VerfGBbg, Beschluss vom 15. März 2013 - VfGBbg 32/12 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 49 Abs. 1 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1 S. 2; VerfGGBbg, § 46; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 S. 1 |
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Schlagworte: | - Begründungserfordernis - Subsidiarität |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 15. März 2013 - VfGBbg 32/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 32/12
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
G.,
Beschwerdeführer,
wegen des Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 22. November 2011 (3 K 1881/06) und des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. März 2012 (OVG 12 N 136.11)
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt
am 15. März 2013
b e s c h l o s s e n :
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
G r ü n d e :
A.
Der Beschwerdeführer ist öffentlich bestellter Vermessungsingenieur und wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die behördliche Auferlegung einer Geldbuße und deren Bestätigung durch die Verwaltungsgerichte.
I.
Infolge einer Geschäftsprüfung im Mai 2005 stellte der Landesbetrieb Landesvermessung und Geobasisinformation (Landesbetrieb) mehr als 100 Verstöße des Beschwerdeführers gegen das Kostenrecht in Gestalt von Gebührenüber- und -unterschreitungen sowie die mehrfache zweckwidrige Verwendung von Vermessungsunterlagen fest. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2005 verhängte der Landesbetrieb gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße in Höhe von 12.000,- €. Im Widerspruchsverfahren wurde diese Geldbuße auf 10.000,- € reduziert. Im Übrigen blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. September 2006). Der Landesbetrieb stützte seine Entscheidung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg (ÖbVIBO). Nach dieser Norm kann die Aufsichtsbehörde – gemäß § 12 Abs. 1 ÖbVIBO der Landesbetrieb - bei Verletzungen der Berufspflichten des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs nach Anhörung durch schriftlich begründeten Bescheid u.a. eine Geldbuße von bis zu 25.000,- € festsetzen.
Der Beschwerdeführer blieb im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolglos. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 22. November 2011 ab. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers seien die Bescheide formell rechtmäßig, da das Ahndungsverfahren durch die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Amtsaufklärung, die Beweiserhebung und die Anhörung des Betroffenen das rechtliche Gehör des Betroffenen gewährleiste. Die Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. In 19 Fällen habe der Beschwerdeführer gegen den sog. Verwendungsvorbehalt verstoßen, also Ergebnisse der Landvermessung bzw. Nachweise des Liegenschaftskatasters, die Landeseigentum seien, für gesondert berechnete Vermessungsarbeiten herangezogen und damit zweckwidrig verwendet. Ferner habe er in mehr als 100 Fällen infolge falscher Anwendung der einschlägigen Gebühren- und Kostenregelungen Kostenbescheide fehlerhaft erstellt und über 50.000,- € an Gebühren zu Unrecht nicht vereinnahmt. Dies wird zu verschiedenen Kostenbescheiden im Einzelnen unter Bezugnahme auf die Gebühren- und Kostenordnung ausgeführt. Der Beschwerdeführer hat während dieses Gerichtsverfahrens weder insgesamt noch zu einzelnen Positionen einen Beweisantrag gestellt.
Das Oberverwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 7. März 2012 den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ab, da keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung bestünden und auch keine Anhaltspunkte für ein rechtsstaatswidriges Verfahren aufgezeigt worden seien. Der Beschluss ging dem Beschwerdeführer am 9. März 2012 zu.
II.
Mit der am 2. Mai 2012 erhobenen Verfassungsbeschwerde hatte der Beschwerdeführer zunächst beantragt, § 13 ÖbVIBO für nichtig zu erklären. Auf Hinweis des Gerichts, dass für eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Norm die Jahres-Frist nach § 47 Abs. 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) nicht gewahrt sei, bat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 30. Mai 2012 darum, seinen Antrag als gegen die - der Beschwerdeschrift beigefügten - verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gerichtet zu betrachten.
Der Beschwerdeführer macht geltend, diese verletzten ihn in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 49 Abs. 1 der Landesverfassung (LV), weil § 13 ÖbVIBO nichtig sei. Obwohl der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur ein staatlich gebundener Beruf wie der des Notars sei, sehe die ÖbVIBO im Gegensatz zur Bundesnotarordnung (BNotO) ein sich an das Bundesdisziplinargesetz (BDG) anlehnendes Disziplinarverfahren nicht vor. Dieses zeichne sich durch eine unabhängige Untersuchung mit Beweiserhebung und eine Belehrung des Beschuldigten über seine Rechte aus; in besonders schweren Fällen entscheide in erster Instanz das Oberlandesgericht mit einem Notar als Beisitzer. Ein vergleichbares Verfahren gewährleiste die ÖbVIBO nicht, insbesondere weil es eine Trennung von Fachaufsicht einerseits und Ahndung von Verstößen andererseits nicht gebe; der aufsichtführende Landesbetrieb verhänge nach § 13 ÖbVIBO auch die Geldbußen. Er selbst sei im Rahmen der Geschäftsprüfung zur Mitwirkung wie etwa Auskunftserteilung verpflichtet. Führe dies - ohne Zwischenschaltung einer unabhängigen Untersuchungs- und Ahndungsinstanz, der gegenüber die Aussage verweigert werden könne – unmittelbar zur Festsetzung von Sanktionen im Verfahren nach § 13 Abs. 1 ÖbVIBO, laufe dies auf eine Selbstüberführung hinaus; eine Belehrung über ein Aussageverweigerungsrecht regle die ÖbVIBO nicht, sie sei auch nicht erfolgt. Schließlich finde im gegen die verhängte Sanktion eröffneten verwaltungsgerichtlichen Verfahren die erforderliche Beteiligung von Fachleuten nicht statt. Dies wie auch das Fehlen einer unabhängigen Untersuchung mit Beweiserhebung vor Verhängung der Geldbuße hätten sich im Verfahrensablauf konkret ausgewirkt, weil für die ihm vom Landesbetrieb vorgeworfene zu niedrige Festsetzung von Bodenwerten zu keinem Zeitpunkt ein Beweis erbracht worden sei und den Gerichten insoweit sowie für die Auslegung unklarer Regelungen in der Gebührenordnung die vermessungstechnischen Fachkenntnisse fehlten.
III.
Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) als unzulässig zu verwerfen.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist allerdings nicht bereits wegen Nichteinhaltung der Frist des § 47 Abs. 3 VerfGGBbg unzulässig, da sie mit Blick auf den Schriftsatz vom 30. Mai 2012 von Anfang an nicht nur unmittelbar gegen § 13 ObVIBO, sondern auch gegen die auf diese Norm gestützten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gerichtet war. Sie ist jedoch unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht entsprechend dem Begründungserfordernis aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg seine Beschwerdebefugnis, also die Möglichkeit dargetan hat, durch die Gerichtsentscheidungen in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 49 Abs. 1 LV verletzt zu sein (zu 1.). Außerdem hat er dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht Genüge geleistet (zu 2.).
1. Der Beschwerdeführer übt als öffentlich bestellter Vermessungsingenieur einen freien, jedoch staatlich gebundenen Beruf aus (§ 1 Abs. 1 ÖbVIBO: „Organ des öffentlichen Vermessungswesens“) und genießt damit den durch Art. 49 Abs. 1 LV verbürgten Grundrechtsschutz. Diese Berufstätigkeit ist allerdings mit Blick auf die von einem Vermessungsingenieur wahrgenommenen und seiner Verfügungsfreiheit entzogenen Hoheitsfunktionen und deren Bedeutung für die vielfältigen Formen privatwirtschaftlicher und staatlicher Planung in Anlehnung an Art. 33 Grundgesetz (GG) einer weitergehenden normativen Eingrenzung als bei anderen freien Berufen zugänglich (vgl. zu Art. 12 GG Bundesverfassungsgericht – BVerfG – BVerfGE 73, 301, 315 f.; 17, 371, 380).
Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus dem Hinweis des Beschwerdeführers auf das Fehlen einer unabhängigen Untersuchung mit Beweiserhebung im Vorfeld der Geldbußenfestsetzung nach § 13 Abs. 1 ÖbVIBO nicht die Möglichkeit einer Verletzung in seinem Berufsfreiheitsgrundrecht infolge Nichtigkeit von § 13 ÖBVIBO. Die Anhörung des Vermessungsingenieurs vor Verhängung der Geldbuße regelt § 13 Abs. 1 ÖbVIBO selbst. Über § 1 Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Brandenburg gelten für das Verfahren nach § 13 Abs. 1 ÖbVIBO ferner u.a. die §§ 24, 26 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG). Das bedeutet, der Landesbetrieb hat im Hinblick auf die Verhängung einer Geldbuße die im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich gehaltenen Beweise zu erheben (z. B. Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, Beiziehung von Akten oder Urkunden - § 26 Abs. 1 VwVfG) und auch die für den Vermessungsingenieur ermittelten günstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (§ 24 Abs. 2 VwVfG). Dies entspricht im Wesentlichen dem Inhalt von § 22 Abs. 1 Satz 2, § 25 Landesdisziplinargesetz (LDG) bzw. § 21 Abs. 1 Satz 2, § 24 Bundesdisziplinargesetz(BDG) und stellt sicher, dass die Geldbuße nach § 13 Abs. 1 ÖbVIBO in einem rechtsstaatlichen Standards entsprechenden Verfahren festgesetzt wird. Sollte der Beschwerdeführer mit dem Begriff „unabhängig“ darüber hinaus auf die durch den Landesbetrieb verkörperte Identität von Aufsichts- und Ahndungsbehörde abstellen wollen, so würde er auch hiermit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 13 ÖbVIBO aufzeigen. Diese Identität von Aufsichts- und Ahndungsbehörde besteht im Übrigen ebenfalls bei der Verhängung von Geldbußen nach der BNotO (§ 92, 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 Satz 1 BNotO); nach dem LDG bzw. dem BDG verhängt sogar der Dienstvorgesetzte die Geldbuße (§ 18 Abs. 1, § 34 Abs. 2 LDG, § 17 Abs. 1, § 33 Abs. 2 BDG).
Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht ausreichend vorgetragen, dass für die öffentlich bestellten Vermessungsingenieure die Einrichtung eines Disziplinarverfahrens und einer Disziplinargerichtsbarkeit mit Beteiligung eines Vermessungsingenieurs als Beisitzer im Spruchkörper von Verfassungs wegen geboten ist und die angegriffenen Entscheidungen allein aus diesem Grunde seine Grundrechte verletzt haben könnten. Gerichte urteilen regelmäßig über Sachverhalte, die von ihnen nicht im Rahmen einer speziellen Ausbildung erlernte Berufs- bzw. Amtsspezifika betreffen, ohne Beteiligung entsprechender Berufs- oder Amtsträger als Beisitzer.
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde behauptet, der Landesbetrieb habe tatsächlich nicht nachgewiesene Gebührenfehlberechnungen mit der Geldbuße geahndet und die Verwaltungsgerichte hätten durch Bestätigung dieser Entscheidung sein Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Sachverhaltsfeststellungen, Beweiswürdigungen und Tatsachenermittlungen eine Frage der konkreten Anwendung des einfachen Rechts ist, die den Fachgerichten obliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Beschluss vom 25. Mai 2012 – VfGBbg 20/12 –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de), und verfassungsrechtlich relevante Verfahrensverstöße vom Beschwerdeführer, der nicht einmal einen konkreten Beweisantrag gestellt hat, nicht aufgezeigt worden sind.
2. Es kann offen bleiben, ob der weitergehende Einwand des Beschwerdeführers, sein Grundrecht aus Art. 49 Abs. 1 LV sei dadurch verletzt, dass § 13 ÖbVIBO im Verfahren der Geldbußenverhängung kein Aussageverweigerungsrecht mit Belehrung hierüber gewähre (vgl. zum Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung im Bundesrecht: BVerfGE 56, 37, 41 f.; 95, 220, 241), was zur Nichtigkeit von § 13 ÖbVIBO führen soll, durchgreift, weil die Geltendmachung dieses Einwands nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Dieser aus dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg abgeleitete Grundsatz besagt, dass der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde über die formale Erschöpfung des Rechtswegs hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergriffen haben muss, um eine etwaige Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beheben (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 27. Mai 2011 – VfGBbg 20/10 -, Beschluss vom 25. Februar 2011 – VfGBbg 15/10, 8/10 EA –, www.verfassungsgericht.brandenburg.de); denn Rechtsschutz vor Verfassungsverstößen ist zuvörderst durch die Fachgerichte zu gewähren (BVerfGE 86, 15, 26 f.; Zuck, in: Lechner/Zuck, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 6. Aufl. 2011, § 90 Rn. 162). Dies hat der Beschwerdeführer unterlassen.
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils hat der Beschwerdeführer das Fehlen einer Regelung in der ÖbVIBO zu einem Aussageverweigerungsrecht des Vermessungsingenieurs und zu einer Belehrung hierüber sowie die sich hieraus ergebenden erst später mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Implikationen nicht problematisiert; ebenso wenig hat er gerügt, von dem Landesbetrieb über ein Aussageverweigerungsrecht nicht belehrt worden zu sein, und dargelegt, inwieweit seine Aussagen Einfluss auf die Feststellung der mit der Geldbuße geahndeten Verstöße gehabt hätten. Ausweislich der Ausgangsbescheide des Landesbetriebs und des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils ergibt sich der ganz überwiegende Teil der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verstöße schon aus seinen Gebührenbescheiden. Für ihn hätte daher in besonderer Weise Veranlassung bestanden, in dem dafür vorgesehenen fachgerichtlichen Verfahren aufzuzeigen, dass seine Aussagen zur Feststellung der Verstöße beigetragen haben, um gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – seiner Auffassung nach - ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteils bzw. dessen Fehlerhaftigkeit darzulegen und so eine Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht zu erwirken (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 18. Aufl. 2012, § 124a Rn. 49, 52).
II.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Partikel |
Schmidt |