VerfGBbg, Urteil vom 7. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -
Verfahrensart: |
Organstreit EA |
|
entscheidungserhebliche Vorschriften: | - LV, Art. 56 Abs. 3 Satz 4 - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1 |
|
Schlagworte: | - Abgeordneter - Parlamentsrecht - Akteneinsichtsrecht - Aktenvorlagerecht - Vorwegnahme der Hauptsache |
|
amtlicher Leitsatz: | ||
Fundstellen: | - LVerfGE 4, 109 | |
Zitiervorschlag: | VerfGBbg, Urteil vom 7. März 1996 - VfGBbg 3/96 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de |
DES LANDES BRANDENBURG
VfGBbg 3/96 EA

U R T E I L | ||||||||||||||
In dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Dr. Peter Wagner, MdL, Antragsteller, Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt P., g e g e n Regierung des Landes Brandenburg, Antragsgegnerin, betreffend die Vorlage von Unterlagen gemäß Art. 56 Abs. 3 Satz 2 der Landesverfassung hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 1996 für R e c h t erkannt: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. G r ü n d e : I. Der Antragsteller ist Mitglied des Landtages Brandenburg. Er begehrt die Vorlage von Unterlagen in Kopie durch die Landesregierung, hilfsweise die Gewährung von Einsicht in diese Unterlagen. Der Antragsteller macht geltend, dem MASGF seien durch den Landesrechnungshof Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Steuergeldern nachgewiesen worden. Er hege seinerseits den Verdacht, daß es bei der Abwicklung des 1991 begonnenen Landes- Altenpflegeheim-Baurprogramms durch einen aus Landesmitteln vergüteten Dienstleister nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Er benötige die im Antrag aufgeführten Unterlagen, um nachzuweisen, daß ein Herr K. sowohl persönlich als auch - teilüberschneidend - als alleiniger Gesellschafter einer GmbH als Dienstleiter beauftragt worden sei, mit der Folge, daß insoweit für eine und dieselbe Tätigkeit doppelt bezahlt worden sei. Die Presse habe bereits am 23.10.1995 Gelegenheit gehabt, die Unterlagen einzusehen. Er habe die Unterlagen mit Schreiben vom 27. und 28. Oktober 1995 angefordert. Mit Schreiben vom 28.1.1995 habe das Ministerium angekündigt, die zur Vorlage erfoderliche Beschlußfassung im Kabinett vorzubereiten. Auf eine am 19.12.1995 zum 29.12.1995 und erneut am 2.1.1996 zum 22.1.1996 gesetzte Frist zur Vorlage der Unterlagen habe der Antragsgegner mit Schreiben vom 15.1.1996 dahin reagiert, daß die Anfrage Prüfungs- und Abstimmungsbedarf verursache, daß dem Anliegen jedoch im Januar entsprochen werden könne. Der Antragsteller hat am 23.1.1996 den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt und unter anderem geltend gemacht, er benötige die Unterlagen für die laufenden Beratungen zum Haushalt 1996. Eine Entscheidung in der Hauptsache komme zu spät. II. Der Antrag bleibt ohne Erfolg. 1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem von dem Antragsteller erstrebten Inhalt ist unzulässig. § 38 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) ermächtigt das Gericht im Rahmen eines Organstreitverfahrens nach Art. 113 Nr. 1 Landesverfassung (LV), §§ 12 Nr. 1, 35 ff. VerfGGBbg, wie es hier den Hintergrund bildet, lediglich dazu festzustellen, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung der Verfassung verstößt. Um eine Feststellung geht es dem Antragsteller ausweislich seiner Antragsformulierung nicht. Die von ihm ausdrücklich begehrte Verurteilung der Landesregierung zur Vorlage der Unterlagen in Kopie, hilfsweise zur Einsicht, geht vielmehr über eine solche Feststellung hinaus. Wäre ein gleichlautender Antrag aber im Hauptsacheverfahren unzulässig, kann er auch im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Es ist hier auch nicht etwa so, daß lediglich der Zustand bis zur Hauptsacheentscheidung überbrückt werden soll (VfGBbg 4/95 EA vom 16.3.1995, zur Veröffentlichung in LVerfGE vorgesehen). Eine stattgebende Entscheidung würde vielmehr die Hauptsacheentscheidung nicht nur im Ergebnis vorwegnehmen, sondern sogar mehr geben, als die Hauptsacheentscheidung gewähren könnte.2. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn man zugunsten des Antragstellers annehmen wollte, sein Antrag beinhalte - quasi als Minus - auch das Begehren, die Verfassungswidrigkeit des Verhaltens der Landesregierung festgestellt zu sehen. In diesem Fall fehlt es an den Voraussetzungen des einschlägigen § 30 Abs. 1 VerfGGBbg. a) Dabei kann offenbleiben, ob eine Feststellung Gegenstand einer (einstweiligen) “Anordnung” zur - wie § 30 Abs. 1 VerfGGBbg formuliert - (vorläufigen) “Regelung” eines Zustandes sein kann. Immerhin hält das Gericht zur Sicherstellung eine verfassungsgemäßen Ablaufs in sinngemäßer Anwendung von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg eine “vorläufige”, nämlich unter dem Vorbehalt einer abschließenden Überprüfung im Hauptsacheverfahren stehende Feststellung nicht von vornherein für undenkbar. b) Eine einstweilige Anordnung kommt jedoch nach den weiteren Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg nur in Betracht, wenn sie zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde dringend geboten ist.. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Es sind die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, das Verfahren in der Hauptsache aber Erfolg hat, gegen diejenigen Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird, der Antrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg bleibt. Dabei sind regelmäßig nur irreversible Nachteile in die Abwägung einzustellen und müssen die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu vergegenwärtigen sind, im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlaß der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind (“schwerer Nachteil”) bzw. keinen gleichwertigen “anderen” Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Die Gründe, die in der Sache selbst für die Verfassungsrechtsverletzung sprechen, müssen in diesem Abwägungsprozeß grundsätzlich ebenso außer Betracht bleiben wie die Gegengründe, weil in dem Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung die Frage der Verfassungsmäßigkeit als solche noch nicht Prüfungsgegenstand ist, sondern der Hauptsacheentscheidung vorbehalten bleibt. Unbeschadet der nach diesen Vorgaben vorzunehmenden Folgenabwägung muß, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die einstweilige Anordnung “ zum gemeinen Wohl” und “dringend” “geboten” sein (vgl. zu alledem VfGBbg 3/93 EA vom 30.11.1993, OLG-NL 1994, S. 73; VfGBbg 9/93 EA vom 22.12.1993, OLG-NL 1994 ,S. 74 f.; VfGBbg 14/94 EA vom 15.12.1994, zur Veröffentlichung in LVerfGE 2, Teil Brandenburg Nr. 18 vorgesehen). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Die Landesregierung sähe sich bei Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis genötigt, die in Frage stehenden Unterlagen vorzulegen, weil sie sich sonst dem öffentlichen Vorhalt ausgesetzt sähe, sich nicht verfassungsgerecht zu verhalten. Dies hätte für den Fall, daß sie sich zu Recht darauf beruft, daß überwiegende öffentliche oder private Interessen die Geheimhaltung - gegebenenfalls teilweise - zwingend erfordern (Art. 56 Abs. 4 LV), bedenkliche und nicht wiedergutzumachende Folgen, weil durch eine staatliche Stelle - und nicht mehr rückholbar- sensible Daten preisgegeben worden wären. Demgegenüber wird dem Antragsteller kein irreversibler, jedenfalls kein irreversibler “schwerer” Nachteil zugemutet, wenn jetzt keine einstweilige Anordnung ergeht, die das Verhalten des Arbeitsministeriums vorläufig, nämlich vorbehaltlich einer abschließenden Beurteilung in der Hauptsacheentscheidung als verfassungswidrig einordnete. Das gilt auch in bezug auf die bei Eingang des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung noch laufenden - inzwischen abgeschlossenen - Haushaltsberatungen, auf die der Antragsteller den Eilantrag in erster Linie gestützt hat. Soweit für das Gericht erkennbar, hat der Antragsteller die verfahrensgegenständlichen Unterlagen nicht eigentlich für die Entscheidung über den Haushaltsplan 1996 benötigt. Seine Fragen und Vorhaltungen betreffen im Grunde das Wirtschafts- und Finanzgebaren des Arbeitsministeriums in der Vergangenheit, welches dazu geführt habe, daß nun Fehlbeträge auszugleichen seien, wenn das sogenannte Landes-Altenpfelgeheim-Bauprogramm weitergeführt werden soll. Diese Frage - ob nämlich das Landes-Altenpflegeheim-Bauprogramm unter Bereitstellung der hierfür jetzt benötigten Mittel weitergeführt werden soll - läßt sich aber unabhängig davon beantworten, aus welchen Gründen in der Vergangenheit jetzt auszugleichende Unterdeckungen aufgetreten sind, und wer gegebenenfalls rechtlich und/oder politisch dafür geradezustehen hat. Von daher geht es dem Antragsteller nicht eigentlich um die Klärung des Finanzbedarfs unter den jetzt gegebenen Verhältnissen, sondern letztlich darum, Unregelmäßigkeiten im Arbeitsministerium aufzudecken, um die zuständige Ministerin hierfür im Parlament zu einem ihm richtig oder günstig erscheinenden Zeitpunkt, als den er sich die Haushaltsdebatte gewünscht hätte, verantwortlich zu machen. Indessen kann die Ministerin, wenn sich aus den verfahrensgegenständlichen Unterlagen Unregelmäßigkeiten ergeben, auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zur Verantwortung gezogen werden. Diese gegebenenfalls eintretende zeitliche Verschiebung mag der Antragsteller als nachteilig empfinden, weil sie aus der Zeit der Haushaltsberatungen mit ihrem “Generalabrechnungscharakter” herausführt. Aber es ist ihm zumutbar, die geordnete Prüfung seines Anliegens im Hauptsacheverfahren und damit die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Er kann dann immer noch, vielleicht sogar - in einer womöglich ereignisärmeren Zeit - wirksamer, Vorhaltungen erheben, die sich etwa aus den hier in Frage stehenden Unterlagen ergeben. Der Nachteil, den der Antragsteller in Kauf nehmen muß, erscheint jedenfalls nicht im Sinne des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg schwer genug, um den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen. Aber selbst wenn man den Nachteil, dem der Antragsteller für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache ausgesetzt wird, als “schwer” ansehe, würde der Erlaß einer einstweiligen Anordnung daran scheitern müssen, daß sie entgegen den weiteren Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 VerfGGBbg nicht “ dringend” “zum gemeinen Wohl” “geboten” wäre. Zwar liegt es im Gemeinwohl, etwaigen Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten in einem Ministerium nachzugehen und gegebenenfalls in diesem Zusammenhang dem Anspruch eines Landtagsabgeordneten auf Vorlage von Unterlagen Nachdruck zu verleihen. Zugleich aber will die Öffentlichkeit im Zweifel sichergestellt sehen, daß dabei nicht rechtswidrig öffentliche oder private Geheimhaltungsinteressen verletzt werden. Auch von daher erscheint es vorliegendenfalls sachgerecht, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten und erweist sich eine einstweilige Anordnung jedenfalls nicht als “dringend” geboten. c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, daß die Verfassung selbst in Art. 56 Abs. 3 Satz 4 LV die unverzügliche Vorlage der Unterlagen anordnet. Zwar kann die Ausgestaltung des materiellen Rechts Einfluß auf die Anwendung des Verfahrensrechts nehmen (vgl. etwa BVerfGE 56, S. 216,236). Von daher mag die dringliche Fassung der hier inmitten stehenden Verfassungsbestimmung die Schwelle, von der an die Verweigerung der Aktenvorlage als “schwerer” Nachteil anzusehen ist, ein Stück weit herunterzuziehen. Jedoch kann die Fassung des Art. 56 Abs. 3 Satz 4 LV nicht von der Abwägung nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg entbinden, der für alle Fälle gilt und demzufolge eine einstweilige Anordnung die nur unter eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht kommende Ausnahme darstellt. Dies gilt auch im Anwendungsbereich des Art. 56 Abs. 3 LV und führt hier dazu, daß eine einstweilige Anordnung nicht geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung abzuwarten bleibt. Der verfassungsrechtlichen Verpflichtung auch zur unverzüglichen Vorlage der Unterlagen, welche für den Fall besteht, daß nichtArt. 56 Abs. 4 LV entgegensteht, kann gegebenenfalls auch noch bei der Hauptsacheentscheidung Rechnung getragen werden, indem etwa außer der Verpflichtung zur Vorlage der Unterlagen auch festgestellt wird, daß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Vorlage verstoßen worden ist. | ||||||||||||||
|