Toolbar-Menü
Hauptmenü

VerfGBbg, Beschluss vom 6. Januar 2016 - VfGBbg 88/15 -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 47 Abs. 2
- VerfGGBbg, § 30 Abs. 1; VerfGGBbg, § 45 Abs. 2 Satz 1; VerfGGBbg, § 47 Abs. 1 Satz 1; VerfGGBbg, § 48
- EGZPO, § 26 Nr. 8
- ZPO, § 114; ZPO § 321a
Schlagworte: - Anhörungsrügeverfahren
- Zwangsräumung
- Rechtsschutzbedürfnis
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 6. Januar 2016 - VfGBbg 88/15 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 88/15




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

K,

Beschwerdeführer,

wegen            Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 20. November 2014 (3 C 68/14) und Urteil des Landgerichts Potsdam vom 5. August 2015 (4 S 22/15)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

am 6. Januar 2016

durch die Verfassungsrichter Nitsche, Dr. Becker, Dielitz, Dresen, Dr. Fuchsloch, Dr. Lammer, Partikel und Schmidt

beschlossen: 

1. Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

2. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

 

Gründe:

 

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zwangsräumung des von ihm bewohnten Hauses.

 

A.

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer am 20. November 2014 (3 C 68/14) zur Räumung und Herausgabe des von ihm bewohnten Einfamilienhauses an den Kläger des Ausgangsverfahrens. Zur Begründung führte es aus, zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kläger sei im Juli 2012 ein schriftlicher Vorvertrag über den Kauf des Hauses geschlossen worden, der eine Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Zahlung des Kaufpreises bis spätestens Mai 2013 und ein Recht zur Nutzung des Hauses bis dahin gegen Entrichtung eines monatlichen Mietzinses beinhaltet habe. Nach nicht beigelegten Unstimmigkeiten über die Grundstücksgrenze habe der Kläger als Eigentümer von dem Beschwerdeführer als dem Besitzer auf Grundlage des § 985 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu Recht die Herausgabe des Grundstücks verlangt; ein wirksam geschlossener Mietvertrag stehe dem nicht entgegen. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung zur mietvertraglichen Überlassung des Grundstücks sei als Teil des so bezeichneten Vorvertrages zu einem Grundstückskauf gemäß § 311b Abs. 1 BGB, § 125 BGB mit der Folge der Nichtigkeit formunwirksam. Bei gemischten oder zusammengesetzten Verträgen erstrecke sich der Formzwang auf den gesamten Vertrag, sofern dieser eine Einheit bilde. Dies sei vorliegend der Fall, da die Vereinbarungen nach dem Willen der Parteien miteinander „stehen oder fallen“ sollten. Eine solche rechtliche Einheit bestehe, da die mietvertragliche Überlassung lediglich aufgrund der von den Parteien beabsichtigten Grundstückseigentumsübertragung gewollt gewesen sei. Folge des Formmangels sei die Nichtigkeit der Vereinbarung, so dass der Beschwerdeführer aus ihr keine Rechte herleiten könne. Für einen auf anderer Grundlage geschlossenen Mietvertrag sei von dem Beschwerdeführer nichts substantiiert vorgetragen worden.

 

Die Berufung wies das Landgericht mit Urteil vom 5. August 2015 (4 S 22/15) zurück. Zur Begründung führte es aus, dem Beschwerdeführer stehe mangels formgültigen Vertrages kein Recht zum Besitz nach § 986 BGB zu, das er dem Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB entgegensetzen könne. Der Vorvertrag habe hinreichend bestimmt die Inhalte des künftigen Kaufvertrages festgelegt und sei damit dem Formbedürfnis des § 311b Abs. 1 BGB unterfallen. Eine notarielle Beurkundung sei aber nicht erfolgt. Gemäß § 139 BGB werde bei einer Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen sei, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Dies sei vorliegend anzunehmen, da der Immobilienkaufvertrag und die Nutzungsabrede nach dem Parteiwillen hätten voneinander abhängen sollen; dies zeige insbesondere die zeitlich auf den Termin der Kaufpreiszahlung befristete Nutzungsberechtigung des Beschwerdeführers. Zu einer unbedingten Nutzung habe der Beschwerdeführer demgegenüber gerade nicht berechtigt sein sollen. Da es nicht zu dem Verkauf gekommen sei, sei auch die Grundlage für das Nutzungsverhältnis entfallen. Eine Bestätigung des Nutzungsverhältnisses nach § 141 BGB scheide mangels substantiiert vorgetragenen Bestätigungswillens der Parteien ebenso aus wie die Annahme der Begründung eines mündlich geschlossenen Mietvertrages. Aus dem Vortrag des Beschwerdeführers habe sich nicht ergeben, dass sich die Parteien über die erforderlichen Mindestinhalte eines Mietvertrages geeinigt hätten, etwa die Kostentragungspflicht für Nebenkosten, die Dauer des Mietverhältnisses, Instandsetzungs- und Verkehrssicherungspflichten. Daher sei auch die Durchführung einer Beweisaufnahme nicht geboten.

 

II.

Der Beschwerdeführer hat am 8. Dezember 2015 Verfassungsbeschwerde erhoben. Den zugleich beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verfassungsgericht abgelehnt (Beschluss vom 11. Dezember 2015 - VfGBbg 20/15 EA -).

 

Er macht geltend, er sei aufgrund eines unter Zeugen mündlich geschlossenen, nach wie vor gültigen Mietvertrages, auf den er den vereinbarten Mietzins gezahlt habe, zur Nutzung des Hauses berechtigt. Auf eine gegen ihn gerichtete Räumungsklage habe er hierfür im gerichtlichen Verfahren Zeugenbeweis angeboten und Bankbelege für die Mietzahlungen vorgelegt. Dies sei aber ebenso wenig zur Kenntnis genommen worden, wie der Mietvertrag selbst erörtert worden sei. Hierdurch werde er in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt. Die Zwangsräumung führe für ihn zur Obdachlosigkeit, da er keinen neuen Wohnraum gefunden habe. Ein zu seinen Gunsten bestehendes, ihm einen faktischen Mietvertrag zusicherndes Urteil des Sozialgerichts Potsdam aus Mai 2015 werde nicht beachtet. Hierdurch würden seine Grundrechte auf Leib, Leben und Eigentum, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt (Art. 1 Abs.1 Grundgesetz (GG), Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 GG).

 

Der Beschwerdeführer hat schließlich ein Protokoll einer Sitzung des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Mai 2015 (S 47 AS 701/15 ER) zu einem zwischen ihm und dem Jobcenter Teltow-Fläming geführten Rechtsstreit zu den Kosten der Unterkunft vorgelegt, in dem das Jobcenter ein Anerkenntnis zur Gewährung von Unterkunftskosten abgab, nachdem die Kammervorsitzende darauf hingewiesen hatte, der Beschwerdeführer zahle jedenfalls für ein „sog. faktisches Mietverhältnis“ eine Nutzungsentschädigung, und dahingestellt gelassen hatte, ob ein Mietvertrag tatsächlich abgeschlossen worden sei.

 

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist unzulässig.

 

1. Die am 8. Dezember 2015 erhobene Verfassungsbeschwerde ist verfristet. Das Berufungsurteil des Landgerichts erging am 5. August 2015, so dass die Zwei-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 Satz 1 VerfGGBbg nicht eingehalten wird. Soweit sich der Beschwerdeführer daher gegen die gerichtlichen Entscheidungen und nicht gegen seine mit der Zwangsvollstreckung angeblich verbundene Obdachlosigkeit wendet, ist er mit diesem Vortrag ausgeschlossen.

 

2. Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ergibt sich darüber hinaus auch aus dem Grundsatz der Subsidiarität. Hiernach muss der Beschwerdeführer über die vorliegend wegen der vom Landgericht nicht zugelassenen Revision und des Nichterreichens der in § 26 Nr. 8 Einführungsgesetz-Zivilprozessordnung (EGZPO) vorgesehenen Streitwertgrenze eingetretenen Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der behaupteten Grundrechtsverletzung ergreifen (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. September 2014 - VfGBbg 18/14 - und vom  15. Mai 2014 - VfGBbg 61/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Die Anhörungsrüge gehört zum Rechtsweg im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde (auch) die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV ist. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend: Die Fachgerichte hätten den von ihm angebotenen Zeugenbeweis zum Vorliegen eines mündlich geschlossenen Mietvertrages übergangen.

 

Ein Gehörsverstoß ist regelmäßig im Wege der Anhörungsrüge zur fachgerichtlichen Überprüfung zu stellen, bevor Verfassungsbeschwerde erhoben wird (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 17. April 2015 - VfGBbg 56/14 -; Beschluss vom 29. August 2014 - VfGBbg 1/14 -). Dem Beschwerdeführer stand diesbezüglich die Möglichkeit offen, Anhörungsrüge nach § 321a Zivilprozessordnung (ZPO) zu erheben. Die Erschöpfung des Rechtswegs war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich bzw. unzumutbar. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass die Erhebung der Anhörungsrüge offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Landgericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts veranlasst und im Ergebnis zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Beschlüsse vom 16. Januar 2015 - VerfGBbg 29/14, - vom 21. März 2014 - VfGBbg 43/13 - und vom 6. Juli 2012 - VerfGBbg 30/12 -).

 

Die unterbliebene Erhebung einer statthaften Anhörungsrüge hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern - nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - insgesamt unzulässig ist (st. Rspr., vgl. etwa Beschluss vom 19. September 2014 - VfGBbg 18/14 -; Beschluss vom 21. März 2014 - VfGBbg 43/13 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

3. Soweit der Beschwerdeführer die Zwangsräumung deshalb für verfassungswidrig hält, weil durch sie die Gefahr seiner Obdachlosigkeit einhergehe, mangelt es der Verfassungsbeschwerde am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Landesverfassung, insbesondere Art. 47 Abs. 2 LV, begründet lediglich einen Anspruch darauf, dass ordnungsbehördlicherseits für eine den Umständen nach angemessene anderweitige Unterbringung Sorge getragen werden muss. Dass der Beschwerdeführer sich bereits - über seinen abgelehnten Antrag auf Wiedereinweisung in die Wohnung hinaus (die zu anderen Unterbringungsmöglichkeiten nachrangig ist, vgl. Lieber, in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, 2012, Art. 47 Nr. 2.1; VG Augsburg, Beschl. v. 21. August 2014 (Au 7 S 14.1124) m. w. Nachw., Juris) -  an die Ordnungsbehörde gewandt hat, ist aber ebenso wenig vorgetragen wie Handlungsdefizite der zuständigen Ordnungsbehörde.

 

C.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 48 VerfGGBbg in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung).

 

D.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.

Nitsche Dr. Becker
   
Dielitz Dresen
   
Dr. Fuchsloch Dr. Lammer
   
Partikel Schmidt