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VerfGBbg, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - VfGBbg 34/04 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - VfGBbg 34/04 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 34/04



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Gemeinde Wust,
vertreten durch das Amt Emster-Havel,
dieses vertreten durch den Amtsdirektor,
Potsdamer Straße 49b,
14778 Jeserig,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte L., H. und M.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingemeindung der Gemeinde Wust (Amt Emster-Havel) in die Stadt Brandenburg an der Havel

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Schröder

am 11. Oktober 2005

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Emster-Havel angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Auflösung durch Eingliederung in die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel.

I.

1. Die im Landkreis Potsdam-Mittelmark gelegene Beschwerdeführerin grenzt im Norden und Westen an die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel sowie im Süden an die amtsfreie Gemeinde Kloster Lehnin. Die Beschwerdeführerin gehörte mit ihrer westlichen Nachbargemeinde Gollwitz sowie den Gemeinden Götz, Jeserig, Schenkenberg und Trechwitz dem Amt Emster-Havel an. Über das Gemeindegebiet der Beschwerdeführerin führt die Bundesstraße 1 unmittelbar in die Brandenburger Stadtteile Neuschmerzke und Neustadt. Die Brandenburger Bebauung reicht bis an die Gemarkungsgrenze, auf Seiten der Beschwerdeführerin setzt sich straßenbegleitend zunächst nur lockere Bebauung fort. Zwischen der Beschwerdeführerin und dem nördlich gelegenen Brandenburger Stadtteil Klein Kreutz verläuft die Havel, teilweise gehören beide Flußufer zur Stadt Brandenburg an der Havel. Die Beschwerdeführerin ist Standort des „Brandenburger Einkaufszentrum - EKZ“ mit ca. 28.700 m² Verkaufsfläche und 7.000 m² Allgemeinfläche, Sportzentrum und Multiplexkino sowie eines Gewerbegebiets auf insgesamt 22 ha Fläche. Zum Jahresende 2001 hatten Brandenburg an der Havel 76.351 und die Beschwerdeführerin 421 Einwohner. In den weiteren bis zum Jahr 2003 verbliebenen Gemeinden des Amtes Emster-Havel lebten ca. 4.800 Einwohner; davon erstrebten die Gemeinden Götz und Gollwitz mit 1.260 bzw. 470 Einwohnern ihre Eingliederung in die Gemeinde Groß Kreutz bzw. in die Stadt Brandenburg an der Havel.

2. Die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin strebte zunächst einen Zusammenschluß mit der Nachbargemeinde Gollwitz innerhalb des Amtes Emster-Havel an. Die Vertretung der Gemeinde Gollwitz und ein Bürgerentscheid sprachen sich hingegen für eine vertragliche Eingliederung in die Stadt Brandenburg an der Havel aus; der Vertrag kam wegen fehlender Zustimmung des Landkreises nicht zustande. Die Beschwerdeführerin beabsichtigte später einen Zusammenschluß mit den nicht unmittelbar benachbarten Gemeinden Trechwitz und Schenkenberg im Amt.

3. Bereits Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Unterlagen für eine Anhörung der Beschwerdeführerin, der anderen Gemeinden des Amtes Emster-Havel, des Landkreises Potsdam-Mittelmark sowie der Stadt Brandenburg an der Havel zu der für sie beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Unterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Amtsdirektor des Amtes Emster-Havel und den Oberbürgermeister der Stadt Brandenburg an der Havel versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung.

4. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 1 des Entwurfs zum Ersten Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel und die Gemeinden Gollwitz und Wust (1. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin sowie der Gemeinde Gollwitz in die Stadt Brandenburg an der Havel unter Änderung der Kreisgrenzen vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Für den 06. November 2002 erging zur Anhörung der Beschwerdeführerin eine Einladung an den ehrenamtlichen Bürgermeister, der vor dem Ausschuß Stellung nehmen ließ. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 1 des 1. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 66), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 11 des Gesetzes), lautet:

§ 1
Kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel
und Gemeinden Gollwitz und Wust des Amtes Emster-Havel

(1) Die Gemeinden Gollwitz und Wust des Amtes Emster-Havel, Landkreis Potsdam-Mittelmark, werden in die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel eingegliedert.

(2) Die Grenzen der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel und des Landkreises Potsdam-Mittelmark werden entsprechend geändert.

Zugleich wurden aus den Gemeinden Götz, Jeserig und Schenkenberg sowie Gemeinden des früheren Amtes Groß Kreutz unter Auflösung der Ämter eine neue amtsfreie Gemeinde Groß Kreutz/Emster gebildet und die Gemeinde Trechwitz in die Gemeinde Kloster Lehnin eingegliedert (§ 13 des 4. GemGebRefG).

II.

Die Beschwerdeführerin, deren Antrag, sich mit den Gemeinden Schenkenberg und Trechwitz zu einer neuen amtsangehörigen Gemeinde vertraglich zusammenzuschließen, das Innenministerium ablehnte, hat am 22. Juli 2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, § 13 des 4. GemGebRefG setze Zwangspunkte für ihr Schicksal. Die Anhörung sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die Fristen zur Anhörung seien zu kurz, die Unterlagen unvollständig gewesen. Die Maßstäbe der Neugliederungsmaßnahmen seien nicht nachvollziehbar gewesen. Der Gesetzgeber habe sein Leitbild an mehreren raumordnungsrechtlichen Festlegungen orientiert, unter anderem dem Regionalplan Havelland-Fläming, der der Begründung der Entwürfe nicht beigefügt gewesen sei. Der Gesetzgeber habe verkannt, daß hinsichtlich der Kreisgebietsreform des Jahres 1992 und der Ämterbildung eine Mehrfachneugliederung vorliege und den danach erhöhten Anforderungen nicht genüge.

Das öffentliche Wohl rechtfertige die Neugliederungsmaßnahme nicht. Das Leitbild sei zu offen formuliert und erlaube willkürliche Entscheidungen. Es liege lediglich eine Stadt-Umland-Situation aber keine für eine Eingliederung sprechende Stadt-Umland-Problematik vor. Eine enge bauliche Verflechtung bestehe nicht, lediglich andeutungsweise mit größeren Baulücken an der Bundesstraße 1 zum Brandenburger Stadtteil Neuschmerzke. Sie werde sich auch nicht durch eine längerfristige Siedlungs- und Gewerbeentwicklung verdichten. Die Verflechtungsbeziehungen belasteten die Stadt Brandenburg an der Havel nicht. Die Eingemeindung der Beschwerdeführerin stärke die Stadt Brandenburg an der Havel nicht. Nicht vertretbar sei, wenn sich der Gesetzgeber auf den nichtigen Regionalplan Havelland-Fläming berufe. Er habe die Umstände des Einzelfalles nicht hinreichend abgewogen, insbesondere nicht, daß die Beschwerdeführerin eine finanzstarke und handlungsfähige Gemeinde mit erfolgreicher Wirtschaftspolitik sei. Demgegenüber sei die Stadt Brandenburg an der Havel hoch verschuldet. Die Beschwerdeführerin befürchte, nach der Eingliederung „vernachlässigt“ zu werden. Daraus folgten finanziell nachteilige Auswirkungen für die Bürger. Es treffe zu, daß die Gemeinde Gollwitz schon immer eine enge Verflechtung mit der Beschwerdeführerin gehabt habe. Vorzugswürdige Alternativen seien aber der Erhalt des Amtes Emster-Havel, die Bildung eines Amtes oder einer amtsfreien Gemeinde Groß Kreutz/Emster unter Einbeziehung der Beschwerdeführerin gewesen. Nicht nachvollziehbar sei, warum der Gesetzgeber nicht den Ortsteil Briest der im Norden der Stadt gelegenen Stadt Havelsee nach Brandenburg an der Havel eingemeindet habe.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 1 und § 9 des Ersten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel und die Gemeinden Gollwitz und Wust des Amtes Emster-Havel sowie § 13 und § 35 Abs. 3 des Vierten Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming sind mit Art. 97 Abs. 1, Art. 98, Art. 99 der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg, der Landkreis Potsdam-Mittelmark und die Stadt Brandenburg an der Havel hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Landesregierung hält die kommunale Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Anhörungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Eine Mehrfachneugliederung liege nicht vor. Das Leitbild des Gesetzgebers sei hinreichend bestimmt. Der Sachverhalt, soweit es auf ihn ankomme, sei hinreichend ermittelt und in die Abwägung einbezogen worden. Die Situation der Beschwerdeführerin stelle einen nahezu typischen Fall der Stadt-Umland-Problematik dar.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.

Sie ist nur in begrenztem Umfang zulässig.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die sie gar nicht erwähnenden §§ 13 und 35 Abs. 3 des 4. GemGebRefG sowie § 1 Abs. 2 und § 9 des 1. GemGebRefG wendet, ist der Antrag unzulässig. Eine eigene Betroffenheit hat sie bezogen auf diese Absätze bereits nicht dargelegt (zu diesem Erfordernis bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde: u.a. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116, 131 = LKV 2002, 573 = NJ 2002, 642). „Zwangspunkte“ gegen die Beschwerdeführerin ergeben sich aus diesen Normen nicht. Soweit sich die kommunale Verfassungsbeschwerde einer amtsangehörigen Gemeinde als begründet erweist und sie (folglich) als amtsangehörige Gemeinde fortbesteht, hat das Land dafür zu sorgen, daß ihr eine Verwaltung – durch Zuordnung zu einem Amt oder Bildung eines neuen Amtes, notfalls auch unter Wiederbelebung der früheren Amtsmodelle 2 oder 3 - zur Verfügung steht. Dabei kann nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes eine Gemeinde lediglich beanspruchen, daß ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht aber daß sie in der bisherigen Form zur Verfügung steht. Die Selbstverwaltungsgarantie verbürgt auch nicht die Zuordnung einer Gemeinde zu einem bestimmten Kreis (Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O., m.w.N.; vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 06. September 1996 - VerfGH 4/95 - [Tüngeda]), LVerfGE 5, 331, 337 ff.; VerfGH NW, Urteil vom 09. April 1976 - VerfGH 24/74 -, NJW 1976, 2211). Auch dafür, daß die Verwaltung der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel zur Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin nicht geeignet sei, ist nichts ersichtlich. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Eingliederung der Gemeinde Gollwitz in die Stadt Brandenburg an der Havel wendet, sind Gesichtspunkte für eine Beschwer ebenfalls nicht ersichtlich. Auch die in § 35 des 4. GemGebRefG geregelte sowie in § 9 des 1. GemGebRefG in Bezug genommene Heilung der Verletzung von Form- und Verfahrensvorschriften beim Abschluß vom Innenministerium genehmigter Gebietsänderungsverträge betrifft die Beschwerdeführerin nicht. Die zeitweilig verhandelten Verträge - etwa der Gemeinde Gollwitz mit der Stadt Brandenburg an der Havel - sind aus anderen Gründen nicht zustande gekommen und ohne rechtliche Wirkung geblieben. Die ausdrücklich versagte Zustimmung des Landkreises ist kein Form- oder Verfahrensfehler, zudem hat es eine nach dem Gesetz bestätigungsfähige notwendige Vertragsgenehmigung des Innenministeriums nicht gegeben. Auch die nach § 35 Abs. 3 des 4. GemGebRefG in der Anlage zum Gesetz enthaltene Auflistung der vor dem Wirksamwerden der gesetzlichen Neugliederungsregelungen existenten Gemeinden und Ämter läßt keine Beschwer erkennen.

2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die in einer Vielzahl anderer Verfahren - darunter auch der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin - im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird mit folgenden Ergänzungen auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203; Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und zuletzt ausführlich Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) verwiesen.

Insbesondere kann der Beschwerdeführerin auch nicht darin gefolgt werden, daß die Anhörung die verfassungsrechtlichen Anforderungen deshalb verfehle, weil es den Anzuhörenden nicht möglich gewesen sei, sich in den Anhörungsunterlagen über wesentliche und tragende Maßstäbe des Leitbildes zu informieren, beispielsweise die einzelnen Funktionen der Ober-, Mittel- oder Grundzentren und die Nahbereichsabgrenzungen, weil diese nicht erläutert wurden und entsprechende Pläne nicht beigefügt gewesen seien. Bei der Komplexität des Vorhabens ist es nicht zu beanstanden, wenn im ausgelegten Material auf Unterlagen Bezug genommen wird, etwa darauf, daß die Beschwerdeführerin und die Gemeinde Gollwitz nach dem Regionalplan Havelland-Fläming zum Nahbereich der Stadt Brandenburg an der Havel gehören. Solches Material mußte bei der Anhörung nicht vorgehalten werden. In anderen kommunalen Verfassungsbeschwerden wurde demgegenüber sogar gerügt, bei den mehr als 1.000 Seiten umfassenden Anhörungsunterlagen handele es sich um eine undurchdringliche „Überinformation“. Die Einwohner der Beschwerdeführerin hatten bei Interesse die zumutbare Möglichkeit, die von der Beschwerdeführerin besonders vermißten Unterlagen zur Landesplanung zu erhalten, auch wenn dies mit finanziellem Aufwand und gewisser Mühe verbunden gewesen sein mag. Unbeschadet dessen lagen die Kernfragen - nämlich: Soll die Beschwerdeführerin ihre Selbständigkeit verlieren und gegebenenfalls nach Brandenburg an der Havel eingegliedert werden? – offen zutage.

2. Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –, UA S. 20, LKV 2002, 573, 575; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

(1) Die örtlichen Verhältnisse sind sowohl im Hinblick auf die allgemeinen Strukturprobleme und die Verflechtung, die sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Beschwerdeführerin zur Stadt Brandenburg an der Havel ergeben, als auch auf die konkreten Strukturdaten der Beschwerdeführerin in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/4880, S. 88 ff.). So hat der Gesetzgeber die gewerbliche und bauliche Entwicklung der Beschwerdeführerin sowie deren Einwohnerzuwachs in den letzten Jahren im Blick gehabt. Wenngleich nur um weniger als 100 Einwohner, gab es in der kleinen Gemeinde mit im Jahr 1992 noch 350 Einwohnern immerhin einen im äußeren Entwicklungsraum seltenen Einwohnerzuwachs. Der Anstieg der Bevölkerungszahl der Beschwerdeführerin um ca. 20% beruhte allein in den Jahren 1992 bis 2001 wesentlich auf einem Zuzug ehemaliger Einwohner der Stadt Brandenburg an der Havel, die im gleichen Zeitraum ca. 13.000 Einwohner verlor. Daß in nördlicher Richtung zwischen der Beschwerdeführerin und dem Brandenburger Stadtteil Klein Kreutz die Havel und ausgedehnte Feuchtgebiete liegen, hat der Gesetzgeber gesehen. Demgegenüber durfte er für eine Verflechtung berücksichtigen, daß das auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin neu entstandene „Brandenburger Einkaufszentrum“ sowie das große Gewerbegebiet durch die Bundesstraße 1 mit teils lockerer straßenbegleitender Bebauung bis zum in westliche Richtung wenige hundert Meter entfernten Brandenburger Stadtteil Neuschmerzke und über weitere 3 bis 5 km mit der Brandenburger Innenstadt verbunden sind. Zu den Gewerbeansiedlungen der Beschwerdeführerin zählt insbesondere ein großes Multiplexkino mit über 2.000 Sitzplätzen in acht Sälen. 71 Pendlern der Beschwerdeführerin, die in der Stadt Brandenburg an der Havel arbeiten, stehen 370 im wesentlichen aus der Stadt kommende Pendler gegenüber, die ihre Arbeitsstelle im Gewerbepark bzw. dem Einkaufszentrum der Beschwerdeführerin haben. Der Gesetzgeber sah auch, daß die Beschwerdeführerin über eine elfmal täglich verkehrende Buslinie in das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs der Stadt Brandenburg an der Havel integriert ist. Zudem fährt während der Geschäftszeiten halbstündlich ein Bus zwischen dem Einkaufszentrum und der Stadt Brandenburg an der Havel. Die Beschwerdeführerin wird von der Stadt Brandenburg an der Havel mit Trinkwasser versorgt, während die Abwasserentsorgung durch die Kläranlage Jeserig erfolgt. Der Gesetzgeber hielt fest, daß zwar die meisten Grund- und Gesamtschüler der Beschwerdeführerin zur Schule nach Jeserig fahren, daß jedoch im übrigen die Gesamtschule und das Gymnasium in der Stadt Brandenburg an der Havel besucht werden. Die Beschwerdeführerin verfügt über eine Kindertagesstätte, einige Kinder werden in Einrichtungen freier Träger in der Stadt Brandenburg an der Havel betreut. Der Gesetzgeber durfte die außerordentliche Anzahl und Vielfalt öffentlicher Einrichtungen insbesondere der Kultur und des Sports sowie der Dienstleistungen, z.B. im Gesundheits- und Sozialwesen (s. LT-Drucksache 3/4880, S. 188 ff.), in der ein Oberzentrum verkörpernden kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel ebenso berücksichtigen wie den offenkundigen Umstand, daß solche Einrichtungen auch aus dem Umland und insbesondere den unmittelbar angrenzenden Gemeinden in Anspruch genommen werden.

(2) Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken. Der Gesetzgeber hat sich in nicht zu beanstandender Weise lediglich auf die zutreffenden sachlichen Aussagen eines Raumordnungsplans bezogen, dessen rechtliche Qualität war insoweit nicht von Bedeutung. Daneben ermittelte und beschrieb er selbst empirisch zentrale Funktionen und stellte damit auf die tatsächlich vorhandenen Verflechtungen ab. Es kommt nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist bei der Prognoseentscheidung zur Gemeindegebietsneugliederung ersichtlich von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß bei Zugrundelegung der behaupteten abweichenden Situation die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht deshalb eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen sind indes nicht ersichtlich.

bb) Dem Gesetzgeber stehen im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV Gründe des öffentlichen Wohls zur Seite. Er beruft sich ausweislich der Gesetzesbegründung und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel wesentlich auf die Notwendigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur im Umland regionaler Zentren zu ändern (vgl. 2. c) und 2. d) aa) und bb) des Leitbildes, LT-Drucksache 3/4880, S. 14 f.).

Daß die Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht u.a. bereits in seinem Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O. sowie mit Beschluß vom 10. März 2005 zu einer kommunalen Verfassungsbeschwerde des Landkreises Spree-Neiße - VfGBbg 111/03 - (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte, s. etwa SächsVerfGH SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639, 643) entschieden. Auch im Schrifttum wird dies grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, 641, 642 f.; v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f.). Das Stadt-Umland-Verhältnis wirft eine Reihe schwieriger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf. Planung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen - Kindergärten und -krippen, Schulen (einschließlich weiterführender Schulen), Horte, Sportstätten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Feuerwehren, Kultureinrichtungen (etwa: Kulturhäuser, Heimatmuseen) - erfordern Abstimmung und Absprache. Auch im Hinblick auf den Öffentlichen Personennahverkehr, Infrastrukturausbau, die Wirtschaftsförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie Trinkwasserversorgung empfiehlt sich ein gemeinsames Handeln.

Es ist entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführerin auch im einzelnen nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber Probleme der Suburbanisierung zwischen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Beschwerdeführerin sowie der Gemeinde Gollwitz sieht und zu bewältigen sucht. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, es gebe zwar ein Stadt-Umland-Verhältnis aber keine Stadt-Umland-Probleme, zumal die Beschwerdeführerin wirtschaftlich leistungsfähig sei, greift zu kurz. Stadt-Umland-Probleme liegen nicht nur dann vor, wenn alle Beteiligten unter den aus wechselseitigen Einflüssen erwachsenen oder durch sie verstärkten Problemen leiden. Auch setzt eine kommunale Neugliederung nicht voraus, daß Mängel in der Aufgabenerfüllung der einzugliedernden Gemeinden oder des Amtes bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

Aufgrund entstandener Disparitäten in der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung der Beschwerdeführerin zu Lasten der Stadt Brandenburg an der Havel, die sich infolge - an den jeweiligen Eigeninteressen orientierter und streitiger - kommunaler Planungen vertieften, durfte der Gesetzgeber die Eingliederung der Beschwerdeführerin in den Zentralort regeln, weil sie bei enger Verflechtung die Erfüllung wesentlicher kommunaler Aufgaben erleichtert oder verbessert (vgl. Ziff. 2. c) Satz 5 Regelbeispiel aa) des Leitbildes). Dagegen steht nicht, daß dieses Regelbeispiel von einer engen baulichen Verflechtung ausgeht und eine bauliche Verbindung zwischen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Beschwerdeführerin entlang der Bundesstraße 1 nur in lockerer Form besteht. Das Leitbild ist insoweit offen formuliert („insbesondere“). Der Gesetzgeber durfte auch eine sonstige enge Verflechtung, wenn mit ihr zu lösende Stadt-Umland-Probleme einhergehen, zum Anlaß der Eingliederung der Umlandgemeinde in den Zentralort nehmen. So ist die Lage hier.

Daß Umverteilungsprozesse zu Lasten des städtischen Zentrums und zu ihren Gunsten stattgefunden haben, verneint auch die Beschwerdeführerin nicht. So gibt es eine erhebliche Zahl und Vielfalt an Gewerbebetrieben, die sich nicht in der Stadt Brandenburg an der Havel, sondern im Gebiet der Beschwerdeführerin niedergelassen haben, obgleich sie offenkundig - teilweise zudem mit ihrer Standortwerbung („Brandenburger Einkaufszentrum“) - vornehmlich auf das Kundenpotential der Stadt Brandenburg an der Havel ausgerichtet und dimensioniert sind. Als markantes Beispiel hat der Gesetzgeber das auf dem Gebiet der weniger als 450 Einwohner zählenden Beschwerdeführerin errichtete Multiplexkino mit seinen über 2.000 Sitzplätzen in acht Sälen erwähnt. Auch die Flächengrößen des Gewerbegebiets und des Einkaufszentrums mit 22 ha, darunter 28.700 m² Verkaufsfläche, sprechen für sich. Eigenes wirtschaftliches Geschick und Standortvorteile der Beschwerdeführerin wie die Nähe zur Bundesstraße lassen den Umstand nicht entfallen, daß sich die Beschwerdeführerin in den unmittelbaren Wirtschaftsraum der Stadt Brandenburg an der Havel eingeflochten hat und entscheidend von diesem ihre Leistungskraft bezieht, während die Wirtschaftsstärke in der Stadt (auch) dadurch bedingt nachläßt bzw. entsprechende Zuwächse oder zumindest eine Stabilisierung dort ausbleiben. Demgegenüber ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber einen einheitlichen Verwaltungsraum für die am engsten miteinander verflochtenen Stadt- und Umlandbereiche herstellt.

cc) Zur Bewältigung dieser Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung von Strukturproblemen im Stadt-Umland-Bereich der Stadt Brandenburg an der Havel durch die Zusammenführung in einem einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg ist nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für ihren Fortbestand sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt. Er durfte die Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen anstreben und dabei berücksichtigen, daß die Beschwerdeführerin, die immerhin einem Zusammenschluß mit anderen Gemeinden innerhalb des Amtes oder möglicherweise ihrer Einbeziehung in eine amtsfreie Gemeinde „Groß Kreutz“ hätte zustimmen wollen, sich nicht grundsätzlich gegen ihre Auflösung und Neugliederung wandte.

(a) Er hat im Blick gehabt, daß bei Mehrfachgliederungen in kürzeren Zeiträumen, bei einem „Hin und Her“ der gebietlichen Zuordnung, unter Gesichtspunkten eines Vertrauensschutzes ggf. höhere Anforderungen an das Vorliegen von Gründen des öffentlichen Wohls zu stellen wären. Er ist aber in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß es sich bei der nun gesetzlich angeordneten Neugliederung nicht um ein derartiges Ein- und Wiederausgliedern von Gemeinden und Gemeindeteilen, um jeweils gegenläufige Lösungsansätze, sondern lediglich um eine Fortentwicklung der nach 1990 begonnenen Strukturreform von zumeist sehr kleinen Gemeinden hin zu auf Dauer leistungsstarken Verwaltungseinheiten handelt, wobei die Bildung oft kleiner Ämter einen ersten Schritt bedeutete, der auf seine Wirksamkeit geprüft werden sollte und insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von Bevölkerungszahl, Haushalt und Wirtschaft für letztlich unzureichend befunden wurde (vgl. LT-Drucksache 3/4880, S. 51 ff.; vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 218/03 -, S. 13 f. des EA). Den Einwand, es liege im Hinblick auf die Landkreise eine wiederholte Neugliederung vor, kann möglicherweise ein Landkreis, nicht aber die Beschwerdeführerin geltend machen. Überdies lag der Maßnahmezweck des Gesetzgebers nicht in einer Kreisgebietsreform. Sein betreffendes Konzept aus dem Jahr 1993 hat er nicht revidiert. Der Gesetzgeber vollzog lediglich und ausnahmsweise eine Konsequenz der Gemeindegebietsänderung, die er für erforderlich ansehen durfte.

(b) Der Gesetzgeber hat zutreffend erkannt, daß sich die hier in Frage stehenden Stadt-Umland-Probleme nicht ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen lassen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur einen Teilbereich der Probleme lösen helfen. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler. Zudem birgt die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zu einem der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel u.a. im Hinblick auf die Verwaltungsorganisation gleichrangig gegenüberstehenden Landkreis bei jeweils eigenen unteren Landesbehörden ein gesteigertes Potential für Abstimmungsprobleme.

(c) Zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel gibt es auch im übrigen keine zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ebenso geeignete und leitbildgerechte Alternative.

(aa) Die gesetzliche Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Brandenburg an der Havel ist auch im Hinblick auf die Änderung kommunaler Grenzen mit den Leitbildbestimmungen vereinbar. Nach Ziffer 2. d) aa) des Leitbildes sollen zwar Kreisgrenzen grundsätzlich Bestand haben. Zugleich ist jedoch vorgesehen, daß sie in Ausnahmefällen im Gemeinwohlinteresse verändert werden dürfen. Als Ausnahmefall ausdrücklich bezeichnet ist insbesondere, wenn der die Kreisgrenzen überschreitende Zusammenschluß zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen beiträgt (Ziff. 2. d) aa) Satz 2 des Leitbildes). Einen solchen Fall hat der Gesetzgeber hier in nicht zu beanstandender Weise angenommen.

Bei Stadt-Umland-Verflechtungen und -Problemen insbesondere im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg ist der jeweilige Zusammenschluß zu einer Gemeinde, die Eingliederung in den Zentralort, vom Leitbild des Gesetzgebers als Regelfall vorgesehen (Ziffern. 2 c) und 2. a) bb) des Leitbildes) und die Umsetzung dessen in der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts grundsätzlich als beanstandungsfrei angesehen worden. Die Eingemeindung der Beschwerdeführerin und des weiteren im Landkreis Potsdam-Mittelmark liegenden „Vorortes“ in die kreisfreie Stadt Brandenburg an der Havel beruht auf der gleichen Problemstruktur, nur mit der Begleitfolge, daß zwangsläufig Kreisgrenzen überschritten werden. Die Annahme des Gesetzgebers, daß sie in nicht geringem Maße zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen beiträgt und daher gerechtfertigt sei, ist nicht zu beanstanden. Im einheitlichen Verwaltungsraum können wesentlich geringere Abstimmungsprobleme bei der innerörtlichen Interessenkoordinierung sowie eine stets die Bedürfnisse und die harmonische Entwicklung des gesamten Gemeinde- bzw. Stadtgebietes (vgl. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 Gemeindeordnung - GO -) im Blick behaltende Planung erwartet werden. Aus demselben Grund durfte der Gesetzgeber auch Amtsgrenzen ausnahmsweise (Ziff. 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes) überschreiten.

Die Annahme des Gesetzgebers, daß er mit der Bewältigung unmittelbarer Konflikte im Stadt-Umland-Verhältnis und zugleich einem Zuwachs bzw. teilweisen Rückgewinn an Einwohnern und vor allem Wirtschaftskraft zur Stärkung eines wichtigen Zentralortes beitrage, ist nicht zu beanstanden.

(bb) Leitbildgerecht wäre grundsätzlich auch, innerhalb der Grenzen des bisherigen Amtes und des Landkreises (Ziffern 2. d) aa) Satz 1, 2. Halbsatz und 2. d) bb) Satz 1 des Leitbildes) einzelne Gemeinden mit der Beschwerdeführerin im Amt zusammenzuschließen oder einschließlich der Beschwerdeführerin eine amtsfreie Gemeinde zu bilden. Eine solche Neugliederung ließe aber die Stadt-Umland-Problematik im Bezug zur benachbarten Stadt Brandenburg an der Havel unbewältigt.

(d) Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Eingemeindung in die Stadt Brandenburg an der Havel den Vorrang gegenüber einer Einbeziehung auch der Beschwerdeführerin in die Umwandlung der Ämter Groß Kreutz und Emster-Havel zu einer oder zwei amtsfreien Gemeinde(n) zu geben, ist von Verfassungs wegen unbedenklich. Das Neugliederungsbestreben der Beschwerdeführerin wurde in die gesetzgeberische Abwägung einbezogen aber abgelehnt. Abwägungsfehlerhaft ist die getroffene Neugliederungsmaßnahme erst dann, wenn der Eingriff in den Bestand und die verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Beschwerdeführerin außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen steht. Nur in diesen Grenzen kann die Abwägung des Gesetzgebers, d. h. die Bevorzugung bestimmter Belange, die Hintanstellung anderer und die Auswahl zwischen verschiedenen Lösungsalternativen, überprüft werden; sie vorzunehmen ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür die politische Verantwortung trägt (vgl. Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 01. März 2001, - VerfGH 20/00 -[Liebschütz], ThürVGRspr 2001, 129 = JbThürVerfGH 2001, 18, 57). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber hier nicht nur einem, sondern zugleich zwei Kernanliegen der Gemeindegebietsreform genügen will, namentlich größere leistungsfähige Verwaltungseinheiten mit regelmäßig zumindest 5.000 Einwohnern bei Eingemeindung von Kleinstgemeinden zu schaffen und einen Beitrag zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen zu leisten.

(e) Für einen gegebenenfalls auch für die Beschwerdeführerin rügefähigen Verstoß des Gesetzgebers gegen sein Neugliederungssystem ist nichts ersichtlich. Insbesondere ist beanstandungsfrei, daß der Gesetzgeber nicht den nahe an der Gemarkungsgrenze zur Stadt Brandenburg an der Havel gelegenen Stadtteil Briest der dem Amt Beetzsee angehörigen Stadt Havelsee aus dieser Stadt aus- und in die Stadt Brandenburg an der Havel eingegliedert hat. Der Gesetzgeber hat im Fall dieser früher einmal selbständigen Gemeinde Briest und des leitbildgerechten Amtes Beetzsee keine vergleichbar intensiven Verflechtungsbeziehungen gesehen wie zwischen der Stadt Brandenburg an der Havel und der Beschwerdeführerin. Auch diese hat keine Umstände, die für eine andere Einschätzung sprächen, vorgetragen.

(f) Der Gesetzgeber war auch nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel gehindert. Er hat die Problematik der Verlagerung der Finanz- und Planungshoheit gesehen und demgegenüber dem Vorteil der Bündelung der finanziellen Möglichkeiten infolge der Neugliederung im Verbund der Gesamtabwägung und mit Blick auf gestärkte Instrumente der Ortschaftsverfassung (§§ 54 - 54 e GO) sowie die Pflicht einer jeden Gemeinde und Stadt, für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl aller ihrer Einwohner, für eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung, zu sorgen (vgl. u.a. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 GO), in vertretbarer Weise höheres Gewicht zuerkannt (vgl. LT-Drucksache 3/4880, S. 78 f.). Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bzw. die geringste Abgabenlast bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Eine Beteiligung der insbesondere durch infrastrukturelle Maßnahmen wie das Vorhalten zahlreicher öffentlicher Einrichtungen und Verkehrsinvestitionen begünstigten Gemeinden an finanziellen Lasten des Gesamtraumes ist insoweit nicht unangemessen. Unabhängig davon ist die Finanzlage naturgemäß nicht von Dauer, sondern veränderlich. Die wirtschaftliche Entwicklung des Gesamt-Neugliederungsgebietes ist so oder so nicht sicher einschätzbar. Ein Extremfall, etwa wie ihn der Gesetzgeber bei der landesweit am stärksten verschuldeten Gemeinde Fahrland (vgl. Beschluß des Verfassungsgerichts vom heutigen Tage - VfGBbg 142/03 -) zu berücksichtigen hatte, liegt hier nicht vor.

(g) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung der Beschwerdeführerin gewichtet hat. Die aus der Bevölkerungsanhörung resultierenden Stellungnahmen und das Ergebnis des vorausgegangenen Bürgerentscheids (vgl. LT-Drucksache 3/4880, S. 81 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung sind bereits im wesentlichen in der Begründung zum Gesetzentwurf wiedergegeben, lagen auch im übrigen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drucksache 3/4880, S. 81 ff., 95 ff.). An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Stadt Brandenburg an der Havel sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Städte, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1, 2. Alt. VerfGGBbg. Auf das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Landesregierung vom 03. Oktober 2005 kam es nicht an. Es enthält nichts entscheidungserhebliches Neues, so daß die Frage einer möglichen Zurückweisung wegen Verspätung dahinstehen kann.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Dombert
   
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
Prof. Dr. Schröder