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VerfGBbg, Urteil vom 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/95 -

 

Verfahrensart: Kommunalverfassungsbeschwerde
Hauptsache
entscheidungserhebliche Vorschriften: - LV, Art. 97; LV, Art. 98
- VerfGGBbg, § 45 Abs. 2
Schlagworte: - kommunale Selbstverwaltung
- Beschwerdegegenstand
- Rechtswegerschöpfung
- Vorabentscheidung
- Gesetzesvorbehalt
amtlicher Leitsatz: Die in einem Braunkohlenplan vorgesehene vollständige Inanspruchnahme des Gebietes einer Gemeinde stellt sich als Auflösung der Gemeinde im Sinne des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV dar und bedarf deshalb im Lande Brandenburg eines förmlichen Gesetzes, das die Auflösung gerade dieser Gemeinde zum Regelungsgegenstand hat.
Fundstellen: - UPR 1995, 354
- LKV 1995, 365
- NJ 1995, 529
- DVBl 1996, 37
- LVerfGE 3, 157
Zitiervorschlag: VerfGBbg, Urteil vom 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/95 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de

VERFASSUNGSGERICHT
DES LANDES BRANDENBURG

VfGBbg 6/95



IM NAMEN DES VOLKES
U R T E I L

In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren

der Gemeinde Horno, vertreten durch den Bürgermeister, Dorfstraße 41, 01372 Horno,

Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. S. und E.-S.,

betreffend die Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994(GVBl. II S. 118)

hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburgauf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 1995
durch die Verfassungsrichter Dr. Macke, Prof. Dr. von Arnim, Dr. Dombert, Prof. Dr. Harms-Ziegler, Dr. Knippel, Prof. Dr. Mitzner, Prof. Dr. Schöneburg, Prof. Dr. Schröder, Weisberg-Schwarz

für R e c h t erkannt:

1. Die Verordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVBl. II S. . 118) ist nichtig.

2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

A.
I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine am 10. März 1994 veröffentlichte Rechtsverordnung der brandenburgischen Landesregierung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde vom 28. Februar 1994 (GVB1. II 5. 118). Sie beantragt, die genannte Verordnung wegen Verstoßes gegen Art. 97, Art. 98 sowie Art. 25 der Brandenburgischen Landesverfassung (LV) für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Mit der Verordnung wird der Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde, der am 23. September 1993 vom Braunkohlenausschuß des Landes Brandenburg beschlossen worden ist, mit seinen textlichen und zeichnerischen Darstellungen für verbindlich erklärt.

Die genannte Verordnung lautet auszugsweise:

Auf Grund des § 12 Abs. 6 des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg vom 13. Mai 1993 (GVBl. I S. 170) verordnet die Landesregierung:

§ 1

Der Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde in der Fassung der Beschlußfassung des Braunkohlenausschusses des Landes Brandenburg (BKA) vom 23. September 1993 wird mit seinen textlichen und zeichnerischen Darstellungen für verbindlich erklärt.

...

Die Anlage zur Verordnung enthält Auszüge aus dem Braunkohlen-plan. In Bezug auf die durchzuführende Umsiedlung heißt es unter Ziffer 4.:

Umsiedlung

Ziel:

Für die unvermeidliche Inanspruchnahme von Siedlungen und Grundstücken ist rechtzeitig angemessener Ersatz zu schaffen. Zum Erhalt dörflicher Gemeinschaft und sozialer Bindungen wird der geschlossenen Umsiedlung der Vorzug gegeben. Auf Kosten des Bergbautreibenden ist unter Mitwirkung der Gemeindevertretung und der einzelnen Haushalte das soziale Anforderungsprofil für eine notwendige Umsiedlung zu erstellen und zu Lasten des Bergbaubetriebes umzusetzen.

...

Zum Braunkohlenplan ist ein sachlicher Teilabschnitt Umsiedlung Horno zu erarbeiten, in dem der Nachweis der Sozialverträglichkeit erbracht wird. Grundlage bildet das soziale Anforderungsprofil, das durch das Unternehmen zu erstellen ist.

Die Braunkohlen- und Sanierungsplanung findet ihre rechtliche Grundlage in dem bereits erwähnten Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg (RegBkPlG). Die maßgeblichen Rechtsvorschriften haben folgenden Wortlaut:

§ 12

(1) Braunkohlen- und Sanierungspläne werden auf der Grundlage des Landesentwicklungsprogramms, der Landesentwicklungspläne und nach Abstimmung mit der Regionalplanung aufgestellt. Sie legen Ziele der Raumordnung und Landesplanung fest, soweit dies für eine geordnete Braunkohlen- und Sanierungsplanung erforderlich ist.

(2) Ziel des Braunkohlenplanes ist es, eine langfristig sichere Energieversorgung zu ermöglichen, die zugleich umwelt- und sozialverträglich ist. Ziel des Sanierungsplanes ist es, ber9bauliche Folgeschäden in den Gebieten, in denen der Braunkohlenabbau mittelfristig ausläuft oder schon eingestellt ist, soweit wie möglich auszugleichen.

(3) In Braunkohlen- und Sanierungsplänen sind unter Berücksichtigung sachlicher, räumlicher und zeitlicher Abhängigkeiten insbesondere folgende Sachverhalte, Ziele und Maßnahmen darzustellen:

a) Braunkohlenpläne:

1. gegenwärtiger Zustand von Siedlung und Landschaft, Bau- und Bodendenkmale,
2. Minimierung des Eingriffs während und nach dem Abbau,
3. Abbaugrenze und Sicherheitslinien des Abbaus, Haldenflächen und deren Sicherheitslinien,
4. unvermeidbare Umsiedlung und Flächen für die Wiederansiedlung,
5. Räume für Verkehrswege und Leitungen,
6. Bergbaufolgelandschaft.

...

(4) Braunkohlen- und Sanierungspläne bestehen aus textlichen und zeichnerischen Darstellungen. Sie können in sachlichen und räumlichenTeilplänen aufgestellt werden, wenn gewährleistet ist, daß sich die Teile in eine ausgewogene Gesamtentwicklung einfügen.

...

(6) Braunkohlen- und Sanierungspläne werden durch Rechtsverordnung der Landesregierung für verbindlich erklärt, soweit sie nach Maßgabe dieses Gesetzes aufgestellt sind und sonstigen Rechtsvorschriften nicht widersprechen. Der Feststellungsbeschluß und die im Braunkohlen- und Sanierungsplan enthaltenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung werden im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Brandenburg veröffentlicht.

Im nachfolgenden § 14 RegBkPlG ist die Zuständigkeit des Braunkohlenausschusses des Landes Brandenburg als Träger der Braunkohlen- und Sanierungsplanung festgelegt.

Inhalt des hier angegriffenen Braunkohlenplans ist unter anderem die Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin. Da es sich bei einem bekanntgemachten Braunkohlenplan gemäß gesetzlicher Anordnung in § 12 Abs. 1 Satz 2 RegBkPlG um ein Ziel der Raumordnung und Landesplanung handelt, regelt sich seine Verbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 des Raumordnungsgesetzes des Bundes (ROG).

§ 5 Abs. 4 ROG lautet:

Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind von den in § 4 Abs. 5 genannten Stellen bei Planungen und allen sonstigen Maßnahmen, durch die Grund und Boden in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung eines Gebietes beeinflußt wird, zu beachten. ...

§ 4 Abs. 5 ROG hat folgenden Wortlaut:

Die Behörden des Bundes und der Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die öffentlichen Planungsträger sowie im Rahmen der ihnen obliegenden Aufgaben die bundesunmittelbaren und die der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts haben ihre Planungen und Maßnahmen aufeinander und untereinander abzustimmen.

II.

Die Beschwerdeführerin macht im einzelnen geltend:

Die vorgesehene Abbaggerung beeinträchtige sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht und habe keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Regelungen zur Braunkohlenplanung verstießen zudem gegen höherrangiges Bundesrecht. Das Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg greife in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Bergwesens ein. Die nach der Landesverfassung erforderliche Anhörung der Bevölkerung habe nicht stattgefunden. Der Braunkohlenplan sei auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlerhaft. Insbesondere hätte eine Umweltverträglichkeitsprüfung als Bestandteil eines Planfeststellungsverfahrens durchgeführt werden müssen. Hätte während des Planfeststellungsverfahrens eine ordnungsgemäße Offenlegung der Planunterlagen stattgefunden, hätte die Landesregierung umfassenderes Abwägungsmaterial erhalten und sich ein besseres Bild über mögliche Alternativen machen können. Der Plangeber sei von einem einseitigen Vorrang der Rohstoff- und Energiegewinnung ausgegangen. Bei einer Gesamtbetrachtung erweise sich der Braunkohlenplan als nicht gemeinwohlverträglich. Der Braunkohlenplan sei auch mit den Regelungen des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg nicht vereinbar. So sei die in § 12 Abs. 2 RegBkPlG und anderen Vorschriften vorgesehene Sozialverträglichkeit des Braunkohlenabbaus nicht gegeben. Der Braunkohlenplan enthalte keine konkreten Hinweise auf das soziale Anforderungsprofil bei der Umsetzung der Gemeinde Horno. Energiepolitisch bestehe keine Notwendigkeit für die Weiterführung des Tagebaus Jänschwalde. Die Lausitzer Kohle sei ohne Subventionen nicht wettbewerbsfähig und auf Dauer der Konkurrenz nicht gewachsen. Schließlich verletze der Braunkohlenplan die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Artikel 25 LV. Das Recht der Sorben auf Schutz, Erhaltung und Pflege des angestammten Siedlungsgebietes sei verletzt. Die aus Art. 25 LV ableitbare Rechtsposition komme nicht nur den Sorben, sondern auch ihr, der Beschwerdeführerin, zugute, weil ihr Gemeindegebiet zum angestammten Siedlungsgebiet der Sorben gehöre.

III.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Landesregierung Brandenburg, der Braunkohlenausschuß und die L.-AG Stellung genommen. Sie sind den Ausführungen der Beschwerdeführerin im einzelnen entgegengetreten. Der Landtag hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

IV.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten des Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde der Domowina und eines Hornoer Bürgers vom 10. Mai 1994 gegen den Braunkohlenplan und den vom Oberbergamt zugelassenen Rahmenbetriebsplan der L.-AG (VfGBbg 7/94) Bezug genommen.

B.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Die Rechtsverordnung über die Verbindlichkeit des Braunkohlenplanes Tagebau Jänschwalde stellt ein Gesetz in dem verfahrensrechtlichen Sinne des § 51 Abs. 1 VerfGGBbg dar (vgl. VerfG Bbg OLG-NL l994, 75, 76)

2. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist fristgerecht erhoben. Sie ist am 9. März 1995 bei Gericht eingegangen. Die angegriffene Rechtsverordnung ist am 10. März 1994 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg veröffentlicht worden. Somit ist die Jahresfrist gemäß § 51 Abs. 2 VerfGGBbg gewahrt.

3. Der Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß die Beschwerdeführerin gleichzeitig den Rechtsweg zum Oberverwaltungsgericht beschritten und dort Normenkontrollklage gegen die genannte Rechtsverordnung erhoben hat (§ 47 Verwaltungsgerichtsordnung i.V.m. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg). Das Gericht läßt dahinstehen, ob das Gebot der Rechtswegerschöpfung des § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg auch für kommunale Verfassungsbeschwerden gilt. Auch wenn dies der Fall wäre, wäre die Beschwerdeführerin hier nicht darauf zu verweisen, zunächst den Ausgang des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht abzuwarten. Vielmehr bejaht das Gericht - für den Fall der Anwendbarkeit des § 45 Abs. 2 VfGGBbg - die Voraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift. Danach bedarf es u.a. dann keiner Rechtswegerschöpfung, wenn die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist. Dies ist hier im Hinblick auf die Tragweite der zu treffenden Entscheidung nicht nur für die Beschwerdeführerin, sondern für den Braunkohlentagebau in der Gesamtregion, aber auch im Hinblick auf die Grundsätzlichkeit der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage anzunehmen.

C.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Die Verordnung vom 28.2.1994 (GVBl. II S. 118), die den Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde für rechtlich verbindlich erklärt, ist nichtig. Sie verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 97 LV; die Auflösung der Beschwerdeführerin hätte allein durch Parlamentsgesetz erfolgen dürfen (Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV).

I.

Die in dem Braunkohlenplan vorgesehene Inanspruchnahme des Gebietes der Beschwerdeführerin stellt sich im Hinblick auf die mit dem Braunkohlenplan verbundenen Rechtsfolgen als faktisch auf eine Existenzbeendigung der Beschwerdeführerin hinauslaufende “Auflösung“ einer Gemeinde i.S.d. Art. 98 Abs. 2 LV dar und bedarf demzufolge eines Gesetzes.

1. Allerdings wird unter “Auflösung“ einer Gemeinde teilweise die unmittelbare und ausdrückliche Beendigung der rechtlichen Existenz einer Gemeinde durch staatlichen Hoheitsakt verstanden. Ein solches Verständnis des Auflösungsbegriffs liegt z.B. der Bayerischen Gemeindeordnung (Bay GO) zugrunde. Es genügt hiernach nicht, daß durch nicht unmittelbar auf die Auflösung zielende Maßnahmen das gemeindliche Leben tatsächlich beendet wird. So stellt der Umzug aller Einwohner - etwa wegen Schaffung eines Truppenübungsplatzes - keine Auflösung im so verstandenen Rechtssinn dar (vgl. dazu die “Entscheidung“ des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 16. September 1970 - I B 3 - 3000 - 4lc/6l). Dementsprechend kennt § 13 a Abs. 1 Bay GO unbewohnte Gemeinden. Sie bleiben als Rechtssubjekt bestehen und werden durch einen staatlich eingesetzten Gemeindeverwalter rechtlich vertreten (§ 13 a Abs. 6 Bay GO), bis eine ausdrückliche Auflösung erfolgt ist (vgl. dazu Gronemeyer, Die gemeindefreien Gebiete, 1971, S. 140)

Eine - in diesem Sinne - ausdrückliche und unmittelbar auf die Auflösung der Beschwerdeführerin zielende Rechtsfolgenanordnung enthält der angegriffene Braunkohlenplan nicht. Er sieht lediglich im Rahmen der planerischen Festsetzung für ein zeichnerisch festgelegtes Areal, zu dem das Gebiet der Beschwerdeführerin gehört, vor, daß dort Braunkohle abgebaut werden soll. Aus der Anlage ergibt sich zwar, daß deshalb die Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin erfolgen soll. Die Frage der rechtlichen Existenz der Beschwerdeführerin wird jedoch in dem Regelwerk nicht in den Blick genommen.

2. Auch die aus der Sicht des Plangebers als notwendig vorausgesetzte, auch von der Beschwerdeführerin angesprochene Umsiedlung der Bewohner stellt als solche keine Auflösung i.S.d. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV dar. Für die Bewohner wird durch den Braunkohlenplan, seine Wirksamkeit unterstellt, keine rechtliche Verpflichtung begründet, das Gebiet der Beschwerdeführerin zu verlassen. Anders als im Verhältnis zur Gemeinde (dazu nachfolgend 3.) erzeugt der Braunkohlebau als Institut des Raumordnungsrechts für Private - unbeschadet möglicher faktischer Vorwirkungen - keine unmittelbaren Rechtswirkungen (BVerfG NVwZ 1991, 978). Die Bewohner werden vielmehr jedenfalls im allgemeinen rechtlich erst betroffen, wenn sie auf Antrag des Bergbautreibenden im Wege des (bundesrechtlichen) bergrechtlichen Grundabtretungsverfahrens nach § 77 Bundesberggesetz enteignet werden (BVerwGE 87, 241, 253 f.).

3. Der Begriff der Auflösung i.S.v. Art. 98 Abs. 2 LV ist aber deshalb erfüllt, weil die Beschwerdeführerin durch den Braunkohlenplan als Gemeinde rechtlich auf dessen Inhalt und damit auch auf die Beendigung ihrer Existenz festgelegt wird. Ein Braunkohlenplan legt Ziele der Raumordnung und Landesplanung fest (§ 12 Abs. 1 Satz 2 RegBkPlG). Die Beschwerdeführerin hat deshalb gemäß § 5 Abs. 4 ROG als eine der in § 4 Abs. 5 ROG genannten Stellen diese Ziele zu beachten. Das bedeutet, daß diese Ziele von ihr planerisch als verbindliche Vorgaben hinzunehmen sind (BVerwGE 90, 329, 333). Die Beschwerdeführerin hat aus dieser ihr auferlegten Rechtspflicht die jeweils notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. So kann sie etwa von der ihr als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zustehenden Planungshoheit nicht mehr wirksam Gebrauch machen. Es bleibt kein substantieller Raum für die eigene Planung (vgl. dazu BVerfGE 76, 107, 124) . Das zeigt sich z.B. in § 1 Abs. 4 Baugesetzbuch, wonach die Bauleitpläne der Gemeinden den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen sind. Die Beschwerdeführerin büßt hiernach bei Wirksamwerden des Braunkohlenplanes über weite Strecken die Fähigkeit ein, eine eigenständige Gestaltung der örtlichen Lebensverhältnisse vorzunehmen. Sie wird zu einer Gemeinde “in Abwicklung“ und verliert, wie im Schrifttum zugespitzt formuliert wird, ihre Identität als selbständiger Verwaltungsträger (Widera, Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung gemeindlicher Planungshoheit, 1989, 5. 126). Wird mithin das Hinwirken auf die Beendigung der eigenen Existenz zu einer Rechtspflicht der Beschwerdeführerin, so liegt hierin eine unter den Tatbestand des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV fallende rechtsverbindliche Auflösungsanordnung.

An diesem Ergebnis kann auch die in dem Braunkohlenplan angestrebte geschlossene Umsiedlung der Einwohner der Beschwerdeführerin nichts ändern. Der Identitätsverlust der Beschwerdeführerin tritt auch in diesem Falle ein.

Stellt sich danach der von der Landesregierung für verbindlich erklärte Braunkohlenplan als Auflösungsanordnung dar, so bedeutet die später erfolgende Umsetzung des Braunkohlenplanes aus der Sicht der Beschwerdeführerin nur noch den (tatsächlichen) Vollzug der bereits rechtswirksamen Auflösungsanordnung. Jede andere Beurteilung hätte das merkwürdige Ergebnis zur Folge, daß eine Gemeinde durch eine bloße Rechtsverordnung dazu verpflichtet werden könnte, an ihrer eigenen Beendigung mitzuwirken und der Landtag erst im nachhinein auf den Plan träte, um eine bereits einwohnerlose - und im Fall der Beschwerdeführerin womöglich schon untergebaggerte -Gemeinde durch förmliches Gesetz aufzulösen und damit eine Entwicklung nur nachzuvollziehen, die die Verfassung ausdrücklich seiner Entscheidung vorbehalten hat. Der Sinn des Art. 98 Abs. 2 LV, der darin besteht, den entgegenstehenden Willen der demokratisch legitimierten Gemeindevertretung nur durch den übergeordneten Willen des demokratischen Gesetzgebers durchbrechen zu lassen (so auch Baden-Württembergischer Staatsgerichtshof, ESVGH 25, 1, 26 für die gleichlautende Vorschrift des Art. 74 Abs. 2 Satz 2 der Baden-Württembergischen Verfassung), würde verfehlt, weil zum Zeitpunkt der parlamentarischen Entscheidung bereits die Umsetzung erfolgt wäre. Die Entscheidung des Gesetzgebers wäre nur noch die juristische Bestätigung einer bereits praktisch eingetretenen und tatsächlich nicht mehr rückgängig zu machenden Entwicklung.

II.

Mit “Gesetz“, dessen es zur Auflösung einer Gemeinde bedarf, ist in Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV ein förmliches Gesetz des Landtages gemeint, das die Auflösung einer bestimmten Gemeinde zum Regelungsgegenstand hat. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV verlangt für den Fall der Auflösung der Gemeinde als eines besonders intensiven Eingriffs die - auch gegenüber den Fällen des Art. 97 Abs. 1, 2 und 98 Abs. 2 Satz 1 LV - gesteigerte Anforderung eines förmlichen Gesetzes. Die Notwendigkeit, über Fragen von solcher Tragweite durch Parlamentsgesetz zu entscheiden, ergibt sich aus Wortlaut und Systematik des Art. 98 Abs. 2 LV. Anders als im Rahmen des Art. 98 Abs. 2 Satz 1 LV genügt es nicht, wenn sich die betreffende Entwicklung “aufgrund eines Gesetzes“ vollzieht. Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung auch in der Entstehung der Verfassung. Art. 98 LV ist durch den Entwurf eines Art. 98 a der Fraktion PDS-LL in die Verfassungsberatungen eingeführt worden (vgl. LT-Drs. 1/625). Der Antrag wurde damit begründet, daß Gebietsänderungen “sehr weitgehend in Rechte und Interessen der Bürger eingreifen“ könnten (Verfassungsausschuß II, Sitzung vom 20.3.1992, Ausschußprotokoll VA 11/4). Danach sollten derart weitgehende Eingriffe in die Lebensumstände der Bürger der betroffenen Gemeinden “delegationsfeindlich“ der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten werden. Dann aber darf er nicht durch Verordnungsrecht gleichsam vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

§ 12 Abs. 3 a) i.V.m. Abs. 6 RegBkPlG, auf den der Verfahrensbevollmächtigte der Landesregierung in der mündlichen Verhandlung in diesem Zusammenhang verwiesen hat, genügt der Anforderung des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV nicht. Jene Vorschrift betrifft lediglich allgemein “Sachverhalte, Ziele und Maßnahmen“, die in Braunkohlen- und Sanierungsplänen darzustellen sind, bezieht sich nicht auf konkreten Gemeinden und hat damit nicht die Auflösung gerade der Beschwerdeführerin zum Gegenstand.

Da die Entscheidung durch förmliches Gesetz getroffen werden muß und die angegriffene Verordnung schon aus diesem Grund nichtig ist, kann es nicht darauf ankommen, ob der Braunkohlenplan mit den planungsrechtlichen gesetzlichen Vorgaben in Einklang steht oder sich in dieser Hinsicht Bedenken ergeben.

III.

Das hier gefundene Ergebnis wird durch folgende weitere Überlegungen gestützt:

1. Der Verfassungsgeber hat durch Schaffung des Artikel 98 Abs. 2 Satz 2 LV verdeutlicht, daß er in der Änderung kommunaler Zuordnungen grundsätzlich eine Frage von so hohem politischem Gewicht sieht, daß sie vom Parlament selbst zu treffen ist. Damit erweist sich die verfassungsrechtliche Regelung des Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV als eine besondere Ausprägung der sogenannten Wesentlichkeitstheorie, derzufolge Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichten, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen (BVerfGE 47, 46,78) . Wesentliche Entscheidungen müssen von den vom Volk direkt gewählten Repräsentanten im öffentlichen Gesetzgebungsverfahren verantwortet werden. Stellt hiernach im Land Brandenburg kraft Verfassung schon die Auflösung einer einzelnen Gemeinde eine politisch derart bedeutende Frage dar, daß sie allein vom parlamentarischen Gesetzgeber entschieden werden darf, so dürfte dies angesichts des hierüber noch weit hinausgehenden Inhalts des hier in Frage stehenden Braunkohlenplans erst recht gelten. Unter anderem berührt der Braunkohlenplan angestammtes sorbisches Siedlungsgebiet, das durch Artikel 25 LV - auf dessen Rechtsnatur es in dem hier erörterten Zusammenhang nicht ankommt - einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz unterstellt ist. Ob die Inanspruchnahme dieses Teils der Gebietsoberfläche des Landes Brandenburg dem Verordnungsgeber überlassen werden darf, erscheint im Lichte der Wesentlichkeitstheorie mindestens fraglich. Ferner geht es bei der Frage der Fortführung des Braunkohlentagebaus um eine umweltpolitische Entscheidung von erheblicher Bedeutung. Auch dies spricht dafür, daß es sich um eine Angelegenheit handelt, derer sich im Sinne der Wesentlichkeitstheorie der Gesetzgeber anzunehmen hat.

2. Art. 98 Abs. 2 Satz 2 LV, wonach die Auflösung einer Gemeinde eines Gesetzes bedarf, gilt, wie dargelegt und unumstritten ist, wenn eine Gemeinde etwa durch Eingemeindung aufgelöst wird und deshalb rechtlich zu existieren aufhört. Wenn die Verfassung einen solchen rechtlichen Eingriff, der die tatsächlichen Lebensumstände der Einwohner weitgehend unberührt lassen kann, davon abhängig macht, daß die Entscheidung durch Gesetz getroffen wird, so muß dies erst recht gelten, wenn die rechtlichen Weichen unwiderruflich dafür gestellt werden, daß die Gemeinde physisch eliminiert wird und den bisherigen Bewohnern als Lebensmittelpunkt endgültig verloren geht. Die Entscheidung darüber, ob die Beschwerdeführerin faktisch vom Erdboden verschwinden soll, gehört deshalb nach der Brandenburger Verfassung in die Hand des Gesetzgebers.

IV.

Die Verordnung vom 28.2.1994, die den Braunkohlenplan Tagebau Jänschwalde für verbindlich erklärt, ist im vollen Umfang nichtig. Die Annahme einer Teilnichtigkeit käme nur für den Fall in Betracht, daß der Plangeber nach seinem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel einen Plan eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwGE 82, 225, 230). Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Landesregierung selbst hat vorgetragen, eine Beendigung des Tagebaus vor Horno sei für den Braunkohlenausschuß nicht in Betracht gekommen, weil dies einen Förderverlust von zweihundertfünfzig Millionen Tonnen Braunkohle zur Folge hätte und damit eine wirtschaftliche Auslastung des Kraftwerkes Jänschwalde ab 1998 nicht mehr gesichert wäre und Umweltinvestitionen in Milliardenhöhe in Frage gestellt würden. Das Landesverfassungsgericht kann hiernach nicht erkennen, daß der Braunkohlenausschuß bei Kenntnis des Unwirksamkeitsgrundes einen die Beschwerdeführerin aussparenden Braunkohlenplan beschlossen hätte.

V.

Das Gericht stellt klar, daß es mit der Erklärung der Nichtigkeit der Rechtsverordnung keine Entscheidung über konkrete durch Betriebspläne genehmigte bergbauliche Tätigkeiten im Plangebiet getroffen hat. Ob die Regelung des § 12 Abs. 6 Satz 3 RegBkPlG bei Fehlen eines verbindlichen Braunkohlenplanes ein absolutes Abbauverbot bewirkt, ist umstritten (vgl. die Nachweise des Streitstandes bei Rausch, Umwelt- und Planungsrecht im Bergbau, Baden-Baden 1990, 5. 179 ff.). Es handelt sich dabei um eine Frage der Auslegung einfachen Rechts. Sie gehört nicht zum Streitgegenstand dieses Verfahrens und wird etwa im Rahmen denkbarer Stillegungsverfahren gegebenenfalls von den Fachgerichten zu entscheiden sein.

VI.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 32 Abs. 7 VerfGGBbg.

Dr. Macke Prof. Dr. von Arnim
Dr. Dombert Prof. Dr. Harms-Ziegler
Prof. Dr. Schöneburg Prof. Dr. Schröder
Weisberg- Schwarz