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VerfGBbg, Beschluss vom 4. Mai 2000 - VfGBbg 16/00 EA -

 

Verfahrensart: Verfassungsbeschwerde
EA
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 52 Abs. 1 Satz 2
- StPO, § 210 Abs. 3
Schlagworte: - gesetzlicher Richter
- Willkür
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Beschluss vom 4. Mai 2000 - VfGBbg 16/00 EA -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 16/00 EA



IM NAMEN DES VOLKES
B E S C H L U S S

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

C.,

Beschwerdeführer,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. C., K., S., Sc., L., W.& Partner GbR,

gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. März 2000

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Dr. Dombert,
Dr. Jegutidse, Dr. Knippel, Prof. Dr. Schröder,
und Weisberg-Schwarz

am 4. Mai 2000

b e s c h l o s s e n :

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

I.

Der Beschwerdeführer arbeitete in den Jahren 1986 bis 1989 als Richter am Kreisgericht C.. 1996 leitete die Staatsanwaltschaft N. ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Rechtsbeugung ein. Mit Anklage-schrift vom 18. August 1998 erhob die Staatsanwaltschaft in sechs Fällen Anklage wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und beantragte die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht C.. Mit Beschluß vom 13. September 1999 lehnte die 2. große Strafkammer des Landgerichts C. die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Gegen diesen Beschluß erhob die Staatsanwaltschaft N. Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht, der sich die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg für die Fälle 1 bis 4 und 6 der Anklageschrift anschloß, für den Fall 5 aber zurücknahm. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hob mit Beschluß vom 1. März 2000 den Beschluß des Landgerichts C. in den Fällen 1 bis 4 und 6 der Anklageschrift auf und ließ die Anklage in diesem Umfang unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor einer anderen mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzten Strafkammer des Landgerichts C. zur Hauptverhandlung zu. Das Verfahren ist derzeit vor der 3. großen Strafkammer des Landgerichts C. anhängig. Der erste Verhandlungstag ist auf den 9. Mai 2000 anberaumt. Ihm sollen weitere neun Verhandlungstage folgen; der letzte ist für den 12. Juli 2000 vorgesehen.

Am 17. April 2000 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. März 2000 erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt. Darin, daß das Oberlandesgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einer “anderen Kammer” des Landgerichts C. angeordnet hat, sieht er sich in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (Landesverfassung - LV) verletzt. § 210 Abs. 3 Strafprozeßordnung (StPO) stelle es in das Ermessen des Oberlandesgerichts, das Hauptverfahren vor einer anderen Kammer zu eröffnen. Es müßten dafür besondere Gründe vorliegen; grundsätzlich gelte auch für die Beschwerdeinstanz der Geschäftsverteilungsplan der Ausgangsinstanz, demzufolge hier die 2. große Strafkammer des Landgerichts C. zuständig sei. Das Oberlandesgericht habe ohne Begründung § 210 Abs. 3 StPO so angewendet, als sei eine Verweisung an eine andere Kammer obligatorisch. Von seinem Ermessensspielraum habe das Oberlandesgericht erkennbar keinen Gebrauch gemacht und somit das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter verletzt.

Der Beschwerdeführer beantragt,

das Verfahren über die Anklage der Staatsanwaltschaft N. unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Entscheidung an das Brandenburgische Oberlandesgericht zurückzuverweisen,

hilfsweise,

das Verfahren über die Anklage der Staatsanwaltschaft N. unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an die 2. große Strafkammer des Landgerichts C. zu verweisen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. März 2000 verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 52 Abs. 1 Satz 2 LV.

1. Dem Beschluß des Oberlandesgerichts läßt sich nicht entnehmen, daß der Senat § 210 Abs. 3 StPO so verstanden hätte, als sei eine Verweisung an eine andere Kammer obligatorisch. Der Senat stellt ausdrücklich auf die erste Alternative des § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO ab, die bei stattgebender Entscheidung, also bei Eröffnung des Hauptverfahrens, in unmißverständlicher Weise (nur) die Möglichkeit (“kann”) eröffnet, das Hauptverfahren vor einer anderen Kammer des Ausgangsgerichts zu eröffnen. Nach dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung des Oberlandesgerichts ist erkennbar, daß es der Senat für richtig gehalten hat, das Verfahren in diesem Falle an eine andere Strafkammer des Landgerichts zu verweisen, und in dieser Weise von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Die Einzelausführungen des Beschlusses ergeben, daß der Senat die Erwägungen der 2. großen Strafkammer des Landgerichts vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Grundverständnis her für nicht tragfähig hält. Auf dieser Linie gibt der Senat zunächst einen Überblick über die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, bevor er im einzelnen ausführt, aus welchen Gründen die Entscheidung der 2. großen Strafkammer nicht tragbar - “rechtsfehlerhaft und lebensfremd” - sei. Dies gilt sowohl für die Auslegung des Tatbestands der Rechtsbeugung, derer der Beschwerdeführer angeklagt ist, als auch für das Verständnis der Bestimmungen des Strafgesetzbuches der DDR, die der Beschwerdeführer seinerzeit für seine Entscheidung herangezogen hat. Ferner legt der Senat deutlich andere Maßstäbe an den für die Eröffnung des Hauptverfahrens notwendigen Tatverdacht an. Die Art und Weise, in der der Senat die Entscheidung der 2. großen Strafkammer des Landgerichts als im Ansatz verfehlt behandelt hat, läßt erkennen, daß es ihm sachgerecht erschien, die Angelegenheit vor eine mit dem Gesamtkomplex noch nicht befaßt gewesene Kammer zu bringen. Mit der Formulierung des Schlußabsatzes (“hiernach”) nimmt der Senat für seine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 StPO erkennbar Bezug auf die gesamte Entscheidungsbegründung.

2. Auch wenn das Oberlandesgericht § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO fehlerhaft ausgelegt und angewendet haben sollte, könnte dies der Verfassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (vgl. z. B. BVerfGE 3, 359, 364 f.; 20, 336, 346; 76, 93, 96 f.; 82, 286, 299; 87, 282, 284 f.; 96, 68, 77), der sich das erkennende Gericht bereits im Fall der Zurückweisung eines Befangenheitsantrages angeschlossen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 21. August 1995 - VfGBbg 8/95 -, LVerfGE 3, 171, 174), verletzt eine richterliche Entscheidung, die die richterliche Fallzuständigkeit betrifft, das Recht auf den gesetzlichen Richter nur dann, wenn dabei die Grenze der Willkür überschritten wird, weil andernfalls die Auslegung und Anwendung des fachgerichtlichen Verfahrensrechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben würde. Von Willkür bei der Verweisung an einen anderen Spruchkörper kann aber erst dann die Rede sein, wenn sie sich als sachfremd darstellt (vgl. BVerfGE 20, 336, 346). Das ist hier nicht der Fall.

III.

Damit erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Dr. Macke Dr. Dombert
Dr. Jegutidse Dr. Knippel
Prof. Dr. Schröder Weisberg-Schwarz