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VerfGBbg, Beschluss vom 12. Oktober 2000 - VfGBbg 37/00 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, Art. 9 Abs. 2 Satz 2; LV, Art. 53 Abs. 4;
  LV, Art. 6 Abs. 2
- StPO, § 454 Abs. 1 Satz 3; StPO, § 463 Abs. 3; StPO, § 140
- StGB, § 67e
Schlagworte: - Subsidiarität
- Bundesrecht
- Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts
- Strafprozeßrecht
- Strafvollstreckungsrecht
- Verteidiger
- Freiheit der Person
- Freiheitsentziehung
- faires Verfahren
- Anhörung
- Prozeßkostenhilfe
nichtamtlicher Leitsatz: Verletzung des Rechts auf Gelegenheit zur Zuziehung eines Rechtsbeistands vor jeder richterlichen Entscheidung über Anordnung oder Fortdauer eines Freiheitsentzugs (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg) bei Ankündigung des Termins einer mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer erst drei Tage vorher.
Fundstellen: - NJ, 2000, 648 (nur LS)
- JMBl 2001, 10
- LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 173
- LVerfGE 11, 161 (gekürzt)
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 12. Oktober 2000 - VfGBbg 37/00 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 37/00



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

L.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt R.,

gegen den Beschluß des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2000 und den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Mai 2000

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert,
Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz und Prof. Dr. Will

am 12. Oktober 2000

b e s c h l o s s e n :

1. Die Beschlüsse des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2000 und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Mai 2000 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 9 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung nach abermaliger Anhörung des Beschwerdeführers (mit Gelegenheit zur Zuziehung seines Rechtsbeistandes nach Maßgabe der Entscheidungsgründe dieser Entscheidung) an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.

Der Beschwerdeführer ist wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Gleichzeitig ordnete das Gericht gemäß § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das Landgericht ging dabei davon aus, daß bei dem Beschwerdeführer eine schwere Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, an ankastischen, selbstunsicheren und paranoiden Elementen bei sexueller Deviation (Fetischismus und Verdacht der Pädophilie) vorliege und er die Straftat im Zustande verminderter Schuldfähigkeit i. S. von § 21 StGB begangen habe. Seit dem 16. November 1998 befand sich der Beschwerdeführer in den R. Kliniken, seit dem 29. Juni 1999 befindet er sich in der Landesklinik B.

Im Rahmen der Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung nach § 67e StGB führte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts P. im Januar 2000 eine mündliche Anhörung durch. Zunächst war ein Anhörungstermin vor der Einzelrichterin für den 11. Januar 2000 angesetzt worden. Die Benachrichtigungen hierzu wurden am 3. Januar 2000 verschickt. Am 10. Januar 2000 wurde die Landesklinik telefonisch darüber informiert, daß dieser Termin aufgehoben worden sei und die Strafvollstreckungskammer in Kürze einen neuen Anhörungstermin bestimmen werde. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer setzte sodann am 12. Januar 2000 den Anhörungstermin auf den 20. Januar 2000 fest. Die Geschäftsstelle verständigte die Landesklinik am 17. Januar 2000 telefonisch. Ebenso wurde die Staatsanwaltschaft N. von dem Termin benachrichtigt. An der Anhörung nahmen neben der Strafvollstreckungskammer und dem Beschwerdeführer ein Arzt und ein Diplompsychologe der Landesklinik als Sachverständige teil.

Am 23. Januar 2000 unterrichtete der Beschwerdeführer seinen Verteidiger von der Anhörung, welcher daraufhin den Antrag stellte, die mündliche Anhörung zu wiederholen. Sie sei in Gegenwart eines Verteidigers vorzunehmen. Seinem Mandanten sei nicht ordnungsgemäß rechtliches Gehör gewährt worden. Darüber hinaus beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Mit Beschluß vom 29. März 2000 ordnete das Landgericht P. die Fortdauer der Unterbringung an und lehnte den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers sowie den Antrag auf Wiederholung der mündlichen Anhörung ab. Eine Aussetzung des Maßregelvollzugs komme derzeit nicht in Betracht, da es weiterer therapeutischer Bemühungen bedürfe. Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO liege nicht vor. Eine Wiederholung der mündlichen Anhörung sei nicht veranlaßt. Der Verteidiger des Beschwerdeführers habe ausreichend Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gehabt, jedoch nicht wahrgenommen.

Gegen diese Entscheidung legte der Verteidiger des Beschwerdeführers sofortige Beschwerde ein. Zu ihrer Begründung führte er aus, daß die Anhörung ohne die gebotene Mitwirkung eines Verteidigers stattgefunden habe. Darin liege eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör. Ein Fall notwendiger Verteidigung sei gegeben, wenn die Sach- und Rechtslage besondere Schwierigkeiten aufweise oder der Verurteilte unfähig sei, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen. Im vorliegenden Fall seien keine Umstände gegeben, die es rechtfertigten, von der Beiordnung eines Verteidigers abzusehen. Die schweren Persönlichkeitsstörungen belegten vielmehr, daß der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, im Verfahren und in einer mündlichen Anhörung sachgerechte Anträge zu stellen. Daß der Verteidiger die Gelegenheit gehabt habe, nachträglich schriftsätzlich Stellung zu nehmen, reiche nicht aus. Auch die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei zu Unrecht erfolgt.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluß vom 11. Mai 2000 und schloß sich dabei hinsichtlich der Beiordnung eines Pflichtverteidigers den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft an, wonach die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Überprüfung der Unterbringung nur dann in Betracht komme, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheine, weil der Untergebrachte zur eigenen Wahrnehmung seiner Rechte nicht hinreichend in der Lage sei. An diesen Voraussetzungen fehle es im Fall des Beschwerdeführers. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei nur dann zwingend erforderlich, wenn der Untergebrachte schuldunfähig sei. Hier sei nicht ersichtlich, daß der - allgemein als überdurchschnittlich intelligent eingestufte - Beschwerdeführer den Ausführungen der Gutachter nicht habe folgen können und nicht in der Lage gewesen sei, selbst seine Belange wahrzunehmen. Im übrigen habe der Verteidiger zwischen seiner Mandatierung noch im Januar 2000 und dem Beschluß des Landgerichts vom 29. März 2000 Akteneinsicht erhalten und ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt. Das Oberlandesgericht führte ferner aus, daß die Unterbringung des Beschwerdeführers weiterhin erforderlich sei; es seien noch nicht alle Therapieziele erreicht.

Mit der am 26. Juli 2000 bei Gericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Landgerichts P. vom 29. März 2000 und gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Mai 2000. Er rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 9 Abs. 2 Satz 2, Art. 9 Abs. 1, Art. 10, Art. 53 Abs. 4, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg (Landesverfassung - LV). Die Entscheidungen zur Fortdauer der Unterbringung verstießen gegen das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Recht auf ein faires Verfahren. Das Recht auf den Beistand eines gewählten Verteidigers und das Recht auf die Beiordnung eines Pflichtverteidigers seien Konkretisierungen des Grundrechts auf ein faires Verfahren. Ihm werde nur Genüge getan, wenn der Untergebrachte Gelegenheit habe, bei der mündlichen Anhörung im Verfahren zur Aussetzung von Maßregeln der Besserung und Sicherung einen Rechtsbeistand seines Vertrauens hinzuzuziehen. Daraus folge ein Teilnahmerecht des Verteidigers in der mündlichen Anhörung. Es stelle eine von Verfassungs wegen nicht hinnehmbare Verkürzung der Rechte des Beschwerdeführers dar, wenn er auf die Möglichkeit verwiesen werde, daß sein Verteidiger schriftsätzlich zu dem Ergebnis der mündlichen Anhörung Stellung nehmen könne. Der Beschwerdeführer sei so kurzfristig von dem bevorstehenden Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt worden, daß es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, seinen Verteidiger rechtzeitig von diesem Termin zu informieren. Er habe damit entgegen Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV keine Gelegenheit gehabt, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens beizuziehen. Der Anhörungstermin sei ihm durch Mitarbeiter der Landesklinik erst am 18. Januar 2000 bekanntgegeben worden. Man habe ihn aber auch nicht darauf hingewiesen, daß er das Recht habe, einen Verteidiger zuzuziehen. Sein Verteidiger habe erst am 23. Januar 2000 von der Anhörung erfahren. Bei kurzfristiger Anhörung müsse das Gericht den Verteidiger von sich aus benachrichtigen. Darüber hinaus sei für ihn ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen. Bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei dem Betroffenen von Verfassungs wegen jedenfalls dann ein Strafverteidiger zuzuordnen, wenn evident erscheine, daß er seine Rechte nicht selbst wahrnehmen könne. Eine Unterscheidung zwischen schuldunfähigen und vermindert schuldfähigen Untergebrachten sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung über die Dauer der weiteren Unterbringung sei von solchem Gewicht, daß prinzipiell jeder Untergebrachte von Verfassungs wegen eines Verteidigers bedürfe, es sei denn, daß die Voraussetzungen für die Aussetzung der Unterbringung vorlägen. Die Strafvollstreckungskammer müsse die besonderen Umstände darlegen, die ausnahmsweise die Zuziehung eines Beistandes entbehrlich machten. Solche Umstände seien hier nicht gegeben. § 140 Abs. 1 Nr. 2 und 5 sowie Abs. 2 StPO seien entsprechend heranzuziehen.

Ergänzend beantragt der Beschwerdeführer die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und hat im wesentlichen Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach Art. 6 Abs. 2, 113 Nr. 4 LV, §§ 12 Nr. 4, §§ 45 ff. Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zulässig.

1. Der Rechtsweg ist ausgeschöpft. Gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts sieht die Strafprozeßordnung kein Rechtsmittel vor (vgl. § 310 Abs. 2 Strafprozeßordnung – StPO). Der Beschwerdeführer kann auch nicht auf das Verfahren zur Nachholung des rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO verwiesen werden. Er hatte sowohl in dem Verfahren vor der Strafvollstrekkungskammer als auch im Beschwerdeverfahren vordem Oberlandesgericht Gelegenheit, in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Rechtliches Gehör kann auch ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 38, 105, 118) und muß nicht zwangsläufig im Wege einer mündlichen Anhörung (vgl. BVerfG, NStZ 1988, 21) erfolgen. So läßt sich etwa auch die Zuziehung eines Verteidigers bei der mündlichen Anhörung in dem Verfahren zur Aussetzung des Strafrests nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO im Grundsatz nicht aus dem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 LV, Art. 103 Abs. 1 GG herleiten (vgl. BVerfG, NJW 1993, 2301, 2303; BVerfG, StV 1994, 552, 553).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist hier auch nicht mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität unzulässig. Allerdings ist der Beschwerdeführer grundsätzlich gehalten, bereits vor dem Fachgericht auf die Wahrung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Verfahrensrechte hinzuwirken. Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen haben indes bereits in dem Ausgangsverfahren eine Rolle gespielt. Zwar hat der Beschwerdeführer dort in erster Linie auf die Frage der Pflichtverteidigung abgestellt und die Wiederholung der Anhörung gewissermaßen nur in einem Nebensatz und im Zusammenhang mit der Gewährung rechtlichen Gehörs gefordert. Unbeschadet dessen haben sich sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht mit der Frage der Anhörung befaßt, indem sie die Auffassung vertreten haben, daß der Anwalt des Beschwerdeführers ausreichend Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gehabt habe und unter diesem Gesichtspunkt eine Wiederholung der mündlichen Anhörung nicht erforderlich sei.

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß die Verletzung von Landesgrundrechten im Rahmen eines bundesrechtlich - durch Strafgesetzbuch und Strafprozeßordnung - geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. April 1998 - VfGBbg 1/98 -, LVerfGE 8, 82, 84 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 330, 371 ff.) sind hier gegeben: Der Rechtsweg ist – wie dargelegt - ausgeschöpft. Ein Bundesgericht war nicht befaßt. Die als verletzt gerügten Landesgrundrechte bzw. grundrechtsgleichen Gewährleistungen sind inhaltsgleich mit den entsprechenden Rechten des Grundgesetzes: Die Landesverfassung bestimmt in Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV, daß vor jeder Entscheidung über Anordnung und Fortdauer eines Freiheitsentzugs Gelegenheit zur Beiziehung eines Rechtsbeistands zu geben ist. Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV schreibt das Recht auf ein faires Verfahren fest. Auf Bundesebene hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip das Recht auf ein faires Verfahren und – dieses weiter ausgestaltend – das Recht des Verurteilten abgeleitet, zur mündlichen Anhörung im Verfahren zur Aussetzung des Strafrests – und für das Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung in einempsychiatrischen Krankenhaus kann nichts anderes gelten – einen Verteidiger seines Vertrauens hinzuziehen (s. BVerfG NJW, 1993, 2301, 2302).

4. Die Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der nach § 47 Abs. 1 VerfGGBbg vorgegebenen Frist von zwei Monaten seit Bekanntgabe der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung erhoben worden. Ausweislich des Ab-Vermerks im Strafvollstreckungsheft ist der Beschluß des Oberlandesgerichts am 25. Mai 2000 an die Beteiligten herausgeschickt worden. Er kann dem Beschwerdeführer danach frühestens am 26. Mai 2000 zugegangen sein. Die Verfassungsbeschwerde ist am 26. Juli 2000 und damit rechtzeitig bei Gericht eingegangen.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat in der Sache selbst im wesentlichen Erfolg. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in dem grundrechtsgleichen Verfahrensrecht auf Beiziehung eines Rechtsbeistands seiner Wahl nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV.

a) Nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV ist dem Betroffenen vor jeder richterlichen Entscheidung über Anordnung oder Fortdauer eines Freiheitsentzugs Gelegenheit zu geben, einen Rechtsbeistand seiner Wahl beizuziehen. Dieses grundrechtsgleiche Verfahrensrecht ist eine Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 52 Abs. 4 LV) und grundgesetzkonform dahin auszulegen, daß der Verurteilte die Möglichkeit haben muß, sich auch während einer mündlichen Anhörung des Beistands eines Rechtsanwalts seiner Wahl zu bedienen. Dem entspricht ein Anwesenheitsrecht des Rechtsanwalts. Die Strafvollstreckungskammer hat den Verurteilten so frühzeitig über den Anhörungstermin zu benachrichtigen, daß er in der Lage ist, den Rechtsanwalt von dem Anhörungstermin zu verständigen. Bei kurzfristiger Terminierung ist die Strafvollstreckungskammer gehalten, den Rechtsanwalt von sich aus zu benachrichtigen. Im einzelnen:

Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem – seinerseits aus den Erfordernissen eines rechtsstaatlichen Verfahrens folgenden - Recht auf ein faires Verfahren das Recht des Verurteilten entwickelt, sich in dem Verfahren über die Fortdauer der Freiheitsentziehung bei seiner mündlichen Anhörung durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vertreten zu lassen. Als Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren schließt es das Recht auf ein faires Verfahren ein, prozessuale Rechte und Möglichkeiten sachkundig – d. h. auch: mit sachkundiger Hilfe eines Rechtsanwalts - wahrnehmen und Übergriffe der rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105, 111). Ebenso wie Beschuldigten, Zeugen und Verletzten im Strafverfahren, denen das Strafprozeßrecht ausdrücklich das Recht einräumt, sich des Beistands eines Rechtsanwalts zu bedienen, steht das nämliche Recht angesichts der Bedeutung der mündlichen Anhörung für die Wiedererlangung der Freiheit auch – und erst recht - dem Verurteilten etwa im Verfahren zur Aussetzung des Strafrests zu (s. BVerfG, NJW 1993, 2301, 2303). Diesem Recht des Verurteilten entspricht das Recht des Verteidigers auf Anwesenheit während der mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer (vgl. BVerfG a.a.O. wie StV 1994, 552, 553).

Hiervon ausgehend ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, eine von Verfassungs wegen nicht hinnehmbare Verkürzung der prozessualen Rechte des Verurteilten, wenn er darauf verwiesen wird, daß sein Verteidiger schriftlich zu dem Ergebnis der mündlichen Anhörung Stellung nehmen könne. Die gesetzlich nicht geregelte Form der Anhörung, bei der ein Protokoll nicht aufgenommen zu werden braucht, bietet auch keine hinreichende Gewähr, daß der Verteidiger im schriftlichen Verfahren für den Verurteilten in interessengerechter Weise Stellung nehmen kann (vgl. BVerfG, NJW 1993, 2301, 2302).

Begrenzt wird das Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes freilich durch das öffentliche Interesse an der Effizienz des Verfahrens. Die Gerichte haben eine Abwägung unter Berücksichtigung der persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. BVerfGE 38, 105, 118). Grundsätzlich kann es aber nicht die Aufgabe des Gerichts sein, den Rechtsanwalt von sich aus von dem Termin zu benachrichtigen. Der Betroffene muß selbst Vorsorge dafür treffen, daß sein Rechtsbeistand zur mündlichen Anhörung erscheint und seine Interessen vertritt. Entstehende Kosten hat er selbst zu tragen. Erfolgt die Anhörung jedoch kurzfristig, so hat das Gericht den Verteidiger zu benachrichtigen, da anders der Anspruch auf eine faire Verfahrensgestaltung nicht einzulösen ist (BVerfG, NJW 1993, 2301, 2303; StV 1994, 552, 553).

b) Nach Lage des Falles ist der Beschwerdeführer in seinem nach Maßgabe des Vorstehenden zu verstehenden Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistands nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV verletzt worden.

aa) Die Entscheidung in dem Verfahren nach §§ 67e StGB i.V.m. §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ist eine Entscheidung über die Fortdauer eines Freiheitsentzugs i. S. von Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV. Die Strafvollstreckungskammer hat darüber zu befinden, ob die Vollstreckung der Unterbringung in dem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB).

bb) Die Strafvollstreckungskammer hat hier dem Beschwerdeführer keine (hinreichende) Gelegenheit i. S. von Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV gegeben, den von ihm mandatierten Rechtsanwalt als den Rechtsbeistand seiner Wahl zu dem Anhörungstermin hinzuzuziehen. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat den Termin zur Anhörung am 12. Januar 2000 auf den 20. Januar 2000 terminiert. Aus dem Strafvollstreckungsheft ergibt sich, daß die Landesklinik und die Staatsanwaltschaft hiervon am 17. Januar 2000 telefonisch in Kenntnis gesetzt worden sind. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, daß er erst am 18. Januar durch Mitarbeiter der Landesklinik informiert worden sei, kommt es hierauf nicht an. Auch wenn er bereits am 17. Januar benachrichtigt worden ist, war dies nicht so rechtzeitig, daß er i. S. von Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV (hinreichende) Gelegenheit zur Beiziehung eines Rechtsbeistands gehabt hatte.

(1) Wieviel Zeit zwischen der Benachrichtigung des Verurteilten von der Anhörung und der Anhörung liegen muß, um dem Verurteilten ausreichend Gelegenheit zur Benachrichtigung eines Rechtsbeistands seiner Wahl zu geben, wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet und hängt gegebenenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Mitteilung des Anhörungstermins erst 15 Minuten vor Beginn ist jedenfalls zu kurzfristig (vgl. BVerfG, StV 1994, 552, 553). In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird angesichts der Schwierigkeiten, die ein Strafgefangener bei der Kontaktaufnahme mit Außenstehenden habe, eine Frist von drei Tagen als zu gering bemessen angesehen. Der Verurteilte müsse von dem Anhörungstermin mindestens eine Woche vorher erfahren (OLG Zweibrücken, StV 1993, 315, 316). In der Literatur wird selbst die Wochenfrist als zu knapp befunden (Bringewat, NStZ 1996, 17, 20 Fn. 22).

(2) Das erkennende Gericht neigt zu der Auffassung, daß für den Normalfall – im Sinne einer „Faustregel“ – eine Frist von einer Woche ausreichend, aber auch erforderlich ist, sieht jedoch keine Veranlassung, sich zu dieser Frage abschließend festzulegen. Vorliegend erscheint jedenfalls die Frist von drei Tagen, die dem Beschwerdeführer maximal zur Verfügung stand, im Lichte des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV zu kurz. Hierbei ist mit zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist. Ein so Untergebrachter hat zwar nach § 25 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 39 Ab. 1 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch Kranke (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz – BbgPsychKG) das Recht auf fernmündliche und elektronische Nachrichtenübermittlung. Der Telefonverkehr unterliegt jedoch der Ausgestaltung durch die jeweilige Hausordnung (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 39 Abs. 1 BbgPsychKG). Demzufolge hat der Untergebrachte nicht jederzeit und uneingeschränkt die Möglichkeit, Telefongespräche zu führen. Einerseits wird er in dieser Hinsicht dem Gesetzeswortlaut nach etwas großzügiger behandelt als der Strafgefangene, dem (lediglich) „zu gestatten“ ist, mit seinem Anwalt fernmündlich Kontakt aufzunehmen (vgl. § 26 i. V. m. § 32 Strafvollzugsgesetz). Andererseits bleibt die Situation aber mit der des Strafgefangenen durchaus vergleichbar. In beiden Fällen besteht grundsätzlich das Recht, telefonischen Kontakt zu dem Verteidiger aufzunehmen. Dieses Recht kann aber nur in Abhängigkeit von der jeweiligen Anstaltsleitung ausgeübt werden. Im Falle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann deshalb die Frist, die dem Untergebrachten von der Benachrichtigung über den Anhörungstermin bis zu diesem Anhörungstermin zur Beiziehung eines Rechtsbeistands seiner Wahl zuzubilligen ist, nicht generell kürzer angesetzt werden. Dies gilt umso mehr, als es einem psychisch Kranken vielfach nicht möglich sein wird, seine Belange mit der gleichen Zielstrebigkeit und Entschlossenheit wie ein Gesunder wahrzunehmen. Unter Einbeziehung dessen war hier die Zeit von maximal 3 Tagen, die dem Beschwerdeführer verblieb, um mit seinem Rechtsanwalt in Kontakt zu treten und ihn von dem Termin über die mündliche Anhörung in Kenntnis zu setzen, zu kurz.

Daß hier schon einmal Termin zur Anhörung des Beschwerdeführers vor der Einzelrichterin für den 11. Januar 2000 angesetzt (und wieder aufgehoben) worden war, führt hier zu keiner anderen Beurteilung. Zwar mußte der Beschwerdeführer bereits seit der – am 3. Januar 2000 herausgegangenen – Ladung zu diesem früheren Anhörungstermin damit rechnen, daß ein Anhörungstermin bevorstand, und hätte sich deshalb bereits mit seinem Rechtsanwalt in Verbindung setzen können. Der Anhörungstermin selbst war jedoch noch offen. Bei der Benachrichtigung von der Aufhebung des zunächst angesetzten Termins war auch nicht etwa angekündigt worden, daß ein neuer Anhörungstermin – was in der Tat Anlaß für eine umgehende Kontaktaufnahme mit dem Rechtsanwalt hätte geben können – in Kürze stattfinden, sondern lediglich, daß er in Kürze bekanntgegeben werde. Es bleibt daher dabei, daß dem Beschwerdeführer für die Benachrichtigung seines Rechtsanwalts von dem Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer nur maximal drei Tage zur Verfügung standen. Dies war nach Lage des Falles nicht lang genug, um dem Beschwerdeführer i. S. von Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV Gelegenheit zu geben, einen Rechtsbeistand seiner Wahl beizuziehen. Daß der von dem Beschwerdeführer mandatierte Rechtsanwalt Gelegenheit hatte, sich im Anschluß an den Anhörungstermin schriftsätzlich zu dem Ergebnis der Anhörung zu äußern, reicht aus den bereits dargelegten Gründen nicht aus.

(c) Die von dem Beschwerdeführer angefochtenen Gerichtsentscheidungen beruhen auf der Verletzung seines Rechts aus Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV. Es ist jedenfalls denkbar, daß das Landgericht zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers bei der Anhörung in dem Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zugegen gewesen wäre (vgl. dazu BVerfG, StV 1994, 552, 553). Die Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Mai 2000 und des Landgerichts P. vom 29. März 2000 waren daher aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung nach abermaliger Anhörung des Beschwerdeführers unter rechtzeitiger Bekanntgabe des Anhörungstermins an das Landgericht zurückzuverweisen.

2. Daneben wird der Beschwerdeführer nicht auch durch die Ablehnung der Beiordnung seines Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger (in dem Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus) in seinen Rechten aus der Landesverfassung verletzt. Aus der Landesverfassung ergibt sich kein genereller Anspruch auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Anhörungsverfahren. Die Frage ist vor dem Hintergrund des Rechts auf ein faires Verfahren in entsprechender Anwendung der §§ 140 ff. StPO zu entscheiden (vgl. BVerfGE 70, 297, 323). In dieser Hinsicht sind die hier zugrundeliegenden Gerichtsentscheidungen im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3. Auf die von dem Beschwerdeführer ferner aufgeworfene Frage, ob zugleich Art. 53 Abs. 4 LV verletzt ist, wonach sich ein Beschuldigter in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen kann, kommt es, angesichts dessen, daß die Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt von Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV Erfolg hat, nicht an.

4. Ob der Beschwerdeführer durch den Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 Satz 3 LV zugleich in seiner durch Art. 9 Abs. 1 LV geschützten persönlichen Freiheit verletzt worden ist, bedarf hier keiner Entscheidung. In der jetzigen Phase des Verfahrens wirkt sich das Verfahrensgrundrecht des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LV als Sonderregelung („lex specialis“) aus, die für den Fall, daß dagegen verstoßen worden ist, zu einer erneuten Entscheidung des Fachgerichts über die Anordnung oder Fortdauer des Freiheitsentzugs führt.

III.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg.

IV.

Eine Entscheidung über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe erübrigt sich, da die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers, insbesondere seine Anwaltskosten, vom Land Brandenburg zu erstatten sind. Gerichtskosten fallen nicht an.

Dr. Macke Dr. Dombert
HavemannDr. Jegutidse

Dr. Knippel

Prof. Dr. Schröder
Weisberg-SchwarzProf. Dr. Will