VerfGBbg, Beschluss vom 14. Oktober 2016 - VfGBbg 18/16 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2; LV, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 - VerfGGBbg, § 20 Abs. 1, VerfGGBbg, § 46 |
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Schlagworte: | - Befangenheit - gesetzlicher Richter - faires Verfahren - Begründung |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 14. Oktober 2016 - VfGBbg 18/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 18/16
IM NAMEN DES VOLKES
B e s c h l u s s
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren
M.,
Beschwerdeführer,
wegen | Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2016 (15 WF 25/16), berichtigt durch Beschluss vom 18. Februar 2016, und Beschluss des Amtsgerichts Potsdam - Familiengericht - vom 17. Dezember 2015 (42.1 F 302/15) |
hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
am 14. Oktober 2016
durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche und Schmidt
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Behandlung eines Ablehnungsgesuchs.
I.
In einer Kindschaftssache, die den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem bei der Mutter lebenden Sohn betraf, beantragte die Mutter mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. November 2015 den Ausschluss des Umgangs des Beschwerdeführers mit dem Kind. Zugleich beantragte sie, Rechtsanwalt S. aus Brandenburg an der Havel zum Verfahrensbeistand für das Kind zu bestellen. Dieser wird im Schriftsatz in der einleitenden Auflistung der Verfahrensbeteiligten als Verfahrensbeistand aufgeführt. In dieser Funktion war er im vorangegangenen familiengerichtlichen Verfahren involviert.
Das Amtsgericht Potsdam - Familiengericht - bestellte mit Beschluss vom
27. November 2015 (42.1 F 302/15) unter Verweis auf § 158 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG Rechtsanwalt S. zum Verfahrensbeistand für das Kind.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2015 lehnte der Beschwerdeführer die erkennende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Es dränge sich für jeden objektiven Dritten zwangsläufig der Eindruck unlauterer Absprachen außerhalb des Verfahrens zwischen der Kindsmutter und der abgelehnten Richterin auf. Bereits im Antragsschriftsatz führe die Mutter den von ihr präferierten und für sie parteilichen Verfahrensbeistand als Beteiligten auf. Der Beschluss über die Bestellung sei jedoch erst am 27. November 2015 getroffen worden. Der Eindruck der Voreingenommenheit werde noch dadurch verstärkt, dass dem Antrag zur Bestellung des Rechtsanwalts auf Zuruf unter Verletzung des rechtlichen Gehörs stattgegeben worden sei.
Nach dienstlicher Stellungnahme der Richterin, zu der sich der Beschwerdeführer nochmals geäußert hatte, erklärte das Amtsgericht Potsdam mit Beschluss vom 17. Dezember 2015 (42.1 F 302/15) das Ablehnungsgesuch vom 4. Dezember 2015 für unbegründet. Ein Ablehnungsgrund liege nicht vor. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht zu folgen. Es sei üblich, nach Eingang des Antrags sogleich für das Kind einen Verfahrensbeistand zu bestellen, da dies nach den gesetzlichen Vorgaben so früh wie möglich zu erfolgen habe. Dies sei mit Blick auf das Beschleunigungsgebot nach § 155 FamFG nicht zu beanstanden. Auch die Auswahl des Beistands gebe keinen Anlass, an der Neutralität der Richterin zu zweifeln. Es liege vielmehr nahe, den Verfahrensbeistand auszuwählen, den bereits das Brandenburgische Oberlandesgericht im vorausgegangenen Umgangsverfahren für geeignet erachtet habe, die Interessen des Kindes wirksam zu vertreten. Dem Kind bleibe erspart, sich an einen neuen Interessenvertreter gewöhnen zu müssen. Der Vorwurf, den Verfahrensbeistand auf Zuruf bestellt zu haben, sei offensichtlich unberechtigt. Reine Mutmaßungen seien nicht geeignet, ein Ablehnungsgesuch begründen.
Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 24. Januar 2016 Beschwerde gegen diesen Beschluss. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs sei willkürlich. Der Eindruck des beschriebenen Klüngelns der Mutter mit der entscheidenden Richterin werde durch die Argumentation des Gerichts nicht entkräftet. Der Hinweis auf eine frühzeitige Bestellung eines Verfahrensbeistands sei ein Pseudoargument, denn diese wäre auch nach seiner Anhörung möglich gewesen. Die frühere Beteiligung des Rechtsanwalts spreche nicht zwingend für eine erneute Bestellung. Die Art und Weise der Wahrnehmung der Aufgaben eines Beistandes schließe dessen neue Bestellung vielmehr aus. Er sei persönlich ungeeignet, da ihm (dem Beschwerdeführer) eine Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalt aufgrund erheblicher persönlicher Differenzen in der Vergangenheit nicht zuzumuten sei. Er habe eine erhebliche Parteilichkeit für die Mutter und eine unsachliche Feindschaft ihm gegenüber gezeigt. Auch entbehre das Argument jeder realen Notwendigkeit, dem Kind werde die Gewöhnung an einen anderen Beistand erspart. Das aufgeschlossene Kind habe keine Schwierigkeiten mit einem Wechsel. Auf sein Vorbringen zum nicht gewährten Gehör gehe der angegriffene Beschluss mit keinem Wort ein.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Februar 2016 - berichtigt durch Beschluss vom 18. Februar 2016 - (15 WF 25/16) zurück. Gründe, die die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterin rechtfertigen würden, seien nicht glaubhaft gemacht. Ausreichend für ein begründetes Ablehnungsgesuch sei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der vom Ablehnenden vorgebrachten Gründe. Davon sei auszugehen, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spreche als dagegen. Lasse sich bei dieser Abwägung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht feststellen, gehe dies zu Lasten des Ablehnenden. Die vom Beschwerdeführer zur Untermauerung seiner Behauptung außergerichtlicher Kommunikation und Parteilichkeit der abgelehnten Richterin angeführten Fakten begründeten angesichts des Beschleunigungsgebotes gemäß §§ 155, 158 Abs. 3 FamFG und der Tatsache, dass der in diesem Verfahren zum Verfahrensbeistand bestellte Rechtsanwalt ebenfalls bereits in dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren zur Regelung des Umgangs (15 UF 168/11) als Verfahrensbeistand die Rechte des Minderjährigen vertreten habe, keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer außergerichtlichen Absprache zwischen der abgelehnten Richterin und der Kindsmutter.
II.
Mit seiner am 18. April 2016 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf ein faires gerichtliches Verfahren und des Rechts auf den gesetzlichen Richter i. V. m. Art. 6 EMRK.
Sein Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Amtsgericht sei mit nicht tragfähiger Begründung zurückgewiesen worden. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts, er habe seine Ablehnungsgründe nicht glaubhaft gemacht, seien nicht nachvollziehbar. Es stelle in seiner Begründung auf die bereits vom Amtsgericht vorgetragene Begründung und von ihm in seiner Beschwerde als nicht tragfähig widerlegte Argumente ab. Die Ausführungen stellten einzig darauf ab, sein Ablehnungsgesuch um jeden Preis zurückzuweisen. Dazu erfänden sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht Exkulpierungen für die abgelehnte Richterin, welche diese in ihrer dienstlichen Stellungnahme selbst nicht angeführt habe. Als offensichtlich nachprüfbare Fakten verblieben, dass der Verfahrensbeistand auf Zuruf der Mutter bestellt worden sei, ohne ihm dazu vorher rechtliches Gehör einzuräumen. Im Ablehnungsverfahren gehe es nicht um die tatsächliche und lückenlos nachgewiesene Parteilichkeit des abgelehnten Richters, sondern allein um die Besorgnis der Befangenheit der Verfahrensbeteiligten. Diese sei anhand des geschilderten Sachverhalts gerechtfertigt. Ein Richter habe Distanz zu den Beteiligten und der Sache zu wahren. In jedem Fall müsse schon der äußere Anschein von Befangenheit vermieden werden. Wunscherfüllungen einer Partei, ohne der anderen vorher dazu rechtliches Gehör zu gewähren, erfüllten diese Anforderung unter keinen Umständen.
B.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig. Es ist auf der Grundlage des wegen des Begründungserfordernisses aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg maßgeblichen Vorbringens nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen in den von ihm benannten Grundrechten verletzt sein könnte.
1. Der Beschwerdeführer legt nicht hinreichend dar, dass er durch die Entscheidungen in seinem Grundrecht auf den gesetzlichen Richter verletzt ist.
Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), der wörtlich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz entspricht und denselben Schutz gewährt, schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergibt. Gleichzeitig wird damit durch die Verfassung gewährleistet, dass ein Beteiligter nicht vor einem Richter steht, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt. Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten. Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann allerdings nicht in jeder einfachgesetzlich fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede unrichtige Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters grundlegend verkennt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 15. April 2016
- VfGBbg 78/15 -, vom 12. Dezember 2014 - VfGBbg 54/14 - und vom 16. September 2011 - VfGBbg 60/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGE 82, 286, 299; BVerfGK 5, 269, 279 f; 12, 139, 143 f; 13, 72, 77 f; 20, 164, 167 f). Willkürlich ist eine Entscheidung erst dann, wenn die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist. Die Entscheidung muss ganz und gar unverständlich und sachlich schlechthin unhaltbar erscheinen, mithin das Recht in einer Weise falsch anwenden, dass jeder Auslegungs- und Bewertungsspielraum überschritten ist (vgl. Beschlüsse vom 20. September 2013 - VfGBbg 64/12 -, vom 19. Juni 2013 - VfGBbg 61/12 - und vom 18. März 2011 - VfGBbg 58/10 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalles beurteilt werden.
Ausgehend von diesen Maßstäben zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass er durch die Behandlung des Ablehnungsgesuchs vom 4. Dezember 2015 in seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt worden ist. Seinem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, dass die Annahme des Amtsgerichts Potsdam und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, die vom Beschwerdeführer angeführten Tatsachen rechtfertigten den geltend gemachten Eindruck außergerichtlicher Absprachen zwischen der abgelehnten Richterin und der Mutter nicht, auf einer willkürlichen Interpretation der familienverfahrensrechtlichen Vorschriften oder sonst sachfremden Erwägungen beruht. Eine Besorgnis der Befangenheit ist dann gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt der "böse Schein", d. h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Entscheidend ist demnach, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 88, 17, 23; 108, 122, 126; 135, 248, 257; Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 42 Rn. 2; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 42
Rn. 4 f; Graßnack, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl. 2016, § 42 Rn. 5; Gehrlein, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 42 Rn. 4). Dass in den angefochtenen gerichtlichen Beschlüssen das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes nach diesen Grundsätzen mit offensichtlich unhaltbaren Erwägungen verkannt worden wäre, lässt die Verfassungsbeschwerde nicht erkennen. Der Beschwerdeführer beschränkt sich vielmehr darauf, wiederholt die Begründung der angefochtenen Entscheidungen als nicht nachvollziehbar und nicht tragfähig zu erklären. Damit setzt er aber allein seine eigene Rechtsauffassung derjenigen der Gerichte entgegen, ohne substantiiert eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts aufzuzeigen. Sowohl das Amtsgericht Potsdam als auch das Brandenburgische Oberlandesgericht gehen mit vertretbaren Überlegungen davon aus, dass die vom Beschwerdeführer angeführten äußeren Tatsachen nicht geeignet sind, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin auszulösen. Im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle geben die Beschlüsse nicht zuletzt am Maßstab der bei Ablehnungsgesuchen gebotenen vernünftigen und besonnenen Betrachtungsweise keinen Anlass zur Beanstandung.
2. In Ansehung der vorstehenden Ausführungen lässt der Vortrag des Beschwerdeführers auch nicht die Möglichkeit eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV) erkennen.
II.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Möller | Dr. Becker |
Dielitz | Dresen |
Dr. Fuchsloch | Dr. Lammer |
Nitsche | Schmidt |