit zulässig -- bereits mit dem Hauptantrag Erfolg. Die angegriffene Vorschrift greift in die kommunale Selbstverwaltung ein, ohne dass dieser Eingriff der verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält.

1. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 und 2 LV gewährleistet den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich. Dies bezieht sich zwar vorrangig auf die sachlichen Aufgaben der Kommune (vgl. zu Art. 28 GG: Gern, Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, 3. Kapitel Rn 63), erstreckt sich aber auch auf die innere Verwaltungsorganisation (LVerfGE 2, 183, 188). Die Organisationshoheit ist allerdings nicht absolut gewährleistet (LVerfGE 15, 116, 121), für sie gilt weder das Prinzip der Allzuständigkeit, nach dem die Gemeinden grundsätzlich alle Fragen ihrer Organisationshoheit selbst zu entscheiden hätten, noch das Prinzip der Eigenorganisation, wonach jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung bedürfte.

a) Die Organisationshoheit ist ein wesentlicher Bestandteil des in Art. 97 Abs. 1 LV geschützten Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (Lieber/Iwers/­Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Kommentar, 2. Nachlieferung Februar 2008, Art. 97 Rn 1.1). Die Formulierung des Art. 97 LV lehnt sich an diejenige des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG an, der an die historisch gewachsene Idee der Allzuständigkeit der Kommunen anknüpft und diesen einen breit gefächerten Aufgabenbereich garantiert. Maßgebend für den Schutzbereich der bundesrechtlichen Gewährleistung ist zunächst der räumliche Bezug der Aufgabe, der auch und insbesondere unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung zu bestimmen ist (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, § 12 II 4 d ?). Bezogen auf Art. 97 LV ist eine vergleichbare historische Anknüpfung allerdings nicht ohne weiteres möglich. Auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg wurde nach 1945 die Wiederanknüpfung an die aus der Weimarer Zeit überkommene Idee der kommunalen Selbstverwaltung unterbunden und ein zentralistisches System der Leitung und Planung geschaffen. Erst mit dem Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR I S. 255) wurde die kommunale Selbstverwaltung auf dem Gebiet der DDR wieder eingeführt. Deshalb konnte bei der Schaffung der Landesverfassung in Brandenburg von einem historisch gewachsenen Erscheinungsbild der kommunalen Selbstverwaltung nicht ausgegangen werden. Gleichwohl sind Inhalt und Umfang der durch Art. 97 LV gewährleisteten Garantie in Anlehnung an die in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte historisch geprägte Dogmatik und insbesondere die zu Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bestimmen. Denn der Verfas­sunggeber des Landes Brandenburg hat mit der aus­drücklich Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nachgebildeten Formulierung des Art. 97 Abs. 2 LV den historisch gewachsenen Bestand der grundgesetzlichen Norm, wie er auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt worden ist, inhaltlich übernommen (vgl. Protokoll der 9. Sitzung des Unterausschusses II des Verfassungsausschusses 1 vom 2. Mai 1991, S. 8; Protokoll der 12. Sitzung des Verfassungsausschusses I am 13. Dezember 1991, S. 10 sowie Protokoll des Verfassungsausschusses II, 8. Sitzung am 9. April 1992, S. 17; so auch Jann, in:
Simon/Franke/­Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, § 16 Rn 1).

b) In der historischen Tradition des Grundgesetzes ist die Organisations­hoheit als eigenes Element der Selbstverwaltungsgarantie allerdings nur eingeschränkt belegt (BVerfGE 91, 228, 236). Insbesondere die Regelung der äußeren Kommunalverfassung war in der Weimarer Republik als Sache des Gesetzgebers angesehen worden, die Entscheidung über die äußeren Grundbedingungen der Gemeindeverwaltung wurde in allen Ländern stets dem Gesetzgeber zugerechnet (BVerfGE 107, 1, 13). Entscheidungen über die äußere Verfasstheit der Kommunen wurden und werden deshalb weniger als Teil der kommunalen Selbstverwaltung angesehen, sondern bilden für sie einen Rahmen. Andererseits gehörten gewisse Organisationsbefugnisse seit jeher zum Erscheinungsbild der kommunalen Selbstverwaltung, wie insbesondere die Befugnis, Ortsstatute zu erlassen oder die innere Verwaltungsorganisation durch Verwaltungsverfügungen zu regeln (BVerfGE 91, 228, 237). Entsprechend ist zwischen Regelungen, die die äußeren Grundstrukturen und denjenigen, die den inneren Verwaltungsaufbau betreffen, zu unterscheiden (Lieber/Iwers/Ernst, a.a.O., Art. 97 Rn 1.1; Waechter, AöR 2010, 327, 348f.). Die äußeren Grundstrukturen unterfallen der Regelungskompetenz des Landes. Organisationsvorgaben können grundsätzlich etwa auch mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung oder dem Wunsch nach Übersichtlichkeit begründet werden, sofern die den Kommunen durch die Verfassung gewährleisteten Hoheitsrechte im Kern erhalten bleiben können. Durch die Möglichkeit organisatorischer Rahmensetzungen soll der Gesetzgeber auch auf eine effektive Aufgabenerledigung durch die Gemeinden hinwirken können (BVerfGE 91, 228, 240f.).

Hin­sichtlich des inneren Verwaltungsaufbaus muss der Gemeinde jedoch grundsätzlich ein Spielraum vorbehalten sein, im Rahmen des vorgezeichneten Grundorganisationsschemas ihre innere Organisation eigenständig zu regeln (Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 GG [Zweitbearbei­tung] Rn 102). Denn eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung setzt eine organisatorische Gestaltungsbefugnis voraus; eine gewisse Organisationsfreiheit ist deshalb notwendige Grundlage der Selbstverwaltung. Daher verpflichtet Art. 97 LV den Gesetzgeber, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Gewährleistung ihrer Aufgaben einzuräumen. Den Gemeinden haben nicht nur nennenswerte organisatorische Befugnisse zu verbleiben. Es hat ihnen auch bei der Wahrnehmung der je einzelnen Aufgabenbereiche ein hinreichender organisatorischer Spielraum offengehalten zu werden, damit sie selbst noch auf die besonderen Anforderungen am Ort durch eigene Maßnahmen reagieren können (vgl. BVerfGE 91, 228, 241 sowie Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. März 2000
- 2 BvR 860/95 -, NVwZ 2001, 317, und Tettinger, in: Mann, Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 11 Rn 33). Belässt der Gesetzgeber den Gemeinden in diesem Bereich Raum zu selbstverantwortlichen Maßnahmen, findet eine Kontrolle dahin, ob die von ihm getroffenen Organisationsentscheidungen auf hinreichend gewichtigen Zielsetzungen beruhen, nicht statt. Diese Kontrollabstinenz greift aber nur ein, wenn der Gesetzgeber den Gemeinden einen Spielraum für eigenverantwortliche Organisation belassen hat. Ist dies nicht der Fall, unterliegt er einem spezifischen Rechtfertigungsbedarf für seine Normierung; die gesetzlichen Regelungen müssen dann von hinreichend gewichtigen Gründen getragen sein (BVerfGE 91, 228, 241; BVerfG, Beschluss vom 13. März 2000 - 2 BvR 860/95 -, a.a.O.).

2. § 32 Abs. 1 BbgKVerf ist eine Norm, die dem Bereich der inneren Organisation zuzuordnen ist. Dazu zählen unter anderem die Organkreation sowie die Ausgestaltung der inneren Organstrukturen (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O, § 12 II 4 d ?). Der Text der Kommunalverfassung ordnet § 32 Abs. 1 BbgKVerf bereits in das die innere Gemeindeverfassung betreffende 2. Kapitel ein. Die Regelung setzt Fraktionen ein, die nach § 32
Abs. 2 BbgKVerf bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Gemeindevertretung mitwirken sollen. Mit der gesetzlichen Festlegung einer Mindestgröße der Frak­tionen trifft der Gesetzgeber zugleich eine abschließende Regelung, die jede andere Festlegung einer Fraktionsmindestgröße durch die Gemeinde selbst ausschließt (so zu § 30 a Abs. 1 RhPfGO: zutreffend Oberverwaltungsgericht Koblenz, Beschluss vom 22. Mai 1996 -- 7 A 10099/96 - NVwZ-RR 1997, 310; zu § 32 a GO Schl.-H.: Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig Holstein, Kommentar, 8. Aufl. 2010, § 32 a GO Anm. 2 zu Abs. 5). Damit wird eine Berücksichtigung der besonderen örtlichen Gegebenheiten wie auch der möglicherweise bestehenden lokalen Partikularinteressen ausgeschlossen. Dass § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf die Möglichkeit einräumen, Ausschüsse und Gremien nach einem anderen Modus zu besetzen, eröffnet keinen hinreichenden Spielraum für die Kommunen, weil dieser Beschluss Einstimmigkeit verlangt und im Falle der Ausschüsse (§ 43 BbgKVerf) auch nur eine andere Sitzverteilung erlauben darf, das Vorschlagsrecht der Fraktionen aber unberührt lassen muss.

Besteht nach der angegriffenen Regelung kein Spielraum für die Kommunen, auf die konkreten Anforderungen vor Ort selbst zu reagieren, ist die von dem Landesgesetzgeber getroffene Regelung verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie von hinreichend gewichtigen Gründen getragen wird. Das ist nicht der Fall. Unabhängig von der Frage, ob die Effektivität der Willensbildung innerhalb der Stadtverordnetenversammlung eine Fraktionsmindeststärke überhaupt zu rechtfertigen vermag und gegebenenfalls in welchem Maße, bedarf es für den Gesetzgeber der Rechtfertigung dafür, dass er die entsprechende Vorgabe eigenständig selbst und abschließend trifft, statt diese den Kommunen in eigener Verantwortung zu überlassen. Dies hatte auch der Städte- und Gemeindebund Brandenburg in seiner Stellungnahme betreffend den Entwurf der Landesregierung zum Gesetz zur Reform der Kommunalverfassung und zur Direktwahl der Landräte sowie zur Änderung sonstiger kommunalrechtlicher Vorschriften (Kommunalrechtsreformgesetz) gefordert (LT-Drs 4/5056, Anlage 4, S. 11). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die angegriffene Regelung eine Vorgängernorm in der Gemeindeordnung ablöst, die bereits eine Bestimmung zur Fraktionsgröße enthielt. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Gemeindeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Oktober 2001 (GBl. I S. 154) gültig bis zum 27. September 2008, mussten Fraktionen aus mindestens zwei Personen bestehen. Dass in der Situation der größeren Kommunen Brandenburgs Gründe dafür bestanden, die Mindestfraktionsstärke durch Landesgesetz zu erhöhen, ist nicht erkennbar. Weder der Wortlaut der Norm noch die Systematik des Gesetzes zeigen ein Bedürfnis für eine landeseinheitliche Regelung auf. Die angegriffene Norm regelt die Mindeststärke einer Untergruppierung der Stadtverordnetenversammlungen in kreisfreien Städten und Kreistagen. Gründe für eine überregional einheitliche Festlegung ergeben sich daraus nicht. Hinsichtlich anderer Organe und Organteile der Stadtverordnetenversammlung, die ebenfalls im Kapitel 2 "Innere Gemeindeverfassung" der Brandenburger Kommunalverfassung geregelt werden, legt das Gesetz keine Mindeststärke fest.

Auch die Gesetzesbegründung und die sonstigen Materialien enthalten keinen ausreichenden Hinweis auf rechtfertigende Gründe. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:

"Damit es in den Vertretungen nicht zu einer willkürlichen, allein von politischen Gegebenheiten beeinflussten Festsetzung der Mindeststärke kommt, hat der Gesetzgeber die Größenordnung selbst festgelegt."

(LT-Drs 4/5056, S. 178).

Dass es in der Vergangenheit auf kommunaler Ebene zu willkürlichen Festsetzungen von Fraktionsmindeststärken oder zu einer Heraufsetzung der Fraktionsstärke aus sachfremden Erwägungen gekommen ist, etwa, um bestimmte politische Gruppierungen bewusst von der Mitarbeit in den Ausschüssen auszuschließen, ist nicht erkennbar und hat auch die mündliche Verhandlung nicht ergeben. Jede Heraufsetzung der Fraktionsstärke hätte einer Mehrheitsentscheidung in der Stadtverordnetenversammlung bzw. im Kreistag bedurft und wäre daher demokratisch legitimiert gewesen. Dass demokratische Mehrheitsentscheidungen von politischen Gegebenheiten abhängen, ist systemimmanent und legitimiert für sich gesehen den Landesgesetzgeber nicht, in die kommunale Organisationshoheit abschließend einzugreifen.

3. Da hinreichend gewichtige Gründe dafür nicht bestehen, den kreisfreien Städten und Landkreisen keinen Spielraum für die Berücksichtigung von Partikularinteressen bei der Festsetzung der Fraktionsmindeststärke zu belassen, wird durch die angegriffene Norm der Schutzbereich des Art. 97 Abs. 2 LV verletzt. § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf ist daher nichtig. Von dieser Nichtigkeit wird auch § 32 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz BbgKVerf erfasst. Für die dort festgelegte Mindestgröße der Fraktionen in Gemeindevertretungen mit 32 oder mehr Gemeindevertretern auf mindestens drei Mitgliedern liegt ebenfalls kein eine landesgesetzliche Regelung rechtfertigender Grund vor. Deshalb kann auch diese Norm keinen Bestand haben (§ 41 Satz 2, § 51 Abs. 3 VerfGGBbg).

C.



Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg.

D.



Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

E.



Die Entscheidung ist mit 6 zu 2 Stimmen ergangen.

Postier Dr. Becker
   
Dielitz Dr. Fuchsloch
   
Dr. Lammer Möller
   
Nitsche Schmidt