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VerfGBbg, Beschluss vom 12. April 2019 - VfGBbg 18/18 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1; LV, Art. 52 Abs. 3 Alt. 2; LV, Art. 24
- StPO, § 154 Abs. 2; StPO, § 467 Abs. 4
Schlagworte: - Verfassungsbeschwerde unbegründet
- rechtliches Gehör
- Willkür
- Petitionsrecht
- Auslagenentscheidung
- Einstellung
- Strafrecht
- Strafbefehl
- Anhörungspflicht
- Anhörungsrüge
- Ermessen
- Entscheidungsbegründung

Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 12. April 2019 - VfGBbg 18/18 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 18/18




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

P.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte:              Rechtsanwälte H.,

 

wegen            Beschlüsse des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 24. Januar 2018 und 26. Februar 2018 - 21 Cs 4103 Js 19552/17 (87/17)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 12. April 2019

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dresen, Dr. Finck, Kirbach, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Dr. Strauß

beschlossen: 

 

  1. Die Verfassungsbeschwerde wird zum Teil verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
  2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

 

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung der Erstattung seiner notwendigen Auslagen aus der Staatskasse nach der Einstellung eines gegen ihn geführten Strafverfahrens.

I.

Der Beschwerdeführer war wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) des Fahrrads seiner ehemaligen Partnerin angeklagt.

Gegen den in diesem Strafverfahren ergangenen Strafbefehl legte der Beschwerdeführer Einspruch ein. Sodann regte er mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Januar 2018 die Einstellung des Verfahrens an und stellte klar, dass damit ein Schuldeingeständnis nicht verbunden sei.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel stellte das Strafverfahren mit Beschluss vom 24. Januar 2018 gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein. Die Kosten des Verfahrens legte das Amtsgericht der Staatskasse auf, nicht jedoch die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers (§ 467 Abs. 4 StPO). Eine Begründung der Kostenentscheidung enthielt der Beschluss nicht.

Gegen die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018 Anhörungsrüge. Er habe sich zu der ausgesprochenen Kostenentscheidung im Vorfeld nicht geäußert und nicht davon ausgehen müssen, dass das Gericht die Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 4 StPO anwendet. Aus seinem Schweigen könne nicht geschlossen werden, dass er mit einer solchen Entscheidung einverstanden gewesen sei. Die Anwendung von § 467 Abs. 4 StPO bedürfe zudem einer Begründung. Hierbei sei eine Feststellung zu dem verbleibenden Tatverdacht und dessen Bewertung zu treffen. Im Falle einer Hauptverhandlung wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit freigesprochen worden. Er habe bereits im Ermittlungsverfahren ein von ihm und seiner ehemaligen Partnerin unterzeichnetes, an die damalige Vermieterin adressiertes Schreiben zur Akte gegeben. Aus diesem gehe hervor, dass er nach ihrem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung „alle Möbel und Sachen und alle Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag“ übernehme.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel wies die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 26. Februar 2018 zurück.

II.

Der Beschwerdeführer hat am 28. März 2018 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 Landesverfassung (LV), Art. 52 Abs. 3 LV sowie in Bezug auf den Anhörungsrügebeschluss auch Art. 24 LV. Zusätzlich zu dem Vorbringen im Ausgangsverfahren trägt er im Wesentlichen vor, dass die Gehörsverletzung sich mit dem ebenfalls nicht begründeten Anhörungsrügebeschluss fortgesetzt habe und die fehlende Begründung diesbezüglich auch das Recht auf Bescheidung eines Petenten verletze.

III.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden.

B.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Anhörungsrüge richtet (Beschluss vom 26. Februar 2018).

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts können Anhörungsrügen zurückweisende gerichtliche Entscheidungen mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, weil sie keine eigenständige Beschwer schaffen. Sie lassen allenfalls mit der Ausgangsentscheidung bereits eingetretene Verletzungen des rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt. Ein schutzwürdiges Interesse an einer - zusätzlichen - verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gehörsrügeentscheidung besteht danach grundsätzlich nicht (vgl. Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.). Es ist durch den Beschwerdeführer weder unter Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung dargelegt noch sonst ersichtlich, dass vorliegend ein Ausnahmefall einer eigenständigen, in der Zurückweisung der Anhörungsrüge liegenden verfassungsrechtlich erheblichen Beschwer gegeben wäre. Vielmehr geht er selbst davon aus, dass sich die Gehörsverletzung durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge fortgesetzt habe.

2. Im Übrigen ist hinsichtlich des nur betreffend den Anhörungsrügebeschluss geltend gemachten Petitionsrechts (Art. 24 LV) die Beschwerdebefugnis nicht dargetan. Der sachliche Schutzbereich des Petitionsrechts erstreckt sich nicht auf förmliche Rechtsbehelfe; für solche gilt ausschließlich Art. 6 Abs. 1 LV (vgl. Iwers, in: Lieber/‌Iwers/‌Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, E.L. März 2017, Art. 24; zum Bundesrecht vgl. Pagenkopf, in: Sachs [Hrsg.], Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 17 Rn. 19).

II.

Die Verfassungsbeschwerde gegen die Auslagenentscheidung (Beschluss vom 24. Januar 2018) ist bei Zweifeln an der Zulässigkeit jedenfalls unbegründet.

1. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV).

a. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist der in Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV enthaltene Anspruch auf rechtliches Gehör eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Die Verfassungsbestimmung soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht dieser Pflicht nachkommt, und es von Verfassungs wegen nicht jedes vorgebrachte Argument ausdrücklich bescheiden muss, bedarf es besonderer Umstände für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV (st. Rspr., vgl. ausführlich Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

b. Ausgehend von diesem Maßstab ist eine Grundrechtsverletzung durch die Versagung der Auslagenerstattung nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, sich im Rahmen seiner schriftsätzlichen Anregung der Verfahrenseinstellung zu der hiermit zusammenhängenden Entscheidung über die Auslagenerstattung zu äußern und so Einfluss auf das Verfahren zu nehmen. Hiervon hat er indes keinen Gebrauch gemacht, sondern nur klargestellt, dass mit der Anregung der Einstellung des Verfahrens kein Schuldeingeständnis verbunden sei. Dabei hätte es für den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer nahe gelegen, hierzu vorzutragen. Denn aus den gesetzlichen Vorschriften ist erkennbar, dass mit der Einstellung eine Auslagenentscheidung ergeht (§ 464 Abs. 2 StPO), bei welcher das Gericht auch davon absehen kann, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 Abs. 4 StPO).

Selbst unter Zugrundelegung der Auffassung des Beschwerdeführers hinsichtlich einer gesonderten Pflicht des Gerichts zur Anhörung vor einer Entscheidung nach § 467 Abs. 4 StPO ist eine Gehörsverletzung nicht gegeben. Zu der begehrten Auslagenerstattung hat er sich im Rahmen der Anhörungsrüge nachträglich rechtliches Gehör verschafft. Sein Vortrag wurde ausweislich der Tenorierung des Anhörungsrügebeschlusses auch nicht aus prozessualen Gründen verworfen, sondern in der Sache beschieden („zurück gewiesen“). Insofern liegen keine besonderen Umstände vor, die für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV sprechen.

Ein für eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör sprechender besonderen Umstand liegt zudem nicht in der fehlenden Begründung der Auslagenentscheidung. Mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen bedürfen von Verfassungs wegen keiner Begründung (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2011 - VfGBbg 16/11 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de; BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de, jeweils m. w. N.). Eine Begründung ist auch nicht geboten, um dem Beschuldigten die Entscheidung zu ermöglichen, eine Anhörungsrüge oder eine Verfassungsbeschwerde zu erheben (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de).

Soweit der Beschwerdeführer die Auslagenentscheidung vom Ergebnis her angreift, liegt bereits kein Sachverhalt vor, der dem Grundrecht auf rechtliches Gehör unterfällt. Aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ergibt sich kein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung eines Beteiligten anschließt, also „auf ihn hört“. Das Grundrecht schützt die Verfahrensbeteiligten nicht davor, dass das Gericht ihre Rechtsauffassungen und rechtlichen Beurteilungen nicht teilt und zu einer abweichenden Rechtsauffassung gelangt (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluss vom 16. März 2018 - VfGBbg 56/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

2. Die Auslagenentscheidung verletzt nicht das - im Verhältnis zu dem ebenfalls als verletzt bezeichneten allgemeinen Willkürverbot (Art. 12 Abs. 1 LV) für das gerichtliche Verfahren spezielleren und damit vorrangigen - Grundrecht auf Gleichheit vor Gericht in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV).

a. Eine gerichtliche Entscheidung verstößt nicht bereits bei jeder fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts gegen das Willkürverbot, sondern erst, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar und damit schlechthin unhaltbar ist. Sie muss Ausdruck einer objektiv falschen Rechtsanwendung sein, die jeden Auslegungs- und Beurteilungsspielraum außer Acht lässt und ganz und gar unverständlich erscheint (st. Rspr., vgl. ausführlich Beschluss vom 20. Oktober 2017 - VfGBbg 20/16 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.).

b. Vorliegend bewegt sich die amtsgerichtliche Auslagenentscheidung innerhalb des durch § 467 Abs. 4 StPO eröffneten Ermessensspielraums (zum einfachrechtlichen Maßstab vgl. Beschlüsse vom 17. Juli 2015 - VfGBbg 51/14 - und vom 25.Oktober 2002 - VfGBbg 75/02 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der angegriffene Beschluss keine Begründung enthält. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann zwar dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen ist, weil erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung bestehen (BVerfG, Beschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de). Solche Zweifel liegen hier indes nicht vor.

Der Beschluss trennt zum einen klar zwischen der Entscheidung über die Verfahrenskosten und über die Auslagenerstattung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, https://www.bundesverfassungsgericht.de) und benennt den angewendeten gesetzlichen Maßstab (§ 467 Abs. 4 StPO). Zum anderen war entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers der Tatvorwurf nicht durch die Vorlage der von ihm und seiner ehemaligen Partnerin unterzeichneten Erklärung ausgeräumt. Denn aus diesem an die Vermieterin der damaligen gemeinsamen Wohnung gerichteten Schreiben ergibt sich nicht zwingend die Übereignung des Tatobjekts. Vielmehr wäre auch die Auslegung vertretbar, dass der Erklärungsgehalt sich in der Regelung der Verantwortlichkeit gegenüber der Vermieterin für die nach dem Auszug der ehemaligen Lebenspartnerin in den Mieträumen verbliebenen Gegenstände erschöpft.

C.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten ist abzulehnen, da die Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 48 VerfGGBbg i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dresen Dr. Finck
   
Kirbach Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel
   
Dr. Strauß