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VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 55/14 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 3; LV, 52 Abs. 4
- ZPO, § 321a
Schlagworte: - Anhörungsrügeverfahren
- Vertiefung eines Gehörsverstoßes
- Verjährung
- Verwirkung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 55/14 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 55/14




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

K. GmbH
vertreten durch den Geschäftsführer,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigter:             Rechtsanwalt P.,

wegen            Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 16. Juni 2014 und Beschlüsse des Amtsgerichts Nauen vom 19. September 2014 und 6. Januar 2015 (12 C 71/14)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 11. Dezember 2015

durch die Verfassungsrichter Möller, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Nitsche, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

 

Das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 16. Juni 2014 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 der Landesverfassung, so­weit darin zu Tenor 1. die Klage auch in Bezug auf eine Forderung in Höhe von 59,09 Euro brutto für einen Serviceeinsatz vom 17. Mai 2010 zuzüglich Zinsen ab­gewiesen wird. In die­­sem Umfang und zu Tenor 2. (Kostenentscheidung) wird das Urteil aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Nauen zurückverwiesen. Im Umfang der Zurückverweisung werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Nauen vom 19. September 2014 und vom 6. Januar 2015 (25 C 121/13) gegenstandslos. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde teils verworfen und teils zurückgewiesen.

 

Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

 

 

Gründe:

 

A.

 

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein amtsgerichtliches Urteil.

 

I.

 

Die Beschwerdeführerin betreibt einen Installationsbetrieb. Sie stellte dem Beklagten des Ausgangsverfahrens am 22. Dezember 2011 für zwei Serviceeinsätze ihrer Monteure eine Rechnung über insgesamt 81,40 € brutto, wovon 22,31 € brutto auf einen Einsatz am 4. Dezember 2009 und 59,09 € brutto auf einen Einsatz am 17. Mai 2010 entfielen. Die Rechnung wurde nicht bezahlt. Wiederum rund zwei Jahre später erließ das Amtsgericht Wedding am 23. Dezember 2013 einen Mahnbescheid, gegen den der Beklagte Anfang Januar 2014 Einspruch einlegte. Nach Abgabe der Sache an das Amtsgericht Nauen begründete die Beschwerdeführerin die Klage. Das Amtsgericht ordnete eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 495a Zivilprozessordnung (ZPO) an und gab dem Beklagten auf mitzuteilen, ob er sich gegen die Klage verteidigen wolle. Dieser machte nunmehr geltend, es falle ihm sehr schwer, nach vier Jahren alle Vorgänge nachzuvollziehen. Er habe im Jahr 2009 zwei Rechnungen erhalten und bezahlt; damit seien für ihn alle Reparaturen bezahlt gewesen. Er habe die Beschwerdeführerin mehrfach um Nachweise gebeten, doch seien ihm erst 2013 schwer lesbare Kopien übermittelt worden. Eigentlich habe er stets alle Rechnungen umgehend bezahlt. Er könne nicht ausschließen, dass die in Rechnung gestellten Beträge in anderen Rechnungen enthalten gewesen seien.

 

Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2014 (12 C 71/14) ab. Die Klageforderung sei verjährt. Der Beklagte berufe sich erkennbar auf Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist sei abgelaufen, denn der Mahnbescheid sei erst am 4. März 2014 beantragt worden.

 

Die Beschwerdeführerin erhob am 27. Juni 2014 Gegenvorstellung und Gehörsrüge und wies darauf hin, dass der Mahnbescheid bereits im Dezember 2013 ergangen sei. Weder lägen damit die Voraussetzungen für eine Verjährung vor, noch berufe sich der Beklagte darauf. Das Amtsgericht wies die Anträge mit Beschluss vom 19. September 2014 zurück. Die Forderungen aus dem Jahr 2009 seien verjährt, diejenigen aus dem Jahr 2010 jedenfalls verwirkt. Da die Beschwerdeführerin die Forderung nicht zeitnah nach Erbringung der Leistung geltend gemacht habe, habe der Beklagte sich darauf eingestellt, dass keine Forderungen aus dem laufenden Geschäftsverhältnis ihm gegenüber mehr bestünden. Die Beschwerdeführerin erhob am 1. Oktober 2014 weitere Gegenvorstellung, die das Amtsgericht am 6. Januar 2015 zurückwies.

 

II.

 

Die Beschwerdeführerin hat bereits zuvor, am 29. Oktober 2014, Verfassungsbeschwerde erhoben. Sowohl das Urteil des Amtsgerichts vom 16. Juni 2014 als auch die Beschlüsse über die Anhörungsrüge vom 19. September 2014 und über die erneute Gegenvorstellung vom 6. Januar 2015 seien wegen Verstoßes gegen die Grundrechte aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2, Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Landesverfassung (LV) verfassungswidrig. Es liege ein Gehörsverstoß vor. Das Amtsgericht übergehe ihren Vortrag und berücksichtige stattdessen Aspekte, die die Parteien nicht in den Prozess eingeführt hätten, es unterlaufe damit zugleich den Beibringungsgrundsatz. Dies verletze zudem das Grundrecht auf ein faires Verfahren. Die vom Gericht zunächst angenommenen Daten des Mahnbescheides seien trotz richtiger Angabe in der Klagebegründung offensichtlich falsch gewesen. Dies nicht zur Kenntnis genommen zu haben, bewirke einen Gehörsverstoß. Willkürlich sei die Entscheidung, weil sie sich auf Verjährung stütze, obwohl sich der Beklagte darauf gar nicht berufen habe. Im Übrigen fehle auch ein Hinweis des Gerichts darauf. Das Amtsgericht handele willkürlich, wenn es das Urteil auf die Anhörungsrüge nicht mehr mit Verjährung, sondern mit Verwirkung begründe. Das Urteil solle letztlich „irgendwie aufrechterhalten werden“. Auch zur Verwirkung sei Parteivortrag erforderlich. Diese dürfe nicht von Amts wegen angenommen werden. Zudem fehle auch hier ein Hinweis nach § 139 ZPO. Hinzu komme, dass die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vorlägen. Es dränge sich der Eindruck auf, dass das Amtsgericht das erkannt fehlerhafte Endurteil unter Missachtung mehrerer Verfahrensrechte aufrechterhalten wolle. Soweit die weitere Gegenvorstellung am 6. Januar 2015 zurückgewiesen worden sei, sei auch das verfassungswidrig.

 

III.

 

Der Beklagte des Ausgangsverfahrens und der Direktor des Amtsgerichts Nauen haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Die Verfahrensakte (12 C 71/14) ist beigezogen worden.

 

B.

 

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, teilweise begründet.

 

I.

 

1. Die Verfassungsbeschwerde ist bezüglich der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 19. September 2014 und 6. Januar 2015 mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Beschlüsse schaffen keine eigenständige Beschwer. Sie lassen allenfalls eine bereits durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs fortbestehen, indem eine Selbstkorrektur durch das Fachgericht unterbleibt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 29. August 2014 - VfGBbg 63/13 -: vom 21. November 2014 - VfGBbg 15/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

2. In Bezug auf das Urteil des Amtsgerichts vom 16. Juni 2014 ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Landesverfassung (LV) geltend macht. Ihr Vorbringen lässt nicht erkennen, dass sie insoweit beschwerdebefugt ist. Nach § 45 Abs. 1 VerfGGBbg ist es zunächst Sache der Beschwerdeführerin, einen Sachverhalt vorzutragen, der auf die Verletzung des gerügten Grundrechts führen kann. Dabei obliegt es ihr im Hinblick auf das sich aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg ergebende Begründungserfordernis, den die Rechtsverletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig vorzutragen. Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde muss deutlich werden, inwieweit das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. Beschluss vom 22. Mai 2015 - VfGBbg 32/14 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Dem genügt die Beschwerdeschrift nicht. Diese lässt nicht erkennen, inwiefern das Amtsgericht Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV verletzt haben könnte. Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV gewährt jedermann einen Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen Gericht. Das bedeutet für den Zivilprozess, dass der Richter das Verfahren so gestalten muss, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen: Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl. BVerfGE 78, 123, 126 m. w. Nachw.). Derartige Vorhaltungen macht die Beschwerdeführerin der Richterin jedoch offensichtlich nicht. Soweit sie der grundrechtlichen Gewährleistung zugleich ein Willkürverbot entnimmt, ist ausschließlich das spezielle, hier jedoch nicht gerügte Willkürverbot aus Art. 12 Abs. 1, Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV einschlägig.

 

3. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

 

Dass das Amtsgericht bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch nicht über die weitere Gegenvorstellung vom 1. Oktober 2014 entschieden hatte, führt nicht zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aus Gründen der Subsidiarität. Denn dieser Rechtsbehelf ist von Gesetzes wegen nicht vorgesehen und deshalb nicht „Rechtsweg“ im verfassungsprozessualen Sinn.

 

II.

 

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet.

 

1. Das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 16. Juni 2014 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, soweit das Gericht die Klage bezüglich einer aus dem Jahr 2010 stammenden Teilforderung in Höhe von 59,09 Euro brutto abgewiesen hat.

 

Der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass ein Gericht seiner Entscheidung nur solche Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde legt, zu denen es den Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, und dass es rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Betracht zieht (st. Rspr., vgl. etwa Beschlüsse vom 15. September 1994 - VfGBbg 10/93 -, LVerfGE 2, 179, 182; vom 16. Juni 2005 - VfGBbg 2/05 -, LVerfGE 16, 157, 162; vom 10. Mai 2007 - VfGBbg 8/07 -, LVerfGE 18, 150, 157; vom 17. Juli 2015 - VfGBbg 9/15 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Bedeutung und Tragweite des Gehörsgrundrechts müssen auch bei der Auslegung und Anwendung des jeweiligen Prozessrechts beachtet werden, das gerade darauf angelegt ist, dem Rechtsschutzsuchenden rechtliches Gehör zu ermöglichen. Dem genügt das Urteil vom 16. Juni 2014 hinsichtlich der aus dem Jahr 2010 resultierenden Teilforderung nicht. Das Amtsgericht hat angenommen, auch diese Forderung sei verjährt, wobei es entscheidungstragend davon ausgegangen ist, die Beschwerdeführerin habe erst  am 4. März 2014 einen Mahnbescheid beantragt. Damit hat es den durch den Akteninhalt bestätigten zutreffenden Parteivortrag zum Zeitpunkt des Erlasses des Mahnbescheides bereits im Dezember 2013 offenkundig außer Acht gelassen, der eine Verjährung der Forderung in Höhe von 59,09 Euro ausschließt.

 

Diesen Gehörsverstoß hat das Amtsgericht durch den Beschluss über die Anhörungsrüge vom 19. September 2014 weiter vertieft, indem es diesen Teil der Klageforderung nunmehr als verwirkt angesehen hat. Zwar ist ein Austausch der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung im Anhörungsrügeverfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen. So ist eine Heilung von Gehörsverstößen in der gleichen oder einer weiteren Instanz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich möglich, wenn das betreffende Gericht in der Lage ist, das übergangene Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 73, 322, 326 f; 107, 395, 411 f). Das ist im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens jedenfalls dann der Fall, wenn das Gericht einem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss zum Vorbringen des Betroffenen in der Anhörungsrüge abhelfen kann (vgl. BVerfG NVwZ 2009, 580). Umgekehrt scheidet die Heilung eines Gehörsverstoßes durch ergänzende Erwägungen im Anhörungsrügeverfahren aber aus, wenn die Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht am Vorbringen der Parteien anknüpfen und sich auch sonst nicht aufdrängen, so dass ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf damit nicht zu rechnen brauchte. Das Gericht darf ein unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör zustande gekommenes Urteil durch den Anhörungsrügebeschluss inhaltlich nur in einer Weise ergänzen, die mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs vereinbar ist. Das war hier nicht der Fall.

 

Der Beschluss über die Anhörungsrüge vom 19. September 2014 war überraschend, soweit darin ausgeführt ist, die Beschwerdeführerin könne die im Jahr 2010 entstandene Forderung in Höhe von 59,09 Euro brutto wegen Verwirkung nicht mehr verlangen. Die Beschwerdeführerin musste nicht damit rechnen, dass das Amtsgericht seine ursprüngliche – offensichtlich unzutreffende – Begründung, auch dieser Teil der Forderung der Beschwerdeführerin sei verjährt, durch einen Rückgriff auf das allgemeine Rechtsinstitut der Verwirkung ersetzen würde.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Allein der Ablauf einer gewissen Zeit nach Entstehung des Anspruchs vermag das notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen. Unterliegt ein Zahlungsanspruch – wie vorliegend – der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden. Denn dem Gläubiger soll die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch rechtlich geltend macht (so zusammenfassend BGH NJW 2014, 1230 m. w. Nachw., st. Rspr.).

 

Davon ausgehend, musste die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen, dass das Amtsgericht seine Entscheidung nunmehr auf das Argument der Verwirkung stützen würde, einmal ganz abgesehen davon, dass der Entscheidung keine Begründung zu entnehmen ist, worin das für die Annahme der Verwirkung wesentliche Umstandsmoment gelegen haben könnte. Ob die Forderung (teilweise) verwirkt ist, war im Verfahren zu keinem Zeitpunkt angesprochen worden. Die Frage drängte sich auch nicht auf. Nach der beigezogenen Streitakte hat sich der Beklagte weder auf die Verwirkung der Forderung aus dem Jahr 2010 berufen, noch über den bloßen Zeitablauf hinausgehende besondere Umstände vorgetragen, die aus der Sicht der Beschwerdeführerin einen Rückgriff auf das Institut der Verwirkung nahegelegt hätten. Solche ergeben sich auch sonst nicht aus dem Inhalt der Streitakte.

 

Das angegriffene Urteil beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht zu einem für die Be-schwerdeführerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es die sich aus dem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs ergebenden Anforderungen beachtet hätte.

 

2. Soweit die Klage wegen einer Forderung in Höhe von 22,31 € brutto abgewiesen worden ist, liegt ein Gehörsverstoß hingegen nicht vor.

 

Die Annahme des Amtsgerichts, die aus dem Jahr 2009 stammende Forderung sei verjährt, ist keine Überraschungsentscheidung. Das Gericht musste nicht darauf hinweisen, dass es beabsichtigte, die Klage wegen Verjährung abzuweisen, denn damit musste ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf rechnen (vgl. in diesem Zusammenhang Beschluss vom 18. März 2010 - VfGBbg 21/09 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Da die Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB bereits abgelaufen war und die Verjährungseinrede auch konkludent erhoben werden kann (Grothe, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 7. Aufl., § 214 Rn. 4; Peters/Jacoby, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2014, § 214 Rn. 8), konnte ein gewissenhafter Prozessbeteiligter damit rechnen, dass das Gericht den Vortrag des nicht anwaltlich vertretenen Beklagten, er könne die einzelnen Vorgänge „nach vier Jahren sehr schwer nachvollziehen“ und später erneut, er könne den Vorgang „im einzelnen nicht mehr nachvollziehen“, unter dem Aspekt der Verjährung würdigt. Ob diese Würdigung des Beklagtenvortrags für sich betrachtet die einzig mögliche war oder in der Sache überzeugt, hat das Verfassungsgericht nicht zu beurteilen.

 

3. Hiernach ist das Urteil vom 16. Juni 2014 gemäß § 50 Abs. 3 VerfGGBbg im tenorierten Umfang auf­zu­he­ben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Nauen zurück­­­­zu­­­ver­­weisen. Die Beschlüsse über die Anhö­­rungs­rüge und die weitere Gegenvorstellung vom 19. September 2014 und 6. Januar 2015 sind mit dieser Entscheidung im Umfang der Zurückverweisung gegenstandslos gewor­den und damit keine Grundlage für die Erhebung einer Gerichtsgebühr nach Nr. 1700 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.

 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 Ver-fGGBbg, soweit die Verfassungsbeschwerde erfolgreich war, und im Übrigen auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg. Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz auf 10.000,00 Euro festzusetzen.

 

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Möller Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Nitsche Partikel
   
Schmidt