VerfGBbg, Beschluss vom 14. Februar 2002 - VfGBbg 65/01 -
Verfahrensart: |
Verfassungsbeschwerde Hauptsache |
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entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 52 Abs. 3 - VerfGGBbg, § 13 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1 - ZPO, § 128 Abs. 2; ZPO, § 128 Abs. 3; ZPO, § 495a; ZPO; § 513 Abs. 2; ZPO, § 128 Abs. 1 |
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Schlagworte: | - Rechtswegerschöpfung - Subsidiarität - Zivilprozeßrecht - Bundesrecht - Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts - rechtliches Gehör - Prüfungsmaßstab - Tenor - Auslagenerstattung |
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nichtamtlicher Leitsatz: | Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs bei einer Entscheidung "im schriftlichen Verfahren" ohne Mitteilung dieser Verfahrensart und eines Termins, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht. | |
Fundstellen: | - LVerfGE 13, 127 (nur LS) - LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 51 - JMBl 2002, 47 |
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Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Beschluss vom 14. Februar 2002 - VfGBbg 65/01 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 65/01

B E S C H L U S S | ||||||||||||||||||
In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren E., Beschwerdeführer, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin K., gegen die Urteile des Amtsgerichtes Oranienburg vom 29. Oktober 2001 und vom 12. November 2001 hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am 14. Februar 2002 b e s c h l o s s e n : 1. Das Urteil des Amtsgerichtes Oranienburg vom 29. Oktober 2001 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 der Verfassung des Landes Brandenburg. Es wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen.2. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren im übrigen wird eingestellt. 3. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. G r ü n d e : A. Der Beschwerdeführer leitete im Ausgangsverfahren AG Oranienburg ... C 85/01 gegen die Beklagte ein Mahnverfahren ein und begründete nach deren Widerspruch seine auf Zahlung von 1000,00 DM gerichtete Klage Ende August 2001. In der Klagebegründung heißt es, der geltend gemachte Anspruch leite sich aus abgetretenem Recht her, im Bestreitensfalle werde die „Abtretungserklärung“ – gemeint ersichtlich: eine die Abtretung beweisende Urkunde - nachgereicht. Das Amtsgericht ordnete das schriftliche Vorverfahren an. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2001 (anwaltlich zugestellt am 8. Oktober) bestritt die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Abtretung. Der Amtsrichter setzte Termin zur mündlichen Verhandlung fest auf den 25. Oktober 2001, 9.30 Uhr, und verfügte die Ladung. Diese Verfügung wurde jedoch vor Ausführung handschriftlich vom Amtsrichter gestrichen und in „n.R. (BB)“ geändert. Mit Urteil vom 29. Oktober 2001 wies das Gericht sodann die Klage „im schriftlichen Verfahren“ ab, weil der Kläger – der Beschwerdeführer – nicht „passiv legitimiert“ sei. Im Urteil heißt es weiter, gemäß § 495 a Zivilprozeßordnung (ZPO) sei von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen worden. II. Der Beschwerdeführer hat am 17. Dezember 2001 Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Urteil sei unter Verletzung rechtlichen Gehörs ergangen und verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Eine Berufung sei nicht zulässig gewesen. Es habe sich nicht um die Versäumung eines Termins gehandelt, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entsprochen habe. Ein solcher Termin sei nie festgelegt, vielmehr sei „ohne Vorwarnung“ entschieden worden. Zu einem weiteren amtsgerichtlichen Verfahren AG Oranienburg ... C 86/01 gegen den Ehemann der Beklagten aus dem Verfahren ... C 85/01 hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. III. Das Amtsgericht Oranienburg und die Beklagten der Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Äußerung. Die Beklagten der Ausgangsverfahren machen geltend, ein verfassungsrechtlich relevanter Verstoß sei nicht zu erkennen. B. Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 13 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) in Verbindung mit § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung einzustellen. II. Im übrigen hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. a) Der innerhalb der Frist des § 47 VerfGGBbg erhobenen Verfassungsbeschwerde steht § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden, wenn gegen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig ist. Der Beschwerdeführer darf jedoch nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes nur dann an das Fachgericht verwiesen werden, wenn dessen Anrufung zumutbar ist (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 18. Juli 1996 – VfgBbg 20/95 -, LVerfGE 4, 201, 205; zuletzt Beschluß vom 6. Februar 2001 – VfGBbg 9/01 -). Dies war hier nicht der Fall. Insbesondere kann der Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen werden, daß die Möglichkeit einer Berufung analog der für das Säumnisverfahren geltenden Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO zur Verfügung gestanden habe. Zwar kommt eine Berufung in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auch bei Nichterreichen der Berufungssumme in Betracht, wenn der Rechtsmittelführer scheinbar oder schuldlos den Termin, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht, versäumt hat. Nach der überwiegenden Rechtsprechung setzt jedoch die Berufung für diesen Fall voraus, daß das Amtsgericht im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2, 3 oder § 495a ZPO entschieden hat (vgl. etwa LG Heilbronn, MDR 1999, 701). Ausdrücklich nur für diesen „Sonderfall“ hat das Bundesverfassungsgericht die Berufungseinlegung unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde für geboten erachtet (BVerfG, 4. Kammer des ersten Senats, Beschluß vom 2. Oktober 2000 – 2 BvR 310/00 – NJW 2001, 746). Für den Fall aber, daß eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat oder daß kein Termin bestimmt war, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht, wird eine analoge Anwendung von § 513 Abs. 2 ZPO überwiegend abgelehnt (vgl. etwa BGH NJW 1990, 838; Zöller/Gummer, ZPO, § 513 Rn. 5; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Auflage, § 513 Rn. 7). Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Zunächst war ein schriftliches Vorverfahren angeordnet. Folgerichtig bestimmte der Amtsrichter nach Durchführung des Vorverfahrens zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung. Er hob dann aber diese Verfügung wieder auf, ohne den Parteien einen Termin zu nennen, der dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht. Ein Übergang ins schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 3 ZPO oder § 495a ZPO fand nicht statt. In dieser Konstellation wäre die Berufung so gut wie sicher als unzulässig angesehen worden. Der Beschwerdeführer braucht sich daher nicht auf diesen Weg verweisen lassen. b) Die Verfassungsbeschwerde genügt auch noch den Begründungsanforderungen des § 46 VfGGBbg. Der Sache nach hat der Beschwerdeführer angesprochen, daß er, wäre ihm rechtliches Gehör gewährt worden, eine die Abtretung belegende Urkunde dem Gericht vorgelegt hätte. c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, daß mit ihr die Verletzung von Landesgrundrechten bei der Durchführung eines bundesrechtlich - durch die ZPO - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die Voraussetzungen für eine Prüfungsbefugnis des Landesverfassungsgerichts (keine Rechtsschutzalternativen zur Verfassungsbeschwerde, keine Befassung eines Bundesgerichts, Inhaltsgleichheit der Landes- und Bundesgrundrechte) liegen vor (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. April 1998 – VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 f., unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 372). 2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Amtsgericht hat das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Landesverfassung – LV) verletzt. a) Die Auslegung und Handhabung des jeweiligen Verfahrensrechtes ist vorrangig Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und insoweit der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein Richterspruch offensichtlich rechtlich nicht mehr vertretbar ist und daher – objektiv – sachfremd erscheint (st. Rspr. des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg, vgl. etwa Beschluß vom 17. Mai 2001 – VfGBbg 4/01 -). b) Art. 52 Abs. 3 LV gewährleistet ebenso wie Art. 103 Grundgesetz (GG), daß sich die Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren zu den entscheidungserheblichen Fragen vor Erlaß der Entscheidung äußern können. Die Verfassung verlangt, daß vor Gericht die Möglichkeit besteht, zu Wort zu kommen. Die grundrechtsgleiche Gewährleistung setzt voraus, daß die Beteiligten auch über eine vom Regelverfahren abweichende Verfahrensweise informiert werden (vgl. BVerfG, NJW-RR 1994, 254). Diesen rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichtes nicht. Im Verfahren vor dem Amtsgericht muß der Richter die Beteiligten darüber in Kenntnis setzen, daß er im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 3 oder im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO zu entscheiden gedenkt. Nur so erfahren die Parteien, daß es keine mündliche Verhandlung geben wird. Gleichzeitig müssen die Parteien von dem Zeitpunkt, der dem Schluß der mündlichen Verhandlung entspricht, unterrichtet werden. Keine dieser Informationen ist hier erfolgt. Findet nicht ausdrücklich ein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2, 3 ZPO oder ein vereinfachtes Verfahren nach § 495a ZPO statt, verhandeln die Parteien vor dem erkennenden Gericht mündlich, § 128 Abs. 1 ZPO. Daß der Zivilprozeß in der Praxis weithin durch Schriftsatzwechsel ausgetragen wird, ändert nichts daran, daß § 128 Abs.1 ZPO als das das rechtliche Gehör sichernde Herz der ZPO zu verstehen ist. Das rechtliche Gehör ist, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung vorschreibt, nur mündlich ausreichend gewährt. Eine mündliche Verhandlung war hier, wie aktenkundig ist, zwar zunächst vorgesehen. Zu ihr ist es dann aber aus nicht nachzuvollziehenden Gründen nicht gekommen. Die Entscheidung des Amtsgerichtes beruht auf der Verletzung rechtlichen Gehörs. Auf die fehlende Aktivlegitimation stützt sich das angegriffene Urteil tragend. 3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg. Dabei war zu berücksichtigen, daß die gegen zwei Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen wurde. | ||||||||||||||||||
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