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VerfGBbg, Beschluss vom 5. September 2014 - VfGBbg 7/14 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - VerfGGBbg, § 30 Abs. 1
Schlagworte: - Folgenabwägung
- Kindeswohl
- Umgangsregelung
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 5. September 2014 - VfGBbg 7/14 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 7/14 EA




IM NAMEN DES VOLKES

B e s c h l u s s

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

 

B.,

                             Antragstellerin,

 

Verfahrensbevollmächtigte:  Rechtsanwälte P.,

 

                             

 

wegen des Beschlusses des Amtsgerichts Luckenwalde vom 19. Dezember 2012 (Az.: 31 F 322/12) und der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2014 und 12. Juni 2014 (Az.: 3 UF 12/13)

 

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Becker, Dielitz und Dresen

 

 

am 5. September 2014

 

 

b e s c h l o s s e n :

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

 

 

G r ü n d e:

 

A.

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung in einer den Umgang betreffenden familienrechtlichen Angelegenheit.

 

Die Antragstellerin ist die Mutter der sechsjährigen      D., Kindesvater ist der äußerungsberechtigte H. Das Kind lebt seit der Trennung der Eltern im Haushalt der Antragstellerin, die auch das alleinige Sorgerecht innehat. Das Umgangsrecht des Kindesvaters ist seit Jahren Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Eltern.

 

Diese hatten am 10. Juli 2012 vor dem Amtsgericht Luckenwalde eine Elternvereinbarung abgeschlossen. Danach sollte der Kindesvater jeden Sonntag zwischen 15.00 Uhr und 17.30 Uhr (zunächst begleiteten) Umgang mit D. haben. Diese Vereinbarung wurde nur für zwei Umgänge in Vollzug gesetzt. Weitere Umgänge lehnte die Antragstellerin ab und machte erhebliche Ängste des Kindes sowie eine mögliche Kindeswohlgefährdung während des Umgangs geltend.

 

Nachdem der Kindesvater die Antragstellerin erneut auf regelmäßigen Umgang mit dem Kind in Anspruch genommen hatte, traf das Amtsgericht Luckenwalde mit Beschluss vom 19. Dezember 2012 eine Regelung zum Umgangsrecht. Gegen diesen Beschluss legten beide Eltern Beschwerde ein. Das Brandenburgische Oberlandesgericht beschloss am 14. März 2013 die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens durch die Dipl.-Psychologin W. Auf der Grundlage einer entsprechenden Empfehlung der Sachverständigen erließ das Oberlandesgericht am 21. März 2013 eine einstweilige Anordnung, wonach ein begleiteter Umgang des Kindesvaters mit D. zweimal wöchentlich für jeweils eine halbe Stunde stattfinden sollte.

 

Mit Beschluss vom 6. Mai 2013 lehnte das Oberlandesgericht einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung des begleiteten Umgangs ab. Soweit die Antragstellerin auf Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem ersten Umgang am 16. April 2013 und eine Erkrankung des Kindes nach dem zweiten Umgangstermin am 19. April 2013 hinweise, rechtfertige dies keinen Ausschluss des Umgangs. Aus dem Bericht der Umgangsbegleiterin gehe hervor, dass das Kind die Kontakte mit dem Vater genossen habe und die beiden Umgangstermine dem Kindeswohl entsprochen hätten. Nachfolgend fanden im Zeitraum 30. April bis 11. Juni 2013 noch insgesamt neun begleitete Umgänge statt. Ab dem 24. Juni 2013 bis Anfang August 2013 befand sich das Kind in einer stationären Krankenhausbehandlung. Im Ergebnis eines Helfergesprächs am 2. August 2013 erklärte sich der Kindesvater mit einer vorläufigen Aussetzung des Umgangs einverstanden.

 

Das Oberlandesgericht setzte das Umgangsrecht des Kindesvaters mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 bis zum 31. Januar 2014 und mit Beschluss vom 4. März 2014 bis zur abschließenden Senatsentscheidung aus.

 

Nachdem die Sachverständige W. das angeforderte Gutachten unter dem 7. Februar 2014 erstellt hatte und die Sache am 14. April 2014 mündlich erörtert worden war, traf das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 8. Mai 2014 eine Neuregelung des Umgangsrechts des Kindesvaters. Danach sollte dieser zwischen dem 20. Mai 2014 und dem 26. August 2014 einmal wöchentlich begleiteten Umgang mit D. haben. Zur Sicherstellung des Umgangs wurde für diesen Zeitraum eine Umgangspflegschaft angeordnet. Zwischen dem 5. September 2014 und dem 26. Dezember 2014 hat der Kindesvater das Recht und die Pflicht, an jedem zweiten Wochenende von Freitag, 16.00 Uhr, bis Samstag, 18.00 Uhr, unbegleiteten Umgang zu haben. Ab 2015 ist eine Erweiterung des unbegleiteten Umgangs vorgesehen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt: Sowohl die Sachverständige als auch die Verfahrensbeiständin des Kindes hätten festgestellt, dass der Kindesvater zu einem dem Alter des Kindes angemessenen Umgang mit D. in der Lage sei. Nach den Feststellungen der Sachverständigen sei der Aufbau und die Festigung einer Vater-Tochter-Beziehung für die weitere Entwicklung von D. nicht nur wünschenswert, sondern bedeutsam und förderlich. Im Gutachten werde nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass von regelmäßigen Umgangskontakten zwischen Vater und Tochter keine Gefahren für das Kindeswohl ausgingen. Allerdings befinde sich das Kind derzeit in einem Loyalitätskonflikt. Es fürchte Streitigkeiten zwischen den Eltern und möchte diese vermeiden. Daher positioniere es sich eindeutig zur Mutter als ihrer wichtigsten Bezugsperson. Gleichwohl habe die Sachverständige im Verhandlungstermin vom 14. April 2014 wiederholt betont, dass keine konkreten Anhaltspunkte für eine mit der Wiederanbahnung des Kontakts zwischen Vater und Tochter verbundene Kindeswohlgefährdung bestünden. Im Gegenteil erscheine der Aufbau einer stabilen Beziehung zum Vater für die weitere Persönlichkeitsentwicklung von D. wichtig. Eine Verhinderung künftiger Umgangskontakte hätte negative Auswirkungen, die nach Einschätzung der Sachverständigen schwerwiegender wären als die mit der Überwindung der kindlich ambivalenten Haltung verbundenen Schwierigkeiten. Auch D. habe sich bei ihrer Anhörung durch den Senat am 14. April 2014 nicht ablehnend, sondern im Hinblick auf einen künftigen Umgang mit dem Vater grundsätzlich interessiert gezeigt. Die Wiederaufnahme des Umgangs mit dem Vater entspreche auch der Empfehlung der Verfahrensbeiständin, die auf ihren persönlichen Eindrücken nach einem erneuten Zusammentreffen mit D. beruhten. Der Senat folge dem Vorschlag der Sachverständigen, den Umgang zwischen Vater und Tochter langsam anzubahnen, um D. an den Vater zu gewöhnen. Über die anfängliche und zeitlich befristete Kontaktanbahnung hinaus bedürfe es zum Schutz von D. keiner Begleitung des Umgangs.

 

Die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge der Antragstellerin wies das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 12. Juni 2014 zurück.

 

Das Amtsgericht Luckenwalde setzte gegen die Antragstellerin mit Beschluss vom 12. August 2014 ein Ordnungsgeld in Höhe von insgesamt 1.000 Euro fest. Sie habe am 24. Juni 2014 und am 1. Juli 2014 gegen die durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2014 begründeten Pflichten verstoßen, indem sie D. jeweils vor dem festgesetzten Umgangstermin aus dem Kindergarten abgeholt und den Umgang damit absichtlich verhindert habe. Aus Mitteilungen der Umgangspflegerin vom 5. Juni 2014, 10. Juli 2014 und 30. Juli 2014 geht hervor, dass auch an den weiteren Terminen der vorgesehene (begleitete) Umgang nicht durchgeführt werden konnte, weil die Antragstellerin D. nicht herausgegeben habe.

 

B.

Die Antragstellerin hat am 16. Juli 2014 Verfassungsbeschwerde erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 19. Dezember 2012 sowie gegen die Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2014 und 16. Juni 2014 richtet, wird die Verletzung der Art. 8 Abs. 1 Satz 1, 10 Abs. 1, 12 Abs. 1, 26 Abs. 1, 27 Abs. 1, 52 Abs. 3 und 4 sowie 108 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) gerügt. Zur Begründung des Eilantrags trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, die angegriffenen Entscheidungen missachteten die Belange des Kindeswohls. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass die in den Vorjahren erfolgten Umgänge zu körperlichen Ausfallerscheinungen und einer Belastungsreaktion des Kindes geführt hätten, in deren Folge sogar ein stationärer Klinikaufenthalt erforderlich gewesen sei. Wegen der drohenden Vollstreckung des Beschlusses vom 8. Mai 2014 bedürfe es einer Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren. Das mit Beschluss des Amtsgerichts Luckenwalde vom 12. August 2014 festgesetzte Ordnungsgeld werde sie nicht zahlen können, es drohe daher ihre Verhaftung.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

die Wirksamkeit der Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2014 und des Amtsgerichts Luckenwalde vom 19. Dezember 2012 im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

 

 

C.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

 

I.

Der Antrag ist zurückzuweisen, weil es an den Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) fehlt. Danach kann das Verfassungsgericht einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen. Die nachteiligen Folgen, die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu erwarten sind, müssen im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben, deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil“) bzw. keinen gleichwertigen „anderen“ Grund im Sinne des Gesetzes darstellen. Bei der Abwägung sind im Allgemeinen nur irreversible Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse vom 20. Mai 2010 – VfGBbg 9/10 EA –, vom 30. September 2010 – VfGBbg 8/10 EA – und vom 22. Februar 2013 – 1/13 EA -, jeweils www.verfassungsgericht.brandenburg.de).

 

Solche deutlich überwiegenden und irreversiblen Nachteile liegen hier nicht vor. Von vornherein unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass gegen die Antragstellerin zur Durchsetzung des Beschlusses vom 8. Mai 2014 ein Ordnungsgeld festgesetzt worden ist und ihr möglicherweise weitere Vollstreckungsmaßnahmen drohen. Dies ist Konsequenz ihres vom Amtsgericht festgestellten rechtswidrigen Verhaltens und kann deshalb keinen Anordnungsgrund begründen. Für das vorliegende Eilverfahren sind allein die möglichen nachteiligen Folgen maßgeblich, die sich aus dem Vollzug der im Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Mai 2014 getroffenen Umgangsregelung ergeben können. Dabei ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein der unter Ziffer 1. des Beschlusses geregelte begleitete Umgang (Anbahnungsphase) in den Blick zu nehmen. Denn unabhängig von der Frage, ob sich die Umgangsregelung im Beschluss vom 8. Mai 2014 zwischenzeitlich ganz oder teilweise durch Zeitablauf erledigt hat, ergibt sich aus diesem Beschluss, dass der Kontakt zwischen dem Kindesvater und D. zunächst durch eine Phase begleiteter Umgänge langsam angebahnt werden soll und erst danach unbegleitete Umgänge stattfinden können. Nach dem Sachstand, der sich für das Verfassungsgericht aus dem Vorbringen der Antragstellerin und der beigezogenen Verfahrensakte ergibt, hat diese Anbahnungsphase bislang noch nicht beginnen können, weil die Antragstellerin die Durchführung der im Beschluss vom 8. Mai 2014 festgelegten Umgangskontakte verhindert hat.

 

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die noch anstehende und zunächst zu durchlaufende Anbahnungsphase, in der einmal wöchentlich ein begleiteter Umgang zwischen Vater und Tochter im Umfang von ein bis zwei Stunden stattfinden soll, mit einer Gefährdung des Kindeswohls verbunden ist. Insoweit kann auf die fachgerichtlichen Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen verwiesen werden, die der nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg gebotenen Folgenabwägung grundsätzlich zugrunde zu legen sind (vgl. Beschluss vom 17. Mai 2013 – VfGBbg 4/13 EA -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; zum Bundesrecht vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2011 – 1 BvR 303/11 -, juris). Die nachvollziehbaren Ausführungen des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 8. Mai 2014 stehen in Übereinstimmung mit den Einschätzungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen und der Verfahrensbeiständin des Kindes. Sie werden durch das Vorbringen in der Antragsschrift nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Insbesondere ist – gerade unter Berücksichtigung der Berichte der Umgangsbegleiterin – nicht erkennbar, dass die von der Antragstellerin angeführte Belastungsreaktion des Kindes, die u. a. zu dem stationären Krankenhausaufenthalt im Jahr 2013 geführt haben soll, auf den Verlauf der in der Vergangenheit durchgeführten (begleiteten) Umgänge zurückzuführen ist. Zwar dürfte die vorgesehene Wiederaufnahme des Kontaktes mit dem Vater für D. mit emotionalen Belastungen verbunden sein, die allerdings durch ein verantwortungsvolles und pflichtgemäßes Verhalten beider Elternteile erheblich gemildert werden können. Jedenfalls sieht das Verfassungsgericht keine Grundlage für die Annahme, dass diese belastenden Wirkungen der angegriffenen Umgangsregelung die Nachteile (deutlich) überwiegen, die sich für das Kindeswohl ergeben würden, wenn trotz des verfassungsrechtlich geschützten Umgangsrechts weiterhin jeglicher Kontakt mit der Vater ausgeschlossen wäre.

 

Unter den vorgenannten Umständen fehlt es zudem an dem durch § 30 Abs. 1 VerfGGBbg aufgestellten Erfordernis, dass die begehrte einstweilige Anordnung „zum gemeinen Wohl“ dringend geboten sein muss (vgl. zu diesem Erfordernis etwa Urteil vom 4. März 1996 – VfGBbg 3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 113; Beschluss vom 20. Februar 2003 – VfGBbg 1/03 EA -; Beschluss vom 6. Juli 2012 – VfGBbg 5/12 EA -; Beschluss vom 17. August 2012 – VfGBbg 6/12 EA -, jeweils www.verfassungs-gericht.brandenburg.de).

 

 

II.

Der Beschluss ist entsprechend § 30 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.