VerfGBbg, Urteil vom 15. März 2007 - VfGBbg 42/06 -
Verfahrensart: |
Organstreit Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 11; LV, Art. 56 Abs. 3 Satz 2; LV, Art.56 Abs. 4 - VerfGGBbg, § 29 Abs. 1; VerfGGGbg, § 36 Abs. 1 - VwGO, § 121; VwGO, § 123 |
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Schlagworte: | - Parlamentsrecht - Abgeordneter - Akteneinsichtsrecht - Bundesrecht - Rechtsschutzbedürfnis - Datenschutz - Rechtskraft |
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amtlicher Leitsatz: | 1. Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV gibt keine Grundlage, ein Verhalten einzufordern, das die Landesregierung dazu zwingt, sich zu sie bindenden fachgerichtlichen Entscheidungen in Widerspruch zu setzen. Auch können Bindungswirkung und Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Beschlüsse durch eine Entscheidung im Organstreitverfahren nicht überwunden werden. 2. Das Aktenvorlage- bzw. -einsichtsrecht aus Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV besteht unabhängig von der Materie und unabhängig von der betroffenen Behörde und kann auch Personalakten umfassen. |
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Fundstellen: | - DVBI 2007, 631 ff. - LKV 2007, 553 ff. - LVerfGE 18, 141 |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Urteil vom 15. März 2007 - VfGBbg 42/06 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 42/06
IM NAMEN DES VOLKES |
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In dem Organstreitverfahren
Antragsteller, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. H., gegen die Regierung des Landes Brandenburg, Antragsgegnerin, betreffend die Verweigerung der Einsichtnahme in Trennungsgeldakten herausgehobener Landesbediensteter gemäß Schreiben des Chefs der Staatskanzlei des Landes Brandenburg vom 1. September 2006 hat das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2007 für R e c h t erkannt: Die Antragsgegnerin hat gegen Art. 56 Abs. 3 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg verstoßen, indem sie die auf Einsicht in Trennungsgeldvorgänge und diesbezügliche Prüfvorgänge von Ministern und ehemaligen Ministern, von Staatssekretären und ehemaligen Staatssekretären, von Präsidenten und ehemaligen Präsidenten von Obergerichten, des Generalstaatsanwalts, der Staatsanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie von Abteilungsleitern in der Ministerialverwaltung gerichteten Anträge des Antragstellers zu 1. vom 30. März 2005 und des Antragstellers zu 2. vom 11. Mai 2005 durch Beschluß des Kabinetts vom 29. August 2006 mit Bezug auf diejenigen Amtsträger zurückgewiesen hat, die nicht gegen die beantragte Akteneinsicht um Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht haben. Im übrigen wird der Antrag verworfen. G r ü n d e : A. Die Antragsteller wenden sich gegen die Versagung der Akteneinsicht in diejenigen Vorgänge, die die Zahlung von Trennungsgeld an herausgehobene Amtsträger des Landes und die Prüfung dieser Zahlungen betreffen. I. Im Land Brandenburg bestand der Verdacht, daß einzelne Beamte und Richter zu Unrecht Trennungsgeld bezogen zu haben. Der Ministerpräsident sprach am 28. Januar 2004 in der 89. Sitzung des Landtags Brandenburg von einer „Vertrauenskrise“; „das Ansehen der Justiz in unserem Land ist beschädigt“. Nach Auffassung der Opposition im Landtag betrieb die Antragsgegnerin die Aufklärung dieser in dem breiten Interesse der Öffentlichkeit stehenden „Trennungsgeld-Affäre“ zunächst nur schleppend und nicht mit der erforderlichen Konsequenz. Im Zuge der weiteren Nachprüfung kam es zu Rückforderungen von Trennungsgeld sowie auch zu Strafverfahren. Der Antragsteller zu 1. „erinnerte“ unter dem 30. März 2005 mit an den „Chef der Staatskanzlei des Landes Brandenburg“ gerichtetem Schreiben „an Ihre Bereitschaft“, „Einsicht in Prüfvorgänge herausgehobener Amtsträger des Landes zu ermöglichen“. Es bestehe „Interesse, Akteneinsicht insbesondere in vorhandene Trennungsgeld-Prüfvorgänge für Minister und ehemalige Minister, für Staatssekretäre und ehemalige Staatssekretäre, für Präsidenten und ehemalige Präsidenten von Obergerichten, für den Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie für Abteilungsleiter in der Ministerialverwaltung zu nehmen“. Diesem Antrag trat der Antragsteller zu 2. mit Schreiben vom 11. Mai 2005 bei und beantragte „Einsicht in solche Vorgänge, die als abgeschlossen anzusehen sind“. Die Antragsgegnerin stimmte der Einsichtnahme in die Berichte einer zuvor eingesetzten Prüfkommission sowie in die abgeschlossenen Prüfvorgänge herausgehobener Amtsträger des Landes am 17. Mai 2005 unter Auflagen zu. Am 3. Juni 2005 erhielten die Antragsteller Einsicht in die Berichte der Prüfkommission, wobei persönliche Daten zuvor anonymisiert wurden. Der Antragsteller zu 1. beantragte nachfolgend Einsicht in einzelne Prüfvorgänge. Der Vorsitzende des Gesamtstaatsanwaltsrates sowie der ehemalige Staatssekretär im Justizministerium, die zuvor von der Antragsgegnerin über die bevorstehende Akteneinsicht in Kenntnis gesetzt worden waren, beantragten vor dem Verwaltungsgericht Potsdam erfolgreich die einstweilige Untersagung der Einsicht in den Teil ihrer Personalakten, der die Trennungsgeldzahlungen betrifft sowie im Verfahren des ehemaligen Staatssekretärs ergänzend die Einsicht in den maßgeblichen Prüfvorgang. Der Antragsteller zu 1. teilte unter dem 18. August 2005 dem Chef der Staatskanzlei mit:
Die Antragsteller wurden in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigeladen und legten Beschwerde ein. Das Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerden durch Beschlüsse vom 20. Juni 2006 wegen des überwiegenden privaten Interesses an der Geheimhaltung zurück (- OVG 4 S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 -). Das Akteneinsichtsrecht der hiesigen Antragsteller genieße zwar einen hohen Stellenwert, doch erweise sich die Akteneinsicht nach konkreter Abwägung als unverhältnismäßig. Weder die Schwärzung von Daten streng persönlichen Charakters noch die Anwendung der Verschlußsachenanordnung des Landtags stelle den in der Abwägung sich durchsetzenden Datenschutz hinreichend sicher. Mit Schreiben vom 1. September 2006 teilte die Antragsgegnerin durch den Chef der Staatskanzlei mit, daß das Kabinett in seiner Sitzung am 29. August 2006 beschlossen habe, „keine weitere Akteneinsicht nach Art. 56 Abs. 3 LV in die Prüfvorgänge herausgehobener Amtsträger des Landes“ zu gewähren. „Zu dieser Entscheidung sah sich die Landesregierung aufgrund der Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichtes vom 20. Juni 2006 ... veranlaßt. Das OVG geht davon aus, daß für die Betroffenen ein überwiegendes privates Interesse an der Geheimhaltung gegeben ist.“ II. Die Antragsteller rügen mit dem am 29. September 2006 bei Gericht eingegangenen Antrag die Verletzung ihres Rechtes aus Art. 56 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) durch die Verweigerung der Akteneinsicht. Ihr Begehren betreffe abgeschlossene Vorgänge, für welche die Landesverfassung dem Landtag eine Kontrollkompetenz - der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ sei nicht betroffen - einräume. Andernfalls sei um die effektive Kontrolle der Antragsgegnerin - gerade auch für die Zukunft - zu fürchten, da sich diese auf das Überwiegen privater Interessen berufen könne. Die Antragsteller halten darüber hinaus die Rechtsausführungen des Oberverwaltungsgerichts für unzutreffend, da dieses unter Rückgriff auf das Recht der Untersuchungsausschüsse die parlamentarische Kontrolle unangemessen zurückgedrängt habe. Vielmehr stünde den Antragstellern aus der Landesverfassung ein Anspruch auch auf die personenbezogenen Daten aus Personalakten, die die möglicherweise unrechtmäßige Bewilligungspraxis von Trennungsgeld betreffen, zu. Die Antragsteller beantragen
Die Antragsgegnerin beantragt,
Die Antragsgegnerin hält den Antrag im Ergebnis für unbegründet. Die privaten Geheimhaltungsinteressen stünden der Akteneinsicht entgegen. Die Antragsgegnerin bezieht sich insoweit auf die Rechtsausführungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in den Beschlüssen vom 20. Juni 2006 und verweist auf die durch das Oberverwaltungsgericht allgemein vorgenommene Gewichtung von Akteneinsichtsrecht und Geheimhaltungsinteressen. Daher sei den gerichtlichen Beschlüssen grundsätzlich die Bewertung zu entnehmen, das Geheimhaltungsinteresse erfordere generell zwingend die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht. III. Der Präsident des Landtages hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. B. Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. I. 1. Der Antrag ist im Organstreitverfahren statthaft und mit Bezug auf die Verweigerung der Akteneinsicht, soweit sie nicht diejenigen Amtsträger betrifft, die vor den Verwaltungsgerichten erfolgreich um Rechtsschutz nachgesucht haben, auch sonst zulässig (Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 12 Nr. 1, 35 ff. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -). Die Antragsteller können sich insoweit auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV stützen und haben sich fristgemäß an das Landesverfassungsgericht gewandt (§ 36 Abs. 3 VerfGGBbg). Der Zulässigkeit steht im Ergebnis nicht entgegen, daß der Antragsteller zu 2. dem Antrag auf Akteneinsicht des Antragstellers zu 1. „beigetreten“ ist. Denn nach verständiger Würdigung stellt sich dies als inhaltliche Bezugnahme auf den Antrag des Antragstellers zu 1. dar und enthob den Antragsteller zu 2. insoweit der Darlegung der konkreten Anknüpfungspunkte des eigenen Antrags sowie der vollständigen Formulierung seines konkreten Einsichtsbegehrens. 2. Im übrigen war der Antrag zu verwerfen. Dies folgt aus den unanfechtbaren Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Juni 2006. Die materielle Rechtskraft der auf Grundlage von § 123 VwGO ergangenen Entscheidungen steht (derzeit) der materiellen Rechtskraft von Entscheidungen in den Hauptsachen in der Wirkung nicht nach. Das seitens der Antragsteller begehrte Verhalten der Antragsgegnerin zwänge sie deshalb dazu, sich zu den sie bindenden fachgerichtlichen Entscheidungen in Widerspruch zu setzen. Ein solches Verhalten einzufordern, gibt Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV keine Grundlage. Insbesondere kann die - auch und gerade gegenüber den Antragstellern als Beigeladene des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bestehende - Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse (vgl. § 121 VwGO; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 4 zu § 121 m.w.N.) durch eine Entscheidung im Organstreitverfahren nicht überwunden werden. Denn das Organstreitverfahren ist selbst dann nicht auf die Überprüfung fachgerichtlicher Rechtsprechung und auf die Überwindung der Rechtskraft fachgerichtlicher Entscheidungen gerichtet, wenn in dem fachgerichtlichen Verfahren Verfassungsnormen maßgeblich waren, die auch für das Organstreitverfahren entscheidungserheblich sind (§§ 36 Abs. 1, 35, 12 Nr. 1 VerfGGBbg). II. Soweit der Antrag zulässig ist, war die Verletzung der Rechte der Antragsteller aus Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV festzustellen. 1. a) Die Anträge vom 30. März 2005 bzw. 11. Mai 2005 sind als Anträge an die Landesregierung zu werten (Art. 56 Abs. 3 Satz 3 LV), auch wenn sie an den Chef der Staatskanzlei des Landes Brandenburg gerichtet sind und auf Art. 56 Abs. 3 LV nicht ausdrücklich Bezug genommen wird. Aus dem Inhalt der Anträge wird jedoch deutlich, daß nicht eine Handlung des Chefs der Staatskanzlei im eigenen Rechtskreis begehrt wird, sondern dieser vielmehr für die Antragsgegnerin in Anspruch genommen wird. Auch bestimmt Nr. 1 a) und b) der Anlage 3a (Verfahrensregelung zu Art. 56 Abs. 3 LV) zu § 49 Abs. 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Brandenburg (GGO) die Beteiligung der Staatskanzlei (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 128). Schließlich ist auch die Antragsgegnerin ausweislich der Kabinettsbefassung am 29. August 2006 von einem Antrag an die Landesregierung i.S.d. Art. 56 Abs. 3 Satz 3 LV ausgegangen und hat als Verpflichtete des Akteneinsichtsbegehrens (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, a.a.O., S. 129) die hierauf gerichteten Anträge zurückgewiesen. b) Die Anträge vom 30. März 2005 bzw. vom 11. Mai 2005 genügen auch dem Bestimmtheitserfordernis. Soweit der Antragsteller zu 1. die Akteneinsicht mit Bezug auf „herausgehobene Amtsträger des Landes“ begehrte, wurde unmittelbar hieran anschließend klargestellt, daß insoweit Minister und ehemalige Minister, Staatssekretäre und ehemalige Staatssekretäre, Präsidenten und ehemalige Präsidenten von Obergerichten, der Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie Abteilungsleiter in der Ministerialverwaltung gemeint waren. Entsprechendes gilt für den Antrag des Antragstellers zu 2. wegen dessen inhaltlicher Bezugnahme auf den Antrag des Antragstellers zu 1. 2. a) Das Landesverfassungsgericht hat zu Inhalt und Reichweite von Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 - (LVerfGE 15, 124, 129 f.) ausgeführt:
b) Hieran ist festzuhalten. Für die Einsicht in die die Zahlung von Trennungsgeld an herausgehobene Amtsträger des Landes betreffenden Vorgänge und diesbezügliche Prüfvorgänge ergibt sich daraus folgendes: aa) Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV umfaßt nach Lage des Falles das Recht der Antragsteller, Einsicht in die die Zahlung von Trennungsgeld betreffenden Teile von Personalakten der Bediensteten des Landes zu nehmen und diesbezügliche Prüfberichte einzusehen. Denn anders als etwa in Einzelfällen, in denen zum Nachteil des Landes Gelder an Landesbedienstete gezahlt worden sind, ist Gegenstand der „Trennungsgeld-Affäre“ eine Vielzahl von Fällen, in denen Landesbedienstete insbesondere in hohen und höchsten Führungspositionen unter dem Verdacht standen bzw. noch stehen, Gelder in erheblichem Umfang zu Unrecht erhalten zu haben. An der erforderlichen lückenlosen Aufklärung besteht ein großes Interesse der Öffentlichkeit (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse: BVerfGE 77, 1, 44 f.). Dies begründet eine besondere Verpflichtung der Antragsgegnerin. Mit dieser Verpflichtung geht die aus seiner Kontrollfunktion entspringende Verpflichtung des Parlaments einher, die umfängliche Aufklärung durch die Antragsgegnerin im Sinne einer politischen Kontrolle sicherzustellen (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse: BVerfGE 67, 100, 140). Umfang und Grad der - zumindest vermuteten - Verwicklung hoher Amtsträger verbieten es, die Überprüfung der Trennungsgeldzahlungen als eine Angelegenheit anzusehen, die ausschließlich ihrer Privatsphäre angehört. Vielmehr besteht ein öffentliches Interesse an der Überprüfung der Zahlungen (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse, teilweise kritisch, Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Auflage 2006, Rn. 29 f. zu Art. 44; Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rn. 112 ff. zu Art. 44; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Rn. 22 ff. zu Art. 44), mithin stand auch nicht mehr eine nur regierungsinterne, untergeordnete Verwaltungspraxis zur Überprüfung. Die mit dem Antrag im Organstreitverfahren weiterverfolgte, auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV gestützte Kontrolle stellt sich daher weder als unzulässige parlamentarische Aufklärung rein privater Vorgänge dar (vgl. mit Bezug auf das Recht der Untersuchungsausschüsse Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Rn. 122 zu Art. 44), noch geht es um die Überprüfung schlichter Administrativtätigkeiten der Antragsgegnerin. bb) Mit dem gegenüber der Landesverfassung vorrangigen Bundesrecht (Art. 31 Grundgesetz) über die Personalakten der Beamten (§§ 56 ff. Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG -) setzt sich eine Auslegung des Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV, die das Akteneinsichtsrecht der Abgeordneten auch auf die Personalakten der Beamten erstreckt, nicht in Widerspruch. § 56d BRRG - landesrechtlich durch § 61 Landesbeamtengesetz umgesetzt - benennt die Fälle, in denen Personalakten ohne Zustimmung des Beamten vorgelegt werden dürfen, nicht abschließend. Danach bleibt die Akteneinsicht aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen unbenommen (vgl. BT-Drs. 12/544, S. 22, 19; Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Beschlüssen vom 20. Juni 2006 - OVG 4 S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 -). cc) Schließlich steht dem Akteneinsichtsrecht der Antragsteller nicht von vornherein das Grundrecht auf Datenschutz (Art. 11 LV) der durch das Akteneinsichtsbegehren Betroffenen entgegen. Denn Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV stellt eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage jedenfalls für Grundrechtseingriffe dieser Art dar (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -, LVerfGE 4, 179, 183 f.). 3. Ob die Akteneinsicht gemäß Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV wirksam hätte verweigert werden können, kann dahinstehen, da der aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 1. September 2006 ersichtliche Kabinettsbeschluß vom 29. August 2006 den Anforderungen, die von Verfassungs wegen an eine auf Art. 56 Abs. 4 LV gestützte Ablehnung zu stellen sind, bereits mit Blick auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 - nicht genügt. Daher hat der Antrag im Organstreitverfahren - soweit zulässig - bereits aus diesem Grund Erfolg. a) Das Landesverfassungsgericht hat zu den von Verfassungs wegen bestehenden Anforderungen an eine auf Art. 56 Abs. 4 LV gestützte Ablehnung, die ihrerseits der uneingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. November 2000 - VfGBbg 31/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 193 m.w.N. sowie Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 134), bereits ausgeführt (Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 135):
b) Auch an diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Die Versagung der Akteneinsicht durch die Antragsgegnerin läßt die gebotene Abwägung im Einzelfall vermissen. Insoweit genügt es auch nicht, wenn sich die Antragsgegnerin pauschal auf die Begründung der Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Juni 2006 - OVG 4 S 50.05 - und - OVG 4 S 84.05 - beruft. Diese Begründung verstößt gegen die Landesverfassung, da das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV im Gefüge der Landesverfassung sowie in der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts verkannt hat. aa) Die Antragsgegnerin unterliegt mit Bezug auf die Amtsträger, die nicht bereits um Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten nachgesucht haben, nicht der Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, da diese nur für die Beteiligten der verwaltungsgerichtlichen Streitsache gilt, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 121 VwGO). bb) Soweit die Antragsgegnerin sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung gezwungen gesehen hat, sich auch in den übrigen Fällen an den Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts zu orientieren, hält die der Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Begründung des Oberverwaltungsgerichts, der Datenschutz genieße gegenüber dem Akteneinsichtsrecht stets absoluten Vorrang, der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Vorliegend setzt sich das Grundrecht auf Datenschutz gegenüber dem Akteneinsichtsrecht nicht schlechthin und daher die Begründungslast der Antragsgegnerin abschwächend (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 140) durch. Denn Trennungsgeldvorgänge und diesbezügliche Prüfvorgänge sind nicht in jedem Fall als so „streng persönlich“ (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 3/96 -, LVerfGE 4, 179, 188) anzusehen, daß die auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV gestützte Kontrolle ohne weitere Abwägung stets zu unterbleiben hat. Auch Trennungsgeldvorgänge können Daten enthalten, die nicht zwingend dem innersten Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind. Die an diesen weniger sensiblen Daten bestehenden Geheimhaltungsinteressen sind daher relativierbar und einer Abwägung zugänglich. Art. 56 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 LV erfordert nicht nur eine abstrakte Abwägung der einander widerstreitenden Interessen, sondern - soweit zumutbar - die Ermittlung und Gewichtung der konkret in Rede stehenden Belange. Daher ist es von Verfassungs wegen unzulässig, pauschal und ohne Blick darauf, ob maßgebliche Gesichtspunkte in jedem Einzelfall vorliegen und was ggf. aus deren Vorliegen folgt, typisierend abzuwägen. Nicht jeder Trennungsgeldvorgang enthält zwangsläufig höchstpersönliche, absolut sensible Daten des Trennungsgeldantragstellers oder seiner Angehörigen. Vielmehr ist es auch denkbar, daß Entscheidungen über die Bewilligung von Trennungsgeld allein etwa aufgrund räumlicher Gegebenheiten getroffen worden sind. So wird etwa allein die Wohnsituation des Trennungsgeldantragstellers oder seiner Angehörigen weit weniger Schutz beanspruchen als etwa Einzelheiten über Krankheiten. Daten, die dem innersten Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind, können geschwärzt werden. Sollte nach der Auswahl der von Verfassungs wegen in zulässiger Weise preiszugebenden Daten lediglich noch ein Torso bestehen bleiben, der die parlamentarische Kontrolle nur noch lückenhaft oder ganz unmöglich macht, so haben die Antragsteller dieses Informationsdefizit hinzunehmen, wobei die Antragsgegnerin die dahingehende Begründungslast trifft (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2004 - VfGBbg 6/04 -, LVerfGE 15, 124, 135 und 139 f.). Es entbindet jedoch die Antragsgegnerin nicht, in jedem Einzelfall das Vorhandensein höchstpersönlicher Daten zu ermitteln und zu gewichten und schließlich - soweit erforderlich - deren Schutz vor der Einsichtnahme sicherzustellen. Der etwaig hierdurch entstehende Aufwand ist der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle geschuldet. cc) Schließlich ist die Gewährung der Akteneinsicht unter Gewährleistung der Belange des Datenschutzes der Antragsgegnerin auch zumutbar. Sie ist - etwa nach Maßgabe des Kabinettsbeschlusses vom 17. Mai 2005 sowie ggf. unter ergänzender Anwendung der Verschlußsachenordnung des Landtages - in der Lage, das Grundrecht auf Datenschutz mit dem Akteneinsichtsrecht in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Soweit Daten dem innersten Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sind und daher von der Einsichtnahme ausgenommen werden, entspricht dies grundsätzlich den Vorgaben der Landesverfassung. 4. Die Verwaltungsgerichte sind sowohl für
die noch anhängigen Hauptsacheverfahren als auch für künftige Verfahren an
die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts gebunden (§ 29 Abs. 1
VerfGGBbg). Überdies wird bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
entsprechend § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO (vgl. Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, Rn. 35 zu § 123 m.w.N.) bzw.
auf Antrag entsprechend § 927 Zivilprozeßordnung (vgl. Schoch, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rn. 174 ff. zu §
123) zu verfahren sein. |
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Dr. Schöneburg | Prof. Dr. Schröder |