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VerfGBbg, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - VfGBbg 202/03 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98 Abs. 2 Satz 1
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Gemeindegebietsreform
- Verhältnismäßigkeit
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - VfGBbg 202/03 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 202/03



IM NAMEN DES VOLKES

 
B E S C H L U S S
In dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren

Stadt Werder (Havel),
vertreten durch den Bürgermeister,
Eisenbahnstraße 13-14,
14542 Werder (Havel),

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin M.,

wegen: kommunale Neugliederung;
hier: Eingemeindung der Gemeinde Golm (Amt Werder) in die Landeshauptstadt Potsdam

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Weisberg-Schwarz, Prof. Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Havemann, Dr. Jegutidse, Dr. Knippel und Prof. Dr. Schröder

am 11. Oktober 2005

b e s c h l o s s e n :

Die kommunale Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im übrigen zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Eingliederung einer Nachbargemeinde in die kreisfreie Stadt Potsdam.

I.

1. Die im Landkreis Potsdam-Mittelmark gelegene Beschwerdeführerin grenzt im Südosten an die amtsfreie Gemeinde Schwielowsee, im Westen an die amtsfreie Gemeinde Kloster Lehnin und das frühere Amt Groß Kreutz. Im Osten lag jenseits des Großen Zernsees zwischen dem Gebiet der Beschwerdeführerin und der kreisfreien Stadt Potsdam die mit dem Stadtteil Potsdam-Eiche baulich verflochtene Gemeinde Golm. Die Stadtverwaltung der keinem Amt angehörenden Beschwerdeführerin führte nach dem sogenannten Amtsmodell 3 die Geschäfte für das aus anfänglich sieben Nachbargemeinden einschließlich Golms gebildete Amt Werder. In den Jahren 1998 bis 2001 gliederten sich vertraglich mit Genehmigung des Innenministeriums zunächst fünf dieser Gemeinden, zum 26. Oktober 2003 auch die Gemeinde Töplitz, in die Beschwerdeführerin ein.

Den Antrag der Gemeinde Golm, ebenfalls in die Beschwerdeführerin eingegliedert zu werden, lehnte das Innenministerium im September 2002 ab. Die Gemeinde Golm ist Standort zweier der fünf Fakultäten der Potsdamer Universität sowie mehrerer Forschungsinstitute. Ihr Gebiet gehörte früher zum Gutsbezirk Bornstedt-Bornim. Sie war bereits von 1939 bis 1952 nach Potsdam eingemeindet, wurde danach mit dem heutigen Potsdamer Stadtteil Eiche zusammengeschlossen und seit 1961 wieder selbständige Gemeinde.

Zum Jahresende 2001 hatte Potsdam über 130.400 Einwohner, die Gemeinde Golm ca. 2.080 und das gesamte Amt Werder etwa 3.940 Einwohner. Auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin lebten knapp 20.000 Einwohner.

2. Bereits Ende April 2002 versandte das Ministerium des Innern Unterlagen für eine Anhörung der Gemeinde Golm, des Landkreises Potsdam-Mittelmark sowie der Stadt Potsdam zu der für sie beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Unterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Amtsdirektor des Amtes Werder - zugleich Bürgermeister der Beschwerdeführerin - und den Oberbürgermeister der Stadt Potsdam versandt. Für die Bevölkerungsanhörung stand ein Monat zur Verfügung.

3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 1 des Entwurfs zum Dritten Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landeshauptstadt Potsdam und die Ämter Fahrland und Werder (3. GemGebRefGBbg) sah u.a. die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam unter Änderung der Kreisgrenzen vor. Der Innenausschuß des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23. Oktober 2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Am 06. November 2002 wurden u.a. die Gemeinde Golm, die Stadt Potsdam, der Landkreis Potsdam-Mittelmark, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg sowie der Gemeindetag vor dem Innenausschuß angehört. Der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde Golm machte eine zu kurze Vorbereitungszeit geltend. Der Gemeinde wurden daraufhin weitere zwei Wochen für eine Stellungnahme eingeräumt. Das Gesetz wurde sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 1 des 3. GemGebRefGBbg vom 24. März 2003 (GVBl. I S. 70), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26. Oktober 2003) in Kraft getreten (s. § 11 des Gesetzes), lautet:

§ 1
Landeshauptstadt Potsdam
und Verwaltungseinheiten Ämter Fahrland und Werder

(1) Die Gemeinde Golm des Amtes Werder und die Gemeinden Fahrland, Groß Glienicke, Marquardt, Neu Fahrland, Satzkorn und Uetz-Paaren des Amtes Fahrland, Landkreis Potsdam-Mittelmark, werden in die Landeshauptstadt Potsdam eingegliedert.

(2) Die Ämter Werder und Fahrland werden aufgelöst.

(3) Die Grenzen der Landeshauptstadt Potsdam und des Landkreises Potsdam-Mittelmark werden entsprechend geändert.

II.

Die Beschwerdeführerin hat am 11. Juli 2003 die kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst und die Gemeinde Golm ordnungsgemäß angehört worden seien. Durch das Gesetz werde die Beschwerdeführerin verfassungswidrig gehindert, einen Gebietsänderungsvertrag mit der Gemeinde Golm abzuschließen. Gründe des öffentlichen Wohls für die Neugliederung seien nicht gegeben. Der Gesetzentwurf enthalte eine Vielzahl falscher oder unvollständiger Darstellungen und eine ergebnisorientierte Argumentation. Der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft. Demgegenüber würde eine Eingliederung der Gemeinde Golm in die Beschwerdeführerin leitliniengerecht sein; die Verwaltung durch das Amt Werder habe sich seit zehn Jahren bewährt.

Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen:

§ 1 Abs. 1 und Abs. 3 des Dritten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III.

Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg, der Landkreis Potsdam-Mittelmark, die Gemeinde Golm und die Stadt Potsdam hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I.

Sie ist nur in begrenztem Umfang zulässig.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den sie gar nicht erwähnenden Absatz 3 dieser Vorschrift wendet, ist der Antrag unzulässig. Eine eigene Betroffenheit hat sie bezogen auf diesen Absatz bereits nicht dargelegt (zu diesem Erfordernis bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde: u.a. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], LVerfGE Suppl. Bbg zu Bd. 13, 116, 131 = LKV 2002, 573 = NJ 2002, 642). Auch soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die in § 1 Abs. 1 des 3. GemGebRefG bestimmte Zuordnung anderer Gemeinden als der Gemeinde Golm zu Potsdam wendet, sind Gesichtspunkte für eine Beschwer nicht ersichtlich.

2. Im übrigen ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Art. 98 Abs. 2 Satz 1 LV bezieht das Recht der Gemeinden, ihr Gebiet durch Vereinbarung zu ändern, in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung ein. Eine Verletzung dieses Rechts erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

II.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Neugliederung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt.

1. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Im Hinblick auf die insoweit von der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in einer Vielzahl von Verfahren im wesentlichen gleichlautend vorgebrachten Einwände wird mit folgenden Ergänzungen auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes (vgl. u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, LVerfGE 14, 203, und zuletzt ausführlich Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 118/03 - www.verfassungsgericht.brandenburg.de) Bezug genommen.

a) Insbesondere war das Neugliederungsvorhaben, was die Eingemeindung nach Potsdam anbelangt, mit unverändertem Inhalt schon lange angekündigt, kam also nicht überraschend. Die von der Regelung unmittelbar Betroffenen - namentlich die Gemeinde Golm, die Stadt Potsdam und der Landkreis Potsdam-Mittelmark - waren bereits im Vorfeld der Gesetzesinitiative der Landesregierung angehört und damit befaßt worden. Die Gemeinde Golm hatte insbesondere im Frühsommer 2002 die Gelegenheit, binnen mehr als eines Monats zu Gegenstand, Zielsetzung und Inhalt des damaligen Referentenentwurfes Stellung zu nehmen, und hierzu entsprechendes Material erhalten. Schließlich reichte es aus, daß ihr für eine schriftliche Stellungnahme eine Nachfrist jedenfalls weiterer zwei Wochen eingeräumt worden ist.

Die durchgeführte Anhörung der Bevölkerung der Gemeinde Golm ist hier auch nicht deshalb obsolet geworden, weil danach der Gesetzentwurf geändert worden ist. Eine erneute Anhörung ist nur geboten, wenn es zu einer wesentlichen Änderung kommt (vgl. BVerfGE 50, 195, 203; SächsVerfGH LVerfGE 11, 356, 386; NdsStGH NJW 1979, 2301; StGH BW DÖV 1976, 245; VerfGH NW OVGE 26, 306). Das war hier nicht der Fall. Wesentliche Änderungen des Gesetzgebungsvorhabens sind weder vorgetragen noch sonst für das Verfassungsgericht ersichtlich. Die meisten Änderungen am Text des Gesetzentwurfs gegenüber der Anhörungsvorlage waren redaktioneller Art oder Konkretisierungen auf den zu regelnden Fall. Der neu hinzugefügte § 1 Absatz 3 des 3. GemGebRefG, wonach die Grenzen des Landkreises und der Stadt Potsdam „entsprechend geändert“ werden, ist lediglich die Verdeutlichung einer zwangsläufigen und offenbaren Folge der bereits im ersten Absatz dieser Vorschrift bezeichneten Eingliederung. Die Verweisung auf mehrere Normen des Vierten Gemeindegebietsreformgesetzes durch §§ 4 und 10 des 3. GemGebRefG stellt lediglich eine Straffung der Normfolge ohne Änderung des Entwurfsinhalts dar. Soweit § 9 des 3. GemGebRefG in seiner Fassung nach den Anhörungen erstmalig und vorsorglich auch § 35 des 4. GemGebRefG für eine Bestätigung früherer und ggf. noch bis zum Tage der nächsten landesweiten Kommunalwahlen wirksam werdender vertraglicher Gemeindegebietsänderungen in Bezug nimmt, ist dies für die Beschwerdeführerin und die Stadt Potsdam ohne Relevanz. Betreffende - den Interessen der Beschwerdeführerin entgegenstehende - Verträge sind vor den Stichtagen des 20. Februar 2003 bzw. 26. Oktober 2003 nicht zustande gekommen. Soweit der zunächst vorgesehene zeitweilige Einstellungs- und Beförderungsstop für Gemeindebedienstete ebensowenig Gesetz geworden ist wie die Übernahme des Hauptverwaltungsbeamten eines aufgelösten Amtes in den Dienst der aufnehmenden Körperschaft und die Regelung über die Wahlbehörde vereinfacht wurde, erachtet das Landesverfassungsgericht auch diese Änderungen - zugleich mit den Veränderungen in der Begründung des Gesetzes – als für das Schicksal der Beschwerdeführerin verfassungsrechtlich nicht relevant.

b) Die Beschwerdeführerin vermag auch nicht mit Erfolg geltend zu machen, daß sie selbst nicht förmlich zum Gesetzentwurf angehört wurde. Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV schreibt vor, daß vor einer Änderung des Gemeindegebietes die Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete gehört werden muß. Eine Anhörung der Gemeinde ist, wenn auch nicht ausdrücklich in der Verfassung verankert, der durch Art. 97 Abs. 1 LV geschützten kommunalen Selbstverwaltung geschuldet und dient ihrer prozeduralen Absicherung (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003, a.a.O.). Dem hat der Gesetzgeber mit der Anhörung der Gemeinde Golm, der aufnehmenden Stadt Potsdam sowie des abgebenden Landkreises genügt.

Ein verfassungsrechtliches Erfordernis, auch nur mittelbar von einer gesetzlichen Regelung betroffene Dritte wie die Beschwerdeführerin förmlich anzuhören, besteht nicht. Es ist nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber nur diejenigen Gemeinden und ihre Bevölkerung anhört, die sein Neugliederungsvorhaben erfaßt. Dies können in einem Fall, in dem der Gesetzgeber selbst noch keine Auswahl zwischen mehreren Alternativen getroffen hat und er sie als solche zum Inhalt seines Neugliederungsvorschlags macht, auch mehrere in Betracht kommende aufnehmende Gemeinden sein. Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor, da der Gesetzgeber bereits zur Anhörung eine Vorauswahl getroffen hatte, demnach er eine Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam beabsichtigte und von diesem Vorhaben auch später nicht mehr abging. Die von Vertragsverhandlungen der Gemeinden begleitete tatsächliche Möglichkeit, die Gemeinde Golm statt nach Potsdam in die Beschwerdeführerin einzugliedern und die Reflexivwirkung, daß mit dem Ergreifen einer Option andere zurücktreten, machen eine solche „dritte“ Gemeinde nicht schon zum vom Neugliederungsgesetz „unmittelbar betroffenen Gebiet“. Überdies liefen die der Gemeinde Golm übermittelten Informationen und Unterlagen des Innenministeriums und des Gesetzgebers über den zugleich als Amtsdirektor des Amtes Werder fungierenden Bürgermeister der Beschwerdeführerin und ihre Stadtverwaltung, so daß auch die Beschwerdeführerin über das Neugliederungsvorhaben im wesentlichen fortlaufend informiert und nicht gehindert war, hierzu Stellung zu nehmen.

2. Die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam - und damit der Ausschluß einer vertraglichen Eingliederung dieser Gemeinde in die Beschwerdeführerin - bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung.

Ein Eingriff liegt gegenüber der eingegliederten Gemeinde Golm vor. Ob das Neugliederungsgesetz zugleich einen Eingriff in die Gebietshoheit der Beschwerdeführerin bewirkt, ist fraglich, kann aber dahinstehen. Denn auch wenn ein zu Lasten der Beschwerdeführerin und ihrer Möglichkeiten, die kommunale Neugliederung vertraglich zu regeln, gehender Eingriff in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung vorläge, ist die gesetzliche Neugliederung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) In das Gebiet einer Gemeinde sowie - erst recht - in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV - nur - aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl“ ist im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich – in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen – ein Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, daß er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, ständige Rechtsprechung, u.a. Beschluß vom 27. Mai 2004 - VfGBbg 138/03 - [Königsberg]; BVerfGE 50, 50, 51 [Laatzen]).

Das Gericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrundegelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der Wertordnung der Verfassung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998 – VfGBbg 27/97 –, LVerfGE 8, 97, 169 f. m.w.N. und vom 29. August 2002 – VfGBbg 34/01 –, a.a.O.; ständige Rechtspr., u.a. Urteil vom 18. Dezember 2003 – VfGBbg 101/03 -, a.a.O.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, daß für die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Gegenüber der für kommunale Neugliederungen speziellen Verfassungsregelung des Art. 98 LV und der hiernach gegebenen Eingriffsrechtfertigung vermag die Beschwerdeführerin aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 97 Abs. 1 Satz 1 LV) und ihrem Interesse, nach Art. 98 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative LV einen Vertrag mit vom Neugliederungsgesetz abweichenden Inhalt abzuschließen, vorliegend nichts weitergehendes herzuleiten. Im einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den tatsächlichen Verhältnissen befaßt.

(1) Die örtlichen Verhältnisse sind sowohl im Hinblick auf die allgemeinen Strukturprobleme und die Verflechtung, die sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Gemeinde Golm zu Potsdam ergeben, als auch auf die konkreten Strukturdaten der Gemeinde in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung im „Neugliederungssachverhalt“ in LT-Drucksache 3/4882, S. 89 ff.). So hat der Gesetzgeber die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde Golm und deren hohen Einwohnerzuwachs in den letzten Jahren im Blick gehabt. Danach beruhte ein Bevölkerungsanstieg um ca. 75 % (880 Einwohner) allein in den Jahren 1992 bis 2001 wesentlich auf einem Zuzug ehemaliger Potsdamer Einwohner, die - wie starke Pendlerbewegungen zeigen - weiterhin enge Verbindungen nach Potsdam halten. Umgekehrt ermittelte der Gesetzgeber auch 300 Beschäftigte, die aus Potsdam zu Arbeitstellen in Golm pendeln. Einen Schwerpunkt bilden dafür die dort in den letzten Jahren errichteten wissenschaftlichen Institute und Forschungseinrichtungen (u.a. Fraunhofer Institut für Angewandte Polymerforschung, Max-Planck-Institut für moderne Pflanzenphysiologie, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung) neben der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen und der Humanwissenschaftlichen Fakultät der fünf Fakultäten der Universität Potsdam. Im Jahr 2001 waren von den ca. 13.000 Studenten der Potsdamer Universität fast 5.600 in den in Golm befindlichen Fakultäten eingeschrieben. Die weitere Entwicklung eines „Wissenschaftsparks“ zeichnete sich bereits ab. Der Gesetzgeber stellte zutreffend fest, daß die Ortslage Golms in Teilbereichen direkt an das Siedlungsgebiet „Altes Rad“ des Potsdamer Stadtteils Eiche grenzt und die Verflechtung dort durch das im Bau befindliche Wohngebiet „Am Herzberg“ der Gemeinde weiter verstärkt wird. Außerdem weist die südliche Hauptverbindungsstraße zwischen Potsdam-Eiche und Golm (Kaiser-Friedrich-Straße/Reiherbergstraße) eine durchgehende beidseitige Wohnbebauung auf. Der Gesetzgeber sah auch, daß die Gemeinde Golm über zwei Stadtbuslinien im Halbstundentakt in das Potsdamer Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs integriert ist, wofür die Stadt Potsdam 70 % bzw. 100 % der Zuschüsse trägt. Ebenso besteht eine regelmäßige Regionalbahnverbindung zwischen Golm und dem ca. 6 km entfernten Potsdamer Zentrum. Zwischen Golm und der Beschwerdeführerin liegt hingegen eine Wegstrecke von über 11 km ohne Direktverbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln; Umsteigepunkte sind insbesondere die Bahnhöfe Potsdam Hauptbahnhof und Potsdam-Park Sanssouci. Die Straßen zur Beschwerdeführerin verlaufen über Potsdam-Grube bzw. die Gemeinde Schwielowsee. Eine vertragliche Vereinbarung regelt die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung der Gemeinde Golm durch die Potsdamer Wasserbetriebe. Der Gesetzgeber hielt fest, daß in Golm wohnhafte Schüler weiterführender Bildungseinrichtungen zum weit überwiegenden Teil die Schulen in Potsdam und nur wenige das Gymnasium und das Oberstufenzentrum der Beschwerdeführerin besuchen. Die Grundschüler gehen überwiegend in die „Inselschule“ im Ortsteil Töplitz der Beschwerdeführerin. Die Kindertagesstätte in Golm nimmt Kinder der Gemeinde und des Stadtteils Potsdam-Eiche auf. Der Gesetzgeber durfte ferner die außerordentliche Anzahl und Vielfalt öffentlicher Einrichtungen insbesondere der Kultur und des Sports sowie der Dienstleistungen, z.B. im Gesundheits- und Sozialwesen, (s. LT-Drucksache 3/4882, S. 97 ff.) in der größten Stadt des Landes Brandenburg ebenso berücksichtigen wie den offenkundigen Umstand, daß solche Einrichtungen und Angebote auch aus dem Umland und insbesondere den unmittelbar angrenzenden Gemeinden in Anspruch genommen werden.

(2) Diese Sachverhaltsermittlung begegnet keinen verfassungsrelevanten Bedenken, insbesondere werden die Ergebnisse durch die Einwände der Beschwerdeführerin - die sich insoweit in der Wiederholung des Vorbringen der Gemeinde Golm aus deren kommunaler Verfassungsbeschwerde (VfGBbg 123/03 - dazu Beschluß vom heutigen Tage) erschöpfen - nicht widerlegt. Sie enthielten lediglich andere Wertungen oder betrafen nicht entscheidende Sachumstände. So verbleibt etwa - unbeschadet der Frage, ob die Beschwerdeführerin denselben Bezugszeitpunkt im Blick hat wie der Gesetzgeber - auch nach einer Korrektur, daß nicht 98 % sondern 71,3 % der Golmer Schüler weiterführender Schulen Potsdamer Bildungseinrichtungen besuchen, die maßgebliche Orientierung nach Potsdam im wesentlichen unverändert.

Zudem kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfaßt und gewürdigt hat. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob er die für die Durchführung des gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, daß die Neugliederung bei Zugrundelegung des behaupteten abweichenden Sachverhalts anders ausgefallen wäre, besteht deshalb eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend“; VerfGH NW, Urteil vom 6. Dezember 1975 - VerfGH 39/74 -, UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Sämtliche Stellungnahmen der Gemeinde Golm und damit auch die darin enthaltenen Ergänzungen oder Berichtigungen zum Sachverhalt - soweit es sich nicht ohnehin nur um abweichende Wertungen und Prognosen handelte – sind dem Gesetzgeber zur Kenntnis gebracht worden. Aus der Gesamtheit der ihm - nach der Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in der Begründung zum Gesetzentwurf und nach der Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Innenausschuß - vorliegenden Unterlagen hat sich für ihn ein jedenfalls in den für seine Entscheidung wesentlichen Punkten zutreffendes und vollständiges Bild der Gemeinde Golm sowie ihrer Beziehungen zu Potsdam einerseits und zur Beschwerdeführerin andererseits ergeben. Einige Sachverhaltsergänzungen hat der Gesetzgeber als Ergebnis der Anhörungen in die Unterlagen zum Gesetzentwurf aufgenommen. Die wesentliche Einschätzung der nachteiligen und korrekturbedürftigen Entwicklung in der Stadt-Umland-Beziehung zwischen der Stadt Potsdam und insbesondere der Gemeinde Golm bleibt unberührt und als solche nachvollziehbar.

bb) Dem Gesetzgeber stehen im Sinne von Art. 98 Abs. 1 LV Gründe des öffentlichen Wohls zur Seite. Er beruft sich ausweislich der Gesetzesbegründung und der Beschlußempfehlung des Innenausschusses für die Eingliederung der Gemeinde Golm in die kreisfreie Stadt Potsdam wesentlich auf die Notwendigkeit, die brandenburgische Gemeindestruktur im Umland regionaler Zentren zu ändern (vgl. 2. c) und 2. d) aa) und bb) des Leitbildes, LT-Drucksache 3/4882, S. 14 f., 100 f.).

Daß die Behebung von Strukturproblemen im Stadtumland ein Grund des öffentlichen Wohls ist, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, hat das Landesverfassungsgericht bereits in seinen Urteilen vom 18. Dezember 2003 - VfGBbg 101/03 -, a.a.O., und - VfGBbg 97/03 - sowie u.a. mit Beschluß vom 10. März 2005 - VfGBbg 82/03 - zu Eingliederungen in die kreisfreie Stadt Cottbus (in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte, s. etwa SächsVerfGH SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 639, 643) entschieden. Auch im Schrifttum wird dies grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen (s. etwa Hoppe/Stüer, DVBl 1992, 641, 642 f.; v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f.). Das Stadt-Umland-Verhältnis wirft eine Reihe schwieriger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf. Planung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen - Kindergärten und -krippen, Schulen (einschließlich weiterführender Schulen), Horte, Sportstätten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Feuerwehren, Kultureinrichtungen (etwa: Kulturhäuser, Heimatmuseen) - erfordern Abstimmung und Absprache. Auch im Hinblick auf den Öffentlichen Personennahverkehr, Infrastrukturausbau, die Wirtschaftsförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung sowie Trinkwasserversorgung empfiehlt sich ein gemeinsames Handeln.

Es ist nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber Probleme der Suburbanisierung zwischen der Stadt Potsdam und der Gemeinde Golm sieht und zu bewältigen sucht. Stadt-Umland-Probleme liegen nicht nur dann vor, wenn alle Beteiligten unter den aus wechselseitigen Einflüssen erwachsenen oder durch sie verstärkten Problemen leiden. Auch setzt eine kommunale Neugliederung nicht voraus, daß Mängel in der Aufgabenerfüllung der einzugliedernden Gemeinden oder des Amtes bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, u.a. Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 - und Beschluß vom 16. September 2004 - VfGBbg 102/03 -). Einer solchen Verbesserung dient hier die Umsetzung der Leitbildbestimmungen.

Aufgrund entstandener Disparitäten in der Bevölkerungs- und Standortentwicklung der Gemeinde Golm zu Lasten der Stadt Potsdam durfte der Gesetzgeber die Eingliederung der Gemeinde in den Zentralort regeln, weil sie zur gemeinsamen Erledigung wichtiger Verwaltungsaufgaben erforderlich war und bei enger baulicher Anbindung die Erfüllung wesentlicher kommunaler Aufgaben erleichtert oder verbessert (vgl. Ziff. 2. c) Satz 5 Regelbeispiele cc) und aa) des Leitbildes). Im Verhältnis zur Beschwerdeführerin bestand keine auch nur annähernd vergleichbare Situation.

Daß Umverteilungsprozesse zu Lasten der Stadt Potsdam und zu Gunsten der Gemeinde Golm stattgefunden haben, verneint auch die Beschwerdeführerin nicht. So führte die Gründung und Entwicklung der Universität Potsdam zu einem hohen Ansehen der Landeshauptstadt als Standort der Wissenschaft und innovativer Forschung. Bestandteil dessen ist auch die Gemeinde Golm geworden, nachdem sich in ihrem früher ländlichen Gebiet unmittelbar vor den Toren Potsdams für ca. 5.600 Studenten zwei der fünf Fakultäten der Universität sowie mehrere Forschungsinstitute ansiedelten. Auch eigenes wirtschaftliches Geschick und Standortvorteile der Gemeinde wie ein Flächenangebot für größere Bauvorhaben lassen den Umstand nicht entfallen, daß sie sich in den unmittelbaren Potsdamer Wirtschaftsraum eingeflochten hat und entscheidend von diesem ihre Dynamik und Leistungskraft bezieht, während entsprechende Zuwächse des Leistungspotentials im Potsdamer Stadtgebiet ausblieben.

Als weiteren Aspekt der Stadt-Umland-Problematik durfte der Gesetzgeber auf den jahrelangen Bevölkerungsrückgang und auch zuletzt nur langsamen Bevölkerungsanstieg in Potsdam Bezug nehmen, der zu einem nicht geringen Teil mit einem starken Anstieg der Einwohnerzahlen der Gemeinde Golm sowie anderer Umlandgemeinden korrespondierte. So ist die annähernde Verdopplung der Einwohnerzahl Golms binnen zehn Jahren ein typisches Element der Suburbanisierung, die der Gesetzgeber als bewältigungsbedürftig ansehen darf.

Es ist danach verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber einen einheitlichen Verwaltungsraum für die im Hinblick auf Wohngebiete wie auch insbesondere die wissenschaftlichen Institute und Forschungseinrichtungen der Potsdamer Universität am engsten miteinander verflochtenen Stadt- und Umlandbereiche herstellt.

cc) Zur Bewältigung dieser Strukturfragen ist die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, daß das Ziel einer Bereinigung von Strukturproblemen im Potsdamer Stadt-Umland-Bereich durch die Zusammenführung in einem einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde.

dd) Die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam ist nicht unverhältnismäßig.

(1) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müssen die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für ihren Fortbestand sprechenden Gründen erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH BayVBl 1981, 399, 400 f.; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Da die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat“) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken, ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 29. August 2002 - VfGBbg 34/01 -, a.a.O.).

(2) Der Gesetzgeber hat die Vor- und Nachteile seines Neugliederungsvorhabens in nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen und ist zu einem verfassungsrechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt. Er durfte die Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen anstreben und dabei berücksichtigen, daß die Gemeinde Golm, die immerhin mit ihrer Eingemeindung in die Beschwerdeführerin einverstanden gewesen wäre, sich nicht grundsätzlich gegen ihre Auflösung und Neugliederung wandte.

(a) Er hat zutreffend erkannt, daß sich die hier in Frage stehenden Stadt-Umland-Probleme nicht ebenso gut durch interkommunale Zusammenarbeit bewältigen lassen. Interkommunale Zusammenarbeit, in welcher Form auch immer (in Gestalt von Zweck- oder Planungsverbänden, Arbeitsgemeinschaften oder Kapitalgesellschaften oder durch öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge), kann typischerweise jeweils nur einen Teilbereich der Probleme lösen helfen. Sie wirft zudem ihrerseits Abstimmungs- und Kooperations- sowie Rechts- und Personalfragen auf. Im Vergleich zu einer gemeindlichen Neuordnung ist die interkommunale Zusammenarbeit schwächer und instabiler. Zudem birgt die Zugehörigkeit der Gemeinde Golm zu einem der kreisfreien Stadt Potsdam u.a. im Hinblick auf die Verwaltungsorganisation gleichrangig gegenüberstehenden Landkreis bei jeweils eigenen unteren Landesbehörden ein gesteigertes Potential für Abstimmungsprobleme.

(b) Zu der Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam gibt es auch im übrigen keine zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ebenso geeignete und leitbildgerechte Alternative.

(aa) Die gesetzliche Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam ist auch im Hinblick auf die Änderung kommunaler Grenzen mit den Leitbildbestimmungen vereinbar. Nach Ziffer 2. d) aa) des Leitbildes sollen zwar Kreisgrenzen grundsätzlich Bestand haben. Zugleich ist jedoch vorgesehen, daß sie in Ausnahmefällen im Gemeinwohlinteresse verändert werden dürfen. Als Ausnahmefall ausdrücklich bezeichnet ist insbesondere, wenn der die Kreisgrenzen überschreitende Zusammenschluß zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen beiträgt (Ziff. 2. d) aa) Satz 2 des Leitbildes). Einen solchen Fall hat der Gesetzgeber hier in nicht zu beanstandender Weise angenommen.

Bei Stadt-Umland-Verflechtungen und -Problemen insbesondere im engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin ist der jeweilige Zusammenschluß zu einer Gemeinde, gegebenenfalls die Eingliederung in den Zentralort, vom Leitbild des Gesetzgebers als Regelfall vorgesehen (Ziffern. 2 c) und 2. a) aa) des Leitbildes) und die Umsetzung dessen in der ständigen Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts grundsätzlich als beanstandungsfrei angesehen worden. Die Eingemeindung der Gemeinde Golm als im Landkreis Potsdam-Mittelmark liegenden „Vororts“ in die kreisfreie Stadt Potsdam beruht auf der gleichen Problemstruktur, nur mit der Begleitfolge, daß zwangsläufig Kreisgrenzen überschritten werden. Die Annahme des Gesetzgebers, daß sie in nicht geringem Maße zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen beiträgt und daher gerechtfertigt sei, ist nicht zu beanstanden. Im einheitlichen Verwaltungsraum können wesentlich geringere Abstimmungsprobleme bei der innerörtlichen Interessenkoordinierung sowie eine stets die Bedürfnisse und die harmonische Entwicklung des gesamten Gemeinde- bzw. Stadtgebietes (vgl. § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 3 Abs. 2 Gemeindeordnung - GO -) im Blick behaltende Planung erwartet werden. Aus demselben Grund durfte der Gesetzgeber auch Amtsgrenzen ausnahmsweise (Ziff. 2. d) bb) Satz 2 des Leitbildes) überschreiten. Die Annahme des Gesetzgebers, daß er mit der Bewältigung unmittelbarer Konflikte im Stadt-Umland-Verhältnis und zugleich einem Zuwachs bzw. teilweisen Rückgewinn an Einwohnern und Wirtschaftskraft zur Stärkung eines wichtigen Zentralortes beitrage und dabei insbesondere einem erneuten Absinken der Potsdamer Einwohnerzahl entgegenwirke, ist nicht zu beanstanden.

(bb) Leitbildgerecht wäre grundsätzlich auch, über die Grenzen des bisherigen Amtes hinaus, aber innerhalb des Landkreises (Ziffern 2. d) aa) Satz 1, 2. Halbsatz und 2. d) bb) Satz 1 des Leitbildes) die Gemeinde Golm in die Beschwerdeführerin einzugliedern, wie es diese und die Gemeinde erstreben. Eine solche Neugliederung ließe aber die Stadt-Umland-Problematik im Bezug auf die Stadt Potsdam unbewältigt.

(c) Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Eingemeindung nach Potsdam den Vorrang gegenüber einer Eingliederung der Gemeinde Golm in die Beschwerdeführerin zu geben, ist von Verfassungs wegen unbedenklich. Das Neugliederungsbestreben der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Golm wurde in die gesetzgeberische Abwägung einbezogen, aber abgelehnt. Abwägungsfehlerhaft ist die getroffene Neugliederungsmaßnahme erst dann, wenn der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Beschwerdeführerin außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen steht. Nur in diesen Grenzen kann die Abwägung des Gesetzgebers, d. h. die Bevorzugung bestimmter Belange, die Hintanstellung anderer und die Auswahl zwischen verschiedenen Lösungsalternativen, überprüft werden; sie vorzunehmen ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür die politische Verantwortung trägt (vgl. Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 01. März 2001, - VerfGH 20/00 -[Liebschütz], ThürVGRspr 2001, 129 = JbThürVerfGH 2001, 18, 57). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber hier nicht nur einem, sondern zugleich zwei Kernanliegen der Gemeindegebietsreform genügen will, namentlich größere leistungsfähige Verwaltungseinheiten mit regelmäßig zumindest 5.000 Einwohnern bei Eingemeindung kleinerer Gemeinden zu schaffen und einen Beitrag zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen zu leisten. Daß die amtsfreie Beschwerdeführerin nach der gewählten Lösung der Eingliederung allein der Gemeinde Töplitz und dem Stand des Jahres 2001 nur knapp 22.000 Einwohner bei allerdings zunehmender Tendenz aufweist und nicht über 24.000 Einwohner wie im Fall der Eingliederung auch der Gemeinde Golm, ist für die Beschwerdeführerin hinnehmbar. Auch mit kleinerem Zuschnitt ist die Beschwerdeführerin leitbildgerecht und nicht bestandsgefährdet.

Für einen gegebenenfalls rügefähigen Verstoß des Gesetzgebers gegen sein Neugliederungssystem ist insoweit nichts ersichtlich.

(d) Ebenso ist beanstandungsfrei, daß der Gesetzgeber die Gemeinde Bergholz-Rehbrücke trotz ihrer Verflechtung mit Potsdam nicht in die Landeshauptstadt eingemeindet hat, sondern aus allen Gemeinden des Amtes Rehbrücke die amtsfreie Gemeinde Nuthetal mit knapp 8.600 Einwohnern bildete. Die Beweggründe des Gesetzgebers zur Alternativenprüfung, daß einerseits im Falle der Eingliederung der Gemeinde Bergholz-Rehbrücke nach Potsdam aus den verbleibenden Gemeinden des Amtes mit dann nur ca. 2.000 Einwohnern keine leistungsstarke Einheit mehr gebildet werden könnte, andererseits gegen eine Verteilung dieser Gemeinden auf andere Verwaltungseinheiten ihre starke Orientierung auf Bergholz-Rehbrücke spreche, und schließlich daß mit der Eingliederung aller Gemeinden des Amtes nach Potsdam wegen einer relativ ungünstigen Flächenanbindung die Stadt eine übermäßige Nord-Süd-Ausdehnung erfahren hätte, sind nachvollziehbar. Ein Verstoß gegen das Gebot der kommunalen Gleichbehandlung liegt angesichts der jeweils berücksichtigten Umstände des Einzelfalls nicht vor.

ee) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch, wie der Gesetzgeber den geäußerten Willen der Bevölkerung der Gemeinde Golm gewichtet hat. Die aus der Bevölkerungsanhörung resultierenden Stellungnahmen und das Ergebnis des vorausgegangenen Bürgerentscheids (vgl. LT-Drucksache 3/4882, S. 81 ff.) zur beabsichtigten Neugliederung sind bereits im wesentlichen in der Begründung zum Gesetzentwurf wiedergegeben, lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drucksache 3/4882, S. 81 ff., 103 ff.). An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermittlung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so daß nicht nur örtliche Gegebenheiten - wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde - ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Gemeinde Golm nach Potsdam sprechenden Umständen, dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Umfeld brandenburgischer Städte, auch hier das höhere Gewicht beigemessen hat.

C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1, 2. Alt. VerfGGBbg.
 

Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Dombert
   
Prof. Dr. Harms-Ziegler Havemann
   
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
   
Prof. Dr. Schröder